Anwaltsblog 17/2024: Beweis der Unrichtigkeit eines Empfangsbekenntnisses durch Vorlage des beA-Nachrichtenjournals?

Ob ein Berufungsgericht die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals eines Parteivertreters anordnen darf, wenn Zweifel an der Richtigkeit des in einem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums bestehen, hatte das OLG München zu klären (OLG München, Beschluss v. 26.04.2024 – 23 U 8369/21):

 

Ein Urteil wurde vom Gericht am 07.10.2021 an das beA des Beklagtenvertreters versandt; die elektronische Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters ist am gleichen Tag erfolgt. Mit dem Empfangsbekenntnis hat der Beklagtenvertreter den 22.10.2021 als Zustelldatum angegeben. Die Klägerseite bestreitet im Berufungsverfahren das angegebene Zustelldatum und beantragt, dem Beklagtenvertreter aufzugeben, das beA-Nachrichtenjournal zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils am 07.10.2021 in ausgedruckter Form vorzulegen.

Das Berufungsgericht ordnet daraufhin die beantragte Vorlage an. Die Anordnung beruht auf § 142 Abs. 1 ZPO. Der Ausdruck aus dem beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters ist als Ausdruck eines elektronischen Dokuments eine sonstige Unterlage iSd. § 142 Abs. 1 ZPO. Sie befindet sich im Besitz der beklagten Partei. Hierzu genügt der mittelbare Besitz der Partei, der dadurch begründet wird, dass sich das Journal in den Händen des seinen Anweisungen unterliegenden Rechtsanwalts befindet. Dass der Beklagtenvertreter den Ausdruck u.U. erst noch erstellen muss, hindert die zumindest analoge Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO nicht. Es entspricht pflichtgemäßem Ermessen, die Vorlage anzuordnen. Das beA-Nachrichtenjournal protokolliert im System des Rechtsanwalts, wann eine Nachricht eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat. Dies kann ein gewichtiges Beweismittel für die Klagepartei sein, die die Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters genannten Zustelldatums behauptet.

Ein das Klägerinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der beklagten Partei oder ihres Prozessvertreters ist nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Frage, wann das Urteil des Landgerichts erstmals seitens des Beklagtenvertreters geöffnet wurde, hat der Beklagte kein schützenswertes Interesse, die Information aus dem Verfahren herauszuhalten. Im Gegenteil: Die für die Zulässigkeit der Berufung wesentliche Vorfrage ist – wie die Zulässigkeit der Berufung – von Amts wegen zu klären. Anders als bei der Vorlage von Mandantenkorrespondenz geht es hierbei nicht um die interne Kommunikation eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten etwa über die Prozessstrategie. Allerdings ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F. (§ 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO n.F.) grundsätzlich allein das Empfangsbekenntnis als Nachweis der Zustellung genügt. Die gesetzliche Wertung darf nicht vorschnell dahin abgeändert werden, dass der Zustellempfänger zusätzlich auch noch das beA-Nachrichtenjournal vorlegen muss, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Eine Anordnung der Vorlage des Journals ist daher nur dann gerechtfertigt und angemessen, wenn konkrete Umstände vorgetragen oder sonst verfahrensgegenständlich sind, die im Einzelfall einen besonderen, gegenüber dem Normalfall gesteigerten Überprüfungsbedarf indizieren. Nach diesen Grundsätzen war die Anordnung hier zu treffen: Zwischen der Absendung des Teilurteils am 07.10.2021 und der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters am gleichen Tag einerseits und dem 22.10.2021 als Zustelldatum gemäß dem Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters andererseits lagen mehr als zwei Wochen. Diese erhebliche Dauer belegt zwar für sich nicht die Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses. Sie rechtfertigt – in Verbindung mit den übrigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls – hier indes, die Vorlage des Nachrichtenjournals zur näheren Überprüfung anzuordnen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen hat. Der Beklagtenvertreter hat bislang nicht erklärt, wie und warum es gleichwohl zu der deutlich über eine Woche hinausgehenden Zustellverzögerung kam. Hinzu kommt, dass der Beklagtenvertreter – gleichfalls bislang ohne Erläuterung – das Empfangsbekenntnis erst unter dem Datum 04.11.2021 gezeichnet und dann erst mit Fax vom 19.11.2021 (9:41 Uhr) an das Landgericht übersandt hat, nachdem er zuvor bereits dreimal (am 21.10.21, am 4.11.21, am 17.11.21) vom Landgericht dazu gemahnt worden war. Insgesamt ergibt sich aus der gegebenen Situation ein weiterer, besonderer Aufklärungsbedarf, der das Beweisinteresse der Klägerin überwiegen und die Anordnung gemäß § 142 ZPO angemessen erscheinen lässt.

