Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die prozessuale Stellung eines einfachen Streithelfers.

Widerspruch zwischen dem Sachvertrag von Partei und Streithelfer
Urteil vom 26. April 2022 – VI ZR 1321/20

Mit den Konsequenzen von § 67 Satz 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger verlangt Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen eines Katzenbisses, in dessen Gefolge ein stationärer Krankenhausaufenthalt und sechs Operationen stattfanden. Die beklagte Halterin der Katze ist anwaltlich nicht vertreten. Ihre Haftpflichtversicherung hat vorprozessual 1.000 Euro gezahlt und danach ihre Einstandspflicht in Abrede gestellt. Sie ist dem Rechtsstreit als Streithelferin der Beklagten beigetreten und hat geltend gemacht, der Kläger sei Miteigentümer und Mithalter der Katze; unabhängig davon sei die Schilderung des Unfallhergangs unplausibel. Die Beklagte hat bei einer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht die Darstellung des Klägers bestätigt. Dennoch blieb die Klage in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hängt die Haftung der Beklagten als Halterin der Katze gemäß § 833 Satz 1 BGB nicht davon ab, dass der Kläger den genauen Hergang des Unfalls beweisen kann. Es genügt, wenn die Katze ihn gebissen hat und der geltend gemachte Schaden dadurch verursacht worden ist. Letzteres haben die Vorinstanzen zugunsten des Klägers unterstellt. Auf dieser Grundlage kann die Klage nicht abgewiesen werden. Besonderheiten des Unfallhergangs können allenfalls zu einer Haftungsminderung oder ausnahmsweise zu einem Haftungsausschluss führen; die Beweislast für die dafür relevanten Umstände liegt bei der Beklagten.

Unabhängig davon durften die Vorinstanzen den Vortrag des Klägers zum Unfallhergang nicht als streitig ansehen. Das Bestreiten seitens der Streithelferin ist gemäß § 67 Satz 1 ZPO unbeachtlich, weil es in Widerspruch zum Vortrag der von ihr unterstützten Beklagten steht. Für die Frage, ob ein Widerspruch in diesem Sinne vorliegt, ist auch im Anwaltsprozess unerheblich, ob die widersprechenden Angaben von der unterstützten Partei oder von ihrem Anwalt stammen. Ein Streithelfer darf nur dann abweichend von der unterstützten Partei vortragen, wenn er gemäß § 69 ZPO als Streitgenosse gilt. Diese Voraussetzungen liegen bei einem Haftpflichtversicherer nicht vor.

Praxistipp: Der Widerspruch der Versicherungsnehmerin gegen den Vortrag des Haftpflichtversicherers führt zu Beschränkungen der Interventionswirkung nach § 68 ZPO. Er kann darüber hinaus Auswirkungen auf die Deckungspflicht haben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Schadensberechnung nach einer Teilreparatur des beschädigten Unfallfahrzeugs.

Keine Umsatzsteuer bei Abrechnung auf Basis fiktiver Reparaturkosten
Urteil vom 5. April 2022 – VI ZR 7/21

Mit der Reichweite von § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Das Fahrzeug der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Beklagte hat als Haftpflichtversicherer für die Unfallfolgen einzustehen. Ein von der Klägerin beauftragter Sachverständiger bezifferte die Reparaturkosten auf rund 5.500 Euro netto. Die Beklagte erstattete diesen Betrag. Die Klägerin ließ für rund 4.400 Euro netto eine Teilreparatur durchführen. Sie begehrt Zahlung der darauf angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von rund 850 Euro. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der BGH lässt offen, ob die durchgeführte Reparatur notwendig war, um das Fahrzeug in einen verkehrs- und betriebssicheren Zustand zu versetzen. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, stünde der Klägerin gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB kein Anspruch auf Erstattung von Umsatzsteuer zu, weil sie ihren Schaden nicht anhand der tatsächlich angefallenen Kosten für die Teilreparatur berechnet hat, sondern anhand der fiktiven Kosten einer vollständigen Reparatur. Eine Kombination der beiden Berechnungsarten ist unzulässig. Dies gilt auch im Falle einer Teilreparatur.

