Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um grundlegende prozessuale Kategorien.

Identifizierbarkeit des Streitgegenstands und Schlüssigkeit des Klagevorbringens
BGH, Urteil vom 28. April 2023 – V ZR 270/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Zulässigkeit eines bereits erstinstanzlich gestellten, aber erstmals in der Berufungsinstanz schlüssig vorgetragenen Hilfsantrags.

Die Kläger erwarben von dem Beklagten ein bebautes Grundstück zum beurkundeten Preis von 150.000 Euro. Vor der Übergabe zahlten sie dem Beklagten weitere 85.000 Euro in bar. Mit ihrer Klage verlangen sie die Rückzahlung dieses Betrags. Sie machen sie in erster Linie geltend, der Beklagte habe sich verpflichtet, für den genannten Betrag das sanierungsbedürftige Vordergebäude auf dem erworbenen Grundstück zu renovieren; der Beklagte sei zur Rückzahlung verpflichtet, weil er die geschuldete Leistung nicht erbracht habe und die Kläger deshalb wirksam von dem geschlossenen Werkvertrag zurückgetreten seien. Hilfsweise tragen die Kläger vor, der Beklagte habe arglistig verschwiegen, dass das von ihm bislang zu Wohnzwecken genutzte Rückgebäude baurechtlich nur als Garage und Abstellraum benutzt werden dürfe; aufgrund dieses Mangels sei der Wert des Grundstücks um 85.000 Euro geringer.

Das LG verurteilte den Beklagten aufgrund des Hauptantrags. Das OLG wies den Hauptantrag als unbegründet ab. Das auf den Hilfsantrag der Kläger gestützte Begehren sah es als unzulässig und hilfsweise auch als unbegründet an.

Die allein auf den Hilfsantrag gestützte Revision der Kläger führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung des OLG durften die Kläger den Hilfsantrag in zweiter Instanz weiterverfolgen, ohne Anschlussberufung einzulegen. Dies gilt auch dann, wenn der Vortrag zu diesem Antrag – wie das OLG gemeint hat – unschlüssig war.

Einer Anschlussberufung des in erster Instanz obsiegenden Klägers bedarf es nur dann, wenn dieser hilfsweise einen neuen Streitgegenstand geltend macht. Einen bereits in erster Instanz gestellten Hilfsantrag darf der Kläger hingegen auch dann weiterverfolgen, wenn nur der Beklagte ein Rechtsmittel eingelegt hat. Maßgeblich ist insoweit, ob der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Gegenstand bereits in erster Instanz identifizierbar war, also in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise spezifiziert worden ist. Ob die Voraussetzungen des Anspruchs schlüssig vorgetragen worden sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Im Streitfall war der Hilfsantrag bereits in erster Instanz hinreichend identifizierbar. Deshalb darf er in zweiter Instanz nicht als unzulässig abgewiesen werden. Schon deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das Vorbringen zum Hilfsantrag bereits in erster Instanz schlüssig war und das ergänzende Vorbringen hierzu deshalb auch nicht der Präklusion nach § 531 ZPO unterliegt.

Der Beklagte hat arglistig gehandelt, wenn er, wie von den Klägern bereits erstinstanzlich behauptet, wider besseres Wissen verschwiegen hat, dass das Rückgebäude nicht zu Wohnzwecken genutzt werden darf.

Zur substantiierten Darlegung der Schadenshöhe genügte entgegen der Auffassung des OLG der Vortrag, das Grundstück sei wegen der fehlenden Nutzbarkeit des Rückgebäudes zu Wohnzwecken um 85.000 Euro im Wert gemindert. Unbeachtlich wäre eine solche Behauptung nur dann, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein aufgestellt wäre. Dafür gibt es im Streitfall keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit das Berufungsgericht eine Wertminderung in dieser Höhe als fernliegend angesehen hat, liegt darin eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung.

Praxistipp: Nach Zustellung der Berufungsbegründung sollte stets geprüft werden, ob eventuelles Gegenvorbringen einer Anschlussberufung bedarf und deshalb zwingend innerhalb der Erwiderungsfrist erfolgen muss.

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Diese Woche geht es um Fragen des allgemeinen Schuldrechts.

