Auswirkungen von Mängeln bei der Urteilsverkündung

Der BGH (Beschl. v. 5.12.2017 – VIII ZR 204/16) hat entschieden, dass Verkündungsmängel (hier: Verkündung im Dienstzimmer des Richters) dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen stehen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.

Die Berufungskammer des LG hatte einen Verkündungstermin auf 12.00 Uhr bestimmt. Der Beklagte war persönlich erschienen. Die Tür zum Sitzungssaal war verschlossen. Später am Tag erklärte der Vorsitzende dem Beklagten nach mündlicher Mitteilung der Entscheidung, dass die Tür nicht geöffnet worden wäre, da man davon ausgegangen sei, es werde niemand erscheinen. Im vom Vorsitzenden unterzeichneten Verkündungsprotokoll waren er und zwei Beisitzer aufgeführt. Darüber hinaus hieß es, das anliegende Urteil sei in öffentlicher Verhandlung verkündet worden. Das Urteil wurde dann auch zugestellt.

Aus den von dem BGH eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei Richter ergab sich: Die Beisitzer waren bei der Verkündung nicht zugegen. Der Vorsitzende erklärte, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang. Üblicherweise würde die Tür zum Sitzungssaal verschlossen, wenn vor einer Verkündung eine längere Pause liege und dann bei der eigentlichen Verkündung geöffnet.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte gleichwohl keinen Erfolg. Es liegt kein Scheinurteil vor, da tatsächlich ein Urteil verkündet wurde und dieses auch unterschrieben und zugestellt wurde. Verkündungsmängel eines Urteils stehen dem wirksamen Erlass eines solchen nur dann entgegen, wenn es sich um elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse handelt, so dass letztlich von einer Verlautbarung im Rechtssinne gar nicht gesprochen werden kann. Nachdem das Urteil unterschrieben und zugestellt wurde und das Ergebnis auch dem Beklagten persönlich mitgeteilt wurde, bestehen aber keine Zweifel daran, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war.

Zwar spricht nach den eingeholten dienstlichen Stellungnahmen alles dafür, dass die Verkündung lediglich im Dienstzimmer des Vorsitzenden in Abwesenheit der Beisitzer erfolgt ist. Auch dies würde das Urteil jedoch nicht zum Scheinurteil machen, sondern wäre lediglich ein letztlich insoweit nicht beachtlicher Verkündungsmangel, zumal das Urteil bei der Verkündung in vollständiger Form vorlag und unterschrieben war. Letzteres wird durch das Protokoll nachgewiesen und ist nicht in Frage gestellt worden.

Der BGH weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es sich gleichwohl bei einer derartigen Verfahrensweise um eine richterliche Dienstpflichtverletzung handelte. Den Gerichten steht es in der Tat schlecht an, bei den Förmlichkeiten nachlässig zu sein. Gerade hier müssen die Gerichte mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch Verkündungstermine sollten daher stets „sauber“ abgehalten werden. Es muss die Möglichkeit der Teilnahme durch die Parteien und der Öffentlichkeit gegeben sein, eine vollständig abgefasste und unterschriebene Entscheidung sollte unbedingt vorliegen. Das Protokoll muss nur diejenigen wiedergeben, die auch tatsächlich anwesend sind. Bei der Verwendung eines Formulars müssen die richtigen „Kreuzchen“ gesetzt werden. Und schließlich: Bei den Unterschriften der Richter sowohl unter dem Urteil als auch unter dem Protokoll muss es sich um solche handeln, nicht etwa um Kurzzeichen o. ä.