Praxistipp: Übersteigen die Kosten der Teilreparatur einschließlich Umsatzsteuer die bereits erstatteten fiktiven Kosten einer vollständigen Reparatur, darf der Geschädigte nachträglich die Abrechnungsmethode wechseln.

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Diese Woche geht es um die Heilung eines Verfahrensmangels bei der Zustellung eines Urteils – und um eine auf den ersten Blick überraschende Konsequenz der Zustellung an das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).

Zustellung eines Urteils in nicht beglaubigter Abschrift
Urteil vom 11. April 2022 – V ZR 15/21

Mit den Voraussetzungen des § 189 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Herausgabe eines Autos. Die Beklagte erschien nicht zur mündlichen Verhandlung. Am Ende des Sitzungstages diktierte der Richter den Tenor des beantragten Versäumnisurteils in das Protokoll. Eine nicht beglaubigte Abschrift dieses Protokolls wurde nebst elektronischem Empfangsbekenntnis in das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt. Dieser sandte das Empfangsbekenntnis zurück und bestätigte darin den Erhalt des Protokolls am 11.5.2020. Am 9.6.2020 machte er geltend, das im Protokoll wiedergegebene Versäumnisurteil sei nicht wirksam zugestellt. Das LG stellte am Tag darauf eine beglaubigte Abschrift zu. Am 10.6.2020 später ging der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das LG verwarf diesen als unzulässig. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Die Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der Einspruch ist verspätet eingelegt worden, weil das Versäumnisurteil bereits am 11.5.2020 wirksam zugestellt wurde.

Die Zustellung war zwar fehlerhaft, weil das Gericht eine beglaubigte Abschrift des Urteils hätte übersenden müssen. Ein solcher Verfahrensmangel wird aber – ebenso wie bei Schriftsätzen der Gegenseite – auch bei einem Urteil gemäß § 189 ZPO geheilt, wenn das Dokument mit Zustellungswillen versandt wird und dem Empfänger tatsächlich zugeht und wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen.

Im Streitfall ergeben sich der Zustellungswille des Gerichts aus der Übersendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses und der Zugang beim Empfänger aus der Vervollständigung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses durch den Prozessbevollmächtigten. Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen jedenfalls deshalb nicht, weil das Dokument an das beA versandt worden ist, das gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO einen sicheren Übermittlungsweg darstellt.

Praxistipp: Der Streitfall zeigt, dass ein Urteil auch dann wirksam zugestellt ist, wenn das Dokument im Begleitschreiben nur als „Protokoll“ bezeichnet ist. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Zustellung eine Frist auslöst, ist deshalb stets der gesamte Inhalt des zugestellten Dokuments zu überprüfen.

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Diese Woche geht es um die formalen Anforderungen an eine Berufungsschrift und die Pflicht des Anwalts, deren Einhaltung zu überprüfen.

Angabe des Berufungsklägers in der Berufungsschrift
Beschluss vom 15. März 2022 – VI ZB 20/20

Mit einem nicht gerade alltäglichen Ablauf bei der Einlegung einer Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Klägerin macht Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus geltend. Die Beklagte zu 1 ist das Klinikum, der Beklagte zu 2 der behandelnde Arzt. Das LG verurteilte beide Beklagten antragsgemäß. Am letzten Tag der Berufungsfrist reichten die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beiden Beklagten beim OLG einen Schriftsatz ein, in dem sie „namens und in Vollmacht der Berufungsklägerin“ Berufung einlegten. Im Rubrum des Schriftsatzes ist auf Beklagtenseite nur die Beklagte zu 1 aufgeführt. Im weiteren Verlauf machten die Prozessbevollmächtigten geltend, die Berufungseinlegung beziehe sich selbstverständlich auf beide Beklagten. Das OLG lehnte die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung des Beklagten zu 2 als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist nur für die Beklagte zu 1 fristgerecht eingelegt worden. Aus dem Wortlaut der ursprünglich eingereichten Berufungsschrift geht nicht hervor, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt ist. Innerhalb der Berufungsfrist waren für das OLG auch keine sonstigen Umstände erkennbar, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass die Berufung auch für den Beklagten zu 2 eingelegt ist. Dass die beiden Beklagten in dem angefochtenen und der Berufungsschrift beigefügten Urteil als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, reicht nicht aus.

