Blog powered by Zöller: Wiedereinsetzung trotz Falschadressierung

Es sollte nicht passieren, geschieht aber immer wieder: Der Rechtsanwalt sendet eine Berufungsschrift über sein beA ans falsche Gericht, und zwar so spät, dass der Fehler nicht mehr korrigiert werden kann. Die Verwerfung der Berufung ist unumgänglich, eine Wiedereinsetzung erscheint wegen eindeutigen Anwaltsverschuldens ausgeschlossen. Doch es gibt eine Rettungschance, auf die der BGH im Beschluss v. 10.10.2023 – VIII ZB 60/22 hingewiesen hat (obwohl sie im dortigen Verfahren nicht genutzt wurde).

Denn nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhält der Absender eines elektronischen Schriftsatzes eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs. Wie der BGH bereits wiederholt entschieden hat, muss der Erhalt dieser Bestätigung überprüft und dabei auch kontrolliert werden, ob der richtige Schriftsatz übermittelt wurde und ob er beim richtigen Gericht eingegangen ist (näher dazu Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130a ZPO Rn. 24 und § 233 ZPO Rn. 23.15). Der Rechtsanwalt darf diese Prüfung seinem Personal überlassen, sofern er es entsprechend eingewiesen und überwacht hat. Hat er dies aber getan und wurde der Fehler trotzdem nicht erkannt, liegt ein Mitarbeiterverschulden vor, welches der Prozesspartei nicht zugerechnet werden kann und zugleich die Kausalität des ursprünglichen Anwaltsfehlers beseitigt. Wiedereinsetzung ist also möglich.

Es ist daher dringend angeraten, die Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO entsprechend geschultem Personal zu übertragen und mit dem Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen, dass dies geschehen ist.

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Hinweis: Die Entscheidung vom 10.10.2023 ist während der Drucklegung des neuen Zöller ergangen, wird aber schon jetzt – wie alle künftigen Entscheidungen von größerer Praxisbedeutung – in der Online-Version des Kommentars nachgewiesen.

Blog powered by Zöller: Die Last-Minute-Änderungen beim VDuG – oder: Wer Gutes will und Böses schafft?

Das VRUG wurde im Oktober verkündet (BGBl. 2023 I Nr. 272). Das darin enthaltene VDuG, mit dem erstmals auf Zahlung lautende (Abhilfe-)Klagen von Verbraucherschutzverbänden gegen Unternehmer eingeführt wurden, trat ohne weitere Vorbereitungszeit (am 13.10.2023) in Kraft. Das Gesetzgebungsverfahren war geprägt von Phasen ohne erkennbare Diskussionen – so zwischen dem im September 2022 bekannt gewordenen Referentenentwurf und dem sehr ähnlichen Regierungsentwurf vom 24.4.2023 (BT-Drucks. 20/6520) und den rasanten Änderungen im Rechtsausschuss des Bundestags am 5.7.2023 (BT-Drucks. 20/7631) mit der umgehenden Verabschiedung des Gesetzes am 7.7.2023 (BR-Drucks. 413/23). Eine erste Befassung mit dem fertigen Produkt zeigt, dass ein systematischer Abgleich mancher Last-Minute-Änderung mit dem Konzept des VDuG versäumt wurde. Dies soll anhand von einigen Beispielen aufgezeigt werden:

An- und Abmeldungen zum Klageregister können bis 3 Wochen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, in der der Verkündungstermin für das Urteil (§ 13 Abs. 4 VDuG) anberaumt wurde, erfolgen (§ 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG; dazu der neue Zöller/G. Vollkommer, § 46 VDuG Rn. 13). Die Länge des Zeitfensters für Anmeldungen war einer der großen politischen Streitpunkte. Der Rechtsausschuss öffnete dieses Fenster jetzt sehr weit. Was nicht gesehen wurde: Damit wird gleichzeitig der zeitliche Anwendungsbereich für den gerichtlich genehmigten Vergleich nach § 9 Abs. 1 Satz 1 VDuG empfindlich verengt, da ein solcher Vergleich erst nach Ablauf der Anmeldefrist geschlossen werden kann (§ 9 Abs. 1 Satz 2 VDuG). Ein Vergleich in einer frühen Phase des Verbandsprozesses, insbesondere zur Vermeidung einer kostspielen Beweisaufnahme, scheint damit ausgeschlossen zu sein. Die Auslegung kann hier Auswege aufzeigen (dazu näher Zöller/G. Vollkommer, § 9 VDuG Rn. 6), befriedigend ist dies jedoch nicht.