Ersatz von Kosten zur Abwendung eines Verzögerungsschadens
BGH, Urteil vom 20. April 2023 – I ZR 140/22

Der I. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen und dem Inhalt eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Schuldnerverzugs.

Eine Versicherungsnehmerin des klagenden Transportversicherers hatte die Beklagte mit dem Transport von Fahrzeugteilen von Bremen zu einer Automobilfabrik in Mexiko betraut. Ende Juni 2017 teilte die Beklagte der Versicherungsnehmerin mit, der für die Kalenderwoche 25 vorgesehene Transport von zwei Containern werde sich verzögern. Zuletzt gab sie als voraussichtlichen Ankunftstag den 25. Juli 2017 an. Die Versicherungsnehmerin verlangte am 6. Juli 2017, frühere Verschiffungsoptionen zu prüfen oder die am dringendsten benötigten Teile per Luftfracht zu versenden. Die Beklagte teilte am 10. Juli 2017 mit, eine frühere Verschiffung sei nicht möglich. Eine Versendung per Luftfracht lehnte sie ab. Die Versicherungsnehmerin ließ ab dem 20. Juli 2017 einige Teile von Dritten per Luftfracht befördern. Hierfür bezahlte sie rund 12.900 US-Dollar. Die Klägerin erstattete ihr diesen Betrag abzüglich ersparter Kosten für die Seebeförderung in Höhe von rund 300 Dollar und abzüglich eines Selbstbehalts von 5.000 Dollar.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten teils aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 VVG) und teils aufgrund einer Ermächtigung der Versicherungsnehmerin den Ersatz der Mehrkosten in Höhe von 12.600 US-Dollar. Die Klage war in den beiden ersten Instanzen mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs erfolgreich.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück, stützt den Ersatzanspruch abweichend vom OLG aber nicht auf den Aspekt der Nichterfüllung, sondern auf Verzug.

Die Leistungsaufforderung der Versicherungsnehmerin vom 6. Juli 2017 konnte keinen Verzug begründen, weil die beiden Container aufgrund der getroffenen Vereinbarungen frühestens am 13. Juli 2017 in Mexiko abzuliefern waren. Eine (erneute) Mahnung nach Fälligkeitseintritt war im Streitfall aber jedenfalls nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB entbehrlich, weil die Beklagte schon zuvor unmissverständlich zu erkennen gegeben hatte, dass die Ablieferung der Container nicht rechtzeitig erfolgen wird.

Die Aufwendungen für den Lufttransport sind als erforderliche Kosten der Schadensabwendung im Sinne von § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähig, weil durch eine verzögerte Anlieferung der betreffenden Teile ein noch höherer Verzögerungsschaden entstanden wäre.

Nach der Rechtsprechung des BGH können die Kosten eines Deckungskaufs grundsätzlich nur auf der Grundlage von § 280 und § 281 BGB ersetzt werden. Im Streitfall diente die anderweitige Beförderung der Teile aber der Abwendung eines im Falle der Verzögerung drohenden höheren Schadens. Solche Kosten sind nach derselben Anspruchsgrundlage zu ersetzen, nach der die vermiedenen Schäden auszugleichen gewesen wären – hier also nach § 286 BGB.

Praxistipp: Ein Anspruch auf Ersatz von Kosten für einen Deckungskauf darf nicht zusätzlich zum Anspruch auf Erfüllung geltend gemacht werden, sondern nur anstelle desselben (BGH, Urteil vom 3. Juli 2013 – VIII ZR 169/12, MDR 2013, 1021 Rn. 29).

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Diese Woche geht es um das Verhältnis zweier Vorkaufsrechte an einer vermieteten Wohnung.

Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts eines Familienangehörigen
BGH, Beschluss vom 27. April 2023 – V ZB 68/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 577 Abs. 1 und § 1094 BGB – und gibt zugleich einen Auffrischungskurs im Grundbuchrecht.

Zugunsten der Beschwerdeführerin (nachfolgend: Berechtigte) wurde im Jahr 2016 ein dingliches Vorkaufsrecht an einer Eigentumswohnung eingetragen. Eigentümer der Wohnung war ihr damaliger Ehemann (nachfolgend: Voreigentümer). Die Wohnung war bei Begründung des Wohnungseigentums vermietet.

