Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Anordnung einer gerichtlichen Betreuung trotz erteilter Vorsorgevollmacht.

Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt trotz Vorsorgevollmacht
BGH, Beschluss vom 11. Januar 2023 – XII ZB 106/21

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 1896 Abs. 2 Satz 2 und § 1903 BGB.

Der 85jährige Betroffene leidet an einer leichten senilen Demenz. Nachdem er mehrfach über erhebliche Geldbeträge verfügt hatte und dabei Betrügern zum Opfer gefallen war, wurde seine Ehefrau im Dezember 2019 zur Betreuerin im Bereich der Vermögenssorge bestellt und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Diese Anordnungen hat das AG im vorliegenden Verfahren verlängert. Die dagegen eingelegten Beschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Die Beschwerdeentscheidung unterliegt der Aufhebung, weil bereits das AG einen Verfahrenspfleger für den Betroffenen hätte bestellen müssen. Das LG hat diese Bestellung zwar nachgeholt. Es hätte den Betroffenen aber in Anwesenheit des Verfahrenspflegers erneut anhören müssen. Die ohne Verfahrenspfleger erfolgte Anhörung durch das AG ist nicht ausreichend.

Ergänzend weist der BGH unter Bezugnahme auf zwei frühere Entscheidungen darauf hin, dass die erteilte Vorsorgevollmacht der Anordnung einer Betreuung nicht entgegensteht, wenn die Voraussetzungen für einen Einwilligungsvorbehalt im Sinne von § 1903 BGB vorliegen. Eine Vorsorgevollmacht kann nicht verhindern, dass der Betroffene Rechtsgeschäfte ohne Zustimmung des Bevollmächtigen abschließt.

Praxistipp: Beide vom BGH zitierten Entscheidungen betonen, dass ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden darf, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten besteht (BGH, Beschluss vom 18.11.2020 – XII ZB 179/20, NJW 2021, 229 Rn. 12 [insoweit nicht in MDR 2021, 316]; Beschluss vom 27. Juli 2011 – XII ZB 118/11, MDR 2011, 1039, juris Rn. 17).

Montagsblog: Neues vom BGH

Der Montagsblog meldet sich nach längerer Pause zurück. Diese Woche geht es um eine eher entlegene Materie, die allgemeine Fragen zu den Voraussetzungen einer Analogie aufwirft.

Vergütung des Zwangsverwalters bei Fortführung eines Betriebs
BGH, Beschluss vom 11. Januar 2023 – V ZB 23/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit § 18 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 der Zwangsverwalterverordnung (ZwVwV).

Der Beteiligte zu 1 ist seit 2018 als Zwangsverwalter eingesetzt. Er führt seither den Betrieb eines auf dem Grundstück eingerichteten Biomassekraftwerks. Für das Jahr 2020 begehrt er eine Vergütung in Höhe von rund 240.000 Euro. Dies entspricht 12 % der in diesem Jahr erzielten Einnahmen zuzüglich 2,4 % des Werts von entstandenen, aber nicht eingezogenen Forderungen.

Das AG hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die Beschwerde der Grundstückseigentümerin und der Gläubigerin hat das LG diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur Festsetzung einer nach Zeitaufwand zu berechnenden Vergütung an das AG zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Zwangsverwalters bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Beschwerde der Schuldnerin ist allerdings als unzulässig zu verwerfen, weil über ihr Vermögen schon bei Einlegung des Rechtsmittels das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Dieses führt zwar nicht zur Unterbrechung des bereits zuvor angeordneten Zwangsverwaltungsverfahrens. Die Befugnis zur Beteiligung an diesem Verfahren geht aber vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter über.

Der BGH tritt dem LG jedoch darin bei, dass die zulässige Beschwerde der Gläubigerin begründet ist.

Die Zwangsverwalterverordnung sieht eine an den Einnahmen orientierte Vergütung in § 18 Abs. 1 ZwVwV nur für den Fall der Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks vor, nicht aber für den Fall der Weiterführung eines auf dem Grundstück eingerichteten Betriebs. Mangels besonderer Regelungen ist diese Tätigkeit gemäß der Auffangregel in § 19 Abs. 1 ZwVwV nach Zeitaufwand zu vergüten. Der Stundensatz beträgt mindestens 35 und höchstens 95 Euro.