Warum die lange Anmeldefrist des § 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG auch an einem Sonn- und Feiertag endet (Zöller/G. Vollkommer, § 46 VDuG Rn. 13), wird nicht erklärt; die dies anordnende Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 2 VDuG lässt sich wohl nur mit der kurzen alten Anmeldefrist bei der ZPO-Musterfeststellungsklage vor dem ersten Termin (und so auch noch der Referentenentwurf) und einem dazu ergangenen (ungewollten) BGH-Beschluss erklären (BGH v. 31.3.2021 – IV AR(VZ) 6/20, MDR 2021, 701). Die rechtlichen Berater müssen diese fortgeschriebene Ausnahmeregelung jedoch künftig beachten.

Solange sich ein Verbraucher noch nicht nach § 46 VDuG angemeldet hat, kann er parallel zur Abhilfeklage selbst klagen. Erst wenn sich das Anmeldefenster schließt, muss er sich entscheiden, ob er die „Flucht in die Abhilfeklage“ antreten will. Denn im Falle der Anmeldung wird der Individualprozess (in den Tatsacheninstanzen, siehe Zöller/G. Vollkommer, § 11 VDuG Rn. 7) in den Fällen des § 11 Abs. 1 VDuG ausgesetzt; Klagen, die erst nach Bekanntmachung der Abhilfeklage erhoben wurden, werden (egal in welchem Rechtszug sie sich befinden) unzulässig (§ 11 Abs. 2 VDuG; Zöller/G. Vollkommer, § 11 VDuG Rn. 4). Diese Regelung des § 11 VDuG wurde von der Musterfeststellungsklage (§ 610 Abs. 3 ZPO aF, § 613 Abs. 2 ZPO aF) übernommen. Unter der Geltung der ZPO war ein Beitritt zur Verbandsklage zeitlich aber nur bis zum Beginn des Verbandsprozesses möglich (siehe oben) – jetzt ist dies genau umgekehrt: Die individuelle Klage kann ohne Anmeldedruck so lange verfolgt und betrieben werden, bis auch die VDuG-Klage irgendwann einmal entscheidungsreif ist. Die beschlossene lange Anmeldefrist führt mittelbar nicht unbedingt zu einer Entlastung der Gerichte (so die Hoffnung wegen der Verjährungshemmung), sondern könnte im Gegenteil zu einem mehrgleisigen Vorgehen (unter Einschaltung von Legal-Tech-Anbietern) anspornen – individuelle und kollektive Arten der Rechtsverfolgung stehen plötzlich weitgehend ungeregelt neben der Verbandsklage.

Eine Prozessfinanzierung wird in § 4 Abs. 2 VDuG unter engen Voraussetzungen erlaubt. Einem Dritten darf (nach der Beschlussfassung des Rechtsausschusses) auch ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von nicht mehr als 10 % versprochen werden. Es ist aber unklar, woher dieser Anteil bei einer Abhilfeklage für unbekannte Verbraucher (Abhilfe-Gruppenklage, siehe Zöller/G. Vollkommer, § 1 VDuG Rn. 16) kommen soll (Zöller/G. Vollkommer, § 4 VDuG Rn. 5, 6). Der kollektive Gesamtbetrag (§ 18 Abs. 2 VDuG) steht ausschließlich den angemeldeten Verbrauchern zu (BT-Drucks. 20/6520, 86 und BT-Drucks. 20/7631, 110); diese müssten sich also nachträglich bereit erklären, auf einen Teil ihres Anspruchs zugunsten des Prozessfinanzierers zu verzichten. So viel Edelmut ist kaum zu erwarten.

Große Probleme dürfte schließlich auch noch die mit dem VRUG erlassene hoch komplexe verjährungsrechtliche Übergangsregelung des Art. 229 § 65 EGBGB aufwerfen, die zusätzlich auch noch die nicht fristgerechte Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie zum 25.6.2023 regeln muss.