BGH zum zutreffenden Beginn der Verzinsung

Eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, MDR 2017, 1196) mit beträchtlichem Umfang befasst sich eigentlich mit der Wirksamkeit von Bearbeitungsgebühren bei Darlehen an Unternehmer. Auf die Frage des Zinslaufes geht sie nur ganz am Rande ein. Sie zeigt insoweit nicht wirklich etwas ganz Neues auf, weist aber auf einen Fehler hin, der der Praxis sehr häufig unterläuft. Sie betrifft die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB. Die Gerichte sprechen sehr oft Zinsen ab dem Datum, das die in der Akte vorliegende Zustellungsurkunde als Zustellungsdatum für die Klageschrift oder den Mahnbescheid ausweist, zu. Dies ist jedoch nicht richtig! In entsprechender Anwendung des § 187 BGB beginnt der Zinslauf nicht mit dem Tage der Zustellung der Klage oder des Mahnbescheides, sondern erst mit dem Tag danach. In der Regel wird dies mit der Formel „minima (oder: de minimis) non curat praetor“ (teilweise sinngemäß: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richter nicht.) abgetan. Allerdings kann dieser Umstand, über einen längeren Zeitraum gesehen oder bei sehr hohen Beträgen oder bei vielen zu führenden Prozessen, durchaus einmal eine nicht mehr zu vernachlässigende Bedeutung bekommen. Auf derartige alltägliche Unsicherheiten und Irrtümer sollte an geeigneter Stelle hin und wieder hingewiesen werden!

Denn: Was man unproblematisch richtigmachen kann, sollte man auch tatsächlich so handhaben.

 

 

 

BGH: Wertersatz bei Widerruf von Dienstleistungsverträgen muss nicht zeitanteilig berechnet werden

Auch Verträge, die die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand haben, sind (zum Beispiel im Fernsabsatz) widerruflich. § 357 Abs. 8 BGB gibt vor, wie dann vorzugehen ist:

Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch aus Satz 1 besteht nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ordnungsgemäß informiert hat. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht der Anspruch nach Satz 1 nur dann, wenn der Verbraucher sein Verlangen nach Satz 1 auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist der vereinbarte Gesamtpreis zu Grunde zu legen. Ist der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen.

Im Falle einer Online-Partnervermittlung berechnete diese den Wertersatz, indem Sie prüfte, wieviele Kontakte dem Kunden vermittelt wurden, dies mit der Anzahl der versprochenen Kontakte verglich und hiervon einen 25%igen Abzug vornahm. Beispiel:Im Rahmen einer sechsmonatigen Mitgliedschaft zum Preis von 269,40 Euro garantierte der Anbieter dem Kunden fünf Kontakte. Da dem Kunden zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits 13 Kontakte vermittelt wurden, sollte nach Ansicht des Anbieters ein Wertersatz in Höhe der 269,40 EUR abzgl. 25% erfolgen.

Gegen dieses Vorgehen wandte sich die Verbraucherzentrale Hamburg, deren Revision gegen die erfolglose Berufung vor dem OLG Hamburg ebenfalls fruchtlos blieb. Das OLG Hamburg hatte die Zulässigkeit dieses Vorgehens damit begründet, dass der Anlaufaufwand bei Dienstleistungen wie hier durch die Erstellung eines Nutzerprofils unverhältnismäßig höher ist, als der Aufwand während der weiteren Laufzeit. Der BGH erkläre:

Die Vorschriften des Artikel 14 Absatz 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher und des § 358 Abs. 8 BGB ergeben keinen Anhaltspunkt, dass die von der Klägerin verlangte ausschließlich zeitanteilige Abrechnung vorgegeben ist. Vernünftige Zweifel an der Würdigung durch das Berufungsgericht bestehen nicht.

Für Unternehmer ergibt sich hieraus der Praxistipp, in gleicher Weise vorzugehen, wie diese Online-Partnervermittlung: Niedrigschwellige (Mindest-)Leistungsversprechen, die möglichst sehr schnell erfüllt werden, erhöhen den erzielbaren Wertersatzanspruch.