Das OLG hat auch die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Der mit der Sachbearbeitung betraute Rechtsanwalt musste die Angaben in der Berufungsschrift selbst überprüfen oder seinen Urlaubsvertreter, der den Schriftsatz unterschrieben hat, darüber informieren, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt werden soll. Beide Anwälte durften sich nicht auf die mündliche Mitteilung ihrer Büroangestellten verlassen, der Schriftsatz sei entsprechend den Vorgaben des Sachbearbeiters erstellt worden.

Praxistipp: Um Fehler dieser Art zu vermeiden, sollten sich Anwalt und Urlaubsvertreter über alle während der Vertretung anstehenden wichtigen Aufgaben unmittelbar austauschen.

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Diese Woche geht es um die Befugnis zur Geltendmachung von Abwehransprüchen gegen Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums in einer Wohnungseigentumsanlage

Geltendmachung von Abwehransprüchen bei Wohnungseigentum
Urteil vom 28. Januar 2022 – V ZR 106/21

Mit der Abgrenzung der Befugnisse einzelner Eigentümer und der Gemeinschaft sowie mit den Übergangsregeln für Altfälle befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung im Dachgeschoss des Hinterhauses einer Wohnungseigentumsanlage. Die Beklagte betreibt im Erdgeschoss des Vorderhauses als Mieterin einen Supermarkt. Im Jahr 2008 erlaubte die Wohnungseigentümergemeinschaft der Beklagten durch einstimmigen Beschluss, die Durchfahrt zum Hinterhaus täglich für einige Stunden zum Abstellen von Lieferfahrzeugen zu benutzen. Die Wohnung der Klägerin ist diesen Zeiträumen nur über einen Fußweg mit Treppenstufen zu erreichen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verbot der Beklagten antragsgemäß das Abstellen von Fahrzeugen in der Durchfahrt.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, weil sie ihre Klage vor Inkrafttreten von § 9a WEG (d.h. vor dem 01.12.2020) erhoben und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer der weiteren Geltendmachung des Anspruchs nicht widersprochen hat.

Nach § 9a Abs. 2 WEG ist die Klägerin nur dann zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen befugt, wenn das beanstandete Verhalten zumindest auch ihr Sondereigentum beeinträchtigt. Diese Voraussetzung wäre im Streitfall nur dann erfüllt, wenn die Wohnung der Klägerin in den betroffenen Zeiträumen nicht mehr zugänglich wäre. Im Streitfall bleibt der Zugang über den Fußweg möglich. Dass dieser nicht barrierefrei ist, führt jedenfalls deshalb nicht zu einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung des Sondereigentums, weil die Wohnung ohnehin nur über das Treppenhaus erreichbar ist.

Nach altem Recht konnte ein einzelner Eigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum geltend machen, solange die Gemeinschaft diese Befugnis nicht durch Beschluss an sich gezogen hat.

Diese Befugnis des einzelnen Eigentümers bleibt nach den vom BGH entwickelten Übergangsregeln bei Klagen, die vor dem 01.12.2020 erhoben sind, grundsätzlich bestehen. Sie fällt aber weg, wenn die Gemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, der weiteren Geltendmachung im Hinblick auf die eingetretene Rechtsänderung widerspricht. Ob ein solcher Widerspruch auf einem wirksamen Beschluss beruht, ist unerheblich. Im Streitfall hat die Verwalterin lediglich auf den Beschluss aus dem Jahr 2008 verwiesen. Darin liegt kein auf das neue Recht gestützter Widerspruch.