Ein Baumarkt wirbt mit dem Slogan „Es gibt immer was zu tun.“ – Dies gilt inzwischen immer mehr auch für neue Gesetze.

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Taufrisch ist das VDuG vollumfänglich in der Online-Version des Zöller kommentiert, die nicht nur reinen Datenbanknutzern, sondern auch allen Print-Käufern zur Verfügung steht (Zugangsdaten befinden sich im Print-Werk selbst). Schauen Sie doch mal rein!

Anwaltsblog: beA – Rechtsmittel unwirksam wegen falschen Dateiformats

Welche Rechtsfolgen die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift im falschen Dateiformat hat, musste das Bundesverwaltungsgericht klären:
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 30. Juni 2022 zugestellten Beschluss am 1. Juli 2022 beim Sächsischen OVG Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat „docx“ über das besondere Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am 4. Juli 2022 beim OVG eingegangen. Das OVG hat die Beschwerde am 13. Juli 2022 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 28. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt worden sei, das Dokument aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gelte, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht reagiert.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen nicht formgerecht eingereicht worden ist. Bis Fristablauf ist die Beschwerde weder beim OVG, dessen Entscheidung angefochten wird, noch beim BverwG als zuständigem Beschwerdegericht formgerecht eingereicht worden. Die postalische Einlegung der Beschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2022 ist unwirksam. Denn nach dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. Auch die elektronische Einreichung der Beschwerdeschrift beim OVH durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Juli 2022 entspricht nicht den Formvorgaben. Zwar war die Beschwerdeschrift mit dem maschinenschriftlichen Namenszug (einfach) signiert und wurde vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach (§ 31a BRAO) und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO an die elektronische Poststelle des Gerichts gesandt. Jedoch ist der elektronisch übermittelte Beschwerdeschriftsatz nicht zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet, weil er im falschen Dateiformat eingereicht wurde. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung) ist das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Grund hierfür ist, dass sich dieses Dateiformat im Rahmen des elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs zum Standardformat entwickelt hat und für die Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr besonders geeignet ist. Die Festlegung eines einheitlichen Dateiformates ermöglicht die reibungslose Weiterverarbeitung und elektronische Aktenführung durch die Gerichte, Behörden und anderen Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments im Dateiformat PDG zwingend.
Der Formmangel ist auch nicht geheilt worden. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen (§ 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Trotz Hinweises ist das nicht geschehen.
(Beschluss des Fachsenats vom 4. Oktober 2022 – BVerwG 20 F 15.22)

Fazit: Auch die anderen Verfahrensordnungen kennen eine entsprechende Heilungsmöglichkeit. Voraussetzung ist jeweils, dass der Absender das elektronische Dokument „unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.“ (vgl. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO).

OLG Dresden: Beschwerde gegen eine Wertfestsetzung

Das OLG Dresden, Beschl. v. 7.8.2023 – 4 W 417/23 hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem es um die Zulässigkeit diverser Äußerungen ging und der bereits beim AG angefangen hatte. In der Berufungsinstanz hatte das LG die Berufung verworfen und eine Wertfestsetzung für die zweite Instanz vorgenommen (§§ 62, 63 GKG). Gegen den entsprechenden Beschluss legte der Beklagte selbst Beschwerde ein. Das LG half der Beschwerde nicht ab, sondern legte sie dem OLG vor (§ 66 Abs. 3 GKG).

Die Frage war, ob die Beschwerde hier überhaupt zulässig war. Oftmals gilt der Grundsatz, dass der Rechtszug in Nebenverfahren nicht weiter gehen kann als in der Hauptsache. Aber vorliegend gilt eine wichtige Ausnahme, woran das OLG Dresden erinnert hat: Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 2 GKG findet in einem solchen Fall tatsächlich die Beschwerde zum OLG statt, obwohl dieses in der Hauptsache gar nicht mit dem Fall befasst werden kann. Denkbar wäre in der Hauptsache vorliegend nämlich nur noch eine Entscheidung des BGH gewesen (§ 133 GVG), denn wenn eine Berufung verworfen wird, ist gegen den entsprechenden Beschluss stets die Rechtsbeschwerde gegeben (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 ff. ZPO). Diese Rechtsbeschwerde wurde allerdings vom Beklagten nicht eingelegt.

