Empirische Untersuchung und Auswertung der zweiten virtuellen Hauptversammlungssaison

Auch die Saison der Aktionärstreffen im Jahr 2021 war von der virtuellen Hauptversammlung geprägt. Die fortdauernde COVID‑19-Pandemie erforderte, das COVMG zu verlängern, um rechtssicher eine zweite Saison von Online-Hauptversammlungen durchführen zu können. Nachdem zum Jahreswechsel das im Verordnungswege zur Verlängerung ermächtigte BMJV und der Deutsche Bundestag fast zeitgleich zur Tat schritten, trat mit Wirkung zum 28.2.2021 ein leicht überarbeitetes COVMG in Kraft. Auf Grundlage des novellierten Gesetzes wurden bis Ende Juli 2021 von den Unternehmen der DAX-Indexfamilie (DAX30, MAX, SDAX und TecDAX) 134 Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Versammlung einberufen. Anknüpfend an die Beiträge in AG 2020, 418 und AG 2020, 776 wurde nunmehr die zweite virtuelle Hauptversammlungssaison empirisch untersucht und systematisch ausgewertet, um den Marktstandard herauszuarbeiten.

Die Mehrheit der 134 zwischen Februar 2021 und dem 31.7.2021 einberufenen virtuellen Hauptversammlungen von börsennotierten Unternehmen der DAX-Indexfamilie

  • nutzte das normale statt des verkürzten Fristenregimes des § 1 Abs. 3 COVMG (99 %),
  • sah vor, dass die Versammlung über das Internet in Bild und Ton nur für die Aktionäre übertragen würde (58 %),
  • gab einen „Ort der Hauptversammlung im Sinne des Aktiengesetzes“ in Form einer Postadresse als Ort der Hauptversammlung i.S.d. § 121 Abs. 3 AktG an (57 %),
  • gab Aktionären vor, Fragen gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 COVMG bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen (100 %),
  • beschrieb das Fragerecht gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVMG im Zusammenhang mit Angaben nach § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 AktG (80 %),
  • eröffnete den Aktionären die Möglichkeit, Fragen gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 COVMG bis zum Ablauf des zweiten Tages vor der Hauptversammlung zu übermitteln (96 %), so dass ein voller Tag zwischen der letzten Fragemöglichkeit und dem Tag der virtuellen Versammlung lag,
  • nutzte das Portal zur Übermittlung der Fragen an die Gesellschaft (98 %),
  • machte keine Angaben zur Namensnennung der Fragensteller in der virtuellen Versammlung (46 %),
  • bot ihren Aktionären weder eine Nachfragemöglichkeit (92,5 %) noch eine Stellungnahmemöglichkeit (81 %) während der virtuellen Hauptversammlung an,
  • ermöglichte keine elektronische Teilnahme gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG (99 %) und stellte dies auch explizit in der Einberufung der virtuellen Versammlung klar (60 %),
  • bot den Aktionären die Briefwahl über das Portal (100 %) und daneben auch auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail an (63 %),
  • ermöglichte den Aktionären, die elektronische Briefwahl über das Portal bis zum „Beginn der Abstimmungen“ (67 %) und die Briefwahl auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail bis zum Ablauf des Tages vor der virtuellen Hauptversammlung (62 %),
  • benannte einen Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft (100 %),
  • sah vor, den von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter über das Portal (99 %) und daneben auch auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail bevollmächtigen und anweisen zu können (69 %),
  • ermöglichte die Bevollmächtigung und Anweisung des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft über das Portal bis zum „Beginn der Abstimmungen“ (68 %) und beendete die Möglichkeit der Bevollmächtigung und Anweisung des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail mit Ablauf des Tages vor der virtuellen Hauptversammlung (60 %),
  • gab an, Widersprüche gegen Beschlüsse der Hauptversammlung während der virtuellen Hauptversammlung über das Portal erklären zu können (95 %), und
  • wählte Computershare (40 %), Link Market Services (18 %) oder Better Orange (17 %) als Hauptversammlungs-Dienstleister für die Vorbereitung und Durchführung der virtuellen Hauptversammlung (Marktanteil von zusammen 75 %).

In der AG 2021, 613 werden die Durchdringung der virtuellen Hauptversammlung gegenüber der Präsenz-Versammlung, der Umgang mit dem Fristenregime der Einberufung, dem (neuen) Fragerecht, der Ermöglichung von Nachfragen bzw. Stellungnahmen, den Modalitäten der Stimmrechtsausübung der Aktionäre sowie der Widerspruchsmöglichkeit ausführlich dargestellt und ausgewertet. Auch werden weitere Besonderheiten der virtuellen Hauptversammlung und die von den untersuchten Börsenunternehmen gewählten Hauptversammlungs-Dienstleister beleuchtet.

Weitere Konkretisierung der Green Taxonomy

Die delegierte Verordnung (EU) vom 4.6.2021 dient der Ergänzung der Taxonomie-Verordnung ((EU) 2020/852), die im Juli 2020 in Kraft getreten ist. Mit der nun vorliegenden delegierten Verordnung einer Klimataxonomie sollen weitere Kriterien festgelegt werden, um den Begriff der „ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit“ für die ersten zwei der insgesamt sechs Umweltziele zu definieren (Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz).

Besondere Bedeutung erlangt die delegierte Verordnung unter anderem für Unternehmen, die zur Veröffentlichung der nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet sind. Diese müssen nach Art. 8 Abs. 2 der Taxonomie-Verordnung angeben, wie hoch der Anteil der Umsatzerlöse ist, der mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden ist, sowie die Höhe des Anteils der Investitions- und gegebenenfalls der Betriebsausgaben, die mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind.

