Anwaltsblog 8/2024: Schwierigkeiten bei der Ersatzeinreichung

Professionelle Einreicher wie Rechtsanwälte müssen die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen, wie der Anwaltssenat des BGH wieder einmal feststellen musste (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 33/23):

 

Die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft war von der Anwaltskammer wegen Vermögensverfalls widerrufen worden. Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof (AGH) abgewiesen. Mit am 21. August 2023 in Schriftform beim AGH eingereichten Schriftsatz vom selben Tage hat der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das ihm nach eigenen Angaben am 21. Juli 2023 zugestellte Urteil beantragt und diesen Antrag mit am 18. September 2023 per Telefax an den (als Berufungsgericht fungierenden) BGH übersandten Schriftsatz vom selben Tage begründet. Beiden Schriftsätzen war eine eidesstattliche Versicherung beigefügt, in der der Kläger erklärte, dass die Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht möglich gewesen sei, weil seine Legitimationskarte von dem Kartenlesesystem bzw. beim Online-Log-In nach Updates für den beA Client Security nicht erkannt worden sei.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird als unzulässig verworfen, weil es jedenfalls an einer formgerechten Begründung des Zulassungsantrags vor Ablauf der Begründungsfrist am 21. September 2023 fehlt. Sowohl der Antrag auf Zulassung der Berufung als auch die Antragsbegründung waren grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dem genügte weder der in Schriftform beim AGH eingereichte Antragsschriftsatz noch die Übersendung der Antragsbegründungsschrift per Telefax an den BGH. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften hat der Kläger jedenfalls hinsichtlich der Antragsbegründung nicht dargetan und glaubhaft gemacht. Eine Ersatzeinreichung ist zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dabei spielt es zwar keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Möglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder – wie hier nach dem Vortrag des Klägers – in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist, weil auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen soll. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird jedoch klargestellt, dass professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Danach kommt hier auch nach dem Vorbringen des Klägers jedenfalls bei der Ersatzeinreichung der Antragsbegründung die Annahme einer nur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht in Betracht.

Es ist bereits fraglich, ob der eidesstattlich versicherte Vortrag des Klägers zur Ersatzeinreichung des Zulassungsantrags am 21. August 2023 für die Darlegung einer nur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit ausreicht. Der Kläger hat hierzu angegeben, dass eine elektronische Einreichung bis zum 21. August 2023 nicht möglich gewesen sei, weil seine Legitimationskarte „nach dem letzten Update für den beA Client Security am 15. August 2023 beim Online-Log-In nicht mehr erkannt“ worden sei. Demnach war dem Kläger die Störung bereits seit mehreren Tagen bekannt, ohne dass er angegeben hat, ob und ggf. welche Maßnahmen er dagegen unternommen habe. Unabhängig davon lag aber auch nach dem Vortrag des Klägers jedenfalls bei der Ersatzeinreichung der Antragsbegründung am 18. September 2023 keine nur vorübergehende technische Unmöglichkeit vor. Diesbezüglich hat der Kläger in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 18. September 2023 ausgeführt, er habe den „Antrag auf Zulassung der Berufung bis zum 19. [sic] September 2023“ aus technischen Gründen nicht per beA übersenden können, „weil die Legitimationskarte seit den letzten beiden Updates (letztes Update ausgeführt am 18. September 2012 [sic]) für den beA Client Security beim Online-Log-In nicht mehr erkannt“ werde. Die Karte sei nicht lesbar und müsse von ihm neu beantragt werden. Danach ist davon auszugehen, dass der Zugang des Klägers zum beA am 18. September 2023 bereits seit mehreren Wochen, nämlich seit dem vorletzten Update am 15. August 2023, nicht mehr funktionierte und dem Kläger dies bekannt war. Dass er versucht habe, Abhilfe zu schaffen, hat der Kläger auch hier nicht dargetan. Nach seinem weiteren Vortrag in der Antragsbegründung ist vielmehr davon auszugehen, dass er keine Maßnahmen gegen die Störung ergriffen hat, da er dort angegeben hat, entsprechende Zugangsprobleme seien auch schon in der Vergangenheit aufgetreten, allerdings sei der Zugang dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder unproblematisch möglich gewesen, weswegen er sich entschieden habe, den Vorgang kurz vor Fristablauf noch einmal zu versuchen. In Anbetracht dessen kommt die Annahme einer nur vorübergehenden technischen Störung jedenfalls am 18. September 2023 nicht (mehr) in Betracht.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Das Versäumnis des Klägers war nicht unverschuldet. Diesem mussten als Rechtsanwalt die gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung bekannt sein, so dass ihn auch ein etwaiger diesbezüglicher Rechtsirrtum nicht entlasten würde.