Gemäß § 66 Abs. 5 Satz 1 GKG; und §§ 129a Abs. 1, 78 Abs. 3 ZPO besteht für die Streitwertbeschwerde vom LG zum OLG sogar kein Anwaltszwang! Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang noch daran, dass gemäß § 66 Abs. 8 GKG die Verfahren gerichtsgebührenfrei sind, allerdings auch keine Kosten erstattet werden.

Der Beklagte hatte im konkreten Fall zudem eine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegt. Diese Beschwerde wurde allerdings verworfen, da sie gemäß § 99 Abs. 1 ZPO unzulässig ist.

Es kann daher als vielleicht überraschendes Ergebnis festgehalten werden: Gegen einen Streitwertbeschluss des LG in der Berufungsinstanz ist die Streitwertbeschwerde zum OLG zulässig. Für diese Beschwerde besteht kein Anwaltszwang.

Anwaltsblog: Wann muss ein Rechtsanwalt überprüfen, ob eine Mitarbeiterin einen fristgebundenen Schriftsatz beim richtigen Gericht eingereicht hat?

 

Wann sich ein Rechtsanwalt für die Versendung einer Berufungsbegründung nach Entdeckung einer falschen beA-Adresse mit einer Einzelanweisung an die mit der Versendung befasste Mitarbeiterin begnügen darf und wann er deren Ausführung persönlich überprüfen muss, hatte der III. Zivilsenat zu entscheiden:

 

Nachdem ihre Berufungsbegründung verspätet eingegangen war, hat die Klägerin Wiedereinsetzung beantragt. Ihr Rechtsanwalt habe die seit Januar 2017 in seiner Kanzlei tätige, stets sorgfältig, zuverlässig und beanstandungsfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte D. am letzten Tag der Frist mit der Einreichung des an das „Hanseatische Oberlandesgericht, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg“ adressierten Berufungsbegründung beauftragt. Da aber im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer dieses nicht als „Hanseatisches Oberlandesgericht“, sondern als „Oberlandesgericht Hamburg“, und mit dem Zusatz „Hanseatisches“ nur das „Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen“ aufgeführt sei, habe Frau D. irrtümlich letzteres als Empfänger ausgewählt. Nachdem dem Rechtsanwalt dies bei der Vornahme der qualifizierten elektronischen Signatur aufgefallen sei, habe er sie angewiesen, „noch einmal den Adressaten der Nachricht zu prüfen und zu korrigieren“. Da Frau D. im beA-Verzeichnis aber wiederum nur das „Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen“ gefunden und deshalb angenommen habe, dass Bremen und Hamburg ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden, habe sie die Berufungsbegründung schließlich (doch) an diesen Empfänger versandt. Die Klägerin meint, der Rechtsanwalt habe auch ohne Kontrolle darauf vertrauen dürfen, dass Frau D. die ihr erteilte konkrete Einzelweisung befolgen oder sich bei auftretenden Zweifeln zur Rücksprache an ihn wenden würde.

Das Wiedereinsetzungsgesuch wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil die Klägerin ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht dargelegt hat. Aus ihrem Wiedereinsetzungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Fristversäumung durch die möglicherweise irreführende Benennung des Berufungsgerichts im Empfängerverzeichnis des beA entscheidend verursacht wurde. Denn nicht diese Gerichtsbezeichnung, sondern vielmehr das (Fehl-)Verhalten der Mitarbeiterin hat den maßgeblichen Kausalbeitrag für die Übermittlung der richtig adressierten Berufungsbegründung an das unzuständige OLG in Bremen am Tag des Fristablaufs geleistet. Nach den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen hatte der Rechtsanwalt Frau D. nämlich auf das von ihr aus dem beA-Verzeichnis zunächst ausgewählte OLG in Bremen angesprochen und sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eigentlich das „Berufungsgericht in Hamburg“ zuständig sei. Trotz dieses Hinweises wiederholte Frau D. nachfolgend ihren Fehler. Stattdessen hätte sie, da sie nach eigenen Angaben auch bei der nochmaligen Suche im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer kein anderes Hanseatisches Oberlandesgericht als das in Bremen gefunden hatte, die Arbeitsanweisung befolgen müssen, sich bei Unklarheiten bei der Ermittlung des richtigen beA-Empfänger-Postfachs an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu wenden. Insbesondere hätte sie ohne vorherige Rückfrage nicht einfach davon ausgehen dürfen, dass Hamburg und Bremen ein gemeinsames OLG mit Sitz in Bremen unterhalten würden.