 

Fazit: Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – VII ZB 22/23 –, MDR 2024, 519).

 

Anmerkung: Der Gesetzgeber hat auch für den Fall der elektronischen Übermittlung eines Dokuments an einen Rechtsanwalt daran festgehalten, den Nachweis der Zustellung an ein voluntatives Element zu knüpfen und hierfür nicht allein die automatisierte Eingangsbestätigung (ggf. in Verbindung mit einem bestimmten Zeitablauf) ausreichen zu lassen (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 B 2/22 –, Rn. 10, mwN.). Dem Rechtsanwalt, dem die Angabe eines (zu späten) Zustelldatums vorgeworfen wird, verbleibt daher die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, das übermittelte Dokument erst zu diesem Datum als zugestellt entgegengenommen zu haben. Der Verstoß gegen Berufspflichten ist zivilprozessrechtlich irrelevant (ausführlich zu der Problematik: Wagner/Ernst: Falsche oder verzögert abgegebene Empfangsbekenntnisse im elektronischen Rechtsverkehr, NJW 2021, 1564).

OLG Hamburg: Gebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen

In der jüngeren Vergangenheit konnte der Rechtsanwalt noch bei der Durchführung einer Beweisaufnahme eine seinerzeit sog. Beweisgebühr verdienen. Diese Gebühr wurde vom Gesetzgeber aus gutem Grunde abgeschafft, denn sie verhinderte mitunter eine Einigung im frühen Stadium eines Prozesses, weil die beteiligten Rechtsanwälte doch gerne eine Beweisgebühr verdient hätten. Zum Ausgleich wurden die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr erhöht.

Außerdem wurde die Nr. 1010 VV VRG eingeführt, eine Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen, d. h. mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden, fanden statt. Hierdurch sollten vor allem die Baurechtler zufrieden gestellt werden.

Im konkreten Fall wurde die Festsetzung einer solchen Gebühr beantragt. Es hatten insgesamt vier Termine stattgefunden, wobei jedoch nur in zwei Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen wurden. Der Antragsteller war der Auffassung, es sei jedenfalls die entsprechende Anwendung der Vorschrift geboten.

Das OLG Hamburg (Beschl. v. 20.2.2024 – 4 W 21/24) geht diesen Weg nicht mit. Der klare Wortlaut der Vorschrift ist nicht erfüllt. Es fanden eben nur zwei anstatt der drei geforderten und notwendigen Termine mit Vernehmungen von Zeugen und/oder Sachverständigen statt. Eine analoge Anwendung der Nr. 1010 kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer Regelungslücke. Die Vorschrift wurde – zur Vermeidung von Fehlanreizen – bewusst so konzipiert. Kostenvorschriften sind im Übrigen streng dem Wortlaut gemäß auszulegen. Letztendlich ist das Kostenfestsetzungsverfahren als summarisches Verfahren auch nicht geeignet, einzelfallbezogene Prüfungen zu dem Umfang einer Beweisaufnahme durchzuführen.

Mit der wohl ganz h. M. lehnt daher das OLG Hamburg eine entsprechende Anwendung der Zusatzgebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen nach Nr. 1010 VV RVG über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ab.

Anwaltsblog 16/2024: Strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung bei der Ersatzeinreichung (§ 130d Satz 2 ZPO)!

Wieder einmal hatte sich der BGH mit den Anforderungen an die bei der Ersatzeinreichung gerichtlicher Schriftsätze notwendige Glaubhaftmachung zu befassen (BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – V ZB 2/23):

 

Dem Kläger wurde das klageabweisende Urteil des Landgerichts am 18. August 2022 zugestellt. Mit einem per Telefax am 4. Oktober 2022 an das OLG übermittelten Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, seit dem 8. September habe der beA-Account seines Prozessbevollmächtigten nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfrage bei der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter bislang noch keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den am 17. September 2022 gefertigten Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Sein Prozessbevollmächtigter habe deshalb Frau Rechtsanwältin J. gebeten, bis zum 19. September 2022 (Montag) den Schriftsatz über ihren beA-Account zu versenden. Erst am 20. September 2022 habe diese mitgeteilt, dass sie die Übersendung wegen einer plötzlichen Erkrankung ihres Kindes nicht habe vornehmen können. Daher sei die Übermittlung des Wiedereinsetzungsantrags per Telefax erfolgt. Das OLG hat die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Für die Wiedereinsetzung ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen. Hat es der Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist versäumt, eine wirksame Rechtsmittelschrift zu übermitteln, hat er dies somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist formgerecht nachzuholen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf derselben Form wie die versäumte Prozesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Die Wiedereinsetzungsfrist bei der Versäumung der Berufungsfrist beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen und beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Die Wiedereinsetzungsfrist endete deshalb spätestens am 4. Oktober 2022, weil der Kläger am 20. September 2022 erfahren hat, dass Rechtsanwältin J. den Berufungsschriftsatz nicht an das Berufungsgericht übermittelt hatte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit dem am 4. Oktober 2022 per Fax übersandten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist weder die versäumte Prozesshandlung wirksam nachgeholt noch einen formwirksamen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Sein Prozessbevollmächtigter hat den Schriftsatz dem Berufungsgericht nicht als elektronisches Dokument übermittelt. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen. Ein Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 1 ZPO sind vorliegend nicht erfüllt, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dem Berufungsgericht nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt hat, sondern nach den allgemeinen Vorschriften per Telefax. Da sich die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 1 ZPO nach den Vorschriften richtet, die für die versäumte Prozesshandlung gelten, hätte auch der Wiedereinsetzungsantrag als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.