Mit dem Beschluss aus dem Jahr 2008 hat die Gemeinschaft die Geltendmachung der Ansprüche schon auf der Grundlage des alten Rechts an sich gezogen. Dieser Beschluss steht der Klage – anders als ein auf das neue Recht gestützter Widerspruch – aber nur dann entgegen, wenn er wirksam ist. Hieran fehlt es im Streitfall, weil die Durchfahrt zugleich als Feuerwehrzufahrt dient und deshalb nach den einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung ständig freigehalten werden muss. Ein Eigentümerbeschluss, der gegen diese Vorschriften verstößt, ist nichtig, weil die verletzte Norm der Gefahrenabwehr und dem Brandschutz dient und ein Verstoß zugleich den Versicherungsschutz im Brandfall gefährden kann.

Wegen der Nichtigkeit des im Jahr 2008 gefassten Beschlusses ist die Klage nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Ohne Zustimmung der Eigentümer darf die Beklagte die Durchfahrt nicht zum Abstellen von Fahrzeugen nutzen.

Praxistipp: Auf der Grundlage des neuen Rechts ist ein einzelner Eigentümer in solchen Fällen auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Gemeinschaft beschränkt. Lehnt diese ein Vorgehen gegen den Dritten rechtswidrig ab, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.

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Diese Woche geht es um die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Signatur eines fristgebundenen Schriftsatzes

Überprüfung eines zu signierenden Schriftsatzes
Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21

Mit den Anforderungen an die Überprüfung eines Dokuments vor dessen elektronischer Signatur befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte gegen ein Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Begründungsfrist ging ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandtes und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument seines Prozessbevollmächtigten ein, das mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das OLG hat die Versäumung der Begründungsfrist zu Recht als schuldhaft angesehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte den Schriftsatz vor der Signatur auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen müssen. Er durfte diese Aufgabe nicht an sein Büropersonal delegieren. Eine Überprüfung war auch deshalb nicht entbehrlich, weil ihm das vollständige Dokument kurz zuvor bereits vorgelegt worden war und er dieses nur zur Korrektur eines Tippfehlers auf der ersten Seite zurückgegeben hatte. Vielmehr musste er auch das korrigierte Dokument darauf überprüfen, ob es den richtigen Inhalt hat und alle Seiten umfasst.

Praxistipp: Der im Streitfall aufgetretene Fehler ist besonders tückisch, weil er bei der Unterschrift eines Papierdokuments wohl ohne weiteres auffallen würde. Um ihn zu vermeiden, sollte ein Signaturprogramm eingesetzt werden, das ein vollständiges Durchblättern des Dokuments ermöglicht.

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Diese Woche geht es um die prozessualen Konsequenzen einer erfolglosen Aufrechnung mit einer Fremdwährungsschuld

Konkludente Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts
Urteil vom 26. Januar 2022 – XII ZR 79/20

Mit den Anforderungen an die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Der Kläger hatte an den Beklagten eine Gaststätte vermietet. Ein Jahr nach Vertragsbeginn stellte der Beklagte die Mietzahlungen ein. Der Kläger kündigte den Vertrag fristlos. Der Kläger klagte auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von rund 114.000 Euro. Der Beklagte erklärte die Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus einer behaupteten Sicherheitsleistung in Höhe von sieben Milliarden iranischen Rial (umgerechnet 190.000 Euro) und verlangte widerklagend rund 76.000 Euro. Das LG wies die Klage im Wesentlichen ab und gab der Widerklage im Wesentlichen statt. Das OLG verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Klagesumme und den Kläger auf einen entsprechenden Hilfsantrag des Beklagten zur Zahlung von sieben Milliarden iranischen Rial.