 

Fazit: Einem Rechtsanwalt muss bekannt sein, dass ihn ab dem 1. Januar 2022 nicht nur wie bereits zuvor die („passive“) Pflicht trifft, elektronische Zustellungen und Erklärungen über das von ihm vorzuhaltende elektronische Anwaltspostfach zu empfangen (§ 31a Abs. 6 BRAO), sondern eine („aktive“) Nutzungspflicht bezüglich des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Die entsprechende Bestimmung des § 130d Satz 1 ZPO gehört zum verfahrensrechtlichen Grundwissen eines im Zivilprozess tätigen Rechtsanwalts (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 – VIII ZB 41/22 –, MDR 2023, 383). Daher ist jeder Rechtsanwalt verpflichtet, sich mit den technischen Voraussetzungen der einzig zulässigen Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut zu machen. Dazu gehört auch die Installation der regelmäßig angebotenen Updates.

BVerfG zur Videoverhandlung

Das BVerfG (Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23) hatte über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BFH zu entscheiden. Zugrunde lag eine Videoverhandlung eines FG. Im Sitzungssaal war eine Kamera eingesetzt, die lediglich die gesamte Richterbank abbildete. Die Beschwerdeführer sahen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, da sie nicht die Möglichkeit hatten, durch Zoomen die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick in deren Gesicht zu prüfen.

Der BFH selbst hat bekanntlich schon mehrere Entscheidungen zu Videoverhandlungen getroffen. U. a. wurde entschieden (Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 = MDR 2023, 1366 [Greger]), dass die fehlende Möglichkeit der beständigen Überprüfung des Aussehens der Richter eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellen kann.

Diese Sichtweise weist das BVerfG allerdings klar zurück, so dass die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat. Diese zunächst begrüßenswerte Entscheidung wird aber gleich wieder dahingehend relativiert, dass das BVerfG den Hinweis gibt, unter Umständen käme ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren in Betracht. Im konkreten Fall war jedoch die Verletzung dieses Grundrechts gar nicht gerügt worden. Außerdem würde eine solche Rüge voraussetzen, dass im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Ausstattung, die Übertragungsqualität usw. beschaffen waren. Schließlich sieht das BVerfG den Grundsatz der Subsidiarität nicht als gewahrt an, weil die Beschwerdeführer im Laufe der mündlichen Verhandlung insoweit nichts geltend gemacht haben.

Wenn man diese Ausführungen zur Kenntnis nimmt und diesen Weg weiterdenkt, so wird man fast sicher annehmen können, dass es der höchstrichterlichen sowie der Rechtsprechung des BVerfG gelingen wird, die Anforderungen an eine nicht mehr zu beanstandende Videoverhandlung so auszubauen, dass sie letztlich praktisch nicht mehr durchzuführen sein wird, da die entsprechende Technik nirgendwo vorhanden und auch praktisch gar nicht mehr beherrschbar sein wird.

Es wird sich damit hoffentlich nicht so entwickeln, wie bei dem verspäteten Vorbringen: Der Gesetzgeber hatte die Regelungen seinerzeit eingeführt, um den Zivilprozess zu beschleunigen. BGH und BVerfG haben diese Regelungen durch ihre restriktive Rechtsprechung in der Folgezeit jedoch so weit eingeschränkt, dass heute niemand mehr von einer Zurückweisung wegen Verspätung spricht. Auch Entscheidungen dazu werden praktisch nicht mehr getroffen, geschweige denn veröffentlicht.

Fazit: Es bleibt daher abzuwarten, ob auch die Videoverhandlung nunmehr auf diesem kalten Wege praktisch abgeschafft werden wird. Hoffentlich bleibt insoweit wenigstens der Grundsatz der Subsidiarität im Gespräch. Dann müsste man jedenfalls verlangen, dass eventuelle Bedenken bereits während der jeweiligen Verhandlung geltend gemacht werden müssen und nicht erst im Nachhinein erhoben werden können.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Frage, in welchem Umfang ein Schenker den Beschenkten durch Auflagen binden kann.

Schenkung unter Auflage zur lebzeitigen Weiterübertragung
BGH, Urteil vom 28. November 2023 – X ZR 11/21

Der X. Zivilsenat befasst sich mit dem Tatbestand des § 2302 BGB.