Bezogen auf die Berichtspraxis sollen für das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“ beispielsweise nur Investitions- und Betriebsausgaben geltend gemacht werden, wenn die Tätigkeit klimaresilient ausgeführt wird. Für Umsatzerlöse würde dies aber nicht der Fall sein. Ähnliches wie bei den Betriebsausgaben soll für Wirtschaftstätigkeiten gelten, die den technischen Bewertungskriterien für einen „wesentlichen Beitrag“ im Sinne der Taxonomie-Verordnung noch nicht erfüllen, aber das Unternehmen bereits einen Investitionsplan festgelegt hat, um die Kriterien innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen. Dann können die Ausgaben als taxonomiekonform angerechnet werden. Für die Anrechnung der Umsatzerlöse muss eine Tätigkeit die Kriterien allerdings unmittelbar erfüllen.

Die technischen Bewertungskriterien für das Umweltziel „Klimaschutz“ werden in

Art. 1 i.V.m. Anhang I der EU-Klimataxonomie festgelegt. Art. 2 i.V.m. Anhang II der EU-Klimataxonomie umfasst die technischen Bewertungskriterien für das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“. In einem ersten Schritt betreffen die von der Europäischen Kommission entwickelten Kriterien nur bestimmte, für den Klima- und Umweltbereich besonders relevante Sektoren bzw. Wirtschaftstätigkeiten. Dazu zählen:

  • Forstwirtschaft
  • Tätigkeiten in den Bereichen Umweltschutz und Wiederherstellung
  • Verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren
  • Energie
  • Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen
  • Verkehr
  • Baugewerbe und Immobilien
  • Information und Kommunikation
  • Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen.

Die delegierte Verordnung, die demnächst ausführlicher im AG-Report dargestellt wird, ist Ende Mai förmlich angenommen worden. Sie wird am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung der EU-Klimataxonomie im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten und soll ab dem 1. Januar 2022 gelten. Für die weiteren vier Umweltziele ist vorgesehen, zeitnah auch eine delegierte Verordnung zu veröffentlichen. Die Anforderungen für diese Umweltziele sollen dann ab dem 1. Januar 2023 gelten.

Die Option zur Körperschaftsteuer für Personengesellschaften eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten

Am 25.06.2021 hat nun auch der Bundesrat seine Zustimmung zum KöMoG erteilt. Auch wenn zuletzt seitens der Grünen Bedenken gegen die Einführung einer Option zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft vorgebracht wurden, weil dies ein „Einfallstor für Steuerschlupflöcher“ sein könnte, haben auch die Bundesländer mehrheitlich der Neuregelung zugestimmt.

Damit steht fest, dass es für bestimmte Personengesellschaften bereits ab dem Jahr 2022 die Möglichkeit geben wird, nach § 1a KStG-neu zur Besteuerung wie eine Kapitalgesellschaft zu optieren. Der große Vorteil einer solchen Option liegt auf der Hand: Thesaurierte Gewinne werden in einer Kapitalgesellschaft deutlich geringer besteuert als solche einer Personengesellschaft. Dies gilt regelmäßig selbst dann, wenn eine Personengesellschaft die in der Praxis sehr komplizierte Thesaurierungsbesteuerung nach § 34a EStG wählt. Da sich dieser Vorteil im Fall der Vollthesaurierung einer Kapitalgesellschaft im Vergleich zur regelbesteuerten Personengesellschaft im Spitzensteuersatz auf fast 17 Prozentpunkte belaufen kann, werden sich z.B. Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft künftig stets die Frage stellen müssen, ob sie – gerade in Jahren mit hohen steuerpflichtigen Gewinnen – zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft optieren wollen. Für die Beratung bedeutet dies, die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die nach § 1a KStG-neu optieren kann, also insbes. die Personenhandelsgesellschaften OHG und KG sowie Partnerschaftsgesellschaften, stets eng zu begleiten, um zu prüfen, ob eine solche Option dazu beitragen kann, die Steuerquote dauerhaft zu senken.

Gleichwohl erschöpft sich die Möglichkeit, zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft zu optieren, nicht nur in einem günstigeren Steuersatz. Vielmehr ist es die mögliche Kombination aus den ohnehin bestehenden Vorzügen einer Personengesellschaft mit dem niedrigen Steuersatz einer Kapitalgesellschaft, die die Option nach § 1a KStG attraktiv macht. Insoweit ist zu betonen, dass die optierende Personengesellschaft zwar ertragsteuerlich wie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird. Zivilrechtlich bleibt es jedoch eine Personengesellschaft. Durch die Möglichkeit, zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft zu optieren, können nunmehr die zivilrechtlichen Vorzüge der Personengesellschaften, wie das flexiblere Gesellschaftsrecht, die Nichtanwendbarkeit des Drittelbeteiligungsgesetzes oder geringere Publizitätspflichten, genutzt werden.

Die Unternehmen, die sich für eine Körperschaftsteueroption nach §1a KStG-neu entscheiden, können diese Vorzüge einer Personengesellschaft weiterhin in Anspruch nehmen und dennoch im Fall der Gewinnthesaurierung den deutlich niedrigeren Steuersatz für Kapitalgesellschaften nutzen und damit Steuerersparnisse generieren.

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass im Zuge der Ausübung Option zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft – ebenso wie bei der Rückoption zur Regelbesteuerung – zahlreiche steuerliche und gesellschaftsrechtliche Themen bedacht werden müssen, um sicherzustellen, dass das angestrebte Ziel, einen steuerlichen Vorteil zu erzielen, auch erreicht wird. Für die Beratung ergibt sich insoweit ein umfangreiches neues Betätigungsfeld.

MoPeG passiert Bundesrat

Das MoPeG ist am 25.6.2021 um 02:07 Uhr vom Bundestag einstimmig beschlossen worden (vgl. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw25-de-personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz-846942). Der Ständige Beirat des Bundesrats, dem die Bevollmächtigten der sechzehn Länder angehören, hat dem Ersuchen stattgegeben, die Zuleitungsfrist von sechs Wochen so zu verkürzen, dass eine Behandlung des MoPeG als Einspruchsgesetz (vgl. dazu https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/1006/to-node.html) im Bundesrat noch am 25.6.2021 erfolgen konnte (TOP 123 der BR-Sitzung). Um 13:19 Uhr wurde in der Sitzung des Bundesrats förmlich festgestellt, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss nicht anruft. Damit ist das MoPeG gem. Art. 78 Var. 2 GG zustande gekommen.

