Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Ersatzeinreichung.

Glaubhaftmachung technischer Probleme bei beA
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23

Kurz nach dem Anwaltssenat, dessen Entscheidung im Anwaltsblog 8/2024 vorgestellt wird, hat sich auch der XII. Zivilsenat mit den Anforderungen aus § 130d ZPO befasst. 

Die Antragstellerin begehrt Zugewinnausgleich. Das AG hat ihrem Antrag nur teilweise stattgegeben. Dagegen legte sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten fristgerecht Beschwerde ein. Einige Tage vor Ablauf der Frist übermittelte die Antragstellerin, die sich nunmehr als Rechtsanwältin selbst vertritt, per Telefax eine Beschwerdebegründung und einen Schriftsatz, in dem sie darlegte, weshalb sie die Begründung nicht über beA eingereicht hat. Das OLG hat die hilfsweise begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.

Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH setzt die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände voraus, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. 

Bei einer Störung des beA-Servers oder des Servers für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Empfängergerichts kann hierfür die Bezugnahme auf Screenshots mit entsprechenden Fehlermeldungen der Bundesrechtsanwaltskammer oder des EGVP-Betreibers genügen. Bei Fehlern, die ihre Ursache im Verantwortungsbereich des Absenders haben, ist hingegen eine detailliertere Darstellung erforderlich.

Im Streitfall hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, der Fehlbedienungszähler ihrer beA-Karte sei abgelaufen gewesen und sie habe deshalb eine neue beA-Karte beantragen müssen, deren Lieferung ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könne. Diesem Vorbringen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, ob eine technische Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO oder ein schlichter Anwenderfehler vorlag. Eine vollständige Darlegung hätte zumindest Ausführungen dazu erfordert, weshalb ein Zurücksetzen des Fehlbedienungszählers mit Hilfe des hierfür vorgesehenen PUK (Personal Unblocking Key) nicht möglich war.

Praxistipp: Um bei „unerklärlichen“ Fehlern mit der beA-Karte dennoch Schriftsätze wirksam einreichen zu können, empfiehlt sich der zusätzliche Erwerb eines Softwarezertifikats. Dieses kann zwar nicht für eine qualifizierte elektronische Signatur eingesetzt werden, wohl aber für den Versand auf einem sicheren Übermittlungsweg – und für den mobilen Zugriff auf das beA-Postfach.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Frage, in welchem Umfang ein Schenker den Beschenkten durch Auflagen binden kann.

Schenkung unter Auflage zur lebzeitigen Weiterübertragung
BGH, Urteil vom 28. November 2023 – X ZR 11/21

Der X. Zivilsenat befasst sich mit dem Tatbestand des § 2302 BGB.

Die Parteien sind als Miterben nach dem Tod ihres Vaters bzw. Ehemanns Eigentümer eines Grundstücks in München. Die beiden Kläger verlangen die Übereignung des Anwesens an sich selbst und den Beklagten zu 2. Sie stützen diesen Anspruch auf einen im Jahr 1995 geschlossenen und in den Jahren 2003 und 2008 modifizierten Vertrag, mit dem der Vater des Erblassers das Grundstück an diesen unter der Auflage geschenkt hatte, es spätestens bei seinem Ableben an seine leiblichen Kinder zu übereignen. Bis zum Tod des Erblassers im Jahr 2019 war es nicht zu einer Übereignung des Grundstücks gekommen. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG hat allerdings zu Recht angenommen, dass eine in einem Schenkungsvertrag enthaltene Auflage, den geschenkten Gegenstand spätestens mit dem Ableben unentgeltlich auf einen Dritten zu übertragen, wirksam sein kann.

Nach § 2302 BGB ist eine vertragliche Verpflichtung, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, nichtig. Dieses Verbot erfasst nur Verpflichtungen im Hinblick auf Verfügungen von Todes wegen, nicht aber in Bezug auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden.

Nichtig ist danach eine Auflage, die den Beschenkten verpflichtet, zugunsten eines Dritten ein Schenkungsversprechen unter der Bedingung abzugeben, dass der Dritte den Beschenkten überlebt. Auf solche Versprechen finden nach § 2301 Abs. 1 BGB die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung.

Wirksam ist eine Auflage hingegen, wenn die Parteien des Schenkungsvertrags bereits einen – wenn auch bedingten – Anspruch des Dritten auf Übereignung des geschenkten Gegenstands begründen.