BGH, Beschl. v. 30.11.2017, I ZR 47/17

 

OLG Düsseldorf / OLG München: Kündigung des Telefonanschlusses bei Umzug erst bei Umzug möglich

Durch § 46 Abs. 8 S. 3 TKG ist eine bis dahin in der Rechtsprechung teils gelebte Praxis in das Gesetz gelangt: Wer umzieht und am Zielort nicht die (zumindest) identische Leistung von Telekommunikdationsdiensten erbracht bekommt, kann vor Ablauf der regulären Vertragslaufzeit aus dem Vertrag aussteigen. Dies soll mit einer Dreimonatsfrist möglich sein (dazu eingehend: Böse in: MMR-Aktuell 2012, 334893)

Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten haben dies seitdem regelmäßig zum Anlass genommen, die unklare Regelung, zu der auch in der Hinsicht keine Gesetzgebungsmaterialien vorhanden sind, zu ihren Gunsten auszulegen. Die drei Monate, so die Anbieter, beginnen erst mit dem Umzug. Die Folge: Der Kunde zahlt noch drei weitere Monate für eine nicht erbrachte Leistung.

Diese, in meinen Augen rechtswidrige Auffassung, wurde nun gleich von zwei Gerichten bestätigt: Sowohl das OLG München, als auch das OLG Düsseldorf halten dieses vorgehen für lauterkeitsrechtlich zulässig, also für mit dem Gesetzteswortlaut vereinbar. Als Argument soll angeführt worden sein, dass andernfalls ein hohes Missbrauchspotential bestünde, falls ein angekündigter Umzug dann doch nicht durchgeführt würde.

Kommentar

Wenn auch die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind, ist es schwer vorstellbar, dass die Entscheidungen im Wesentlichen auf dieser Erwägung beruhen sollen: Ein vorgetäuschter Umzug führt eben nicht zur wirksamen Kündigung sondern dazu, dass weiterhin Monatsentgelte geschuldet sind. Der Überwachungsaufwand ist dabei auch nicht größer, als bisher, sollten die Anbieter tatsächlich die Vorlage einer Meldebescheinigung verlangen. Käme es zu Mehrkosten durch die neuerliche Bestellung einer Teilnehmeranschlussleitung (TAL), so wären diese Kosten als Schadensersatz vom pflichtwidrig handelnden Kunden zu tragen.

Auch im Übrigen hier den Kunden heranziehen zu wollen, damit sich etwaige Investitionen des Anbieters amortisieren, ist unpassend. Einerseits kann eine erstmalige Mindestvertragslaufzeit zum Zwecke der Amortisation bereits verstreichen sein, wenn der Kunde umzugsbedingt kündigt. Andererseits führ die Lesart des § 46 Abs. 8 S. 3 TKG dazu, dass „faule“ Anbieter belohnt werden: Wer fleissig in den Netzausbau investiert und an vielen Orten seine Leistungen anbietet, vielleicht auch auf neue Technologien wie LTE setzt, führt schlicht nach einem Umzug den Vertrag mit dem Kunden fort und erhält die geschuldete Vergütung im Gegenzug zu erbrachten TK-Leistungen. Wer sich nur auf besonders lukrative Regionen konzentriert, den Ausbau daher in dünn besiedelten Gebieten nur schwach vorantreibt oder gar keine Leistungen dort anbietet, muss eben zurückstecken. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Umzugsquote von 9 % gehört ein Umzug aufgrund der geänderten Anforderungen insbesonderes der beruflichen Entwicklung nun einfach zur Normalität.

OLG München, Urteil vom 18. Januar 2018, Az.: 29 U 757/17

Montagsblog: Neues vom BGH

Sorgfaltspflichten beim Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax
Beschluss vom 6. Dezember 2017 – XII ZB 335/17

Der XII. Zivilsenat zeigt auf, wie anspruchsvoll die Anforderungen an den Versand fristgebundener Schriftsätze und an ein Wiedereinsetzungsgesuch sind.