Die Nacht geht – MoPeG kommt

Bei der Tour de France markiert schon seit dem Jahr 1906 die flamme rouge den Beginn des letzten Etappenkilometers für das Peloton. Ein Fahrer, der nach der Überwindung von Bergen der hors catégorie diesen aufgeblasenen Bogen vor sich flimmern sieht, hat es geschafft, sofern er auch auf den letzten Metern unnötige Kollisionen vermeidet. Das MoPeG hat, nachdem die vom federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags in seiner 161. Sitzung am 22.6.2021 unter der Leitung des CDU-Abgeordneten Prof. Dr. Heribert Hirte einstimmig angenommene Beschlussempfehlung vorliegt (BT-Drucks. 19/30942; vgl. dazu den Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/31105), gemeinsam mit einer größeren Phalanx anderer Gesetzesvorlagen die flamme rouge der letzten parlamentarischen Sitzungswoche durchfahren und Platz 29 auf der Tagesordnung der am 24.6.2021 um 9.00 Uhr beginnenden 236. Sitzung des Deutschen Bundestages erzielt. Mit der für Freitag (25.6.2021) um 05:00 Uhr vorgesehenen abschließenden Beratung in Form der 2. und 3. Lesung (Live-Übertragung via https://www.bundestag.de/mediathek), die mit einer Rede der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht eröffnet wird, ist das MoPeG zwar zeitlich nicht tête de la course, aber zumindest das gesellschaftsrechtliche Highlight, wenn nach kurzer Nacht über der Spree gerade die Sonne aufgeht.

Die vom Rechtsausschuss für die Verabschiedung im Bundestag empfohlene Fassung des MoPeG weicht nur marginal vom Inhalt des für die 1. Lesung in den Bundestag eingebrachten MoPeG-RegE ab, der im Wesentlichen auf dem Mauracher Entwurf (vgl. Mauracher Entwurf zum MoPeG, 4/2020) beruht. Die größte Abweichung ist darin zu sehen, dass nach Art. 137 MoPeG das Inkrafttreten ganz überwiegend nicht – wie ursprünglich vorgesehen – zum 1.1.2023, sondern erst zum 1.1.2024 erfolgen soll. Dadurch erhalten die Länder zusätzlich Zeit für die technisch-organisatorische Umsetzung des neuen Gesellschaftsregisters für die GbR (vgl. Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drucks. 19/30942, S. 169; Bericht des Ausschusses, BT-Drucks. 19/31105, S. 11).

Hervorzuheben ist in Bezug auf Änderungen zudem die Einfügung eines Satzes 2 in § 728 Abs. 1 des BGB-RegE sowie jeweils § 176 Abs. 1 und Abs. 2 HGB-E. Die Regelung des § 728 Abs. 1 Satz 2 BGB-E stellt jetzt klar, dass sich die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nicht auf Schadensersatzansprüche erstreckt, die auf Pflichtverletzungen beruhen, welche erst nach dem Ausscheiden erfolgen. Der aus einer Anwaltssozietät ausgeschiedene Gesellschafter haftet also nicht, wenn der Beratungsvertrag zwar vor seinem Ausscheiden abgeschlossen, der Beratungsfehler aber erst danach von einem verbliebenen Sozius begangen wurde. Zu § 176 Abs. 1 HGB nimmt der Rechtsausschuss die im RegE enthaltene Verschärfung zurück, das heißt, die unbeschränkte Kommanditistenhaftung ist nach wie vor ausgeschlossen, wenn dem Gläubiger die Beteiligung als Kommanditist bekannt war. Die Neufassung des § 176 Abs. 2 HGB-E stellt mit der Formulierung „weiterer Gesellschafter“ klar, dass der klassische Gesellschafterwechsel kein haftungsbegründender Eintritt im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl. Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drucks. 19/30942, S. 113; Bericht des Ausschusses, BT-Drucks. 19/31105, S. 10).

Die neu errichteten tragenden Säulen des MoPeG wurden vom Rechtsausschuss nach Prüfung ohne Vorbehalt abgenommen: So erhält die GbR neben dem Gesellschaftsregister einschließlich Reglement, das auch den komplexen Statuswechsel umfasst, insbesondere Vorschriften über die Vertretung und persönliche Haftung sowie – in Anlehnung an §§ 145 ff. HGB – ein eigenes Kapitel über die Liquidation, das u.a. die gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren einführt. Das neue Beschlussmängelrecht der OHG/KG implementiert – in Übereinstimmung mit dem Recht der AG/GmbH – die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§§ 110 ff. HGB-E), wobei allerdings die Nichtigkeitsgründe präziser und moderner formuliert sind. Bei der GbR gilt dieses Beschlussanfechtungsmodell zwar nicht ex lege, der Gesellschaftsvertrag kann hierfür aber im Rahmen der Vertragsfreiheit optieren. Die Neuregelung des § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB-E öffnet die Rechtsform der OHG/KG und damit auch der GmbH & Co. KG für die gemeinsame Ausübung Freier Berufe, „soweit das anwendbare Berufsrecht die Eintragung zulässt“. Die nicht unerheblichen Schönheitsfehler der PartG mbB – persönliche Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten aus Miet- und Arbeitsverhältnissen sowie die mit der einkommensteuerrechtlichen Abfärbung bei gewerblichen Einkünften durch Einsatz von Angestellten und Subunternehmern verbundenen Risiken (vgl. dazu Wertenbruch, ZIP 2021, 1094 ff.) – werden durch die Wahl der GmbH & Co. KG abgehängt. Durch die Neuregelung des § 170 Abs. 2 HGB-E, der die dispositive Stimmrechtsausübung durch die Kommanditisten der Einheits-Kapitalgesellschaft & Co. KG in der Komplementär-Kapitalgesellschaft regelt, deren einzige Gesellschafterin die KG selbst ist, gelangt die Einheits-GmbH & Co. KG auf sicheres Terrain und wird dort weiter Furore machen, weil im Falle eines Gesellschafterwechsels nur die Kommanditanteile abgetreten werden müssen, wofür eben keine notarielle Beurkundung erforderlich ist.