Im Jahr 2019 verkaufte der Voreigentümer die Wohnung an Dritte. Daraufhin erklärten die Berechtigte und der Mieter jeweils die Ausübung des ihnen zustehenden Vorkaufsrechts. Der Voreigentümer ließ die Wohnung mit Zustimmung des Drittkäufers an den Mieter auf. Die Berechtigte klagte daraufhin gegen den Voreigentümer auf Auflassung der Wohnung. Das LG wies die Klage ab. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

Nach dem Urteil des LG löschte das Grundbuchamt auf Antrag des Mieters das zugunsten der Berechtigten eingetragene Vorkaufsrecht. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb beim Grundbuchamt und beim OLG erfolglos.

Der BGH weist das Grundbuchamt an, gegen die Löschung der Vormerkung einen Widerspruch einzutragen.

Zu Recht ist das (gemäß § 72 GBO für die Entscheidung über die Beschwerde zuständige) OLG davon ausgegangen, dass eine Beschwerde mit dem Ziel der Wiedereintragung des Vorkaufsrechts unzulässig ist. Nach § 71 Abs. 2 GBO darf mit einer Beschwerde nur die Eintragung eines Amtswiderspruchs oder die Löschung einer ihrem Inhalt nach unzulässigen Eintragung verlangt werden. Die von der Berechtigten angefochtene Löschung des Vorkaufsrechts ist ihrem Inhalt nach zulässig. Die Berechtigte darf ihre Beschwerde mithin nur auf die Eintragung eines Widerspruchs nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO richten.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die auf Eintragung eines Widerspruchs gerichtete Beschwerde begründet.

Das Vorkaufsrecht ist schon deshalb unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften gelöscht worden, weil das Grundbuchamt die Berechtigte nicht angehört hat.

Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für eine Löschung – Bewilligung (§ 19 GBO) oder Nachweis der Unrichtigkeit (§ 22 GBO) durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden (§ 29 Abs. 1 Satz 1 GBO) – nicht vor. Der beurkundete Veräußerungsvertrag zwischen dem Voreigentümer und dem Mieter vermag das Erlöschen des Vorkaufsrechts nicht zu beweisen, weil die Berechtigte daran nicht beteiligt war. Das Urteil des LG ist zum Nachweis schon deshalb nicht geeignet, weil es nicht rechtskräftig ist. Darüber hinaus wäre ein rechtskräftiges Urteil nur hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Übereignung bindend, nicht aber hinsichtlich der Vorfrage, ob das Vorkaufsrecht noch besteht.

Entgegen der Auffassung des OLG hat die Berechtigte glaubhaft gemacht, dass das Grundbuch durch die Löschung unrichtig geworden ist, weil die Berechtigte ihr dingliches Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und diesem im Streitfall der Vorrang gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters zukommt.

Dem Mieter der Wohnung stand nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenfalls ein Vorkaufsrecht an der Wohnung zu. In welchem Verhältnis dieses gesetzliche Vorkaufsrecht zu einem dinglichen Vorkaufsrecht im Sinne von § 1094 BGB steht, ist umstritten. Der BGH entscheidet nunmehr, dass ein dingliches Vorkaufsrecht jedenfalls dann Vorrang hat, wenn es zugunsten eines Familien- oder Haushaltsangehörigen im Sinne von § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht. Wenn der Vermieter die Wohnung an einen Erwerber aus diesem Personenkreis verkauft, ist ein Vorkaufsrecht des Mieters gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift schützt das Interesse des Vermieters, die Wohnung an eine bestimmte ihm nahestehende Person verkaufen zu können. Dieser Gesetzeszweck greift auch dann, wenn der Vermieter die Wohnung an einen Dritten verkauft und ein Angehöriger ein dingliches Vorkaufsrecht wirksam ausübt.

Ob die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts rechtsmissbräuchlich war, weil sie der Vereitelung des Vorkaufsrechts aus § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB diente, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil ein eventueller Missbrauch nicht in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist.

Praxistipp: Der Begriff des Familienangehörigen im Sinne von § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht demjenigen der Regelung über die Eigenbedarfskündigung in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

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Diese Woche geht es um die bindende Feststellung der Erbwürdigkeit.

Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Versäumnisurteils
BGH, Beschluss vom 26. April 2023 – IV ZB 11/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Bindungswirkung gemäß § 2342 und § 2344 BGB.