Die Parteien sind als Miterben nach dem Tod ihres Vaters bzw. Ehemanns Eigentümer eines Grundstücks in München. Die beiden Kläger verlangen die Übereignung des Anwesens an sich selbst und den Beklagten zu 2. Sie stützen diesen Anspruch auf einen im Jahr 1995 geschlossenen und in den Jahren 2003 und 2008 modifizierten Vertrag, mit dem der Vater des Erblassers das Grundstück an diesen unter der Auflage geschenkt hatte, es spätestens bei seinem Ableben an seine leiblichen Kinder zu übereignen. Bis zum Tod des Erblassers im Jahr 2019 war es nicht zu einer Übereignung des Grundstücks gekommen. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG hat allerdings zu Recht angenommen, dass eine in einem Schenkungsvertrag enthaltene Auflage, den geschenkten Gegenstand spätestens mit dem Ableben unentgeltlich auf einen Dritten zu übertragen, wirksam sein kann.

Nach § 2302 BGB ist eine vertragliche Verpflichtung, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, nichtig. Dieses Verbot erfasst nur Verpflichtungen im Hinblick auf Verfügungen von Todes wegen, nicht aber in Bezug auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden.

Nichtig ist danach eine Auflage, die den Beschenkten verpflichtet, zugunsten eines Dritten ein Schenkungsversprechen unter der Bedingung abzugeben, dass der Dritte den Beschenkten überlebt. Auf solche Versprechen finden nach § 2301 Abs. 1 BGB die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung.

Wirksam ist eine Auflage hingegen, wenn die Parteien des Schenkungsvertrags bereits einen – wenn auch bedingten – Anspruch des Dritten auf Übereignung des geschenkten Gegenstands begründen.

Im Streitfall stand die vom Erblasser eingegangene Verpflichtung unter der Bedingung, dass die begünstigten Kinder ihn überleben, denn der Schenkungsvertrag sieht vor, dass der Übereignungsanspruch beim Tod eines Kindes nicht auf dessen Erben übergeht. Die vereinbarte Auflage ist dennoch nicht nach § 2302 BGB nichtig, weil sich der Erblasser im Schenkungsvertrag nicht zur Abgabe eines Schenkungsversprechens gegenüber seinen Kindern verpflichtet hat, sondern zur Übereignung des Grundstücks an diese.

Die Berufungsentscheidung hat jedoch keinen Bestand, weil sich der mit der Klage geltend gemachte Anspruch entgegen der Auffassung des OLG nicht schon aus dem ursprünglichen Vertrag aus dem Jahr 1995 ergibt. Dieser Vertrag sieht einen Übereignungsanspruch des nunmehr geltend gemachten Inhalts nicht vor. Er wurde nur in den Nachträgen aus den Jahren 2003 (zugunsten der beiden Kläger) und 2008 (zugunsten der Kläger und des Beklagten zu 2) vereinbart. Aus diesen Nachtragsvereinbarungen kann entgegen der Auffassung des OLG nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein solcher Übereignungsanspruch schon dem gemeinsamen Willen beider Vertragsparteien im Jahr 1995 entsprach.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG deshalb zu klären haben, ob der Nachtrag aus dem Jahr 2008 wirksam zustande gekommen oder mangels Zustimmung der Ehefrau des Erblassers gemäß § 1365 BGB unwirksam ist.

Praxistipp: Ein Schenker, der eine Weiterübereignung an bestimmte Dritte sicherstellen möchte, muss darauf achten, dass bereits im Schenkungsvertrag ein Übereignungsanspruch des Dritten begründet wird.

Anwaltsblog 7/2024: Anforderung an die Glaubhaftmachung der Ersatzeinreichung bei Störung des beA

Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt nach § 130d Satz 2 ZPO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Mit den Anforderungen an die Glaubhaftmachung hatte sich wieder einmal der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2024 – I ZB 51/23):

 