Im Streitfall stand die vom Erblasser eingegangene Verpflichtung unter der Bedingung, dass die begünstigten Kinder ihn überleben, denn der Schenkungsvertrag sieht vor, dass der Übereignungsanspruch beim Tod eines Kindes nicht auf dessen Erben übergeht. Die vereinbarte Auflage ist dennoch nicht nach § 2302 BGB nichtig, weil sich der Erblasser im Schenkungsvertrag nicht zur Abgabe eines Schenkungsversprechens gegenüber seinen Kindern verpflichtet hat, sondern zur Übereignung des Grundstücks an diese.

Die Berufungsentscheidung hat jedoch keinen Bestand, weil sich der mit der Klage geltend gemachte Anspruch entgegen der Auffassung des OLG nicht schon aus dem ursprünglichen Vertrag aus dem Jahr 1995 ergibt. Dieser Vertrag sieht einen Übereignungsanspruch des nunmehr geltend gemachten Inhalts nicht vor. Er wurde nur in den Nachträgen aus den Jahren 2003 (zugunsten der beiden Kläger) und 2008 (zugunsten der Kläger und des Beklagten zu 2) vereinbart. Aus diesen Nachtragsvereinbarungen kann entgegen der Auffassung des OLG nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein solcher Übereignungsanspruch schon dem gemeinsamen Willen beider Vertragsparteien im Jahr 1995 entsprach.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG deshalb zu klären haben, ob der Nachtrag aus dem Jahr 2008 wirksam zustande gekommen oder mangels Zustimmung der Ehefrau des Erblassers gemäß § 1365 BGB unwirksam ist.

Praxistipp: Ein Schenker, der eine Weiterübereignung an bestimmte Dritte sicherstellen möchte, muss darauf achten, dass bereits im Schenkungsvertrag ein Übereignungsanspruch des Dritten begründet wird.

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Diese Woche geht es um die Haftung für umgefallene Verkehrsschilder.

Staatshaftung für Verkehrsschilder
BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – III ZR 15/23

Der III. Zivilsenat bekräftigt seine Rechtsprechung zur Einordnung von Privaten als Verwaltungshelfer.

Die Klägerin betreibt ein Autohaus. Im Juli 2017 wurde eines ihrer Fahrzeuge, das vor ihren Geschäftsräumen abgestellt war, durch ein umfallendes Verkehrsschild beschädigt. Das Schild war am Tag zuvor im Zuge von Straßenbauarbeiten als Bestandteil der Umleitungsbeschilderung aufgestellt worden. Die zuständige Behörde hatte die Bauarbeiten an ein privates Unternehmen vergeben. Dieses hatte die Beklagte mit der Aufstellung der Verkehrsschilder beauftragt.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe das Schild nicht ausreichend gesichert. Die auf Ersatz von Reparatur- und Gutachterkosten gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass mögliche Ansprüche gegen die Beklagte aus § 823 BGB durch § 839 BGB verdrängt werden.

Die Beklagte war im Streitfall als Verwaltungshelferin tätig, weil die ihr übertragene Tätigkeit der Verkehrsregelung diente und damit eine hoheitliche Aufgabe darstellt und die Beklagte keinen eigenen Entscheidungsspielraum hatte.

Der hoheitliche Charakter der Tätigkeit ergibt sich jedenfalls daraus, dass die Verkehrsregelung, deren Umsetzung das Schild diente, ein Verbot der Durchfahrt durch den von der Baustelle betroffenen Bereich umfasste. Dass das für den Schaden ursächliche Umleitungsschild kein Verbot anzeigte, ist unerheblich. Es genügt, dass es der Umsetzung der Gesamtregelung diente. Unerheblich ist deshalb auch, ob die vorgesehenen Verbotsschilder tatsächlich aufgestellt worden sind.

Ein eigener Entscheidungsspielraum der Beklagten bestand nicht, weil der Inhalt der aufzustellenden Schilder und deren Aufstellungsort behördlich vorgegeben waren. Dass der Aufstellungsort nicht auf den Meter genau festgelegt war, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Art der Aufstellung ist durch Verwaltungsvorschriften und Richtlinien detailliert geregelt.