Anders als das AG sieht der BGH keine planwidrige Regelungslücke. Schon vor Erlass der Verordnung wurde die Fortführung eines Betriebs durch den Zwangsverwalter verbreitet als zulässig angesehen. Der Verordnungsgeber hat eine an den Einnahmen orientierte Vergütung dennoch nur für den Fall der Vermietung oder Verpachtung vorgesehen. Dass die Zulässigkeit einer Betriebsfortführung erst später höchstrichterlich geklärt wurde und dass ein Insolvenzverwalter in vergleichbarer Lage eine an den Einnahmen orientierte Vergütung erhält, führt nicht zu einer abweichenden Betrachtung. Die bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers ist zu respektieren.

Praxistipp: Eine Beschwerde des Schuldners im Zwangsverwaltungsverfahren bleibt zulässig, wenn über sein Vermögen nach Einlegung des Rechtsmittels das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Befugnis zur Beteiligung am Verfahren geht auch in diesem Fall auf den Insolvenzverwalter über.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen nach einer gemäß § 264 ZPO privilegierten Antragsänderung im Berufungsverfahren.

Präklusion von Vorbringen nach privilegierter Antragsänderung
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21

Der I. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 264, § 533 und § 531 Abs. 2 ZPO.

Die ursprüngliche Klägerin nahm das beklagte Logistikunternehmen wegen Beschädigung von zwei nach Russland versandten Maschinen auf Schadensersatz in Höhe von rund 149.000 Euro in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich.

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Rechtsstreit auf und beantragte, die Beklagte zur Zahlung an den Haftpflichtversicherer zu verurteilen. Er machte geltend, der Versicherer habe den Schaden nach Klageerhebung schon in erster Instanz reguliert, weshalb der Klageanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf diesen übergegangen sei. Zudem habe die Klägerin die Forderung im Rahmen der Regulierung an den Versicherer abgetreten. Die Beklagte bestritt den Vortrag zu Regulierung und Abtretung.

Das OLG wies die Klage ab.

Die dagegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters bleibt ohne Erfolg.

Der BGH legt ausführlich dar, dass der Insolvenzverwalter zur Klage befugt ist. Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Klägervortrag blieb die ursprüngliche Klägerin gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Geltendmachung des Anspruchs befugt, weil dieser erst nach Rechtshängigkeit auf den Haftpflichtversicherer übergegangen ist. Der Insolvenzverwalter darf den Prozess um diese Forderung jedenfalls deshalb aufnehmen, weil die Versicherungsnehmerin gemäß § 86 Abs. 2 VVG bei der Durchsetzung einer auf den Versicherer übergegangenen Forderung soweit erforderlich mitwirken muss und die Verletzung dieser Pflicht zu einer Belastung der Masse mit Schadensersatzforderungen führen kann.

Der Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig, weil es sich um eine Anpassung an spätere Veränderungen im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO handelt.

Das OLG hat die Klage aber zu Recht als unbegründet angesehen, weil der der behauptete und bestrittene Anspruchsübergang auf den Haftpflichtversicherer kraft Gesetzes oder Abtretung nicht bewiesen ist und die diesbezüglichen Beweisanträge des Klägers gemäß § 531 Abs. 2 ZPO der Präklusion unterliegen. Diese Vorschrift gilt auch für Angriffsmittel, die der Begründung eines nach § 264 ZPO in zulässiger Weise geänderten Antrags dienen.

Praxistipp: Bestreitet der Beklagte den vom Kläger behaupteten Anspruchsübergang auf einen Dritten, sollte der Kläger zumindest hilfsweise auf Zahlung an sich selbst klagen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Möglichkeit einer Erledigungserklärung nach Erfüllung der Forderung im Mahnverfahren.

Erledigungserklärung nach Zahlung im Mahnverfahren
BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 93/22

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit den Möglichkeiten des Gläubigers, eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erlangen, nachdem der Schuldner die geltend gemachte Forderung nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt hat.