Die Übermittlung per Telefax war als Ersatzeinreichung nicht ausnahmsweise gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausreichend. Ist eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung gemäß § 130d Satz 2 ZPO nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird klargestellt, dass professionelle Einreicher hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Der Gesetzgeber wollte nur Fälle erfassen, in denen einer Übermittlung des Schriftsatzes in elektronischer Form rein technische Gesichtspunkte entgegenstehen, nicht dagegen in der Person des Einreichers liegende Gründe. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.

Dem Kläger ist es nicht gelungen, die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, sein beA-Account habe seit dem 8. September 2022 nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfragen bei der Bundesnotarkammer habe er bis zum Fristablauf keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Den Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit wird die Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht, weil daraus nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob er die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Der beA-Account war nach seinem Vortrag funktionsunfähig. Der zur Glaubhaftmachung gehaltene Vortrag lässt aber gerade offen, ob die Funktionsunfähigkeit auf einer technischen Störung beruhte oder auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte zurückzuführen war. Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen. Der Verweis auf die mehrmalige Nachfrage bei der Bundesnotarkammer genügt zur Glaubhaftmachung einer technischen Unmöglichkeit nicht, solange nicht dargelegt ist, dass alle Anstrengungen unternommen wurden, um rechtzeitig über eine gültige beA-Karte zu verfügen.

 

Fazit: Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher wie Rechtsanwälte für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23 –, MDR 2024, 389).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Anschlussberufung.

Keine Wiedereinsetzung nach Ablauf der Frist für eine Anschlussberufung
BGH, Beschluss vom 23. Februar 2024 – V ZB 111/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit § 524 Abs.  2 Satz 2 ZPO – und mit der Frage, wann eine Klageerweiterung vorliegt.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Sie streiten um den Verlauf der Grenzen.

In erster Instanz hat der Kläger zunächst begehrt, den Grenzverlauf entsprechend den Ermittlungen des gerichtlichen Sachverständigen festzustellen. Nach einem Hinweis des LG, ein exakter Grenzverlauf lasse sich auf der Grundlage des Gutachtens nicht feststellen, hat er die Grenzscheidung (§ 920 BGB) entlang der im Gutachten festgestellten Grenzpunkte beantragt. Das LG hat dem Klagebegehren entsprochen.

Das OLG hat nach Eingang von Berufungsbegründung und -erwiderung mitgeteilt, der Hinweis des LG sei nicht zutreffend gewesen. Der Kläger hat daraufhin erneut seinen ursprünglichen Klageantrag gestellt. Das OLG hat den Tenor des erstinstanzlichen Urteils entsprechend geändert und die Berufung der Beklagten mit dieser Maßgabe zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Entgegen der Auffassung des OLG wäre die erneute Umstellung des Klageantrags nicht zulässig gewesen, wenn sie als Anschlussberufung anzusehen wäre.

Im Zeitpunkt der Umstellung war die nach § 524 Abs. 2 Nr. 2 ZPO maßgebliche Frist zur Berufungserwiderung bereits abgelaufen. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach Versäumung dieser Frist ist gemäß § 233 Satz 1 ZPO nicht statthaft. Eine analoge Anwendung von § 233 ZPO ist auch dann nicht möglich, wenn dem erstinstanzlichen Gericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist und der mit der Anschlussberufung gestellte Antrag bei fehlerfreiem Verfahren schon in erster Instanz gestellt worden wäre.

Im Streitfall erweist sich die Entscheidung des OLG aber im Ergebnis als zutreffend, weil die in zweiter Instanz vorgenommene Umstellung des Klageantrags keine Anschlussberufung darstellt.