Praxistipp: Wenn unklar ist, ob gemäß § 823 BGB ein privates Unternehmen oder gemäß § 839 BGB der Staat haftet, sollte die Klage gegen den einen potentiellen Schuldner mit einer Streitverkündung gegenüber dem anderen verbunden werden.

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Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietvertrags über Wohnraum.

Das Zerrüttungsprinzip gilt nicht im Mietrecht
BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 211/22

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit den Tatbestandvoraussetzungen von § 543 Abs. 1 BGB.

Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung der Kläger. Die Kläger wohnen im Erdgeschoss desselben Hauses. Seit 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher Vertragsverletzungen, etwa Verstößen gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten. Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige, in der sie unter anderem angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Wegen dieser Anzeige und wegen Zerrüttung des Mietverhältnisses erklärten die Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg.

Die Revision der Kläger bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Strafanzeige stellt keinen hinreichenden Grund für die fristlose Kündigung dar, weil sie nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts inhaltlich zutrifft.

Die unstreitig vorliegende Zerrüttung des Mietverhältnisses reicht für eine fristlose Kündigung ebenfalls nicht aus. Ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ist im Allgemeinen nur dann gegeben, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt. Eine Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage kommt deshalb nur dann als zureichender Kündigungsgrund in Betracht, wenn sie zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist. Diese Voraussetzung ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht erfüllt.

Praxistipp: Damit eine fristlose Kündigung auf die Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag gestützt werden kann, ist gemäß § 543 Abs. 3 BGB grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich.

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Diese Woche geht es um die Reichweite der Verjährungseinrede.

Verjährung des Anspruchs auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2023 – V ZR 161/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg.

Der Vater der beiden Parteien hatte dem Kläger im Jahr 2002 ein notarielles Angebot zum Verkauf mehrerer Grundstücke zum Preis von 6 Euro pro Quadratmeter unterbreitet. Am 30.12.2009 – einen Tag vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist – nahm der Kläger das Angebot an. Nach dem Vertrag ist der Kaufpreis fällig, sobald die Löschung der im Grundbuch eingetragenen Grundpfandrechte nachgewiesen ist. Der Notar darf den Antrag auf Umschreibung des Eigentums erst dann stellen, wenn der Verkäufer den Erhalt des Kaufpreises schriftlich bestätigt hat. In der Folgezeit kam es weder zur Löschung der Grundpfandrechte noch zur Zahlung des Kaufpreises.

Mit seiner Anfang Dezember 2019 eingereichten und kurz darauf zugestellten Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten als alleinigem Erben des im Jahr 2015 verstorbenen Vaters die Zustimmung zur Löschung der Grundpfandrechte und die Übergabe von Löschungsbewilligungen und Grundpfandbriefen an den Vollzugsnotar.

Während des Rechtsstreits hat der Kläger den Kaufpreis für die Grundstücke beim Amtsgericht hinterlegt. Der Notar erteilte ihm daraufhin eine Ausfertigung der Auflassungserklärung und der Eintragungsbewilligung. Der Kläger reichte diese Unterlagen beim Grundbuchamt ein. Die Umschreibung ist noch nicht erfolgt.

Das LG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Klage abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG entschieden, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Löschung der dinglichen Belastungen nicht verjährt ist. Selbst wenn die Zehnjahresfrist des § 196 BGB mit Abschluss des Kaufvertrags Ende Dezember 2009 begonnen hat, wurde sie durch die Anfang Dezember 2019 eingereichte und demnächst zugestellte Klage wirksam gehemmt.

Entgegen der Auffassung des OLG steht dem Klageanspruch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Dieser wäre zwar begründet, wenn der Anspruch auf Übereignung wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar wäre. Im Streitfall kann der Beklagte den Eigentumserwerb durch den Kläger aber trotz Verjährung des Übereignungsanspruchs nicht mehr verhindern.

Der Anspruch auf Übereignung der Grundstücke ist zwar noch nicht erfüllt, weil der Kläger noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Der Kläger kann sich das Eigentum aber ohne Mitwirkung des Beklagten verschaffen, weil die zur Übertragung des Eigentums erforderlichen Erklärungen bereits abgegeben sind.

Dass der Notar den Antrag erst nach Bestätigung der Kaufpreiszahlung durch den Beklagten beim Grundbuchamt einreichen durfte, ist unerheblich. Nach der Hinterlegung des Kaufpreises durfte der Kläger vom Notar die Herausgabe der erforderlichen Unterlagen verlangen und diese selbst beim Grundbuchamt einreichen, wie dies mittlerweile auch geschehen ist.