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trifft daran, dass die Berufungsbegründung trotz seines Hinweises nicht rechtzeitig vor Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht in Hamburg übermittelt wurde, ein eigenes, seiner Partei zurechenbares Überwachungsverschulden. Zwar ist ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts an der Fristversäumung nicht gegeben, wenn dieser einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Denn ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolgt, und ist unter diesen Umständen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Allerdings hat die Klägerin nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine Mitarbeiterin konkret und bestimmt angewiesen hätte, den Berufungsbegründungsschriftsatz nur an dasjenige OLG, das in Hamburg unter der im Schriftsatz angegebenen Adresse ansässig ist, zu versenden.

(BGH, Beschluss vom 31. August 2023 – III ZB 72/22)

 

Fazit: Fällt einem Rechtsanwalt auf, dass eine Mitarbeiterin trotz richtiger Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf eines fristgebundenen Schriftsatzes fehlerhaft ein anderes Gericht als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hat, kann er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr „in einem zweiten Anlauf“ eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen. Er muss daher die Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen.

Anwaltsblog: Nachträgliche Unzulässigkeit einer Berufung

Mit den Anforderungen an die Zulässigkeit einer bereits fristgemäß begründeten Berufung hatte sich der XI. Zivilsenat des BGH zu befassen:
Der Kläger verlangte von der beklagten Bank nach von ihm erklärten Widerruf die Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags und begehrte Feststellung, dass seine primären Leistungspflichten zur Zahlung von Zinsen und Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs erloschen seien. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Nachdem er das Darlehen vollständig abgelöst hatte, hat er den Feststellungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und (stattdessen) Rückzahlung der auf das Darlehen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen verlangt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung setzt voraus, dass der Angriff des Rechtsmittelführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist. Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden. Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, die die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen – bisher noch nicht geltend gemachten – Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig. Daher ist die Berufung des Klägers unzulässig, weil er sein erstinstanzliches Begehren nicht weiterbetrieben, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet hat. Die auf die positive Feststellung eines bestimmten Saldos aus einem Rückgewährschuldverhältnis gerichtete und die auf die Feststellung des Wegfalls von Primärpflichten des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag zielende Klage betreffen unterschiedliche Streitgegenstände. Aufgrund dessen handelt es sich beim Übergang von dem einen zu dem anderen Antrag um eine Klageänderung iSd. § 263 ZPO und nicht bloß um eine Antragsbeschränkung oder -erweiterung iSd. § 264 Nr. 2 ZPO. Dies gilt gleichermaßen für den vom Kläger in erster Instanz verfolgten negativen Feststellungsantrag und dem in zweiter Instanz geltend gemachten Anspruch auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Denn der Zahlungsantrag stellt in Form der Leistungsklage die Fortsetzung der positiven Feststellungsklage dar und wäre im Fall des Übergangs als Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen. Gegenüber der negativen Feststellungsklage betrifft die Zahlungsklage dagegen einen anderen Streitgegenstand.

(BGH, Beschluss vom 19. September 2023 – XI ZB 31/22)


Fazit: Eine Berufung ist nur zulässig, wenn der Berufungskläger noch bei Schluss der letzten mündlichen Verhandlung die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen will. Eine Berufung ist danach unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – XII ZR 112/03 –, MDR 2006, 828).

Anwaltsblog: Welche Folgen hat die Überlassung von Chipkarte und PIN durch den Rechtsanwalt an Mitarbeiter?

Es soll nicht unüblich sein, dass Rechtsanwälte ihre beA-Chipkarte und den dazugehörigen PIN Mitarbeitern überlassen, um sich die Mühen der Versendung von (fristgebundenen) Schriftsätzen auf dem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 3 ZPO) zu ersparen. Welche Folgen das für Wiedereinsetzungsverfahren hat, wenn es bei der Übermittlung zu Fehlern kommt und dadurch Fristen nicht gewahrt werden, hatte der BGH in einem Dieselfall zu entscheiden.