Der BGH schränkt die Verurteilung des Beklagten dahin ein, dass er die Klagesumme nur Zug um Zug gegen Zahlung des mit der Widerklage geltend gemachten Betrags erbringen muss.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die vom Beklagten erklärte Aufrechnung unwirksam ist. Der Anspruch auf Rückzahlung der Sicherheitsleistung besteht zwar. Er ist aber auf Zahlung in iranischen Rial gerichtet. Deshalb fehlt es an der Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich indes schon aus den vom Beklagten gestellten Anträgen, dass er aufgrund seines Gegenanspruchs hilfsweise auch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend machen will. Einer ausdrücklichen Erklärung dieses Inhalts bedarf es in dieser Situation nicht.

Praxistipp: Sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, kann eine Fremdwährungsschuld gemäß § 244 Abs. 1 BGB durch Zahlung in Euro erfüllt werden. Dann der Schuldner der Fremdwährungsschuld (hier: der Kläger) auch gegen eine Euro-Forderung aufrechnen, nicht aber der Gläubiger.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch des Veranstalters auf Entschädigung nach Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn

Darlegungs- und Beweislast des Reiseveranstalters für Angemessenheit der Entschädigung
Urteile vom 18. Januar 2022 – X ZR 88/20, X ZR 109/20, X ZR 125/20

Mit den Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 651j BGB aF bzw. § 651h BGB nF sowie diesbezüglichen Auskunftsansprüchen des Reisenden befasst sich der X. Zivilsenat.

In den zugrunde liegenden Fällen waren Reisende von einem Pauschalreisevertrag vor Antritt der Reise zurückgetreten. Der Reiseveranstalter erstattete nur einen geringen Teil des bereits gezahlten Reisepreises und behielt den Rest als pauschale Entschädigung ein. Die Reisenden erhielten insoweit Leistungen aus einer Reiserücktrittskostenversicherung. Der Versicherer bzw. ein von diesem beauftragtes Inkassounternehmen nahmen den Reiseveranstalter auf Zahlung des einbehaltenen Betrags in Anspruch. In zwei der Fälle begehrten sie im Wege der Stufenklage vorab Auskunft und Rechnungslegung über die Höhe der ersparten Aufwendungen und der durch anderweite Verwendung der Reiseleistungen erzielten Erlöse sowie Vorlage der Verträge mit Leistungsträgern.

Die erstinstanzlichen Gerichte wiesen die Klage mangels Aktivlegitimation ab. Die zweitinstanzlichen Gerichte kamen zu drei unterschiedlichen Ergebnissen.

Der BGH weist die Klagen auf Auskunft, Rechnungslegung und Vorlage von Verträgen ab; in diesen Fällen muss das LG nunmehr über die Höhe des Zahlungsanspruchs entscheiden. Im dritten Fall bestätigt der BGH die zweitinstanzliche Verurteilung zur Zahlung des einbehaltenen Betrags.

Hinsichtlich der Frage der Aktivlegitimation schließt sich der X. Zivilsenat einer vor kurzem ergangenen Entscheidung des für Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats an, der einen gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 VVG bejaht hat.

Hinsichtlich der reiserechtlichen Fragen knüpft der BGH an seine Rechtsprechung an, wonach der Reiseveranstalter die Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der geforderten Entschädigung trägt. Bei individueller Berechnung muss der Veranstalter darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Aufwendungen er erspart hat und welche Reiseleistungen er anderweit verwenden konnte. Bei Pauschalierung in AGB muss er darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Möglichkeiten zur Ersparnis von Aufwendungen oder zur anderweiten Verwendung von Leistungen gewöhnlicherweise bestehen. Soweit sein Vortrag diesen Anforderungen nicht genügt, ist der Veranstalter zur Rückzahlung der einbehaltenen Entschädigung verpflichtet.