Die Klägerin hat für die beiden Beklagten Entwässerungsarbeiten durchgeführt. Die nach Anrechnung von Abschlagszahlungen in Rechnung gestellte restliche Vergütung von rund 2.000 Euro haben die Beklagten trotz mehrfacher Mahnungen nicht bezahlt. Gegen ihr zugestellte Mahnbescheide legten die Beklagten zunächst Widerspruch ein. Zwei Tage später zahlten sie den geltend gemachten Betrag. Eine Woche später gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnbescheid bezeichnete Prozessgericht ab. Dieses verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an ein anderes AG. Dort beantragte die Klägerin die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, und hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagten die Kosten der Rechtsverfolgung als Gesamtschuldner zu erstatten haben. Die Anträge blieben in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Erledigungserklärung der Klägerin ist zulässig, weil die Beklagten die geltend gemachte Forderung nach Rechtshängigkeit erfüllt haben. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, weil sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Zahlung der Beklagten ist nach dem danach maßgeblichen Datum erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bedarf § 696 Abs. 3 ZPO in diesem Zusammenhang keiner einschränkenden Auslegung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in § 696 Abs. 3 ZPO vorgesehene Rückwirkungsfiktion dazu führt, dass das Prozessgericht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch dann zuständig bleibt, wenn der Streitwert nach Zustellung des Mahnbescheids und vor Abgabe des Verfahrens unter die maßgebliche Schwelle absinkt. Selbst wenn § 696 Abs. 3 ZPO insoweit einschränkend auszulegen wäre, steht dies der Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen.

Praxistipp: Damit die Rückwirkungsfiktion greifen kann, muss der Gläubiger die Gebühr für die Abgabe an das Streitgericht spätestens zwei Wochen nach Anforderung bezahlen. Alternativ dazu kann er in solchen Fällen den Mahnantrag bezüglich der Hauptforderung zurücknehmen und vor dem Prozessgericht eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO beantragen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderweit anhängigen Rechtsstreits.

Vorgreiflichkeit bei Streit um vormerkungsgesicherten Anspruch
BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – V ZB 22/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO und der Reichweite der Rechtskraft.

Die Klägerin hat im Jahr 2018 ein Grundstück erworben. Noch vor ihrer Eintragung als Eigentümerin wurde zugunsten der beiden Beklagten aufgrund einer einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Einräumung eines Nießbrauchs am Grundstück eingetragen. Die Klägerin klagt vor dem AG auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Sie macht geltend, sie habe das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben; zudem bestehe der gesicherte Anspruch nicht.

In einem parallel geführten Rechtstreit vor dem LG klagen die hiesigen Beklagten gegen den früheren Eigentümer des Grundstücks auf Zustimmung zur Eintragung des Nießbrauchs. Das AG hat das Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits ausgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das AG zurück.

Die Voraussetzungen des § 148 Abs- 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem LG für das vorliegende Verfahren nicht vorgreiflich ist. Die vom LG zu entscheidende Frage, ob der gegen den früheren Eigentümer gerichtete Anspruch auf Einräumung eines Nießbrauchs besteht, ist im vorliegenden Rechtsstreit zwar entscheidungserheblich. Eine Entscheidung des LG über diese Frage ist aber nur für die Parteien jenes Prozesses bindend, also für die hiesigen Beklagten und den früheren Eigentümer des Grundstücks, nicht aber für die hiesige Klägerin.

Eine Aussetzung allein aus Gründen der Prozessökonomie ist nach § 148 Abs. 1 ZPO nicht zulässig.

Praxistipp: Für den Erwerber könnte es sich in solchen Situationen empfehlen, dem früheren Eigentümer dem Streit zu verkünden, um zumindest die Regressmöglichkeit für den Fall abzusichern, dass die Vormerkung gelöscht, der Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs aber bejaht wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch eines rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Anwalt auf Ersatz angefallener Kosten wegen unzureichender Beratung.

Kostenschaden auch bei Rechtsschutzversicherung
BGH, Urteil vom 29. September 2022 – IX ZR 204/21

Der IX. Zivilsenat wendet die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Kostenschaden eines rechtschutzversicherten Mandanten an.