Die Beklagte war in erster Instanz zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 122.000 Euro an ihren früheren Lebensgefährten verurteilt worden. Ihre per Telefax eingereichte Berufungsbegründung ging ausweislich des Empfangsgeräts wenige Minuten nach Fristablauf bei Gericht ein. In ihrem Wiedereinsetzungsgesuch machte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten geltend, sie habe am letzten Tag der Frist aufgrund eines unvorhersehbaren epileptischen Anfalls ihrer Tochter erst um 22:15 Uhr in ihre Kanzlei zurückkehren und die Berufungsbegründung deshalb erst um 23:44 Uhr fertigstellen können. Den Versand des Telefax habe sie bereits um 23:52 Uhr eingeleitet. Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Ebenso wie das OLG sieht der BGH das vorgetragene Verhalten der Rechtsanwältin als schuldhaft an. Bei einem Telefaxversand kurz vor Fristablauf muss eine Zeitreserve für den Fall eingeplant werden, dass die Übertragungsleitung durch andere Teilnehmer belegt ist. Bei einem Schriftsatz von sieben Seiten ist ein Versandbeginn deshalb um 23:52 Uhr zu spät. Der unvorhergesehene Anfall der Tochter führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil der Schriftsatz dennoch bereits um 23:44 Uhr fertig war und die Rechtsanwältin nicht vorgetragen hat, warum sie nicht bereits zu diesem Zeitpunkt die Übermittlung eingeleitet hat.

Praxistipp: Die Entscheidung belegt erneut, dass der Versand eines Schriftsatzes per Telefax in letzter Minute ein Vabanque-Spiel ist.

LG Koblenz: Trinkgeld-Klausel in AGB bei Kreuzfahrten rechtswidrig (und: Auch Verbände können nichts Rechtswidriges erlauben)

Kreuzfahrten werden immer mehr zum Massenprodukt. Auch stets fallende Preise sorgen für die zunehmende Beliebtheit. Eine Möglichkeit, um bei Angebotspreisen zu mogeln, wenden viele Veranstalter seit Jahren an: Es wird zusätzlich zum Angebotspreis eine verpflichtende Trinkgeldpauschale zusätzlich vereinbart, die pro beanstandungsfreiem Tag, auf See anfällt. Bei der Abreise ist dies dann beim Checkout auf dem Schiff zu bezahlen. Nur wenige Urlauber trauen sich erfahrungsgemäß, diese Pauschale von der Rechnung streichen zu lassen. So können Reedereien – auf den ersten Blick – günstigere Reisepreise anbieten.

Das Landgericht Koblenz hält solche Klauseln, die sich in AGB verstecken, für rechtswidrig. Es kommt dabei über § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB die Sonderregelung des § 312a Abs. 3 S. 1 BGB zur Anwendung, wonach nur ausdrückliche Vereinbarungen über solche Entgelte neben der Hauptleistung zulässig sind. Dieses Erfordernis erfüllt eine Erwähnung in den AGB nicht.

Übrigens:

Der Reiseveranstalter hat offenbar vorab versucht, bei anderen Verbraucherschutzverbänden den Segen für Ihr Vorgehen zu erhalten. Das Gericht stellt hier fest:

Uneherblich ist der Einwand der Beklagten, dass die beanstandete Bestimmung in einer mit anderen Verbraucherschutzverbänden abgestimmten Art und Weise verwendet werde. Da die Vorschrift des § 312a Abs. 3 S. 1 BGB zwingendes Recht ist (§ 312k Abs. 1 BGB), stehen diese gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Disposition von Verbraucherschutzverbänden oder anderen Personen

Kurz: Netter Versuch.