Prolog für das MoPeG-Verfahren war die auf Grundlage des Koalitionsvertrages der aktuellen Bundesregierung im Sommer 2018 vorgenommene Einsetzung der von Ministerialrat Dr. Eberhard Schollmeyer LL.M. geleiteten Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts durch die damalige Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Katarina Barley. Die erste Sitzung der Kommission fand wenig später im Justizministerium unter Mitwirkung der Staatssekretärin a.D. Christiane Wirtz statt. Im April 2020 wurde Bundesministerin Christine Lambrecht der von dieser Kommission erarbeitete Mauracher Entwurf vorgelegt, benannt nach Schloss Maurach am Bodensee, wo im März 2020 die abschließende mehrtägige Revisions- und Redaktionskonferenz durchgeführt wurde (Pressemitteilung des BMJV v. 20.4.2020). Es folgte am 19.11.2020 der Referentenentwurf (RefE MoPeG v. 19.11.2020) und am 20.1.2021 der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Am 17.3.2021 erreichte dieser Regierungsentwurf den Bundestag als Etappenziel (Gesetzentwurf Bundesregierung vom 17.3.2021, BT-Drucksache 19/27635).

Beim anschließenden letzten großen Anstieg hat das MoPeG zwar durch das nach der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss am 21.4.2021 (vgl. dazu Wortprotokoll der 144. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz) notwendig gewordene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Frage des Fortbestands der verfassungsrechtlichen Legitimität der unterschiedlichen Behandlung von Kapital- und Personengesellschaft bei der Ertragssteuer (vgl. dazu Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages v. 11.5.2021) prima vista den in den letzten drei Jahren herausgefahrenen Vorsprung eingebüßt. À la longue könnte sich aber das Plazet des Wissenschaftlichen Dienstes als gewichtiger Ertrag auf dem Habenkonto des MoPeG erweisen, sofern behauptet wird, allein durch die Aufgabe des Gesamthandsbegriffs seien die sich auch im Steuerrecht auswirkenden Strukturunterschiede zwischen Kapitalgesellschaft und Personengesellschaft gesetzlich eingeebnet worden (vgl. zu dieser Thematik auch Fleischer, DStR 2021, 430 ff.; Bachmann, NZG 2020, 612 ff.; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 ff.). Gleichwohl mussten nach Eintreffen der Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes sämtliche Protagonisten und Domestiken des MoPeG permanent mit maximaler Übersetzung fahren, um den Anschluss an das Gesetzespeloton der letzten Session der 19. Legislaturperiode zu erreichen.

Letzte Ausfahrt MoPeG!

Das Filmdrama „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ von Bernd Eichinger und Uli Edel, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Hubert Selby („Last Exit to Brooklyn“), war nichts für ausschließlich auf Happy-End frisierte Kinogänger. Für das geplante Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) (Gesetzentwurf Bundesregierung v. 17.3.2021, BT-Drucksache 19/27635) gibt es hingegen in Berlin auf der 19. Straße der Bundesgesetzgebung rechtzeitig vor dem Dead End noch eine Ausfahrt „Reichstagsgebäude/Schloss Bellevue“, und zwar in der letzten Sitzungswoche vom 21.6. bis 25.6.2021. Am Donnerstag, dem 24.6.2021, findet im Wallot-Bau ohnehin eine lange Nacht der Gesetze statt.

Die 1. Beratung des MoPeG im Bundestag erfolgte am 25.3.2021 mit der planmäßigen Verweisung an den federführenden Rechtsausschuss (BT-Plenarprotokoll 19/218, S. 27516D-27521D). Die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss fand am 21.4.2021 statt. Dort wurden allerdings von einem Sachverständigen auch verfassungsrechtliche Zweifel an der weiteren Zulässigkeit einer unterschiedlichen Besteuerung von Kapitalgesellschaften nach KStG und den Personengesellschaften nach EStG (Mitunternehmerbesteuerung der Gesellschafter nach § 15 EStG) vorgetragen. Das daraufhin vom Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Sachen MoPeG, Prof. Dr. Heribert Hirte, eingeholte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages weist die Bedenken des Sachverständigen dagegen zu Recht zurück (https://www.heribert-hirte.de/hirte-befragt-wissenschaftlichen-dienst-zum-gesetzesentwurf-zur-modernisierungdes-personengesellschaftsrecht/ ).

Das MoPeG knüpft zwar einschließlich Begründung nicht mehr an den tradierten und über Jahrzehnte umstrittenen Gesamthandsbegriff an. Gleichwohl gibt es nach wie vor grundlegende Unterschiede zwischen Kapitalgesellschaft (juristische Person) und Personengesellschaft, die eine andere Struktur der Besteuerung rechtfertigen. Denn auch bei der Personengesellschaft des MoPeG gilt als Leitprinzip der Grundsatz der Selbstorganschaft, das An- und Abwachsungsprinzip bei Veränderungen im Gesellschafterbestand, das Zwei-Personen-Erfordernis (keine Ein-Personen-Personengesellschaft) und der Grundsatz der persönlichen akzessorischen Gesellschafterhaftung (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 2). Diese Besonderheiten tragen – wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages überzeugend bestätigt – den in Rede stehenden ertragssteuerrechtlichen Dualismus in Form der Besteuerung der Kapitalgesellschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG und der Gesellschafter der Personengesellschaft als Mitunternehmer nach § 15 EStG (vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 3). Die Unterschiede bei der steuerlichen Belastung sind ohnehin grundsätzlich nicht gravierend (vgl. dazu Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2021, § 2 B II Rz. 2.38 ff).