Die Anforderungen an das besondere elektronische Anwaltspostfach nach §§ 31a und 31b BRAO sind in der RAVPV (Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer) geregelt. Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikats (Chipkarte) dieses keiner anderen Person überlassen, die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN muss geheim gehalten werden. Erfolgt der Zugang zum Anwaltspostfach verbotswidrig durch eine andere Person, z.B. durch ermächtigten Kanzleimitarbeiter, sind die damit vorliegenden Erklärungen eines Unbefugten zwar formgerecht. Über die Folgen einer verbotswidrigen Nutzung hat 2022 höchstrichterlich erstmalig das BSG entschieden. Danach muss sich ein Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, setzt er sich über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen – höchstpersönlichen – Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg, das von einem Dritten abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, wenn die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt ist. Bis zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs waren die beteiligten Rechtsanwälte wie der Rechtsverkehr geschützt durch das Schriftformerfordernis und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die höchstpersönliche und eigenhändige Unterschriftsleistung. Im elektronischen Rechtsverkehr ist dies abgelöst durch die Sicherungen entweder der qualifizierten elektronischen Signatur oder der vom Gesetzgeber im Interesse einer gesteigerten Akzeptanz der elektronischen Kommunikation begründeten Möglichkeit der Übermittlung von Dokumenten aus besonderen elektronischen Anwaltspostfächern. Im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung kann sich ein Postfachinhaber deshalb nicht auf die Unbeachtlichkeit von Erklärungen berufen, die er unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat. Verhält es sich so, hat er sich eine von Dritten abgegebene Erklärung vielmehr so zurechnen lassen, als habe er sie selbst abgegeben und im Vorhinein – durch die nicht vorgesehene Eröffnung der Nutzungsmöglichkeit für den Dritten – autorisiert (BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 R –, juris Rn. 15). Dem schließt sich nunmehr der BGH für den Zivilprozess an: „Handelt der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dem (= § 26 Abs. 1 RAVPV) zuwider und überlässt er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, muss er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben.“ Dies hat zur Folge, dass der Rechtsanwalt sich nicht damit entlasten kann, die in Frage stehende Sorgfaltspflichtverletzung sei einer erfahrenen und regelmäßig kontrollierten Mitarbeiterin unterlaufen, so dass ihn kein Verschulden träfe. Dazu hält der BGH erneut fest: Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich u.a. darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Dabei ist für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments im Sinne von § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht. Vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte. Dies rechtfertigt sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
(BGH, Beschluss vom 31. August 2023 – VIa ZB 24/22).

Fazit: Will der Rechtsanwalt die Übermittlung über beA nicht selbst vornehmen, muss er den Schriftsatz, den dann Mitarbeiter übermitteln können, zuvor qualifiziert signieren (§ 130a Abs. 3 ZPO). Durch die qualifizierte Signatur ist sichergestellt, dass eine anwaltliche Kontrolle stattfindet.


Blog powered by Zöller: Video-Novelle – kein Selbstläufer

Bei der 1. Lesung des Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik im Gerichtsverfahren (BT-Drucks. 20/8095) hat sich gezeigt, dass dem Gesetzentwurf der Bundesregierung noch heiße Debatten in den Ausschüssen bevorstehen.

Für die Unionsfraktion erachtete der Abgeordnete Martin Plum es als unvereinbar mit dem Prozessleitungsermessen des Gerichts, dass es seine Entscheidung, entgegen einem Antrag der Parteivertreter in Präsenz zu verhandeln, trotz Unanfechtbarkeit mit einer besonderen Begründung versehen muss. Kritik übte er auch daran, dass Richter künftig die Sitzungen vom „heimischen Sofa“ aus leiten können; dies entspreche nicht der Rolle der Gerichte als „Zentren unseres Rechtsstaats“. Statt „digitale Leuchtturmprojekte“ zu schaffen, müsse zuerst für eine ausreichende digitale Grundausstattung der Gerichte in der Fläche gesorgt werden.

Die Abgeordnete Luiza Licina-Bode (SPD) befürwortete den Entwurf im Grundsatz, wies aber darauf hin, dass besonders in „sensiblen Verfahren“ die persönliche Anwesenheit der Parteien von großer Bedeutung ist, und sprach sich dafür aus, die Interessenlagen in den Ausschussberatungen noch einmal genau anzuschauen und zusammenzuführen.