Nachdem die Klägerin gegen das am 20. Februar 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts fristgemäß Berufung eingelegt hatte, hat sie mit einem am 20. April 2023 um 16:37 Uhr per Telefax eingereichten Schriftsatz beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. In einem zeitgleich versandten weiteren Schriftsatz hat sie ausgeführt, eine Versendung des Fristverlängerungsantrags über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sei nicht möglich. Es bestehe seit 9:00 Uhr „eine Störung von beA im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen“. Zur Glaubhaftmachung hat sie einen als „Störmeldung der BRAK“ bezeichneten zweiseitigen Ausdruck der am 20. April 2023 auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen vorgelegt. Auf dieser Internetseite werden einerseits von Nutzern gemeldete Störungen erfasst, andererseits Inhalte der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu aktuellen beA-Störungen wiedergegeben. Der von der Klägerin vorgelegte Ausdruck der Internetseite bea.expert beginnt mit der Mitteilung zum Stand vom 20. April 2023 16:19 Uhr: „keine beA-Störung gemeldet oder festgestellt.“ Weiter ist auf dem Ausdruck eine Störungsmeldung der BRAK, veröffentlicht auf der Internetseite https://portal.beasupport.de/→Aktuelles, Stand 16:00 Uhr, wiedergegeben, nach der im Land Nordrhein-Westfalen im Justizbereich eine Störung seit dem 19. April 2023, 14:12 Uhr, bestehe.

Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen. Sie sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hierfür geltenden zweimonatigen Frist begründet worden sei. Dem per Telefax am 20. April 2023 eingegangenen Fristverlängerungsantrag habe nicht entsprochen werden können, da er als elektronisches Dokument zu übermitteln gewesen wäre. Die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO lägen nicht vor. Zwar sei durch eine Mitteilung des Zentralen IT-Dienstleisters der Justiz in Nordrhein-Westfalen gerichtsbekannt, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) vom 19. April 2023 um 14:12 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21:20 Uhr in Nordrhein-Westfalen gestört gewesen sei. Dies habe die Klägerin jedoch nicht von der in § 130d Satz 3 ZPO normierten Obliegenheit entbunden, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments unverzüglich glaubhaft zu machen. Die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 entspreche nicht ansatzweise den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO. Die der Ersatzeinreichung beigefügte Erklärung, dass ausweislich der beigefügten Störmeldung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Störung des beA im Gebiet von Nordrhein-Westfalen vorliege, weshalb eine Versendung über das beA nicht möglich sei, enthalte keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Zudem sei für eine Glaubhaftmachung erforderlich, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichere, woran es im Schriftsatz vom 20. April 2023 ebenfalls fehle.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Die Klägerin war ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr am 20. April 2023 per Telefax übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier. Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag – die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters – geltend gemacht. Darin liegt ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung regelmäßig rechtfertigt.

Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische – und damit formgerechte – Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des OLG die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt. Das OLG hat bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln. Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes geht unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei. Soweit der Klägervertreter in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben hat, es liege eine Störung des beA vor, trifft dies ausweislich der auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen, die sich aus dem mit diesem Schriftsatz vorgelegten Ausdruck ergeben, allerdings nicht zu. Es hat keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist jedoch unschädlich. Im Ergebnis hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht trifft sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte. Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht erforderlich.

Das Berufungsgericht hat außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt iSv. § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

 

Fazit: Der Rechtsanwalt, der die Ersatzeinreichung veranlasst hat, muss sich vor Fristablauf nicht weiter um eine elektronische Übermittlung bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu muss vorgetragen werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2023 – V ZR 134/22 –, MDR 2023, 1230).

 

Anmerkung: Ungeklärt ist, ob ein Gericht die Störung des EGVP als gemäß § 291 ZPO offenkundig und damit als nicht beweisbedürftig behandeln darf (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – XI ZB 1/23 –, MDR 2024, 58). Das BAG meint dagegen, der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht (zu § 46g Satz 4 ArbGG: BAG, Urteil vom 25. August 2022 – 6 AZR 499/21 –, MDR 2023, 457). Vorsorglich sollte daher eine Glaubhaftmachung erfolgen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftung für umgefallene Verkehrsschilder.

Staatshaftung für Verkehrsschilder
BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – III ZR 15/23

Der III. Zivilsenat bekräftigt seine Rechtsprechung zur Einordnung von Privaten als Verwaltungshelfer.

Die Klägerin betreibt ein Autohaus. Im Juli 2017 wurde eines ihrer Fahrzeuge, das vor ihren Geschäftsräumen abgestellt war, durch ein umfallendes Verkehrsschild beschädigt. Das Schild war am Tag zuvor im Zuge von Straßenbauarbeiten als Bestandteil der Umleitungsbeschilderung aufgestellt worden. Die zuständige Behörde hatte die Bauarbeiten an ein privates Unternehmen vergeben. Dieses hatte die Beklagte mit der Aufstellung der Verkehrsschilder beauftragt.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe das Schild nicht ausreichend gesichert. Die auf Ersatz von Reparatur- und Gutachterkosten gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass mögliche Ansprüche gegen die Beklagte aus § 823 BGB durch § 839 BGB verdrängt werden.