Die beiden Beteiligten sind das einzige Kind und die Ehefrau des im November 2018 verstorbenen Erblassers.

Ein von der Ehefrau handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament enthält eine wechselseitige Einsetzung der beiden Ehegatten als Alleinerben. Im Juli 2020 erhob die Tochter gegen die Ehefrau Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Ehefrau das Testament nach dem Erbfall auf einem vom Erblasser unterzeichneten Blankobogen erstellt habe. Das LG erklärte die Ehefrau im Januar 2021 mit Versäumnisurteil für erbunwürdig. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Die Ehefrau hat hierzu vorgetragen, wegen des plötzlichen Unfalltodes sei sie stark traumatisiert gewesen und habe sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen bis Mitte 2021 nicht auseinandersetzen können. Deshalb habe sie die Gerichtspost erst im Juni 2021 geöffnet.

Das AG hat der Tochter auf deren Antrag einen Erbschein als Alleinerbin ausgestellt. Die Beschwerde dagegen ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass ein Urteil, mit dem eine Partei auf eine Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 BGB für erbunwürdig erklärt wird, Rechtskraftwirkung für und gegen jedermann entfaltet. Dies ergibt sich aus § 2342 Abs. 2 BGB, wonach die Wirkung der Anfechtung erst mit der Rechtskraft des Urteils eintritt, und aus § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall der Erbschaft als nicht erfolgt gilt, wenn der betreffende Erbe für erbunwürdig erklärt worden ist.

Ebenfalls zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass diese Bindungswirkung auch einem Versäumnisurteil zukommt. Wie schon in früheren Entscheidungen lässt der BGH weiterhin offen, ob im Prozess über eine Anfechtungsklage nach § 2342 Abs. 1 BGB der Verhandlungs- oder der Untersuchungsgrundsatz gilt. Er lässt auch dahingestellt, ob in einem solchen Verfahren ein Versäumnisurteil ergehen darf. Ein ergangenes und rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil ist jedenfalls wirksam und grundsätzlich in gleicher Weise bindend wie ein streitiges Urteil.

Für eine Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB reicht es nicht aus, dass das Versäumnisurteil inhaltlich unzutreffend ist und der Kläger dies wusste. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände sind im Streitfall auch dann nicht ersichtlich, wenn unterstellt wird, dass die Tochter bei Klageerhebung wusste, dass das Testament echt ist.

Praxistipp: Eine Erbunwürdigkeitsklage darf gemäß § 2341 BGB von jedem erhoben werden, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten kommt. Dies sind nicht nur die Personen, die anstelle des Erbunwürdigen als Erben berufen sind, sondern auch alle diejenigen, die beim Wegfall einer solchen Person Erbe wären.

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Diese Woche geht es um die Haftung für Veränderungen des Wasserabflusses von einem Grundstück.

Wasserabfluss von landwirtschaftlich genutztem Grundstück
BGH, Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22

Der III. Zivilsenat befasst sich mit den Grenzen der Haftung aus § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG.

Die Kläger sind Miteigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Etwa 800 m oberhalb liegen Ackerflächen, die der Beklagte seit rund 20 Jahren landwirtschaftlich nutzt. Im Jahr 2014 baute der Beklagte erstmals nach längerer Zeit wieder Kartoffeln statt Getreide an. Hierzu zog er Ackerfurchen, die nach dem Vortrag der Kläger längs zum Gefälle verliefen. Nach zwei Starkregenereignissen im Juli und August 2014 drang in das Kellergeschoss des den Klägern gehörenden Gebäudes Wasser ein. Die Kläger machen geltend, hierfür sei ein verstärkter Wasserabfluss infolge der vom Beklagten angelegten Furchen ursächlich.

Die auf Ersatz der durch eindringendes Wasser verursachten Schäden gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das nachbarliche Verhältnis zwischen den Parteien bestimmt sich nach § 37 WHG. Die im Streitfall maßgebliche Regelung in § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG, wonach der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden darf, ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

Im Ansatz zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG einschränkend dahin auszulegen ist, dass Änderungen des Ablaufs, die sich im Rahmen der bestimmungsgemäßen Benutzung halten, von den Nachbarn grundsätzlich hinzunehmen sind. Bei einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück gilt dies auch für einen Wechsel der Anbauart.