In dieselbe Richtung argumentierte Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke). In hochsensiblen Lebensbereichen müsse die Präsenzverhandlung weiterhin das übliche Verfahren bleiben. Gegen eine vollvirtuelle Verhandlung brachte sie vor, im Namen des Volkes Recht zu sprechen, erfordere den öffentlichen Raum, also den Gerichtssaal als Ort des Geschehens.

Für die AfD-Fraktion erklärte Fabian Jacobi, es müsse grundsätzlich dabei bleiben, dass das Gericht dem rechtsuchenden Bürger als Person gegenübertritt. Es dürfe nicht dahin kommen, dass er „bei der Verhandlung über für ihn womöglich existenzielle Angelegenheiten auf eine Videokachel auf einem Bildschirm reduziert wird“. An der Möglichkeit, gegen eine entsprechende richterliche Anordnung des Richters Einspruch zu erheben, könne er sich gehindert sehen, um den Richter nicht gegen sich einzunehmen.

Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) monierte, dass der Entwurf nicht weit genug geht. Um unnötigen Aufwand zu reduzieren, zu schnelleren Prozessen zu kommen, die Daseinsvorsorge in der Fläche zu gewährleisten und die Qualität der Rechtspflege zu sichern, müsse man sich wesentlich mehr einfallen lassen. Dazu werde die Fraktion in den Ausschüssen konkrete Vorschläge unterbreiten.

Aus mehreren Redebeiträgen wurde deutlich, dass es zu einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss kommen wird. Mit welchem Inhalt das Gesetz den Bundestag eines Tages verlassen wird, ist nicht absehbar. Daher kann die Anfang Dezember erscheinende 35. Auflage des Zöller für den Moment nur Ausblicke auf das künftige Recht geben und es noch nicht in seiner Endfassung kommentieren. Dies wird jedoch in der Online-Version des Kommentars zeitnah geschehen, auf die jeder Erwerber der Printauflage freien Zugriff hat. Das sind gute Aussichten!

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Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.

Anwaltsblog: Wie muss die Ausgangskontrolle bei Versendung fristgebundener Schriftsätze per beA organisiert sein?

Wieder einmal hatte der BGH Anlass, in einem Wiedereinsetzungsverfahren die Voraussetzungen an die Kanzleiorganisation und insbesondere an die Postausgangskontrolle bei Versendung fristgebundener Schriftsätze per beA zusammenzufassen:
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Diese Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen. Der Rechtsanwalt darf nicht von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes per beA an das Gericht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren.
Die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begehrende Klägerin hat lediglich allgemein behauptet, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze die Anweisung, am Ende eines jeden Arbeitstages die Fristenliste mit den erfolgreichen „beA-Versandprotokollen“ abzugleichen und eine endgültige Erledigung nur zu notieren, wenn das „Versandprotokoll“ auf Existenz und Inhalt geprüft worden sei. Es lässt sich insoweit bereits nicht feststellen, ob sich die behauptete Anweisung einer Überprüfung des „Versandprotokolls“ auf die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO oder das Übermittlungsprotokoll bezog. Eine genaue Anweisung durch den Rechtsanwalt ist insbesondere erforderlich, um Verwechslungen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO mit dem Übermittlungsprotokoll zu vermeiden, dessen Vorliegen für die Ausgangskontrolle nicht genügt. Schon an der Darlegung einer solchermaßen eindeutigen Anweisung fehlt es. Zudem fehlen einer solcherart gefassten Anordnung auch hinreichende Anweisungen dazu, wie der zuständige Mitarbeiter die Kontrolle im Einzelfall vorzunehmen hat. Insoweit genügt es nicht, dass zur Organisation der Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten die Weisung an die den Postversand tätigenden Büromitarbeiter gehört, zu prüfen, ob die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO vorliegt. Der Rechtsanwalt muss dem Mitarbeiter vielmehr vorgeben, an welcher Stelle innerhalb der benutzten Software die elektronische Eingangsbestätigung zu finden ist und welchen Inhalt sie haben muss. Die pauschale Anweisung, das Vorliegen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren, lässt den Mitarbeiter dagegen schon darüber im Unklaren, welches im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr erstellte Dokument eine elektronische Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO ist. Wie die Eingangsbestätigung aufgerufen und ihr Inhalt überprüft werden kann, erfordert eine intensive Schulung der mit dem Versand über das beA vertrauten Mitarbeiter. Dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine den Postversand tätigenden Mitarbeiter entsprechend geschult oder angewiesen hat, hat die Klägerin schon nicht vorgetragen.
(BGH, Beschluss vom 6. September 2023 – IV ZB 4/23).