Praxistipp: Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass vor Erhebung einer zur Verjährungshemmung gebotenen Klage sorgfältig geprüft werden muss, welcher Mitwirkungshandlungen des Schuldners es bedarf und welchen Leistungserfolg der Gläubiger selbst herbeiführen kann. Im Zweifel sollte lieber „zu viel“ in den Klageantrag aufgenommen werden als „zu wenig“.

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Diese Woche geht es um die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt im Zusammenhang mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Verlängerung der Begründungsfrist nach verspäteter Einlegung eines Rechtsmittels
BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2024 – IV ZR 29/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer haftungsträchtigen Situation.

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer privaten Krankenversicherung. Sein Begehren ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben. Das Urteil des OLG wurde ihm am 30. November 2022 zugestellt. Am 27. Januar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Am 9. Februar 2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte erstmals, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und des diesbezüglichen Wiedereinsetzungsantrags bis zum 9. April 2023 zu verlängern.

Der Prozessbevollmächtigte hat die Begründung des Rechtsmittels innerhalb der verlängerten Frist eingereicht. Er beantragt auch bezüglich der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, der Kläger habe sich bis 18. Januar 2023 krankheitsbedingt nicht um seine Rechtsangelegenheiten kümmern können. In der Zeit zwischen diesem Tag und dem regulären Ablauf der Begründungsfrist sei es nicht möglich gewesen, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen, zumal die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Der BGH lehnt die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht fristgerecht begründet worden. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist mit dem 30. Januar 2023 abgelaufen. Die gewährten Fristverlängerungen sind unwirksam, weil der erste Verlängerungsantrag gestellt wurde, als die Frist bereits abgelaufen war.

Die Versäumung der Frist beruht auf dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Dieser hätte bei Einlegung des Rechtsmittels am 27. Januar 2023 die Verlängerung der damals noch laufenden Begründungsfrist beantragen können und müssen. Der Antrag hätte schon deshalb Aussicht auf Erfolg gehabt, weil die Gerichtsakten noch nicht vorlagen.

Praxistipp: Ist die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bei Wegfall des Hindernisses bereits abgelaufen, muss die Begründung gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats eingereicht werden. Diese Frist ist nicht verlängerbar (zu einem Ausnahmefall vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2007 – V ZB 48/06, MDR 2007, 1332).

Konnte die Begründungsfrist deshalb nicht eingehalten werden, weil ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe erst nach Fristablauf bewilligt worden ist, beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO bei Berufung, Revision und Nichtzulassungsbeschwerde mit der Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist, bei einer Rechtsbeschwerde hingegen schon mit Bewilligung der Prozesskostenhilfe (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 – IX ZB 197/07, MDR 2008, 1058).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweiswirkungen einer Behandlungsdokumentation.

Indizwirkung einer Behandlungsdokumentation
BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 – VI ZR 108/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit einem Fall, in dem die Behandlungsdokumentation eines Beteiligten auf Fehler eines anderen Beteiligten hindeutet.

Die klagenden Sozialversicherungsträger nehmen die Beklagten wegen Behandlungsfehlern bei der Geburt eines Kindes in Anspruch. Am Tag der Geburt wurde die Mutter in der Klinik der Beklagten zu 1 bis 3 zunächst von der als Beleghebamme tätigen Beklagten zu 5 betreut. Im Laufe des Nachmittags ergaben mehrere CTG-Untersuchungen einen pathologischen Befund. Um 19:45 Uhr übernahm der als Assistenzarzt tätige Beklagte zu 4 die Behandlung. Er ordnete nach einem massiven Abfall der Herztöne einen Not-Kaiserschnitt an. Das Kind war nach der Entbindung leblos und wurde wiederbelebt. Es leidet an einer irreversiblen Hirnschädigung.

Das LG hat die Ansprüche gegen die Hebamme für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt und deren Schadensersatzpflicht festgestellt. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

Die Klagen gegen die Beklagten zu 1 bis 4 hatten in erster Instanz keinen Erfolg. Das OLG erklärte die Klageansprüche auch insoweit für dem Grunde nach gerechtfertigt und stellte die Ersatzpflicht der Beklagten zu 1 bis 4 fest.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG entfaltet die Behandlungsdokumentation der Hebamme, der zufolge der Beklagte zu 4 bereits um 19:10 Uhr das zuvor aufgenommene, hochpathologische CTG gesehen hat, keine Vermutungswirkung zu Lasten der Beklagten zu 1 bis 4.