Praxistipp:

Wer in der Vergangenheit aufgrund solcher Regelungen Trinkgelder gezahlt hat, könnte möglicherweise aufgrund der Verwendung unwirksamer AGB einen Schadensersatzanspruch gegen den Veranstalter in gleicher Höhe aus §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB haben. Hier dürfte sich aber die Frage stellen, ob der Reisende nicht schlicht die Trinkgeldpauschale auf dem Schiff hätte streichen lassen müssen. In Anbetracht durchaus umfangreicher Endabrechnungen beim Checkout für zusätzliche Verpflegung, Getränke und Dienstleistungen im Rahmen einer Kreuzfahrt dürfte dies aber nur zu einem geringen Anteil zu Lasten des Reisenden Berücksichtigung finden.

LG Koblenz, Urt. v. 11.09.2017, Az.: 15 O 36/17

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und um die Zurückweisung einer Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei mehreren Schadensverursachern
Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit der subjektiven Reichweite der Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte.

Der klagende Unfallversicherer begehrte aus übergegangenem Recht zweier bei ihr versicherter Arbeitnehmer den Ersatz von Schäden aus einem Arbeitsunfall. Die Beklagte zu 3 hatte die Arbeitgeberin der Geschädigten mit Abbrucharbeiten auf einem früher zum Betrieb einer Brauerei genutzten Gelände beauftragt. Des Weiteren hatte sie den Beklagten zu 1 damit betraut, die betroffenen Gebäude auf eventuelle Gefahrenquellen zu untersuchen. Während der Abbrucharbeiten wurden die Geschädigten durch den Austritt von Ammoniak aus einer Kälteanlage verletzt. Im Gutachten des Beklagten zu 1 war diese Gefahrenquelle nicht ausgewiesen, weil der Beklagte zu 1 nur die Außenanlagen besichtigt hatte. Die gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen überwiegend Erfolg.

Die allein vom Beklagten zu 1 eingelegte Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Abweichend von den Vorinstanzen verneint der BGH eine Schutzwirkung des Vertrags zwischen der Beklagten zu 3 und dem Beklagten zu 1 zugunsten der geschädigten Arbeitnehmer. Diese sind im Verhältnis zum Beklagten zu 1 nicht schutzbedürftig, weil schon der Vertrag zwischen der Beklagten zu 3 und ihrer Arbeitgeberin Schutzwirkungen zu ihren Gunsten entfaltet und die Beklagte zu 3 für pflichtwidriges Handeln des Beklagten zu 1 nach § 278 BGB haftet. Das Berufungsgericht muss nach Zurückverweisung der Sache prüfen, ob gegen den Beklagten zu 1 deliktische Ansprüche bestehen.

Praxistipp: Auch wenn im Ergebnis nur einer von zwei Beklagten vertraglich haftet, sollte die Klage vorsorglich gegenüber beiden (auch) auf vertragliche Ansprüche gestützt werden, solange nicht feststeht, ob die Voraussetzungen des § 278 BGB erfüllt sind.

Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne Berufungserwiderung
Urteil vom 21. November 2017 – XI ZR 106/16

Eine allgemeine prozessuale Frage beantwortet der XI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagte nach Widerruf eines Darlehensvertrags auf Erstattung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung der Kläger nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Eine Berufungserwiderung lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des überwiegenden Teils der Klageforderung an das OLG zurück, weil dieses die Widerrufsbelehrung zu Unrecht als ausreichend angesehen hatte. Die von den Klägern ergänzend erhobene Rüge, die Berufungsentscheidung sei insgesamt aufzuheben, weil eine Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO erst nach Vorliegen einer Berufungserwiderung zulässig sei, sieht der BGH hingegen als unbegründet an. Er stützt dies auf den Wortlaut der Vorschrift, die den Eingang einer Berufungserwiderung oder die ergebnislose Setzung einer Erwiderungsfrist nicht vorsieht, und den Umstand, dass sich aus der Gesetzgebungsgeschichte keine abweichenden Anhaltspunkte ergeben.