Der beklagte Rechtsanwalt erwirkte im Jahr 2009 im Auftrag des Klägers ein Versäumnisurteil über einen Betrag von 30.000 Euro nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber einer Bank als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür beim Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage einzuholen. Nach Erteilung der Deckungszusage erwirkte der Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Nach dessen Zustellung erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zum Schuldner bestehe nicht mehr. Eine vom Beklagten gegen die Bank erhobene Klage auf Auskunft und Zahlung blieb erfolglos.

Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten Ersatz der für die Rechtsverfolgung gegen die Bank angefallenen Kosten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG kann ein ersatzfähiger Schaden nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger rechtsschutzversichert war und das Vorgehen gegen die Bank von einer Deckungszusage abhängig gemacht hat. Der gegen den Rechtsschutzversicherer gerichtete Anspruch auf Kostenbefreiung dient nicht der Verhinderung eines Schadens, sondern dessen Übernahme durch den Versicherer.

Praxistipp: Soweit der Rechtsschutzversicherer die Kosten bereits gezahlt hat, geht der Ersatzanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf ihn über. Insoweit kann der Mandant den Anspruch gegen seinen Anwalt nur noch dann geltend machen, wenn er ihn sich vom Versicherer abtreten lässt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit eines Grundurteils und einer Zurückverweisung der Sache von der zweiten in die erste Instanz.

Grundurteil und Zurückverweisung in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2022 – XI ZR 606/20

Der XI. Zivilsenat formuliert grundlegende Anforderungen an die Prozessökonomie.

Die Beklagte war in den 1990er Jahren mit dem Bruder des Klägers (nachfolgend: Zedent) liiert. Beide beteiligten sich an wirtschaftlichen Unternehmungen des jeweils anderen. Im Zeitpunkt der Trennung im Jahr 1999 war der Zedent in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Beklagte wurde von seinen Gläubigern in Anspruch genommen. Anfang 2005 unterzeichnete sie einen Schuldschein über einen dem Zedenten zu zahlenden Betrag von 600.000 Euro, der am 31.5.2022 fällig werden und mit 6 % pro Jahr zu verzinsen sein sollte. Anfang 2010 trat der Zedent diese Forderung an den Kläger ab. Im Jahr 2013 wurde über das Vermögen des Zedenten das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter focht die Abtretung der Forderung aus dem Schuldschein gegenüber dem Kläger an und trat die daraus resultierenden Rückgewähransprüche an die Beklagte ab.

Das LG wies die auf Zahlung des im Schuldschein ausgewiesenen Betrags gerichtete Klage ab, weil es die Abtretung der Forderung an den Kläger für nicht bewiesen ansah. In der Berufungsinstanz rechnete die Beklagte hilfsweise mit 19 verschiedenen Gegenforderungen in einer Gesamthöhe von rund 2,8 Millionen Euro auf. Höchst hilfsweise machte sie geltend, aufgrund der an sie abgetretenen Rückgewähransprüche aus der Insolvenzanfechtung stehe ihr der dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) zu. Der Kläger beantragte zunächst die Zurückverweisung der Sache an das LG. Nach der Berufungsverhandlung nahm er diesen Antrag zurück und bat um eine Sachentscheidung durch das OLG. Dieses erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt und verwies die Sache wegen der Höhe an das LG zurück.

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Erlass eines Grundurteils war im Streitfall schon deshalb unzulässig, weil das OLG nicht über alle für den Grund des Anspruchs relevanten Fragen entschieden hat. Das Bestehen des Klageanspruchs ist im Streitfall schon deshalb in Frage gestellt, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszuschließen ist, dass die Hilfsaufrechnung in Höhe des gesamten Klagebetrags Erfolg hat. Darüber hinaus hätte das OLG über den dolo-agit-Einwand entscheiden müssen, und zwar vor der Entscheidung über die Hilfsaufrechnung. Die abweichende Reihenfolge der von der Beklagten gestellten Anträge ist unbeachtlich, weil sie gegen die Pflicht zur Prozessförderung verstößt [und wohl schon deshalb, weil es nicht in der Macht der Parteien steht, dem Gericht eine Reihenfolge für die Prüfung einzelner Anspruchsvoraussetzungen vorzugeben].