Als Urkunde begründet eine Behandlungsdokumentation gemäß § 416 ZPO vollen Beweis (nur) dafür, dass die darin enthaltenen Erklärungen abgegeben wurden, nicht aber dafür, dass sie inhaltlich zutreffend sind.

Einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, kann allerdings zugunsten der Behandlungsseite eine Indizwirkung zukommen, die im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen ist. Daraus ergibt sich aber keine Umkehr der Beweislast. Die Indizwirkung ist schon dann erschüttert, wenn der Beweisgeber Umstände dartut, die Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Dokumentation begründen.

Im Streitfall kommt der Dokumentation der Hebamme im Verhältnis gegenüber den Beklagten zu 1 bis 4 jedoch schon deshalb keine Indizwirkung zu, weil sie ambivalent ist. Der in Rede stehende Eintrag kann sowohl darauf hindeuten, dass die Hebamme die dokumentierte Maßnahme tatsächlich vorgenommen hat, als auch darauf, dass sie ihre Verantwortung für das Geschehen in Abrede stellen und den Beklagten zu 4 belasten wollte.

Der Klinikträger muss sich den Behandlungsfehler der Hebamme auch nicht gemäß § 278 BGB zurechnen lassen. Sobald ein Arzt die Behandlung übernommen hat, ist eine mitwirkende Hebamme zwar dessen Gehilfin im Sinne von § 278 BGB. Im Streitfall ist aber nicht festgestellt, dass eine ärztliche Behandlung bereits vor 19:45 Uhr begonnen hat.

Praxistipp: Nach der in § 630h Abs. 3 BGB normierten und bereits zuvor in der Rechtsprechung etablierten Vermutung, gilt eine nicht dokumentierte Maßnahme als nicht durchgeführt. Darum ging es im Streitfall indes nicht nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Sorgfaltspflichten beim elektronischen Versand fristgebundener Schriftsätze.

beA-Versand erfordert keinen Papierausdruck
BGH, Beschluss vom 30. November 2023 – III ZB 4/23

Der III. Zivilsenat befasst sich mit den Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Kläger begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden aufgrund einer Gesundheitsverletzung. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Der Kläger legte Berufung ein. Die elektronisch eingereichte Begründung des Rechtsmittels ging erst einen Tag nach Ablauf der maßgeblichen Frist beim Berufungsgericht ein. Dieses lehnte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger nicht aufzeigt, dass die angefochtene Entscheidung auf Rechtssätzen beruht, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zu Recht als unzureichend angesehen, weil er keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung enthält, weshalb die Frist nicht eingehalten werden konnte.

Die detaillierte Schilderung von Druckerproblemen, die am Tag des Fristablaufs gegen 22:30 Uhr aufgetreten und ein rechtzeitiges Ausdrucken des Schriftsatzes unmöglich gemacht haben sollen, lässt nicht erkennen, was einem rechtzeitigen Versand per beA entgegenstand. Dieser erfordert es nicht, den Schriftsatz auszudrucken, auf Papier zu unterschreiben und wieder einzuscannen. Die beim beA-Versand ohne qualifizierte Signatur gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderliche einfache Signatur erfordert lediglich eine maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens.

Praxistipp: Anwälte, die Schriftsätze vor dem beA-Versand auf Papier durchlesen, unterschreiben und wieder einscannen, sollten organisatorische Vorkehrungen dafür treffen, dass der Versand in dringenden Fällen auch ohne vorherigen Ausdruck erfolgen kann.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Anwendbarkeit nicht abdingbarer Vorschriften des deutschen Wohnungsmietrechts trotz vertraglicher Rechtswahl zugunsten einer anderen Rechtsordnung.

Rechtswahl bei Vermietung einer im Inland belegenen Wohnung
BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 7/23

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen eines Binnensachverhalts im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO.