Auch die landwirtschaftliche Nutzung unterliegt jedoch dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Bei einer Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung darf der Abfluss wild ablaufenden Oberflächenwassers deshalb nur insoweit verstärkt werden, als dies eine notwendige Folge dieser Nutzungsänderung ist. Diese Grenze wäre im Streitfall überschritten, wenn die für den Anbau von Kartoffeln erforderlichen Ackerfurchen auch quer zum Gefälle hätten angelegt werden können und dies dem Abfluss des Oberflächenwassers entgegengewirkt hätte. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu klären haben.

Praxistipp: Erweist sich das Verhalten des Störers als rechtswidrig, aber nicht schuldhaft, kommt ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 BGB in Betracht, sofern der Betroffene keine zumutbare Möglichkeit hatte, gegen die Beeinträchtigung schon vor dem Schadensereignis mit einem Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB vorzugehen.

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Diese Woche geht es um die Sorgfaltspflichten beim Versand einer Rechtsmittelschrift per beA

Überprüfung der Adressierung vor Versenden einer Berufungsschrift
BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – I ZB 42/22

Der I. Zivilsenat befasst sich mit der Pflicht zur Überprüfung eines nach Weisung erstellten Schriftsatz-Entwurfs.

Die auf Zahlung von Maklervergütung gerichtete Klage war beim LG erfolglos geblieben. Einen Tag vor Ablauf der Berufungsfrist ging kurz vor 19 Uhr eine per beA übersandte, an das LG adressierte Berufungsschrift im elektronischen Postfach des LG ein. Das LG verfügte zwei Tage später die Weiterleitung an das OLG. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist nicht fristgerecht eingegangen. Dass die elektronischen Postfächer des LG und des OLG auf demselben Server betrieben werden, ist unerheblich. Maßgeblich ist, dass der Schriftsatz an das Postfach des LG adressiert war, in diesem Postfach ankam und erst nach Fristablauf im Postfach des OLG eintraf.

Eine Versehen der Büroangestellten des Prozessbevollmächtigten bei der Adressierung des Schriftsatzes vermag die beantragte Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen. Der Prozessbevollmächtigte hätte vor dem Versand prüfen müssen, ob das Rechtsmittelgericht in dem Schriftsatz zutreffend bezeichnet ist. Dann hätte er bemerkt, dass die Berufung versehentlich an das LG gerichtet war.

Der Fehler ist für die Versäumung der Frist ursächlich geworden. Der Prozessbevollmächtigte durfte zwar darauf vertrauen, dass das LG den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterleitet. Eine Überprüfung und Weiterleitung noch am Tag des Eingangs oder am Tag darauf gehören aber nicht zum ordentlichen Geschäftsgang.

Praxistipp: In der Anwaltskanzlei sollte durch geeignete Organisationsmaßnahmen sichergestellt werden, dass jeder fristgebundene Schriftsatz vor dem Versand durch den Anwalt inhaltlich überprüft wird und dass nach jeder Änderung – und sei sie noch so geringfügig – eine erneute Prüfung stattfindet.

Überprüfung der erfolgreichen Übermittlung per beA
BGH, Beschluss vom 18. April 2023 – VI ZB 36/22

Der VI. Zivilsenat zeigt (erneut) auf, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einer erfolgreichen Übermittlung ausgegangen werden kann.

Das AG wies die auf Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden aus einem Verkehrsunfall gerichtete Klage mit Urteil vom 25. Januar 2022 ab. Nach Ablauf der Berufungsfrist legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein beA-Prüfprotokoll vor, das sich auf eine Berufungsschrift bezieht und unter anderem folgende Vermerke enthält:

MESSAGE_ZEITPUNKT_INITIIERUNG_VERSAND
15.02.2022 12:18:00

Eingang auf dem Server
15.02.2022 12:12:03 (lokale Serverzeit)

Das LG versagte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Der Prozessbevollmächtigte durfte aufgrund der oben wiedergegebenen Angaben im Prüfprotokoll nicht davon ausgehen, dass die Berufungsschrift beim LG eingegangen ist. Aus dem Prüfprotokoll ergibt sich nur, zu welchem Zeitpunkt der Versand begonnen wurde und zu welchem Zeitpunkt die Nachricht auf dem für den Versand benutzten Server eingegangen ist.