Es bleibt zu hoffen, dass der ReGE MoPeG in der letzten Sitzungswoche der 19. Legislaturperiode noch unter Einhaltung der vorgeschriebenen parlamentarischen Usancen in die letzte Ausfahrt zum Plenarsaal des Reichstagsgebäudes einbiegt und die noch zu passierenden Ampeln dann bis zur Ausfertigung im Schloss Bellevue auf „grün“ geschaltet sind. Denn am 25.6.2021 ist im Bundestag auf jeden Fall erst einmal curtain down.

Bestellungsbeschluss kein grundbuchtauglicher Nachweis für (Nachtrags-)Liquidator

Ein nicht seltenes und im Fall des Auftretens mitunter nur mit einigem Aufwand zu behebendes Problem: Eine GmbH wird zunächst im Handelsregister gelöscht, sei es von Amts wegen aufgrund Vermögenslosigkeit (§ 394 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG), sei es auf Antrag nach vorangegangenem Abwicklungsverfahren (§ 74 Abs. 1 GmbHG). Nach Löschung stellt sich sodann aber heraus, dass diese zu Unrecht erfolgte, weil die GmbH in Wahrheit noch Vermögen hatte. Bei allem dogmatischen Streit über die Wirkung der Löschungseintragung steht damit für die ganz h.M. fest: Die GmbH ist nicht vollbeendet, sondern besteht fort, bis sie vollständig vermögenslos geworden ist. Bei vorangegangener amtswegiger Löschung wegen Vermögenslosigkeit muss sie erstmals ein Liquidationsstadium durchlaufen, bei „voreiliger“ Löschung nach bereits durchlaufenem Liquidationsstadium ist dieses fortzusetzen. Verfügt die gelöschte GmbH noch über (werthaltige oder formale) Grundbuchpositionen, die es zu verwerten oder jedenfalls zur Löschung zu bringen gilt, wirft dieser Sachverhalt viele im Detail streitige Fragen im Schnittfeld von Liquidations- und Grundbuchverfahrensrecht auf. Häufig sind in der Praxis die Fälle „vergessener“ formaler Grundbuchpositionen, die als wertlose Aktiva zwar nichts an der Vermögenslosigkeit der GmbH ändern (dazu Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 54), wohl aber fortbestehenden Abwicklungsbedarf implizieren und damit in die „gestutzte“ (Nachtrags-)Liquidation in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG münden. Seltener verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen. Über einen solchen Fall, in welchem die zu Unrecht von Amts wegen aufgrund vermeintlicher Vermögenslosigkeit gelöschte GmbH noch als Teileigentümerin im Grundbuch eingetragen war und der daher gerichtlich bestellte (Nachtrags-)Liquidator i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG das Teileigentum mit Grundschulden belasten wollte, hatte jüngst das Kammergericht (KG v. 11.5.2021 – 1 W 29/21) zu entscheiden.

Das Kammergericht erteilt der bisher weitgehend etablierten Praxis eine Absage, die Vertretungsberechtigung eines (Nachtrags-)Liquidators i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG und damit dessen Bewilligungsberechtigung im Grundbuchverfahren mittels Vorlage einer Ausfertigung des Beschlusses über seine gerichtliche Bestellung nachzuweisen. Dies jedenfalls dann, wenn zwischen Bestellungsbeschluss und Bewilligungserklärung bereits ein Kalenderjahr verstrichen ist. Denn es liege nicht gänzlich fern, dass zwischenzeitlich eine gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grunde erfolgt sein könnte, welche für Dritte „unbemerkt“ geblieben ist, da es keine Pflicht zur Rückgabe des Bestellungsbeschlusses gebe. § 47 FamFG sichere nur den Bestand solcher Rechtsgeschäfte, die bis zu einer etwaigen Aufhebung des gerichtlichen Bestellungsbeschlusses und damit rückwirkend entfallender Vertretungsbefugnis vorgenommen seien, nicht aber schütze die Bestimmung das Vertrauen auf einen Fortbestand einer entfallenen Vertretungsbefugnis. Daher bedürfe es (jedenfalls in solchen Fällen für grundbuchverfahrensrechtliche Zwecke) der deklaratorischen (Wieder-)Eintragung der gelöschten GmbH mitsamt Liquidator, um das Fortbestehen der GmbH i.L. sowie die Vertretungsberechtigung des Liquidators grundbuchtauglich über § 32 GBO nachzuweisen.

Praxistipp:

Der Praxis ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidung zu raten, beim Registergericht anzuregen, sich an dem (ohnehin dogmatisch allein überzeugenden) Grundsatz zu orientieren, jedenfalls bei noch vorhandenem Vermögen die gelöschte GmbH als aufgelöste unter bisheriger Registernummer im Verbund mit dem gerichtlich bestellen Liquidator in das Handelsregister kundmachend einzutragen. Die Eintragung erfolgt allerdings von Amts wegen (die entsprechende Eintragung kann daher nur angeregt werden), das Registergericht hat aber im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Abwicklungsaufgaben des Liquidators in Rechnung zu stellen – verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen, wird dieses regelmäßig dahingehend reduziert sein, eine (Wieder-)Eintragung vorzunehmen. Bei kürzeren Zeitabständen zwischen Bestellungsbeschluss und grundbuchverfahrensrechtlichen Bewilligungserklärung sollte allerdings ungeachtet dessen die Vorlage der Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses als grundbuchtaugliches Nachweismittel i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO betrachtet werden. Erst recht gilt dies, sofern es – wie häufiger der Fall – nur noch um die zeitnahe Löschung wertloser Grundbuchpositionen geht; in diesen Sonderfällen nicht-vermögensbezogenen Abwicklungsbedarf erscheint auch die (Wieder-)Eintragung übertrieben, ist hier die Stellung des Liquidators doch letztlich nur jener eines bloßen Pflegers i.S.d. § 1913 BGB vergleichbar. Wurde unter Verweis auf die Vermögenslosigkeit der GmbH in einem solchen Fall gar eine gerichtliche Liquidatorenbestellung abgelehnt, wird man auch eine Grundbuchberichtigung i.S.d. § 22 GBO unter Vorlage eines solchen Beschlusses für zulässig halten müssen. Zu alledem ausführlich bei Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 69 ff. sowie K. Schmidt/Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 66 GmbHG Rz. 58 f. und § 74 GmbHG Rz. 26 ff.