Die klagende Republik B. vermietet in einem ihr gehörenden, neben ihrer Botschaft in Berlin belegenen Haus Wohnungen an Botschaftsangehörige und Dritte. Die nicht in der Botschaft beschäftigte Beklagten sind seit 2003 Mieter einer dieser Wohnungen. In der maßgeblichen Fassung des Mietvertrags ist vorgesehen, dass der Vertrag dem Recht der Republik B. unterliegt und nach einem Jahr endet. Die Botschaft der Klägerin teilte den Beklagten vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit mit, dass eine Verlängerung des Mietverhältnisses nicht in Betracht kommt.

Die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 575 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB ist eine Befristung des Mietverhältnisses nur dann wirksam, wenn der Vermieter bei Vertragsschluss schriftlich einen Grund für die Befristung mitteilt. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

Der BGH lässt offen, ob § 575 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB eine zwingende Formvorschrift im Sinne von Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO darstellt. Die Regelung ist im Streitfall schon deshalb maßgeblich, weil ein Binnensachverhalt im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vorliegt.

Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bleiben nicht abdingbare Bestimmungen eines Staates trotz einer abweichenden Rechtswahl anwendbar, wenn alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt in diesem Staat belegen sind. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab und ist in erster Linie vom Tatrichter zu beurteilen.

Im Streitfall ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen, dass ein Binnensachverhalt im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vorliegt.

Ausschlaggebend dafür sind folgende Umstände:

–   die vermietete Wohnung ist in Deutschland belegen;

–   die Beklagten haben seit 2003 in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt;

–   Abschluss und Abwicklung des Mietvertrags einschließlich des Einzugs der Miete erfolgten durch die Botschaft der Klägerin in Deutschland (diese ist als Zweigniederlassung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO anzusehen).

Nicht ausschlaggebend sind vor diesem Hintergrund folgende Umstände:

die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien;

–   gesetzliche Regelungen der Klägerin über die Verwendung von Staatseigentum;

–   die Erfüllung diplomatischer Aufgaben (weil die die in Streit stehende Wohnung nicht zu diesem Zweck vermietet worden ist);

–   die Abfassung des Mietvertrags in der Amtssprache der Klägerin;

–   die Frage, ob die Rechtswahl mit dem Ziel der Gesetzesumgehung erfolgt ist.

Praxistipp: Ohne Rechtswahl unterliegen Miet- und Pachtverträge über unbewegliche Sachen gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. c Rom I-VO dem Recht des Staats, in dem die Sache belegen ist. Eine Ausnahme gilt gemäß Buchst. d für kurzfristige Verträge zwischen Parteien mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Staat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Innenausgleich zwischen den Haftpflichtversicherern eines an einem Verkehrsunfall beteiligten Gespanns.

Rückwärtsfahren mit Anhänger
BGH, Urteil vom 14. November 2023 – VI ZR 98/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Haftungsverteilung gemäß § 78 Abs. 3 VVG und § 19 Abs. 4 StVG.

Bei einem Rangiervorgang mit einem Gespann wurde ein anderes Fahrzeug beschädigt. Die Klägerin, bei der das Zugfahrzeug haftpflichtversichert ist, regulierte den Schaden in Höhe von 930 Euro. Sie nimmt die Beklagte, bei der der Anhänger haftpflichtversichert ist, auf Erstattung der Hälfe dieses Betrages in Anspruch. Das AG gab der Klage statt, das LG wies sie ab.

Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 78 Abs. 3 VVG bestimmt sich das Innenverhältnis zwischen den beiden Haftpflichtversicherern eines Gespanns nach der Regelung in § 19 Abs. 4 StVG. Danach hat der Versicherer des Zugfahrzeugs grundsätzlich den gesamten Schaden zu tragen. Etwas anderes gilt nur, soweit sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein. Gemäß § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG verwirklicht das Ziehen des Anhängers allein im Regelfall keine höhere Gefahr.

Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der in § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG normierte Grundsatz auch dann greift, wenn der Anhänger beim Rückwärtsfahren geschoben wird. Dass das Gespann länger und weniger übersichtlich ist als das Zugfahrzeug allein, reicht nach dem Gesetz nicht aus, um einen Anspruch gegen den Versicherer des Anhängers zu begründen.

Praxistipp: Die beiderseitige Ersatzpflicht für Schäden am versicherten Zugfahrzeug oder am versicherten Anhänger richtet sich gemäß § 19 Abs. 4 Satz 5 StVG nach den allgemeinen Regeln, also §§ 823 ff. BGB und ggf. vertraglichen Vereinbarungen.