Praxistipp: Die volle Verfahrensgebühr für einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nur dann nach § 91 ZPO erstattungsfähig, wenn der Berufungskläger sein Rechtsmittel begründet und die Begründung dem Gegner zugestellt ist. Vom Zeitpunkt der Zustellung an steht dem Gegner auch dann ein Erstattungsanspruch zu, wenn er seinen Antrag auf Zurückweisung schon zuvor gestellt hat.

BGH zur rechtzeitigen Zustellung demnächst

Der BGH hat sich (Urt. v. 29.9.2017 – V ZR 103/16) mit der Wahrung der Klagefrist von einem Monat des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG befasst. Die angefochtenen Beschlüsse wurden am 26.2.2015 gefasst. Am 11.3.2015 ging die Anfechtungsklage bei dem AG ein. Die Gerichtskostenrechnung ging am 24.3.2015 bei der Klägervertreterin ein. Am 23.4.2015 wurde der Vorschuss gezahlt, am 29.4.2015 wurde die Klage zugestellt.

Da die Monatsfrist offensichtlich versäumt wurde, konnte eine Fristwahrung nur nach § 167 ZPO erreicht werden. Es kommt also darauf an, ob die Klage noch demnächst zugestellt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung ist von einer Zustellung „demnächst“ nur auszugehen, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten. Dabei wird regelmäßig von einer Frist von 14 Tagen ausgegangen. Dies gilt für alle Fallgruppen, auch die Einzahlung der Gerichtskosten. Es kommt allerdings darauf an, um wieviele Tag sich der ohnehin erforderliche Zeitraum verzögert hat.

Gänzlich unerheblich ist allerdings der Zeitraum bis zum 26.3.2015, denn der Kläger hatte die Klage zu früh eingereicht, er hätte aber bis zum 26.3.2015 abwarten dürfen.

Der BGH geht davon aus, dass der Partei im Normalfall eine Woche dafür zusteht, die erforderlichen Gerichtskosten zu bezahlen. Dies ist insofern bemerkenswert, als ein anderer Senat hierfür nur drei Tage angesetzt hat. Einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen bedurfte es jedoch nicht, da die Ausführungen des anderen Senats nicht entscheidungserheblich waren.

Interessant ist weiterhin, dass der BGH den Zeitraum, der erforderlich ist, um die Kostenrechnung von der Klägervertreterin zu dem Kläger weiterzuleiten, nicht in die 14 Tage-Frist einrechnet!

Die Frist berechnet sich daher wie folgt: Die Frist begann am 27.3.2015. Eine Einzahlung wäre daher bis zum 7.4.2015 zu erwarten gewesen. Allerdings fiel das Osterfest in diesen Zeitraum. Es kann aber von einer Partei nicht verlangt werden, an Feiertagen für die Zahlung der Kosten zu sorgen. Damit sind zwei Tage (Karfreitag und Ostermontag) hinzuzurechnen. Mithin hätten die Kosten bis zum 9.4.2015 unter normalen Umständen beglichen sein müssen. Ab diesem Tag lieft die oben erwähnte 14 Tages-Frist. Damit war die Zahlung am 23.4.2015 gerade noch rechtzeitig.

Fazit: Diese Entscheidung ist sehr lehrreich. Gleichwohl sollte man es auf eine solche Fristberechnung nicht ankommen lassen, sondern vorsorglich stets innerhalb der 14 Tages-Frist reagieren bzw. die vertretene Partei entsprechend belehren.

 

 

PKH-Bekanntmachung 2018 veröffentlicht

Das BMJV hat die Freibeträge 2018 für die Prozesskostenhilfe bekanntgemacht (BGBl. 2017 I, 4012).

Die Freibeträge lauten:

  • EUR 219 für Parteien, die Einkommen aus Erwerbstätigkeit beziehen (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO),
  • EUR 481 für die Partei, ihren Ehegatten oder Lebenspartner (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a ZPO),
  • EUR 383 bzw. EUR 364 bzw. EUR 339 bzw. EUR 275 für jede weitere Person, der die Partei aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht Unterhalt gewährt, je nach Alter (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2b).