Das OLG hätte die Sache ferner nicht an das LG zurückverweisen dürfen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der erforderliche Antrag nicht nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden kann, sondern bis zum Erlass des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hat darüber hinaus verkannt, dass eine Zurückverweisung in die erste Instanz nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und die Erforderlichkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme keinen zureichenden Grund darstellt.

Praxistipp: Durch eine Entscheidung, mit der das Berufungsgericht die Sache an die Vorinstanz zurückverweist, sind beide Parteien beschwert.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um ein nicht alltägliches Kriterium für die Gesetzesauslegung.

Reichweite der Schonfrist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB
BGH, Urteil vom 5. Oktober 2022 – VIII ZR 307/21

Der VIII. Zivilsenat bestätigt seine Rechtsprechung und stützt sie auf ein zusätzliches Argument.

Der Beklagte ist seit 1984 Mieter einer Wohnung in Berlin. Seit 2012 zahlte er eine um 20 % (von 307 auf 240 Euro) reduzierte Miete, weil die Wohnung nach dem Anbau eines Balkons verschattet und ein Spielplatz entfernt worden sei. Die Klägerin erwarb die Wohnung im Jahr 2014. Im Jahr 2017 klagte sie auf Zahlung der aufgelaufenen Mietrückstände. Die Klage hatte in erster Instanz vollständig und in zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg. Daraufhin erklärte die Klägerin im Jahr 2018 wegen der Mietrückstände die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Nach Zustellung der Räumungsklage zahlte der Beklagte die rückständige Miete.

Die Räumungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Das LG wies sie auf die Berufung des Beklagten ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG kann die nachträgliche Begleichung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB allenfalls zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung führen, nicht aber zur Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung.

Der BGH hält an dieser von ihm seit 2006 vertretenen Rechtsauffassung auch im Lichte der daran wiederholt geäußerten Kritik des LG fest. Zur Begründung verweist er auf eine frühere Entscheidung. Ergänzend tritt er dem vom LG angeführten Argument entgegen, dem seitherigen Schweigen des Gesetzgebers könne kein Bestätigungswille entnommen werden: Der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung des Senats nicht lediglich unbeanstandet gelassen. Vielmehr habe er mehrfach Gesetzesanträge, die auf eine abweichende Regelung abzielten, ausdrücklich abgelehnt. Dies spreche im Ergebnis eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber das Normverständnis des Senats weiterhin als geltende Rechtspraxis ansehe und an diesem Rechtzustand keine Änderungen vornehmen möchte.

Praxistipp: Für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung kann von Bedeutung sein, ob der Mieter die Zahlung wegen geltend gemachter Mängel verweigert hat oder deshalb, weil er zur Zahlung nicht in der Lage war und die Sozialbehörden ihn nicht in der gebotenen Weise unterstützt haben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot.

Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21

Der VII. Zivilsenat wendet den Allgemeinen Teil des BGB auf ein elektronisch übermitteltes Angebot an.

Die Klägerin hatte für die Beklagte Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten durchgeführt. Die Beklagte nahm Kürzungen an der Schlussrechnung vor und überwies den von ihr als noch offen ermittelten Betrag. Die Klägerin widersprach den Kürzungen und forderte die Beklagte schriftlich zur Zahlung eines weiteren Betrags von 14.347,23 Euro nebst Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro auf.

Rund zwei Wochen später bot die Beklagte eine Zahlung in der genannten Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Drei Tage danach teilte der Anwalt der Klägerin um 9:19 Uhr per E-Mail mit, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich noch auf 14.347,23 Euro. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner seien die geltend gemachten Anwaltskosten zahlbar und fällig. Rund eine halbe Stunde später teilte er in einer weiteren E-Mail mit, die Prüfung der Forderungshöhe sei noch nicht abgeschlossen; die vorangegangene E-Mail müsse daher unberücksichtigt bleiben.