Fazit: Fristen dürfen erst nach Erhalt und Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs gestrichen werden (BGH MDR 2023, 858; Schwenker MDR 2023, 1161).

Anwaltsblog: Wann ist die bei einer Ersatzeinreichung per Fax erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung der Störung der elektronischen Übermittlungsmöglichkeit rechtzeitig?

Die Berufungsschrift der Beklagten gegen ein Urteil des Patentgerichts ist am letzten Tag der Berufungsfrist, dem 20. April 2023 um 15:15 Uhr per Telefax beim BGH eingegangen, der gem. § 110 PatG Berufungsgericht ist. In einem am gleichen Tag um 20:09 Uhr per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte dargelegt, weshalb ihre Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift nicht über das beA eingereicht haben.
Der BGH erklärt die Berufung durch Zwischenurteil für zulässig. Die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax war gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausnahmsweise ausreichend. Die Beklagte hat dargelegt und anwaltlich versichert, dass zwei ihrer Prozessbevollmächtigten am 20. April 2023 zwischen 12:56 Uhr und 18:34 Uhr insgesamt zwölfmal versucht haben, die Berufungsschrift aus ihrem beA zu übermitteln, und dass alle Übermittlungsversuche mit der Meldung geendet haben, die Nachricht habe nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden können. Sie haben ferner dargelegt, dass am 20. April 2023 auf den Internetseiten des EGVP eine als „aktuell“ gekennzeichnete Meldung veröffentlicht war, wonach (u.a.) die Bundesgerichte seit dem 19. April 2023 um 14:12 Uhr „vorläufig nicht erreichbar“ seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Glaubhaftmachung rechtzeitig erfolgt. Gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung hat danach möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt. Eine noch am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingegangene Darlegung und Glaubhaftmachung ist als gleichzeitig im Sinne dieser Grundsätze anzusehen. Der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO ist allerdings zu entnehmen, dass die Gründe für die Ersatzeinreichung so schnell wie möglich darzulegen und glaubhaft zu machen sind. Bei Anlegung dieses Maßstabes darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Frist für die Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels grundsätzlich bis zum Ende des betreffenden Tages ausgenutzt werden darf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die Ersatzeinreichung und die Darlegung und Glaubhaftmachung am gleichen Tag mit zwei getrennten Schriftsätzen übermittelt werden.
Aus der Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten bei dem früher zulässigen Einreichen fristgebundener Schriftsätze per Telefax ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Danach darf die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nicht vorschnell abgebrochen werden, wenn eine Übersendung zunächst nicht gelingt. Danach ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann zu versagen, wenn schon um 20 Uhr von weiteren Sendeversuchen abgesehen worden ist. Diese Rechtsprechung ist auf § 130d Satz 2 ZPO nicht übertragbar. Ein Rechtsanwalt, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, und deshalb eine zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, ist nicht gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Diese Unterscheidung ist konsequent, weil § 130d Satz 2 ZPO nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumen einer Frist betrifft, sondern die Möglichkeit zur Einhaltung einer Frist in einer von der Vorgabe aus § 130d Satz 1 ZPO abweichenden Form vorsieht. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass ein Telefaxgerät wegen Belegung mit anderweitigen Sendungen vorübergehend nicht erreichbar ist, auch bei ordnungsgemäßer Funktion aller Komponenten. § 130d Satz 2 ZPO betrifft demgegenüber Fälle, in denen die zur Übermittlung eingesetzten Systeme eine Störung aufweisen.
(BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 – X ZR 51/23)

Fazit: Der Grund für eine Ersatzeinreichung muss möglichst zeitgleich mit der Übermittlung glaubhaft gemacht werden. Eine Darlegung in einem gesonderten Schriftsatz am selben Tag ist als „gleichzeitig“ und damit rechtzeitig zu werten.