Interne Untersuchungen: Unternehmerische Herausforderung

Pflicht zur Aufklärung von Compliance-Vorfällen

Interne Untersuchungen sind ein wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Compliance-Management-Systems. Jedes Unternehmen hat die Pflicht, auftretende Verdachtsmomente unverzüglich aufzuklären, fortdauernde Gesetzesverstöße unmittelbar abzustellen und das festgestellte Fehlverhalten angemessen zu sanktionieren. Dieser Dreiklang (Aufklären, Abstellen, Ahnden) ist in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt. Die Aufklärung von Verdachtsmomenten für compliance-relevantes Fehlverhalten ist regelmäßig zwingende Voraussetzung dafür, Konsequenzen für das Compliance-Management-System zu ziehen und dadurch Wiederholungen in der Zukunft auszuschließen. Die Untersuchung erfolgt in forensischer Hinsicht regelmäßig durch die Auswertung von Geschäftsunterlagen und die datenschutzkonforme Selektion und Analyse elektronischer Daten und Korrespondenz. Daneben kommt der arbeitsrechtlich adäquaten Befragung involvierter Mitarbeiter eine wesentliche Bedeutung zur Sachverhaltsaufklärung zu. Obwohl interne Untersuchungen zum Standardprogramm einer guten Corporate Governance und Compliance-Organisation gehören, stellt ihre rechtliche und operative Durchführung für Unternehmen eine besondere Herausforderung dar.

Zunehmende Bedeutung interner Untersuchungen

Durch das geplante Verbandssanktionengesetz (VerSanG) wird erstmals ein rechtlicher Rahmen für interne Untersuchungen geschaffen. Am 22. April 2020 veröffentlichte das BMJV den Referentenentwurf zum VerSanG. Am 16. Juni 2020 wurde der Regierungsentwurf mit nur wenigen inhaltlichen Abweichungen vom Referentenentwurf veröffentlicht. Dabei stehen für die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen drei Aspekte im Fokus: die Einhaltung der Grundsätze des fairen Verfahrens, die Dokumentation der verbandsinternen Untersuchung und die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Die Vorzüge einer erfolgreichen Untersuchung nach dem VerSanG-E bestehen in der Möglichkeit der Milderung der Verbandsgeldsanktion durch Halbierung der Sanktionsobergrenze und Entfall des Mindestmaßes (§ 18 VerSanG-E) sowie der Verhängung durch Sanktionsbescheid unter Verzicht auf eine öffentliche Hauptverhandlung (§ 50 VerSanG-E). Zudem ist die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ausgeschlossen. Wird keine verbandsinterne Untersuchung durchgeführt oder erfolgt sie nicht nach den Maßgaben des VerSanG-E, kann eine Milderung unter Berücksichtigung der allgemeinen Umstände in Betracht kommen (§ 15 VerSanG-E). Bei Inkrafttreten des VerSanG wird die interne Aufarbeitung verdächtiger Sachverhalte damit als Voraussetzung sowohl kompetenter Unternehmensverteidigung als auch kooperativer, auf Sanktionsmilderung zielender Strategien weiter an Bedeutung gewinnen.

DICO-Musterprozess für die Durchführung von internen Untersuchungen

Unternehmen sollten daher angemessene Strukturen und Prozesse zur Aufdeckung von sowie zum Umgang mit Gesetzesverstößen vorhalten. Mit einem klaren Fokus auf den rechtlichen Anforderungen und den technischen Aspekten sowie einem detaillierten Plan für die Durchführung der Untersuchungshandlungen lassen sich tragfähige Ergebnisse erzielen. Hilfestellung kann der „Musterprozess für die Durchführung von Internen Untersuchungen“ des DICO (Deutsches Institut für Compliance) geben. Das am 12. Mai 2021 veröffentlichte Arbeitspapier des Arbeitskreises Interne Untersuchungen und Hinweisgebersysteme stellt die einzelnen Prozessschritte vom Eingang eines Hinweises bis hin zur Umsetzung von Folgemaßnahmen dar und gibt jeweils praktische Anwendungshilfen sowie Anregungen für die Erstellung von Vorlagen. Sowohl kleine und mittlere (KMU) als auch Großunternehmen können dieses Arbeitspapier in Ergänzung zum bereits entwickelten DICO-Standard „Interne Untersuchungen“ als praxisorientierte Richtschnur für ihr Prozessdesign zur Durchführung interner Untersuchungen verwenden. Durch diese Entwicklungen erfahren interne Untersuchungen eine weitere Ausprägung, die ihr Ansehen stärkt und ihren Ergebnissen nützt.

Sustainable Finance: Die nachhaltige Transformation der Finanzwirtschaft und des Kapitalmarkes

Sustainable Finance, Nachhaltigkeit, Klimarisiken – Begriffe, die zunehmend in den Wortschatz der Akteure in der Finanzwirtschaft und am Kapitalmarkt übergehen. Dennoch bleiben vor dem Hintergrund der nicht immer in Einklang miteinander verlaufenden nationalen wie europäischen Regulierungsvorhaben und Nachhaltigkeitsbestrebungen viele Fragen für die Umsetzung neuer Anforderungen offen. Auch deshalb ist Sustainable Finance ein Themenkomplex, der in Bezug auf die Regulierung einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und Konkretisierung ausgesetzt ist.