Drei Tage darauf übersandte die Klägerin eine neue Schlussrechnung, die eine Restforderung von rund 22.000 Euro auswies. Die Beklagte überwies weitere vier Tage später – also eine Woche nach Erhalt der E-Mail – den zuvor mitgeteilten Betrag von 14.347,23 Euro.

Die Klage auf Zahlung der Differenz zu dem Restbetrag aus der neuen Schlussrechnung blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Zahlungen, weil durch ihre erste E-Mail und die Zahlung der Beklagten ein wirksamer Vergleich zustande gekommen ist.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die erste E-Mail ein Angebot zum Abschluss eines Vergleichs enthält. Diese Willenserklärung ist gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, als die Nachricht im elektronischen Postfach der Beklagten einging, weil die Beklagte hierdurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte und der Zeitpunkt des Eingangs innerhalb der üblichen Geschäftszeiten lag. Von diesem Zeitpunkt an war das Angebot gemäß § 145 BGB bindend – unabhängig davon, ob die Beklagte es bereits gelesen hatte. Der eine halbe Stunde später erklärte Widerruf war damit wirkungslos.

Die Beklagte durfte das nicht befristete Angebot gemäß § 147 Abs. 2 BGB bis zu dem Zeitpunkt annehmen, zu dem die Klägerin den Eingang einer Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten durfte. Dieser Zeitraum war im Zeitpunkt der Zahlung – eine Woche nach Eingang des Angebots – noch nicht verstrichen.

Praxistipp: Wer einen per E-Mail übermittelten Vorschlag zur gütlichen Einigung nicht als verbindliches Vergleichsangebot gewertet wissen will, muss unmissverständlich klarstellen, dass die Nachricht keine rechtsverbindliche Erklärung enthält.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die richtige Antragsfassung bei einer Klage auf Berichtigung des Grundbuchs nach Eintragung eines unwirksamen Eigentümerwechsels und um die erforderliche Form einer Anschlussberufung.

Angabe des Berechtigten im Grundbuch
BGH, Beschluss vom 16. September 2022 – V ZR 151/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den formalen Anforderungen an einen Antrag auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung und an eine Anschlussberufung.

Der im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbene und von den jetzigen Kläger beerbte Erblasser verlangte die Rückübereignung eines von ihm an den Beklagten veräußerten Grundstücks wegen Geschäftsunfähigkeit bei Abschluss des Vertrags. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. In der Berufungsverhandlung änderten die Kläger auf gerichtlichen Hinweis ihren Antrag dahin, dass der Beklagte verurteilt wird, seine Löschung als Eigentümer zu bewilligen. Das OLG wies die Berufung des Beklagten mit dieser Maßgabe zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der neue Antrag der Kläger ist schon wegen eines Formmangels unzulässig. Da der Erblasser in erster Instanz vollständig obsiegt hatte, war eine Änderung des Klageantrags in zweiter Instanz nur im Rahmen einer Anschlussberufung zulässig. Eine Anschlussberufung ist im Streitfall zwar nicht an eine Frist gebunden, weil das OLG die für einen Fristbeginn erforderlichen Belehrungen nicht erteilt hat. Sie hätte aber durch einen Anwaltschriftsatz eingelegt werden müssen. Die Erklärung zu Protokoll reicht nicht aus. Dieser Mangel unterliegt nicht der Heilung nach § 295 ZPO.

Der in zweiter Instanz gestellte Antrag der Kläger ist darüber hinaus auch deshalb unzulässig, weil das Grundbuch stets Auskunft darüber geben muss, wer Inhaber eines dort eingetragenen Rechts ist. Die Kläger dürfen mithin nicht allein die Löschung des Beklagten als Eigentümer verlangen. Sie müssen vielmehr angeben, wer stattdessen als Eigentümer eingetragen werden soll. Das Berufungsgericht wird den Klägern nach Zurückverweisung Gelegenheit geben müssen, ihren Antrag entsprechend anzupassen.

Praxistipp: Eine Klage auf Rückabwicklung wegen Geschäftsunfähigkeit gerichtete sollte in erster Linie auf Grundbuchberichtigung und allenfalls hilfsweise auf Rückauflassung gerichtet werden.