Die Beklagte war im Streitfall als Verwaltungshelferin tätig, weil die ihr übertragene Tätigkeit der Verkehrsregelung diente und damit eine hoheitliche Aufgabe darstellt und die Beklagte keinen eigenen Entscheidungsspielraum hatte.

Der hoheitliche Charakter der Tätigkeit ergibt sich jedenfalls daraus, dass die Verkehrsregelung, deren Umsetzung das Schild diente, ein Verbot der Durchfahrt durch den von der Baustelle betroffenen Bereich umfasste. Dass das für den Schaden ursächliche Umleitungsschild kein Verbot anzeigte, ist unerheblich. Es genügt, dass es der Umsetzung der Gesamtregelung diente. Unerheblich ist deshalb auch, ob die vorgesehenen Verbotsschilder tatsächlich aufgestellt worden sind.

Ein eigener Entscheidungsspielraum der Beklagten bestand nicht, weil der Inhalt der aufzustellenden Schilder und deren Aufstellungsort behördlich vorgegeben waren. Dass der Aufstellungsort nicht auf den Meter genau festgelegt war, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Art der Aufstellung ist durch Verwaltungsvorschriften und Richtlinien detailliert geregelt.

Praxistipp: Wenn unklar ist, ob gemäß § 823 BGB ein privates Unternehmen oder gemäß § 839 BGB der Staat haftet, sollte die Klage gegen den einen potentiellen Schuldner mit einer Streitverkündung gegenüber dem anderen verbunden werden.

Anwaltsblog 6/2024: Wie weit geht das Bankgeheimnis, wenn die Fälschung von Unterschriften im Raume steht?

Darf sich ein Bankinstitut unter Berufung auf das Bankgeheimnis weigern, Original-Urkunden einem Schriftsachverständigen vorzulegen, wenn ein als Bürge Inanspruchgenommener geltend macht, seine Frau habe seine Unterschriften gefälscht? Diese Frage hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 29. November 2023 – XII ZB 141/22):

Getrenntlebende Eheleute sind gemeinsam mit der Mutter des Ehemanns Miteigentümer eines von ihnen bewohnten Anwesens. Auf Antrag der Ehefrau ist das Scheidungsverfahren anhängig. Der Ehemann hat beantragt, von der Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG (Wegfall wegen grober Unbilligkeit) abzusehen. Dazu hat er vorgetragen, die Ehefrau habe unberechtigt seine Unterschriften auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung angebracht. Hiervon habe er erstmals erfahren, als die Bausparkasse ihn auf Zahlung von rund 19.500 € für ein Darlehen des volljährigen Sohnes in Anspruch genommen habe. Zum Beweis der behaupteten Fälschung seiner Unterschriften hat der Ehemann die Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens beantragt sowie zu diesem Zweck die an die Bausparkasse gerichtete gerichtliche Anordnung, die in ihrem Besitz befindlichen Originale der in Kopie vorliegenden Bürgschaftsurkunde und Eigentümererklärung vorzulegen, begehrt. Die Bausparkasse hat die Vorlage der beiden Original-Urkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweigert, da die Unterlagen ein Darlehensverhältnis zwischen ihr und einer dritten, am gerichtlichen Verfahren nicht beteiligten Person beträfen, die ihr ausdrücklich die Herausgabe der Unterlagen untersagt habe.

Die Bausparkasse muss die Original-Urkunden vorlegen. Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Die Vorschrift, die auch für die Vorlegung von Urkunden durch Dritte Anwendung findet, begründet ein Zeugnisverweigerungsrecht für die dem zivilrechtlichen Bankgeheimnis unterfallenden Tatsachen. Dieses Bankgeheimnis gilt jedoch nicht grenzenlos. So sieht bereits das Gesetz selbst Durchbrechungen vor (vgl. etwa § 840 ZPO). Darüber hinaus kann es zu einer Kollision des Bankgeheimnisses mit Aufklärungs- oder Auskunftsansprüchen eines anderen Kunden oder eines Dritten kommen, die im Einzelfall durch eine Interessen- und Güterabwägung zu lösen ist. Insbesondere in Fällen von Kreditsicherheiten eines Dritten für eine fremde Darlehensschuld wie bei einer Bürgschaft oder Grundschuld kann im Einzelfall eine Aufklärungs- oder Informationspflicht bestehen, die dem Bankgeheimnis vorgeht. Daher ist die Bausparkasse nicht berechtigt, unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage der Originale der Bürgschaftsurkunde und der Eigentümererklärung zu verweigern.

Denn dem als Drittsicherungsgeber in Anspruch genommenen Ehemann steht gegenüber der Bausparkasse ein Einsichtsrecht nach § 810 Alt. 2 BGB zu, hinter dem das Bankgeheimnis zurücktreten muss. Nach § 810 Alt. 2 BGB kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse – nämlich zumindest auch für ihn als Beweismittel – errichtet wurde und in dieser ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes – gegebenenfalls unwirksames – Rechtsverhältnis beurkundet ist. Auf ein rechtliches Interesse kann sich jeder berufen, der – wie hier der Ehemann – die Einsichtnahme in eine Urkunde zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt. So steht etwa dem Bürgen gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zu. Nichts Anderes kann für denjenigen gelten, der seiner Inanspruchnahme als Bürge mit der substantiierten Behauptung entgegentritt, die Bürgschaftserklärung sei gefälscht, und der die Einsichtnahme in die Bürgschaftsurkunde benötigt, um diese Behauptung zu beweisen. Hinter dem rechtlichen Interesse des Ehemanns muss unter den hier maßgeblichen Umständen das durch das Bankgeheimnis geschützte Geheimhaltungsinteresse der Bausparkasse zurücktreten. Dabei ist bei der erforderlichen Abwägung auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang die aufklärungspflichtige Bank gezwungen wäre, Einzelheiten ihrer Geschäftsverbindung mit einem anderen Kunden und über dessen Vermögenslage zu offenbaren. Die beiden Urkunden, insbesondere die Eigentümererklärung, enthalten nur wenige Einzelheiten über die Geschäftsverbindung zwischen der Bausparkasse und ihrem Kunden. Die Bürgschaftsurkunde benennt neben der Bausparvertrag-Nummer den Darlehensnehmer, den Darlehensbetrag sowie die Konditionen des Darlehens. Die Eigentümererklärung beschränkt sich demgegenüber auf die Mitteilung der Darlehensgewährung, des Darlehensnehmers und der Bausparvertrag-Nummer. Diese Umstände sind aber aufgrund der Kopien der Urkunden, die die Bausparkasse zur Realisierung ihrer eigenen Ansprüche übersandt hat, bereits offenbart und bekannt.

 

Fazit: Ein Bankinstitut kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist (hier: zum Beweis der Unechtheit der Urkunden).

 

Anmerkung: Eine zivilprozessuale Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei kann sich nur aus den speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder aus einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO ergeben. § 142 Abs. 1 ZPO ist auch anwendbar, wenn sich der beweispflichtige Prozessgegner auf eine Urkunde bezogen hat, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befindet. Auch die Vorschrift des § 142 Abs. 1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substanziierungslast. Daher darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen (BGH, Urteil vom 26.06.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333).

 

OLG Koblenz: Unwirksamkeit einer Zustellung wegen nicht lesbaren Datums

In konsequenter Fortsetzung einer neueren Entscheidung des BGH (Versäumnisurt. v. 15.3.2023 – VIII ZR 99/22, MDR 2023, 797 – ein fehlender Datumsvermerk auf dem Zustellungsumschlag führt zur Unwirksamkeit der Zustellung) hat das OLG Koblenz (Urt. v. 13.12.2023 – 10 U 472/23) eine Entscheidung zur Frage der Wirksamkeit einer Zustellung für den Fall getroffen, dass das Datum auf dem Umschlag zwar vorhanden, jedoch nicht deutlich lesbar ist.

Es ging um die Frage eines rechtzeitigen Einspruchs. Aus der bei der Gerichtsakte befindlichen Zustellungsurkunde ergab sich, dass die maßgebliche Zustellung am 12.12. erfolgt war. Auf dem Umschlag, worauf das Datum zu vermerken ist (§ 180 S. 3 ZPO), war das Datum jedoch nicht eindeutig lesbar. Es hätte 12.12. oder 17.12. heißen können. Das LG hatte noch die Auffassung vertreten, man hätte sich bei Gericht erkundigen oder vorsichtshalber auf das ältere Datum abstellen müssen. Das OLG Koblenz jedoch erklärt § 180 S. 3 ZPO, wonach der Zusteller auf dem Umschlag das Datum zu vermerken hat, zu einer zwingenden Zustellungsvorschrift, deren Verletzung die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge hat. Konsequenz: Die Zustellung ist insgesamt unwirksam. Die Frist für den Einspruch begann damit erst mit der Kenntnisnahme des Versäumnisurteils (§ 189 ZPO). Eine Nachforschungspflicht lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, so dass sie einer Partei nicht auferlegt werden kann.