Vor diesem Hintergrund verneint der BGH einen einklagbaren Anspruch des Reisenden auf Auskunft und Rechnungslegung. Nach dem bis 30.6.2018 geltenden Recht kann sich ein solcher Anspruch nur aus § 242 BGB ergeben. Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil der Reisende die in Rede stehenden Informationen nicht benötigt, um seinen Erstattungsanspruch zu berechnen oder durchzusetzen. Nach der seit 1.7.2018 geltenden Regelung in § 651h Abs. 2 Satz 3 BGB ist der Reiseveranstalter zwar auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen. Auch diese Regelung betrifft aber nur die Darlegungs- und Beweislast und schafft keinen einklagbaren Auskunftsanspruch.

Praxistipp: Um mögliche Kostennachteile zu vermeiden, sollte der Reisende den Veranstalter schon vor Klageerhebung auffordern, die Höhe der Entschädigung zu begründen.

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Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Überprüfungspflicht des Anwalts nach mehrfachen Fehlern einer Kanzleiangestellten
Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21

Mit den Folgen von mehreren zutage getretenen Fehlern einer Kanzleiangestellten bei der Eintragung von Fristen befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die Klägerin wendet sich gegen die Neuberechnung ihrer Startgutschrift in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. In mehreren Parallelverfahren hatten andere Versicherte entsprechende Ansprüche geltend gemacht. Einige davon hatten denselben Prozessbevollmächtigten wie die Klägerin.

Das LG wies die Klage ab. Hiergegen legte die Klägerin rechtzeitig Berufung ein, die innerhalb der Frist aber nicht begründet wurde. Die Klägerin begehrte Wiedereinsetzung, weil die mit der Fristenkontrolle betraute Kanzleiangestellte ihres Prozessbevollmächtigten die Frist trotz entsprechender Verfahrensanweisung nicht in den elektronischen Kalender eingetragen habe. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt erfolglos.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war zu einer persönlichen Überprüfung des Fristenkalenders verpflichtet. Die in Rede stehende Kanzleiangestellte hatte in vier Parallelverfahren die Begründungsfrist ebenfalls nicht in den Kalender eingetragen. Der Prozessbevollmächtigte hatte hiervon rund drei Wochen vor dem Ende der im Streitfall laufenden Frist Kenntnis erlangt. Von diesem Zeitpunkt an war der Prozessbevollmächtigte verpflichtet, die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in allen in Betracht kommenden Parallelverfahren zu überprüfen. Er durfte von einer vollständigen Überprüfung nicht deshalb absehen, weil in den zwei Wochen nach Bekanntwerden der vier Fehler keine weiteren Fehler zutage getreten waren.

Praxistipp: Nach Bekanntwerden eines Fehlers reicht die abstrakte Weisung, alles Erforderliche zu dessen Korrektur zu veranlassen, nicht aus. Erforderlich sind eine konkrete Benennung der zu ergreifenden Maßnahmen und die Überprüfung, ob diese ausgeführt worden sind.

Ergänzung des Vorbringens zu einem bereits aus dem Wiedereinsetzungsgesuch ersichtlichen Fehler einer Kanzleiangestellten
Beschluss vom 16. Dezember 2021 – V ZB 34/21

Mit der Abgrenzung zwischen einem unzulässigen Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen und der zulässigen Ergänzung rechtzeitigen Vorbringens befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger haben gegen ein ihnen ungünstiges Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt, diese aber nicht rechtzeitig begründet. Mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand machten sie geltend, die mit dem Versand betraute Kanzleiangestellte ihres Prozessbevollmächtigten habe die Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist vorab per Telefax versandt und entsprechend der Dienstanweisung auf Seitenzahl, Faxnummer des Empfangsgerichts und OK-Vermerk geprüft. Für den fehlenden rechtzeitigen Zugang müsse ein technischer Fehler des Empfangsgeräts ursächlich sein.