Bereits 2018 formulierte die Europäische Kommission mit ihrem „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ die drei Ziele: (1) Kapitalströme hin zu nachhaltigeren Investitionen lenken zu wollen, (2) Nachhaltigkeitsaspekte stärker im Risikomanagement zu verankern und (3) Transparenz und Langfristigkeit zu fördern. Seitdem sind diverse Legislativvorschläge veröffentlicht, Konsultationen durchgeführt und Änderungen diskutiert und manche sogar schon verabschiedet worden.

Im April 2021 stellte die Europäische Kommission ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket vor. Unter dem Titel „EU Sustainable Finance April package“ wurden regulatorische Vorschläge gebündelt, die drei Bereiche umfassen:

  1. die delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie (EU Taxonomy Climate Delegated Act),
  2. den Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Proposal for a Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – dazu Scheffler, AG 2021, R167) sowie
  3. sechs delegierte Änderungsakte zu den treuhänderischen Pflichten, zu Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Finanzprodukten sowie zur Anlage- und Versicherungsberatung.

Nur knapp zwei Wochen später veröffentlichte die Bundesregierung ihre Deutsche Sustainable Finance-Strategie. Die als „wegweisende Strategie für nachhaltige Finanzierung“ beschriebene Strategie geht auf die Empfehlungen des Sustainable Finance-Beirates zurück, der Ende Februar 2021 konkrete Vorschläge und Ideen an die Bundesregierung adressierte. Der Report des Beirates „Shifting the Trillions – Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ umfasste 31 Empfehlungen, die nun in die Sustainable Finance-Strategie der Bundesregierung eingeflossen sind.

Mit der Deutschen Sustainable Finance-Strategie nimmt die Bundesregierung die europäischen Bestrebungen auf und lenkt so ihren Fokus darauf, mit der Umsetzung der Strategie die notwendigen Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit mobilisieren zu können und Klimarisiken für das Finanzsystem zu adressieren. Als Rahmen für die Strategie wurden fünf Ziele definiert:

  1. Sustainable Finance weltweit und europäisch voranbringen;
  2. Chancen ergreifen, Transformation finanzieren, Nachhaltigkeitswirkung verankern;
  3. Risikomanagement der Finanzindustrie gezielt verbessern und Finanzmarktstabilität gewährleisten;
  4. Finanzstandort Deutschland stärken und Expertise ausbauen;
  5. Bund als Vorbild für Sustainable Finance im Finanzsystem etablieren.

Die in der Sustainable Finance-Strategie formulierten 26 Maßnahmen erstrecken sich beispielsweise auf die Umschichtung der Kapitalanlagen des Bundes hin zu nachhaltigeren Anlageformen, auf eine Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte oder auf umfassendere Berichtspflichten für Unternehmen. 25 der insgesamt 26 Maßnahmen sollen kurz- und mittelfristig umgesetzt werden. Der enge Zeitplan unterstreicht den Ehrgeiz der Bundesregierung, mit dieser Strategie ihren Beitrag für einen sozial-ökologischen Wirtschaftsumbau zu leisten. Denn die Europäische Kommission schätzt den notwendigen Investitionsbedarf allein in diesem Jahrzehnt in Europa auf rund 350 Mrd. € pro Jahr.

Die umfassende Auseinandersetzung der Autorin mit den Inhalten des „EU Sustainable Finance April package“ sowie der Deutschen Sustainable Finance-Strategie erfolgt in den kommenden AG-Heften.

Squeeze Out: BGH zur Relevanz des Barwerts der Ausgleichszahlung – ist damit alles geklärt?

Bei einem Squeeze Out sowie bei Vorliegen eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (kurz: „Unternehmensvertrag“) stellt sich die Frage der Relevanz der in der Regel festen Ausgleichszahlung (auch „Garantiedividende“) für die Bemessung der Barabfindung. Der BGH (v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359) hatte in der „Nestlé“-Entscheidung 2016 die Frage, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen (kurz: „BdA“) neben dem Börsenkurs als (weitere) Untergrenze zu berücksichtigen ist, explizit noch offengelassen. In der Folge hatte das OLG Düsseldorf (v. 15.11.2016 – 26 W 2/16, AG 2017, 672) unter Bezugnahme auf rechtliche Argumente die Auffassung bekräftigt, der BdA sei prinzipiell nicht zu berücksichtigen. Dagegen hatte das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 20.11.2019 (21 W 77/14, AG 2020, 298) ausgeführt, der BdA sei als Mindestwert zu berücksichtigen, und die Rechtsfrage dem BGH vorgelegt.

In seinem Beschluss vom 15.9.2020 (II ZB 6/20, AG 2020, 949 – „Wella III“) hält der BGH nunmehr zunächst allgemein fest, die angemessene Barabfindung könne nach dem BdA bestimmt werden, wenn dieser höher als der anteilige Unternehmenswert ist, der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war. Die Diskontierung der festen Ausgleichszahlungen sei eine Methode zur Errechnung des Barwerts des Fruchtziehungsrechts. Ob der BdA, der quotale Unternehmenswert nach dem Ertragswertverfahren oder eine Kombination aus beiden den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbilde, sei eine Frage des Einzelfalls.

Im Hinblick auf die Relevanz des BdA als Untergrenze argumentiert der BGH mit dem OLG Frankfurt über die Vermögensposition des außenstehenden Aktionärs. Infolge der Übertragung der Aktie verliere der Minderheitsaktionär seine Stellung als außenstehender Aktionär und damit den Anspruch auf die Garantiedividende. Für den Minderheitsaktionär bestimme sich der Wert der Unternehmensbeteiligung primär durch die Erträge, die er ohne Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär zukünftig erhalten hätte. Während der Laufzeit des Unternehmensvertrags seien das die Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG. Der Ausgleichsanspruch ersetze (allerdings) nur die Aussicht auf Dividende, nicht aber den Anteil an der Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch bestehe. Daher stelle der BdA regelmäßig nur den Mindestwert der Abfindung dar.