Fazit: Leider ist in der Praxis immer wieder zu beachten, dass bei Zustellungen sehr unsorgfältig gearbeitet wird. Dies liegt natürlich auch daran, dass die Zusteller selbst unter einem hohen Arbeitsdruck stehen. Um Zustellungsfehler noch ausnützen zu können, muss man sich immer den Umschlag der zugestellten Sendung im Original zeigen lassen und gegebenenfalls aufbewahren. So lässt sich durchaus nicht selten, manche Frist noch retten!

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietvertrags über Wohnraum.

Das Zerrüttungsprinzip gilt nicht im Mietrecht
BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 211/22

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit den Tatbestandvoraussetzungen von § 543 Abs. 1 BGB.

Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung der Kläger. Die Kläger wohnen im Erdgeschoss desselben Hauses. Seit 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher Vertragsverletzungen, etwa Verstößen gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten. Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige, in der sie unter anderem angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Wegen dieser Anzeige und wegen Zerrüttung des Mietverhältnisses erklärten die Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg.

Die Revision der Kläger bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Strafanzeige stellt keinen hinreichenden Grund für die fristlose Kündigung dar, weil sie nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts inhaltlich zutrifft.

Die unstreitig vorliegende Zerrüttung des Mietverhältnisses reicht für eine fristlose Kündigung ebenfalls nicht aus. Ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ist im Allgemeinen nur dann gegeben, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt. Eine Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage kommt deshalb nur dann als zureichender Kündigungsgrund in Betracht, wenn sie zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist. Diese Voraussetzung ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht erfüllt.

Praxistipp: Damit eine fristlose Kündigung auf die Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag gestützt werden kann, ist gemäß § 543 Abs. 3 BGB grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich.

Anwaltsblog 5/2024: Welche Mindestangaben muss ein erster Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist aufweisen?

Ob für einen ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Angabe des Berufungsführers ausreicht, er sei „nicht in der Lage“, die Berufung fristgerecht zu begründen, hatte aktuell der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2024 – VIII ZB 31/23):

 

Der Kläger hat beantragt, die am 16. Januar 2023 (Montag) ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, da er „nicht in der Lage“ sei, die Berufung fristgerecht zu begründen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung vom 13. Januar 2023 abgelehnt und den Kläger anschließend – nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist – darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung mangels Eingangs einer Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen. Daraufhin hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufungsbegründung eingereicht.  Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe mit seiner Ausführung, wonach er „nicht in der Lage“ gewesen sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, einen erheblichen Grund iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht dargelegt. Es werde lediglich mitgeteilt, dass die Frist nicht eingehalten werden könne, ohne hierfür überhaupt einen sachlichen Grund anzugeben. Eine Schlussfolgerung auf einen erheblichen Grund wäre eine reine Spekulation. Somit habe der Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Berufungsbegründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert werde, und diese daher schuldhaft versäumt.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Gemessen hieran verletzen die Versagung einer Wiedereinsetzung und die Verwerfung der Berufung als unzulässig den Kläger in seinen vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Denn dieser durfte mangels Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht auf die Gewährung der von ihm beantragten Verlängerung der Frist vertrauen. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungskläger grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dies ist jedoch bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe iSd. des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde.