Das OLG wies darauf hin, aus dem vorgelegten Sendeprotokoll ergebe sich, dass die verwendete Telefax-Nummer hinsichtlich einer Ziffer von der Nummer des OLG abweiche, was darauf schließen lasse, dass die Angestellte keinen Abgleich mit einer zuverlässigen Quelle vorgenommen habe. Die Klägerin trug hierauf ergänzend vor, es bestehe die Anweisung, die verwendete Telefaxnummer vor dem Versand mit einem Originalschreiben des Empfängers oder einer anderen sicheren Quelle abzugleichen; der Fehler in der verwendeten Telefaxnummer beruhe auf einem Versehen der Angestellten im Einzelfall. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH gewährt den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das OLG durfte das ergänzende Vorbringen nach dem gerichtlichen Hinweis nicht unberücksichtigt lassen. Dass eine unzutreffende Faxnummer verwendet wurde, ergab sich – wie das OLG in seinem Hinweis mitgeteilt hat – schon aus dem Sendebericht, der fristgerecht mit dem Wiedereinsetzungsgesuch vorgelegt wurde. Aus diesem Gesuch ergab sich auch, dass der Prozessbevollmächtigte Anweisungen zur Überprüfung der Telefaxnummer erteilt hatte. Bei dieser Ausgangslage sind seine Angaben zum konkreten Inhalt dieser Anweisungen trotz Ablaufs der Wiedereinsetzungsfrist noch zulässig, weil sie der Ergänzung von fristgerechtem Vorbringen dienen, das erkennbar ergänzungsbedürftig und ergänzungsfähig ist.

Praxistipp: Als zuverlässige Quelle für den Abgleich der Telefaxnummer kommt auch ein aktuelles Verzeichnis in Betracht, nicht aber ein beliebiges, nicht vom Adressaten stammendes Schreiben in der Handakte. Ein Abgleich vor dem Versand genügt. Ein erneuter Abgleich nach dem Versand ist grundsätzlich nicht erforderlich.

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Diese Woche geht es um die Rechtsscheinhaftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Verwendung des Zusatzes „UG (haftungsbeschränkt)“

Vertreterhaftung bei Vertragsschluss ohne haftungsbeschränkenden Zusatz
Urteil vom 13. Januar 2022 – III ZR 210/20

Mit den Konsequenzen eines Verstoßes gegen § 5a Abs. 1 GmbHG befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger zeichnete im Jahr 2013 auf Empfehlung des als Prokurist einer Unternehmergesellschaft (UG) tätigen Beklagten eine Kapitalanlage. Bei der Liquidation des Fonds im Jahr 2017 verlor der Kläger das zu diesem Zeitpunkt eingelegte Kapital in Höhe von 41.000 Euro. Ferner musste er eine weitere Einlage in Höhe von 9.500 Euro erbringen. Diese Beträge verlangt er vom Beklagten wegen fehlerhafter Beratung ersetzt. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haftet der Beklagte für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch persönlich. Er hat den Anlageberatungsvertrag mit dem Kläger zwar im Namen der UG geschlossen. Weil er bei der Korrespondenz nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Haftungszusatz „UG (haftungsbeschränkt)“ verwendet hat, haftet er gemäß § 311 Abs. 2 und 3 sowie entsprechend § 179 BGB aber persönlich. Er hat durch dieses Verhalten den Eindruck erweckt, für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte mindestens eine natürliche Person.

Praxistipp: Die Haftung trifft jeden Vertreter, der einen Vertrag im Namen der Gesellschaft schließt, ohne den vorgeschriebenen Zusatz zu verwenden, nicht aber weitere, nicht am Vertragsschluss beteiligte Repräsentanten der Gesellschaft (BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593). Die volle persönliche Haftung tritt auch dann ein, wenn eine UG den Zusatz „GmbH“ verwendet (BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, MDR 2012, 1178).