Im Ergebnis hat der BGH mit der „Wella III“-Entscheidung die vorgelegte Rechtsfrage nunmehr im Sinne einer notwendigen Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen entschieden. Allerdings ergeben sich für die Bewertungs- und Rechtspraxis weiterhin interessante Auslegungs- und Umsetzungsfragen, die in diesem Blog-Beitrag nur angerissen werden können. Für eine ausführlichere Diskussion der BGH-Entscheidung sowie für eine Diskussion weiterer Entscheidungen und Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2020 verweisen wir auf unseren Beitrag   „Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2020“ in AG 2021, 296.

In methodischer Hinsicht stellt sich zunächst die Frage, ob eine zeitlich erst nach dem Squeeze Out im Spruchverfahren zum Unternehmensvertrag rechtskräftig erhöhte Ausgleichszahlung (nachträglich) heranzuziehen ist. Darüber hinaus ist der für die Diskontierung der Ausgleichszahlungen (risiko-)adäquate Zinssatz zu ermitteln. Daneben eröffnen die Entscheidungen des BGH in Sachen „Nestlé“ und „Wella III“ Interpretationsspielräume, ob der Börsenkurs ggf. keine Untergrenze im Sinne des BGH darstellt.

Ob der BdA, der anteilige Ertragswert oder eine Kombination aus beiden den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, ist nach der Auffassung des BGHs eine Frage des Einzelfalls. Sofern aus der Sicht des Bewertungsstichtags (vereinfachend) von einer unendlichen Laufzeit des Unternehmensvertrags ausgegangen wird und der BdA (berechnet über die Formel der ewigen Rente) über dem anteiligen Ertragswert und dem Börsenkurs liegt, greift entsprechend dem BGH – im Sinne einer Meistbegünstigung – der BdA als Untergrenze der Abfindung. Wird dagegen eine begrenzte Laufzeit prognostiziert, dürfte der Kombinationswert greifen. Dabei wird für die prognostizierte Laufzeit des Unternehmensvertrags der Barwert der festen Ausgleichszahlungen angesetzt und der auf den Bewertungsstichtag bezogene Barwert des anteiligen Ertragswerts nach der erwarteten Beendigung des Unternehmensvertrages addiert. Der Prognose einer realistischen Laufzeit des Unternehmensvertrags unter Abstraktion von dem Squeeze Out kommt somit eine maßgebliche Bedeutung zu. Wirtschaftlich entscheidend sind dabei die planerischen Überlegungen der herrschenden Gesellschaft. Von gewichtiger Bedeutung ist daher der vom BGH bei den Ausführungen zum Verhältnis zwischen BdA und Börsenkurs gegebene Hinweis auf die wirtschaftliche Interessenlage der betroffenen Parteien. Dazu wird vom BGH darauf hingewiesen, dass ein Unternehmensvertrag, der erheblich über dem Ertragswert liegende Ausgleichszahlungen gewährt, nicht dauerhaft von Bestand sein werde. Dahinter steht die wirtschaftliche Überlegung, dass für ein vertraglich herrschendes Unternehmen in einem solchen Fall die festen Ausgleichszahlungen „teurer“ sind als der entsprechende Anspruch der außenstehenden Aktionäre an der beherrschten Gesellschaft ohne Unternehmensvertrag. Für das herrschende Unternehmen bzw. den Mehrheitsaktionär wäre in einem solchen Fall grundsätzlich die Beendigung des Unternehmensvertrags ökonomisch rational.

Aus einer entscheidungstheoretischen Sicht ist die somit vom BGH angeregte Vornahme von wirtschaftlichen Rationalitätsüberlegungen zu begrüßen. Genauso wie der Ertragswert über den Börsenkurs und/oder Multiplikatoren und der Börsenkurs über den Ertragswert zu plausibilisieren ist, besteht die Notwendigkeit den (rein technisch) ermittelten BdA ökonomisch zu plausibilisieren. Bei dieser Plausibilisierung ist der BdA dem quotalen Ertragswert gegenüberzustellen. Dabei sollten nicht nur die Plausibilität der unterstellten Laufzeit, sondern auch die weiteren im Rahmen der Ermittlung des BdA angesetzten Parameter (im Wesentlichen der Diskontierungszins) gewürdigt werden.

Liegt der BdA im konkreten Fall erheblich über dem anteiligen Ertragswert und wird von einer adäquaten Festlegung der weiteren Bewertungsparameter ausgegangen, dürfte dies entsprechend ein starkes Indiz für die sachgerechte Annahme einer begrenzten Laufzeit sein. Dies wäre grundsätzlich selbst dann der Fall, wenn noch keine konkretisierten Überlegungen des herrschenden Unternehmens bekannt oder dokumentiert sind. Vereinfachend könnte in diesen Fällen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände sowie rechtlichen Beendigungsmöglichkeiten bspw. eine frühestmögliche Beendigung des Unternehmensvertrags nach der Detailplanungsphase oder eine alternative typisierende Laufzeitannahme sachgerecht sein.

Bei Wella lag der vom OLG Frankfurt herangezogene BdA bei rund 94 € je Aktie und der anteilige Ertragswert bei rund 65 € je Aktie. Der BdA lag somit um rund 46 % über dem anteiligen Ertragswert. Ob demnach bereits eine „erhebliche“ Diskrepanz vorlag, die letztendlich aufgrund wirtschaftlicher Plausibilisierungsüberlegungen für die Prognose einer begrenzten Laufzeit des Unternehmensvertrags oder eine Diskussion der weiteren bei der Ermittlung des BdA angesetzten Bewertungsparameter sprechen könnte, wird vom BGH nicht weiter ausgeführt.

Hinweis: Für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung des BGH in Sachen „Wella III“ sowie  zu weiteren Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2020 verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2020, AG 2021, 296. Zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung verweisen wir umfassend auf Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.