Wenn ein in erster Instanz erfolgreicher Kläger seinen Antrag in zweiter Instanz umstellt, liegt darin nur dann eine Anschlussberufung, wenn eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO oder eine Klageerweiterung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO vorliegt. Der Übergang von einer Grenzscheidungs- zu einer Grenzfeststellungsklage stellt weder eine Klageänderung noch eine Klageerweiterung dar, sofern derselbe Grenzverlauf geltend gemacht wird. Dass der eine Antrag auf eine richterliche Gestaltung und der andere auf eine Feststellung gerichtet ist, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist, dass beide Anträge auf dieselben Tatsachen gestützt und auf dasselbe Ziel gerichtet sind, nämlich die verbindliche Festlegung eines bestimmten Grenzverlaufs.

Praxistipp: Wenn ein Klageantrag nach richterlichem Hinweis geändert wird, empfiehlt es sich, den ursprünglichen Antrag als Hilfsantrag weiterzuverfolgen.

Anwaltsblog 15/2024: Was muss ein unmittelbar vor Ablauf der bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankter Rechtsanwalt zur Fristwahrung veranlassen?

Ob ein unmittelbar vor Ablauf der bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankter Rechtsanwalt einen anwaltlichen Vertreter mit der Erstellung der Berufungsbegründung beauftragen muss, hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – V ZB 34/23):

 

Der als Einzelanwalt tätige Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit einem am Donnerstag, den 9. März 2023, um 19:50 Uhr beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz beantragt, die bereits einmal verlängerte und am 13. März endende Frist zur Berufungsbegründung bis zum 13. April zu verlängern, weil er „an Covid erkrankt“ sei und die Berufungsbegründung nicht fristgerecht fertigen könne. Das OLG hat den Antrag mit Verfügung vom 10. März abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 10. März, am selben Tag um 18:11 Uhr beim OLG eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte erneut einen Fristverlängerungsantrag – nunmehr unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung – gestellt. Mit Verfügung vom 13. März hat das Berufungsgericht die Fristverlängerung abgelehnt. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte am 22. März Wiedereinsetzung beantragt und zugleich die Berufungsbegründung eingereicht.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Der Klägervertreter habe nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, dass er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die bereits einmal verlängerte Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Ihm sei vorzuwerfen, dass er die Beklagtenvertreterin am 9. März 2023 nicht um Zustimmung zu einer Fristverlängerung gebeten habe. Zudem hätte er einen Vertreter mit der Fertigung der Berufungsbegründung beauftragen können.

Die Rechtsbeschwerde der Kläger hat keinen Erfolg. Allerdings rügen sie zu Recht, dass das OLG ein Verschulden des Klägervertreters damit begründet, dieser habe seinen Vertreter nicht mit der Fertigung und Übersendung der Berufungsbegründung beauftragt. Dem Mandanten eines Einzelanwalts dürfen aufgrund der Erkrankung des Rechtsanwalts keine Nachteile bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstehen. Die Fertigung einer Rechtsmittelbegründung muss deshalb mit der gleichen Sorgfalt möglich sein wie ohne die Erkrankung. Vor diesem Hintergrund erfordern die Sorgfaltspflichten des unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalts die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung einer Rechtsmittelbegründung allenfalls dann, wenn bis zum Ablauf der Begründungsfrist ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Nach diesem Maßstab war der Klägervertreter nicht gehalten, seinen Vertreter mit der fristwahrenden inhaltlichen Bearbeitung der Berufungsbegründung zu beauftragen. Das Berufungsgericht verkennt insoweit schon, dass am Abend des 9. März 2023 nicht vier, sondern lediglich zwei Arbeitstage, nämlich der 10. März 2023 (Freitag) und der 13. März 2023 (Montag) für die Fertigung der Berufungsbegründung zur Verfügung gestanden hätten. Allein die in erster Instanz (im Prozessverlauf teilweise geänderten) zuletzt gestellten Anträge umfassen 2,5 Seiten des landgerichtlichen Urteils. Von sieben Klageanträgen wurden Anträge teilweise zurückgenommen oder für erledigt erklärt. Die Widerklage umfasst fünf Anträge. Der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils umfasst ohne die Anträge vier Seiten und die Entscheidungsgründe 6,5 Seiten. Es fanden fünf mündliche Verhandlungen und eine durch ein ausführliches Protokoll dokumentierte Augenscheinnahme statt. Bis auf die Feststellung der Erledigung eines Klageantrags hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Kläger auf die Widerklage hin teilweise verurteilt. Unter diesen Umständen weist die Rechtssache eine Komplexität auf, die es einem mit der Sache erstmalig befassten Vertreter nicht ermöglicht hätte, die Erfolgsaussichten der einzelnen abgewiesenen Klageanträge und der auf die Widerklage hin ergangenen Verurteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch am (Arbeits-)Tag vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen und zu begründen.

Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde, weil das OLG die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine andere selbständig tragende Begründung stützt, die keinen Rechtsfehler aufweist. Das OLG stützt ein Verschulden des Klägervertreters rechtsfehlerfrei darauf, dass der Klägervertreter die Beklagtenvertreterin nicht bereits am 9. März um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht hat. Wiedereinsetzung war nur dann zu gewähren, wenn der Klägervertreter ohne sein Verschulden daran gehindert war, eine – zweite – Fristverlängerung zu erwirken. Da dem Klägervertreter bereits eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gewährt wurde, kam nach § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur mit Einwilligung des Gegners in Betracht. In einem solchen Fall ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nur dann zu gewähren, wenn die Gegenseite die zur Fristverlängerung erforderliche Einwilligung nicht erteilt und die Frist deshalb nicht verlängert wird. Infolgedessen kommt es darauf an, ob die Kläger dargelegt und glaubhaft gemacht haben, dass ihrem Prozessbevollmächtigten die Einholung der gegnerischen Einwilligung nicht möglich oder unzumutbar war. Zwar hat der Klägervertreter am 9. März 2023 einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Da die Beklagtenvertreterin ihre Einwilligung nicht erklärt hatte, enthielt der Antrag hierzu auch keine Angaben. Der Klägervertreter wusste aber, dass ihm eine zweite Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur unter Darlegung der Einwilligung der Gegenseite gewährt werden würde. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass der Klägervertreter am 9. März gehalten gewesen wäre, zuerst die Beklagtenvertreterin um Abgabe der (erforderlichen) Einwilligung zu ersuchen. Den Klägervertreter kann nicht entlasten, dass die Beklagtenvertreterin nur unter der Bedingung, dass der Klägervertreter einen ärztlichen Nachweis über seine Erkrankung vorlegt, bereit war, ihre Einwilligung zu erklären. Hätte er die Beklagtenvertreterin am 9. März um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht, so hätte er von der Bedingung der Beklagtenvertreterin frühzeitig Kenntnis erlangt und ihm wäre es dann (am 9. oder 10. März) noch möglich gewesen, einen ärztlichen Nachweis zur Vorlage gegenüber der Beklagtenvertreterin einzuholen. Diese Maßnahmen waren auch geboten, weil der Klägervertreter nach den Ausführungen der Rechtsbeschwerde bereits zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, die Berufungsbegründung, wegen deren Anfertigung er an diesem Tag in sein Büro gefahren war, zu fertigen. Nach den Feststellungen des OLG hätte die Beklagtenvertreterin die Einwilligung erteilt, wenn ihr das Attest vorgelegt worden wäre.

 

Fazit: Bei Einwilligung des Gegners ist das Vertrauen des Berufungsklägers in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben wird. (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2023 – VIa ZB 15/22 -, MDR 2023, 379). Voraussetzung ist aber, dass mit dem Antrag die Einwilligung des Gegner vorgelegt oder zumindest anwaltlich versichert wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Sondereigentumsfähigkeit von Teilen einer Tiefgarage.

Sondereigentumsfähigkeit von Duplex- und Palettenparkern
BGH, Beschluss vom 7. März 2024 – V ZB 46/23

Der V. Zivilsenat befasst sich der alten und der neuen Fassung von § 3 und mit § 5 Abs. 2 WEG.

Die Beteiligten sind Mitglieder einer seit 1996 bestehenden Gemeinschaft von Wohnungseigentümern. Im Grundbuch ist unter anderem Sondereigentum an 18 Stellplätzen in der Tiefgarage eingetragen, die ausweislich des Aufteilungsplans auf einem auf Laufschienen gelagerten, horizontal verschiebbaren Palettensystem eingerichtet sind, um die Zufahrt zu dahinter liegenden Stellplätzen zu ermöglichen.

Im Vorfeld einer Sanierung beantragen die Beteiligten, die Eintragung im Grundbuch dahingehend zu ändern, dass es sich nicht um Sondereigentum handelt, sondern um isolierte Miteigentumsanteile (dazu BGH, Urteil vom 5. Dezember 2003 – V ZR 447/01, NJW 2004, 1798). Das AG hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das Kammergericht zurück.