Maßgeblich ist hingegen der Eingang auf dem für den Empfang bestimmten Server. Dieser wird durch folgende Einträge im so genannten Übermittlungsbericht dokumentiert:

 

Übermittlungscode Meldungstext Übermittlungsstatus
request executed erfolgreich

Im Streitfall enthielten diese Rubriken keinen Eintrag.

Praxistipp: Hinweise zum Inhalt der beA-Protokolle finden sich (nach wie vor aktuell) im beA-Newsletter 31/2019 vom 17. Oktober 2019 (https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/newsletter/bea-newsletter/2019/ausgabe-31-2019-v-17102019.html)

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Diese Woche geht es um die Einstandspflicht für Schäden an einem Leasingfahrzeug aufgrund eines Unfalls mit ungeklärter Ursache.

Regress gegen Fahrer und Halter des bei einem Unfall beschädigten Leasingfahrzeugs
BGH, Urteil vom 18. April 2023 – VI ZR 345/21

Der VI. Zivilsenat beleuchtet eine weitere Facette einer häufig kritisierten Haftungsregelung.

Ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Klein-Lkw war bei einem Verkehrsunfall mit einem Pkw kollidiert, den der Beklagte zu 1 von einer Leasinggesellschaft geleast hat. Fahrer des Pkw im Unfallzeitpunkt war der Beklagte zu 2. Der Unfallhergang konnte nicht geklärt werden. Die Klägerin erstattete der Leasinggeberin als Eigentümerin des Pkw die daran entstandenen Schäden vollständig. Im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs verlangt sie die Hälfte dieses Betrags von den Beklagten ersetzt. Sie stützt sich insbesondere auf Regelungen im Leasingvertrag, wonach der Leasingnehmer für Untergang und Beschädigung des Fahrzeugs unabhängig von Verschulden haftet und Ersatzansprüche gegen Versicherungen und Dritte an den Leasingnehmer abtritt.

Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls erfolglos.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin gegenüber der Leasinggeberin zum vollständigen Ersatz des am Leasingfahrzeug entstandenen Schadens verpflichtet war. Der BGH bestätigt seine ständige Rechtsprechung, wonach der Eigentümer eines Fahrzeugs, der nicht zugleich dessen Halter ist, sich auf einen Anspruch auf Ersatz von am Fahrzeug entstandenen Schäden aus § 7 StVG nur ein eigenes Verschulden anrechnen lassen muss, nicht aber die Betriebsgefahr des Fahrzeugs oder ein Verschulden des Fahrers.

Ebenfalls zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Beklagten für diesen Schaden nicht als Gesamtschuldner haften.

Ansprüche aus § 7 Abs. 1 oder § 18 Abs. 1 StVG scheiden aus, weil diese Vorschriften nur Schäden an anderen Sachen erfassen, nicht aber den Schaden am Fahrzeug des Halters bzw. Fahrers, gegen den sich der Anspruch richtet. Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheiden aus, weil ein Verschulden der Beklagten nicht feststellbar ist.

Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung von Pflichten aus dem Leasingvertrag sind ebenfalls nicht gegeben. Der Einsatz des Fahrzeugs im Straßenverkehr stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar. Entsprechendes gilt für die Beschädigung des Fahrzeugs beim Unfall. Die Beschädigung führt auch nicht dazu, dass eine Pflichtverletzung des Leasingnehmers entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vermuten ist. Eine solche Umkehr der Beweislast tritt nur dann ein, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich des Leasingnehmers liegen. An letzterem fehlt es, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Unfall allein durch Fehlverhalten des Gegners verursacht worden ist.

Die von der Klägerin herangezogenen Haftungsregelungen aus dem Leasingvertrag begründen keine Schadensersatzansprüche. Sie regeln lediglich die Gefahrtragung. Selbst wenn der Beklagte zu 1 als Leasingnehmer der Leasinggeberin nach diesen Vorschriften zum Schadensersatz verpflichtet wäre, fehlte es an dem für ein Gesamtschuldverhältnis mit dem Unfallgegner und der Klägerin erforderlichen Merkmal der Gleichstufigkeit.