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Der Strom der Entscheidungen reißt auch zum Jahreswechsel nicht ab. Allen Blog-Lesern wünsche ich ein erfolgreiches neues Jahr 2018!

Haftung des Anwalts für versehentlich versandte Selbstanzeige
Beschluss vom 9. November 2017 – IX ZR 270/16

Der IX. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zum normativen Schadensbegriff bei der Anwaltshaftung aus.

Die Klägerin hatte über mehrere Jahre hinweg Zahlungen an ihren Lebensgefährten zu Unrecht als Betriebsausgaben verbucht. Nach dem Tod des Lebensgefährten beauftragte sie den beklagten Rechtsanwalt mit der Vorbereitung einer Selbstanzeige, deren Freigabe sie sich ausdrücklich vorbehielt. Wegen eines Kanzleiversehens wurde die Selbstanzeige ohne Zustimmung der Klägerin an das Finanzamt versandt. Dieses setzte zusätzliche Steuern in Höhe von rund 70.000 Euro fest. Ferner entstanden der Klägerin Steuerberaterkosten in Höhe von rund 3.500 Euro. Die auf Ersatz dieser Beträge gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der Beklagte hat allerdings seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt, indem er zugelassen hat, dass die Selbstanzeige ohne Freigabe seitens der Klägerin an das Finanzamt versandt wurde. Hierdurch wurde auch ein Schaden verursacht, weil die Klägerin Steuern und Steuerberaterkosten zahlen musste. Bei wertender Betrachtung ist dieser Schaden aber nicht ersatzfähig, weil die Steuernachzahlungen in Einklang mit dem materiellen Recht standen. Das Interesse der Beklagten, ihr die Vorteile der eingetretenen Steuerverkürzung zu erhalten, ist nicht schutzwürdig. Deshalb kann die Beklagte auch nicht Ersatz der im Zusammenhang mit der Nachzahlung entstandenen Beraterkosten verlangen.

Praxistipp: Ein rechtlicher Berater darf sich vertraglich verpflichten, seinen Mandanten vor den Folgen einer Steuerstraftat zu schützen. Er darf es aber nicht übernehmen, dem Mandanten die Früchte einer vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren.

Bürgschaft und Stillhalteabkommen
Urteil vom 28. November 2017 – XI ZR 211/16

Mit der Reichweite des Einwendungsdurchgriffs nach § 768 Abs. 1 BGB befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die klagende Bank hatte einem Unternehmen einen Kontokorrentkredit in Höhe von 4,6 Millionen Euro gewährt. Die Beklagte hatte dafür eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Insolvenz der Hauptschuldnerin schloss die Klägerin mit dieser und einem anderen Bürgen einen Vergleich, in dem sie sich unter anderem verpflichtete, die Darlehensforderung vorbehaltlich einer Zahlung von rund 400.000 Euro nicht mehr gegen die Hauptschuldnerin geltend zu machen. Ihre gegen die Beklagte gerichtete Klage auf Zahlung des restlichen Darlehensbetrags blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Aufgrund des mit der Hauptschuldnerin wirksam vereinbarten Stillhalteabkommens ist die Klägerin gemäß § 768 Abs. 1 BGB auch gegenüber der Beklagten an einer weiteren Geltendmachung der Darlehensforderung gehindert. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in dem Abkommen eine Inanspruchnahme des Bürgen ausdrücklich vorbehalten hat. Gläubiger und Hauptschuldner können die im Gesetz vorgesehene Akzessorietät der Bürgschaft nicht ohne Mitwirkung des Bürgen einschränken.

Praxistipp: In einer Bürgschaftsvereinbarung kann wirksam vorgesehen werden, dass der Bürge auch für Ansprüche haften soll, die der Gläubiger gegen den Hauptschuldner aus Rechtsgründen nicht durchsetzen kann.