Das KG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag zurückzuweisen ist, wenn an den in Rede stehenden Stellplätzen wirksam Sondereigentum begründet worden ist. Diese Voraussetzung ist auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 WEG in der für den Streitfall noch maßgeblichen, bis 30. November 2020 geltenden Fassung jedoch nicht gegeben.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 WEG aF gelten Garagenstellplätze als sonderrechtsfähige abgeschlossene Räume, wenn ihre Flächen durch dauerhafte Markierungen ersichtlich sind. Dadurch wird, wie der BGH nunmehr erstmals entscheidet, nicht die Raumeigenschaft fingiert, sondern nur die Abgeschlossenheit. Das danach verbleibende Erfordernis eines Raums ist nur dann erfüllt, wenn dem Stellplatz ein lichter Raum eindeutig zugeordnet ist.

Bei vertikal verstellbaren Duplexparkern ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil ein Teil des Raums abwechselnd vom einen oder vom anderen Parker eingenommen wird.

Bei horizontal verschiebbaren Palettenparkern gilt Entsprechendes, weil sie abwechselnd jeweils einen unterschiedlichen Teil des Raums belegen. Darüber können diejenigen Bereiche, die zum Erreichen dahinter liegender Stellplätze benötigt werden, nach § 5 Abs. 2 WEG nicht zum Gegenstand des Sondereigentums gehören, weil sie von mehreren Wohnungseigentümern gemeinschaftlich genutzt werden.

Nach der im Streitfall noch nicht anwendbaren Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 WEG nF gelten Stellplätze als Räume. Damit sind Stellplätze in Doppelstockgaragen sondereigentumsfähig. Für Palettenstellplätze gilt dasselbe, wenn ein bestimmter Platz auf einer Palette zum alleinigen Gebrauch fest zugewiesen ist.

Praxistipp: Schon nach altem Recht ist ein Doppelstockparker in seiner Gesamtheit sondereigentumsfähig. Sondereigentum an einzelnen Stellplätzen in einem Doppelstockparker oder an Palettenstellplätzen kann in Altanlagen nur durch Änderung der Teilungserklärung begründet werden.

OLG Dresden: Amtlicher Vordruck beim Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz

Vor dem OLG Dresden (Beschl. v. 5.2.2024 – 4 U 74/24) ging es um die Frage nach der Vorlage des amtlichen Vordrucks, wenn Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt wird. Grundsätzlich muss der Vordruck in zweiter Instanz (erneut) vorgelegt werden. Haben sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert, darf allerdings auf einen bereits vorgelegten Vordruck Bezug genommen werden. Die Vorlage des Vordrucks bzw. die Erklärung darf bis zum Ablauf der Berufungsfrist erfolgen. Im hiesigen Fall hatte die Klägerin jedoch lediglich die Vorlage des Vordrucks in Aussicht gestellt, denselben jedoch bis zum Schluss der Instanz nicht vorgelegt.

Unter diesen Umständen hatte der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz keinen Erfolg. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Berufungsverfahren wird jedenfalls deswegen zum Nachteil der Klägerin ausgehen, weil dieser keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen des Versäumnisses der Berufungsfrist mehr bewilligt werden kann. Die Voraussetzung wäre nämlich gewesen, dass die Klägerin innerhalb der erwähnten Frist auch ihre Bedürftigkeit dargelegt hätte. Daran hat es jedoch gefehlt, weil der Vordruck nicht vorlag. Außerdem wurde nicht erklärt, dass sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht verändert haben. Damit ist das beabsichtigte Rechtsmittel endgültig gescheitert.

Bei Prozesskostenhilfeanträgen muss man als Rechtsanwalt stets an den Vordruck denken und gegebenenfalls dem Mandanten deutlich machen, dass davon oftmals das Schicksal des Verfahrens abhängig sein kann, vor allem, wenn es um die Rechtsmittelinstanzen geht! Eine Notlösung könnte sein, das Rechtsmittel ohne Rücksicht auf die Prozesskostenhilfe einzulegen. Freilich hat der Mandant dann auch das Kostenrisiko. Immerhin könnte man den Antrag auf Prozesskostenhilfe dann noch nachschieben.

Anwaltsblog 14/2024: Aufhebung und Zurückverweisung nur bei Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme!

Mit den Voraussetzungen einer Aufhebung und das Zurückverweisung durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht hatte sich in einem Bauschadensersatzprozess der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 1. Februar 2024 – VII ZR 171/22):

 