Praxistipp: Die Verlagerung des üblicherweise den Halter treffenden Haftungsrisikos auf den Unfallgegner kann in solchen Situationen nur dann vermieden werden, wenn dem Fahrer des Leasingfahrzeugs ein für den Unfall ursächliches Verschulden nachgewiesen werden kann..

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Diese Woche geht es um die Erledigung einer Berufung.

Erledigung einer Berufung nach Urteilsberichtigung
BGH, Urteil vom 27. März 2023 – VIa ZR 1140/22

Der VIa-Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Berufung und Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit.

In einem „Diesel-Fall“ hatte der Kläger erstinstanzlich zuletzt Schadensersatz in Höhe von rund 15.000 Euro und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von rund 1.100 Euro begehrt.

Das LG sprach dem Kläger unter Abweisung der weitergehenden Klage etwas mehr als die Hälfte der geforderten Beträge zu. In den Entscheidungsgründen führte es aus, vom gezahlten Kaufpreis in Höhe von 23.500 Euro sei eine Nutzungsentschädigung in Höhe von rund 16.500 Euro abzuziehen. Bei der in diesem Zusammenhang angegebenen zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 350.000 Euro würde sich allerdings nur ein Abzug in Höhe von rund 5.000 Euro ergeben, so dass die Klage in vollem Umfang begründet wäre. Der vom LG abgezogene Betrag ergäbe sich demgegenüber bei einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 200.000 Euro.

Der Kläger beantragte beim LG die Berichtigung des Tenors wegen offensichtlicher Unrichtigkeit und legte daneben fristgerecht Berufung ein. Wenige Tage später berichtigte das LG das angefochtene Urteil antragsgemäß. Der Kläger erklärte seine Berufung daraufhin für erledigt. Die Beklagte trat dem entgegen. Das OLG stellte antragsgemäß die Erledigung der Berufung fest.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Erledigungserklärung des Klägers ist zulässig, weil er nur auf diese Weise zu einem – in der in Rede stehenden Konstellation angemessenen – Anspruch auf Kostenerstattung gelangen kann.

Der Antrag ist auch begründet, weil die Berufung ursprünglich zulässig war und nachträglich unzulässig geworden ist.

Bei Einlegung der Berufung war der Kläger durch das erstinstanzliche Urteil noch beschwert, weil ihm darin nicht der gesamte Klagebetrag zugesprochen worden war. Trotz des gestellten Antrags auf Urteilsberichtigung hatte er auch ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse. Der Berichtigungsantrag bot kein vergleichbares Maß an Sicherheit, weil der Kläger nicht sicher sein konnte, ob der Tenor oder die in den Entscheidungsgründen enthaltene Angabe zur zu erwartenden Gesamtlaufleistung fehlerhaft war.

Mit der vom LG vorgenommenen Berichtigung ist die Beschwer entfallen. Ob diese Berichtigung zu Recht erfolgte, ist unerheblich, weil die Beklagte den Berichtigungsbeschluss nicht angefochten hat.

Praxistipp: Die Berichtigung einer Entscheidung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit kann nach § 319 Abs. 3 ZPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Die Frist zur Einlegung der Berufung gegen ein berichtigtes Urteil beginnt nur dann erneut zu laufen, wenn sich die vom Urteil ausgehende Beschwer erst nach der Berichtigung zweifelsfrei ergibt.

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Diese Woche geht es um den Zuweisungsgehalt eines Wohnungsrechts.

Kein Wertersatz für Nutzung einer Wohnung unter Verletzung eines Wohnungsrechts
BGH, Urteil vom 23. März 2023 – V ZR 113/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber eines Wohnungsrechts und dem Grundstückseigentümer.

Die Parteien sind Geschwister. Ihre im Jahr 2003 verstorbene Mutter hatte dem Beklagten im Jahr 1976 ein Grundstück übertragen und sich an der Wohnung im Untergeschoss ein im Grundbuch eingetragenes Wohnungsrecht zugunsten ihrer selbst und der Klägerin vorbehalten. Die Klägerin und ihre Mutter haben dieses Recht nie ausgeübt. Ab den 90er Jahren vermietete der Beklagte die Wohnung an Dritte. Im Jahr 2011 bezog er sie selbst. Im Jahr 2020 wurde er auf Antrag der Klägerin zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt. Nunmehr verlangt die Klägerin Nutzungsersatz für den Zeitraum von Januar 2017 bis zum Auszug. Die Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Das OLG wies sie in vollem Umfang ab.