So liegt der Fall hier. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in seinem Antrag einen erheblichen Grund für die Gewährung der von ihm begehrten Fristverlängerung nicht genannt. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass er „nicht in der Lage“ sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, was das Berufungsgericht zu Recht als bloße Mitteilung der Nichteinhaltung der Frist angesehen hat. Ein Grund, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu „nicht in der Lage“ gewesen sei, wird nicht genannt. Somit genügt der Fristverlängerungsantrag selbst den geringen Anforderungen nicht, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO stellt. Anders als der Kläger meint, kann die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten nicht dahingehend ausgelegt werden, er habe sich konkludent darauf berufen, aufgrund einer Arbeitsüberlastung „nicht in der Lage“ gewesen zu sein, die Berufung fristgerecht zu begründen. Zwar kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen und zählt zu den erheblichen Gründen iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten. Einer Auslegung des Fristverlängerungsantrags dahingehend, dass sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers konkludent auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe, steht jedoch entgegen, dass im Antrag keinerlei tatsächlichen Umstände genannt werden, aus denen der Anlass der begehrten Fristverlängerung hätte entnommen und aus denen somit ein Rückschluss auf den erheblichen Grund hätte gezogen werden können. Allein aus der unterbliebenen Angabe anderer Hinderungsgründe folgt entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass sich der Klägervertreter zur Begründung seines Fristverlängerungsantrags (konkludent) auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe.

 

Fazit: An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund – wie z.B. Arbeitsüberlastung – aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Die Angabe des Berufungsführers, er sei „nicht in der Lage“, die Berufung fristgerecht zu begründen, reicht aber nicht aus.

 

Anmerkung: Bei Einwilligung des Gegners ist auch das Vertrauen des Berufungsklägers in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben wird. (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2023 – VIa ZB 15/22 -, MDR 2023, 379). Voraussetzung ist aber, dass mit dem Antrag die Einwilligung des Gegner vorgelegt oder zumindest anwaltlich versichert wird.

Blog powered by Zöller: Video-Verhandlung und faires Verfahren

Die mündliche Verhandlung per Video-Übertragung (§ 128a ZPO) soll den Zivilprozess erleichtern und beschleunigen. Zunehmend müssen sich aber Rechtsmittelgerichte mit Rügen eines verfahrensfehlerhaften Ablaufs befassen – jüngst auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23). Die Kläger in einem finanzgerichtlichen Verfahren  hatten mit der Verfassungsbeschwerde gerügt, ihr Recht auf den gesetzlichen Richter sei dadurch verletzt worden, dass die eingesetzte Kamera nur die gesamte Richterbank abbildete und nicht die Möglichkeit bot, mittels einer von ihnen steuerbarer Zoomfunktion die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu überprüfen.

Die Verfassungsbeschwerde stützte sich auf eine Entscheidung des BFH vom 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 (mit Anm. Greger, MDR 2023, 1366; s. auch Blog vom 4.8.2023), mit der eine Verletzung des  Rechts auf den gesetzlichen Richter bejaht wurde, weil bei der Video-Übertragung  nicht alle Richter ständig zu sehen waren. Von diesem hohen verfassungsrechtlichen Podest hat das BVerfG die Unzulänglichkeiten der Video-Verhandlung aber heruntergeholt. Die Garantie des gesetzlichen Richters werde durch solche nicht verletzt; allenfalls könne das Recht auf ein faires Verfahren tangiert sein. Dazu gehöre nämlich, dass die Verfahrensbeteiligten die Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank überprüfen können, und daran könne es fehlen, wenn bei Videoverhandlungen aus der Distanz gefilmt wird und die Übertragungsqualität hinter der Beobachtungsmöglichkeit bei Anwesenheit vor Ort zurückbleibt.

Im vorliegenden Fall hatten die Beschwerdeführer nicht vorgetragen, dass eine solche Beschränkung vorlag und von ihnen in der Verhandlung beanstandet wurde. Die Verfassungsbeschwerde wurde daher nicht zur Entscheidung angenommen. Dem Nichtannahmebeschluss sind gleichwohl zwei wichtige Aussagen zu entnehmen:

  1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens erfordert bei Videoverhandlungen eine Übertragungstechnik, die es den Beteiligten ermöglicht, die Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank zu überprüfen. Hieran kann es fehlen, wenn wegen zu großer Distanz die Körpersprache nicht hinreichend wahrnehmbar ist.
  2. Beeinträchtigungen des fairen Verfahrens durch Unzulänglichkeiten der Video-Technik sind sogleich zu beanstanden.

Der auf den absoluten Revisionsgrund des „gesetzlichen Richters“ gestützten Ansicht des BFH, Übertragungsmängel könnten auch noch nachträglich gerügt werden, hat der Beschluss die Grundlage entzogen. Es bleibt aber das Risiko, dass eine Video-Verhandlung abgebrochen werden muss, weil eine Partei die Unzulänglichkeit der Übertragungsqualität rügt.

In der Online-Ausgabe des Zöller ist der Beschluss des BVerfG v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23 bereits berücksichtigt, Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 128a ZPO Rn. 6.2).