Die Klägerin als Bestellerin begehrt von dem Beklagten als Werkunternehmer den Ersatz von Mehrkosten und Schadensersatz nach fünf Teilkündigungen eines zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages über ein Kongresszentrum. Das LG hat nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter durch einen Beschluss, der nur von zwei Mitgliedern der Kammer unterzeichnet worden ist, der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs in voller Höhe stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das LG komme nicht in Betracht. Zwar sei das angefochtene Urteil entgegen den gesetzlichen Vorschriften vom Einzelrichter und nicht von der Kammer gefasst worden. Der Verstoß gegen den gesetzlichen Richter sei von Amts wegen zu berücksichtigen. Er sei dadurch begründet, dass gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO grundsätzlich die Zuständigkeit der Kammer gegeben sei, hingegen der Einzelrichter entschieden habe. Zwar habe die Kammer einen Übertragungsbeschluss auf den Einzelrichter gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst. Den Beschluss hätten aber nur zwei von drei Kammermitgliedern unterschrieben. Der Übertragungsbeschluss sei aus diesem Grund nicht wirksam geworden. Eine Zurückverweisung der Sache an das LG komme nicht in Betracht, weil das Verfahren entscheidungsreif sei.

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht war befugt, in der Sache selbst zu entscheiden. Es kann dahinstehen, ob die Zivilkammer des LG wirksam einen Beschluss gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst hat, mit dem der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist. Allerdings war nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO die Kammer zur Entscheidung berufen, weil es sich um eine Streitigkeit aus einem Bauvertrag handelte, für die nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG Spezialkammern bei den Landgerichten bestehen. Gemäß § 348a Abs. 1 ZPO kann die Zuständigkeit des Einzelrichters begründet werden, wenn die Kammer die Sache durch Beschluss auf den Einzelrichter überträgt. Eine Beschlussfassung gemäß § 348a Abs. 1 ZPO setzt indes eine entsprechende interne Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer voraus, deren Vorliegen vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht nicht hinreichend vorgenommen. Aus dem bei den Akten befindlichen schriftlichen Originalbeschluss, auf dem sich lediglich die Unterschriften der Vorsitzenden der Kammer und eines Beisitzers befinden, geht nicht ohne weiteres hervor, ob dem Beschluss eine entsprechende Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer zugrunde lag. Selbst wenn unterstellt wird, dass mangels wirksamer Übertragung der Sache auf den Einzelrichter die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht von dem gesetzlich zur Entscheidung berufenen Richter getroffen worden ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), war eine Zurückverweisung der Sache an das LG nicht geboten. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO lässt im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht grundsätzlich nur dann zu, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein in erster Instanz unterlaufener Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zwingt allerdings ausnahmsweise – ungeachtet der weiteren in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO genannten Voraussetzungen – dann zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht, wenn das erstinstanzliche Verfahren überhaupt keine Grundlage für das Berufungsverfahren darstellen kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht schon mit Blick auf § 547 Nr. 1 ZPO vor, weil erkennendes Gericht dieser Vorschrift nur das Berufungsgericht ist, dessen Entscheidung mit der Revision angegriffen wird.

Nach diesen Maßstäben war eine Zurückverweisung der Sache durch das OLG an das LG gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht geboten. Zu Recht hat das OLG angenommen, die Voraussetzung für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, dass aufgrund des Verfahrensfehlers eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme erforderlich sei, liege nicht vor; der Rechtsstreit sei vielmehr zur Entscheidung reif. Das OLG selbst, das durch drei seiner Mitglieder entschieden hat, war bei der angefochtenen Entscheidung vorschriftsmäßig besetzt. Da es eine eigene Sachentscheidung unter Würdigung der vom LG getroffenen tatsächlichen Feststellungen getroffen und sich nicht lediglich auf die Übernahme der Feststellungen des Einzelrichters beim LG beschränkt hat, ist das Berufungsurteil auch nicht durch eine etwaige fehlerhafte Besetzung des LG beeinflusst worden.

Das OLG war aufgrund der vom LG getroffenen Feststellungen in der Lage, unter selbständiger Würdigung der festgestellten Tatsachen eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Die Zurückverweisung an das Erstgericht soll nach der Konzeption des Gesetzgebers ein Ausnahmefall bleiben. Das Berufungsgericht hat nach § 538 Abs. 1 ZPO grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung an das Gericht erster Instanz ist deshalb für den Fall, dass das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), nur geboten, wenn eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme durch oder infolge der Korrektur des wesentlichen Verfahrensmangels zu erwarten ist, in deren Folge die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz ausnahmsweise zu noch größeren Nachteilen führen würde als die Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht

 

Fazit: Im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, ist eine Zurückverweisung der Sache grundsätzlich nur dann zulässig, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil.

Fernbleiben vom Termin nach Verlegungsantrag und Ablehnungsgesuch
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 – V ZB 53/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Sorgfaltspflichten im Vorfeld eines Einspruchstermins.

Die Klägerin begehrt eine Löschungsbewilligung. Das AG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Der Beklagte hat Einspruch eingelegt.

Fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte die Verlegung des Termins wegen fehlender Akteneinsicht begehrt. Mit einem unmittelbar vor Verhandlungsbeginn eingegangenen Schreiben hat er den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das AG hat den Einspruch durch den abgelehnten Richter durch Versäumnisurteil verworfen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das LG hat die Berufung zu Recht als gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig angesehen, weil der Beklagte in seiner Berufungsbegründung einen Fall der fehlenden oder schuldlosen Säumnis nicht dargelegt hat.

Der Beklagte durfte sich nicht darauf verlassen, dass sein unmittelbar vor dem Termin eingereichtes Ablehnungsgesuch dem abgelehnten Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegt wird. Deshalb war er gehalten, vorsorglich zum Termin zu erscheinen und sein Ablehnungsgesuch ggf. zu wiederholen.

Unabhängig davon reicht die Rüge, ein vor dem Termin gestelltes Ablehnungsgesuch sei fehlerhaft behandelt worden, zur Darlegung fehlender oder unverschuldeter Säumnis im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht aus. Entsprechendes gilt für die Rüge, durch die Nichtgewährung von Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Praxistipp: Bei einem Ablehnungsgesuch während der mündlichen Verhandlung kann der Termin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn anderenfalls eine Vertagung erforderlich wäre.

Anwaltsblog 13/2024: Qualifizierte Signatur eines bestimmenden Schriftsatzes muss nicht vom Verfasser stammen!

Ob die Einreichung einer Berufungsbegründung wirksam war, die vom verfassenden Rechtsanwalt einfach signiert (unterschrieben) und von einem anderen Rechtsanwalt der Sozietät qualifiziert signiert und über dessen beA eingereicht worden ist, ohne den Zusatz „für“ beim Namen des Verfassers aufzuweisen, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23):

 

In einem Anwaltshaftungsprozess hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Berufung legitimierte sich für den beklagten Rechtsanwalt die Rechtsanwaltssozietät G., der der Beklagte selbst angehört. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ist eine Berufungsbegründung als elektronisches Dokument beim Landgericht eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem maschinenschriftlich eingefügten Namen des Beklagten und dem Zusatz „Rechtsanwalt“ ab. Zudem ist er mit der qualifizierten elektronischen Signatur des ebenfalls der Sozietät des Beklagten angehörenden Rechtsanwalts J. versehen, über dessen beA der Schriftsatz übermittelt wurde.

Nachdem das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hatte, hat die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Beklagte hat seine Berufung wirksam unter Beachtung der Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO begründet. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist. Wird der Schriftsatz hingegen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, entsprechen deren Rechtswirkungen unmittelbar denen einer handschriftlichen Unterschrift des Rechtsanwalts gemäß § 130 Nr. 6 ZPO. Durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments mit der qualifizierten Signatur eines Rechtsanwalts übernimmt dieser mithin nicht anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung eines Schriftsatzes die Verantwortung für dessen Inhalt und ist daher verantwortende Person iSv. § 130a Abs. 3 Fall 1 ZPO.

Dem steht nicht entgegen, dass das elektronische Dokument am Schluss seiner Ausführungen den Namen eines anderen Rechtsanwalts als Verfasser nennt. Für einen unterzeichnenden Rechtsanwalt versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift zugleich auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen. Bei Unterzeichnung eines mit dem maschinenschriftlichen Namen seines Verfassers abschließenden Schriftsatzes durch einen anderen von der Partei bevollmächtigten Rechtsanwalt bedarf es auch keines klarstellenden Zusatzes, wie etwa der Verwendung des Worts „für“. Denn bereits dem Umstand der Unterzeichnung des Schriftsatzes durch einen anderen Rechtsanwalt an sich lässt sich entnehmen, dass er an Stelle des Verfassers die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder Unterbevollmächtigter der Partei auftreten wollte. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht der Unterschrift des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt, der das zuvor von einem anderen verfasste elektronische Dokument, das auch mit dessen Namen und Berufsbezeichnung abschließt, qualifiziert elektronisch signiert, bringt wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten. Auch insoweit bedarf es daher keines klarstellenden Zusatzes eines Vertretungsverhältnisses, insbesondere nicht der Verwendung des Worts „für“.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Rechtsanwalt J. als sozietätsangehöriger und somit von dem Beklagten bevollmächtigter Rechtsanwalt diesen mit Anbringung seiner qualifizierten elektronischen Signatur hat vertreten wollen. Damit hat Rechtsanwalt J. zugleich iSv. § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO die Verantwortung für den Inhalt des von seinem Kollegen verfassten und von diesem nur einfach signierten Berufungsbegründungsschriftsatz übernommen.

 

Fazit: Signiert ein Mitglied einer Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elektronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für“) bei der einfachen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.