Die Revision der Klägerin bleibt erfolglos.

Der Beklagte war und ist zur Nutzung der Wohnung allerdings nicht berechtigt. Aus dem Grundbuch geht zwar nicht hervor, dass das eingetragene Recht zur Nutzung unter Ausschluss des Eigentümers berechtigt, wie dies § 1093 BGB für ein Wohnungsrecht vorsieht. Aus der Bezeichnung als Wohnungsrecht ergibt sich im Zweifel aber auch ohne ausdrückliche Bestimmung, dass nur der Inhaber des Rechts zur Nutzung berechtigt ist. Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall abweichend hiervon nur ein Recht zur Mitnutzung (ein so genanntes Wohnnutzungsrecht als besondere Ausprägung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit) bestellt worden ist, sind nicht ersichtlich.

Dennoch stehen der Klägerin wegen der Nutzung der Wohnung durch den Beklagten keine Bereicherungsansprüche zu. Der Beklagte hat die Wohnung zwar ohne rechtlichen Grund genutzt. Er hat diesen Vorteil aber nicht auf Kosten der Klägerin erlangt. Der der Inhaber eines Wohnungsrechts ist nicht berechtigt, die Wohnung zur Nutzung an Dritte zu überlassen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Eigentümer, der die Wohnung unbefugt vermietet, aus diesem Grund nicht zur Herausgabe der erlangten Miete verpflichtet. Aus demselben Grund scheidet auch ein Anspruch auf Herausgabe erlangter Vorteile durch eigene Nutzung aus.

Ein Herausgabeanspruch kann auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 987 ff. BGB hergeleitet werden. Diese Vorschriften sind auf das Verhältnis zwischen dem Inhaber eines Wohnungsrecht und dem Eigentümer des Grundstücks nicht anwendbar, weil dem Wohnungsberechtigten die Nutzung der Wohnung nicht uneingeschränkt zusteht.

Praxistipp: Die unbefugte Nutzung begründet einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB. Ein ersatzfähiger Schaden kann insbesondere vorliegen, wenn der Wohnungsberechtigte aufgrund des schädigenden Verhaltens Mehraufwendungen tätigen musste, um seinen Wohnbedarf zu decken.

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Diese Woche geht es um eine seit langem etablierte Rechtsfigur des Straßenverkehrsrechts.

Verhalten eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn
BGH, Urteil vom 4. April 2023 – VI ZR 11/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes.

Der Kläger wurde als Fußgänger bei einem Verkehrsunfall mit einem vom Beklagten zu 1 gefahrenen und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug verletzt. Als sich der Beklagte zu 1 der späteren Unfallstelle näherte, wollte der Kläger die zweispurige Fahrbahn aus Sicht des Beklagten zu 1 von links kommend überqueren. Die auf Ersatz der Hälfte der entstandenen Schäden gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Schadensersatz auch gegenüber der unabhängig von Verschulden haftenden Beklagten zu 2 vollständig ausgeschlossen sein kann, wenn der Unfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Klägers verursacht worden ist. Für diese Abwägung ist von Bedeutung, ob dem Beklagten zu 1 ein für den Unfall ursächliches Verschulden zur Last fällt. Letzteres hat das OLG mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Nach dem Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. Ein Kraftfahrer muss danach grundsätzlich nicht damit rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten. Er muss auch nicht darauf gefasst sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen wird.

Der BGH lässt offen, ob ein Kraftfahrer auch darauf vertrauen darf, dass ein Fußgänger, der sich auf der gegenüberliegenden Fahrbahn bewegt, in der Straßenmitte stehen bleiben wird. Ein solches Vertrauen ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn der Fußgänger über die Fahrbahn rennt und nicht in die Richtung des auf der anderen Fahrbahn herannahenden Fahrzeugs blickt. Einen solchen Sachverhalt hat das OLG im Streitfall aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG unter anderem noch zu klären haben, ob die Sicht des Beklagten zu 1 durch ein entgegenkommendes Fahrzeug oder die A-Säule seines Fahrzeugs eingeschränkt war und er den Kläger deshalb nicht sehen konnte.

Praxistipp: Generell ist das Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten nicht gerechtfertigt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, am verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln.