Montagsblog: Neues vom BGH

Abstandnahme von Grundstücksverkauf
Urteil vom 13. Oktober 2017 – V ZR 11/17

Mit Treuepflichten vor Abschluss eines formbedürftigen Vertrags befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger wollte von der Beklagten eine Eigentumswohnung kaufen. Der für die Beklagte tätige Vermittler übersandte mehrere Vertragsentwürfe und teilte mit, außer der Fertigstellungsanzeige für Renovierungsmaßnahmen und der Eintragung im Grundbuch stünden einer Abwicklung des Kaufvertrags keine Hindernisse entgegen. Nach Mitteilung des Notartermins schloss der Kläger einen Darlehensvertrag zur Finanzierung des größten Teils des Kaufpreises. Acht Tage vor dem Notartermin ließ die Beklagte mitteilen, sie sei nicht mehr bereit, die Wohnung zu dem bisher angebotenen Preis von 376.700 Euro zu verkaufen; der neue Kaufpreis betrage 472.400 Euro. Die auf Erstattung der Kosten für die Rückabwicklung des Darlehensvertrags gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach die Abstandnahme von einem in Aussicht genommenen formbedürftigen Vertrag grundsätzlich nur bei einer besonders schwerwiegenden, in der Regel vorsätzlichen Treupflichtverletzung  Schadensersatzansprüche des anderen Teils auslöst. Eine solche Pflichtverletzung käme etwa in Betracht, wenn die Beklagte von vornherein nicht bereit gewesen wäre, zu dem ursprünglich genannten Preis zu verkaufen, oder wenn sie dem Beklagten ihren Sinneswandel zunächst verschwiegen hätte. Diese Voraussetzungen waren nach den vom BGH als rechtsfehlerfrei angesehenen tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanzen im Streitfall nicht erfüllt. Zu einem allgemeinen Hinweis darauf, dass sie sich eine eventuelle Preiserhöhung vorbehält, war die Beklagte nach Auffassung des BGH nicht verpflichtet. Der Kläger handelte deshalb auf eigenes Risiko, wenn er bereits vor der notariellen Beurkundung des Kaufvertrags verbindliche Vereinbarungen zur Finanzierung schloss.

Praxistipp: Der potentielle Käufer kann das Risiko von vergeblichen Finanzierungsaufwendungen nur dadurch ausschließen, dass er sich gegenüber der Bank eine Annahmefrist oder ein kostenloses Löserecht bis zum Abschluss des Kaufvertrags einräumen lässt.

Änderung von technischen Normen nach Abschluss eines Werkvertrags
Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14

Eine grundlegende Entscheidung zur geschuldeten Beschaffenheit eines Werks trifft der VII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte den Beklagten Anfang 2007 mit der Errichtung von drei Pultdachhallen zum Festpreis beauftragt.  Nach dem Vertrag war das Dach für eine Schneelast von 80 kg/m² auszulegen. Dies entsprach der bis Ende 2006 geltenden DIN-Vorschrift und der im Jahr 2006 erteilten Baugenehmigung. Nach der ab 2007 geltenden DIN-Vorschrift war eine Schneelast von 139 kg/m² anzusetzen. Nach Errichtung der Halle beanstandete die Beklagte das Dach als mangelhaft. Ihre auf  Vorschuss der Kosten für eine Neuerrichtung der Dachkonstruktion gerichtete Klage war in erster Instanz vollständig und in zweiter Instanz zum überwiegenden Teil erfolgreich. Das OLG ging davon aus, dass ursprünglich nur eine Schneelast von 80 kg/m² einzuhalten war, und stellte fest, dass das Werk der Beklagten schon dieser Anforderung nicht entspreche. Auf dieser Grundlage sprach es der Klägerin die (deutlich höheren) Kosten für eine Neuerrichtung auf der Grundlage von 139 kg/m² zu, weil die Klägerin nunmehr zur Einhaltung der neuen Vorgaben verpflichtet sei und dies eine Folge des Werkmangels sei, für den die Beklagte einzustehen habe.

Der BGH verweist die Sache auf die Berufung der Beklagten an das OLG zurück. Er hält die Argumentation des OLG für nicht tragfähig, weil die Klägerin danach ein weitaus besseres Werk erhalten würde als dies nach dem Vertrag geschuldet war. Wenn nach dem Vertrag nur eine Schneelast von 80 kg/m² einzuhalten war, hätte die Klägerin für Dach, das 139 kg/m² standhält, auch ohne den Mangel deutlich mehr zahlen müssen; folgerichtig darf sie dann nur Ersatz derjenigen Kosten verlangen, die zur Einhaltung einer Schneelast von 80 kg/m² erforderlich sind. Darüber hinaus hält der BGH allerdings schon die Erwägungen des OLG zur ursprünglich geschuldeten Beschaffenheit des Werks für fehlerhaft. Auch wenn ein Werk den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden anerkannten Regeln der Technik entspricht, muss der Auftraggeber den Auftragnehmer auf absehbare oder eingetretene Änderungen dieser Regeln hinweisen. Der Auftragnehmer hat dann zu entscheiden, ob das Werk wie ursprünglich vereinbart ausgeführt oder an die neuen Regeln angepasst werden soll. Entscheidet er sich für letzteres, muss er daraus resultierende Mehrkosten als Sowiesokosten tragen. Das OLG muss deshalb nach der Zurückverweisung klären, ob und welche Vereinbarungen die Parteien im Streitfall bezüglich der schon bei Vertragsschluss absehbaren Regeländerung getroffen haben.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich der Auftraggeber trotz Kenntnis der Änderung mit der Einhaltung der alten Regeln begnügt hat, liegt beim Auftragnehmer.

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Rückstauschaden durch Verwurzelung
Urteil vom 24. August 2017 – III ZR 574/16

Der III. Zivilsenat entscheidet eine in Instanzrechtsprechung und Literatur umstrittene Frage zum Verhältnis der Pflichten als Eigentümer eines Grundstücks und als Betreiber einer Abwasseranlage.

Nach starken Niederschlägen kam es in einem von der beklagten Gemeinde betriebenen Regenwasserkanal zu einem Rückstau, durch den der Keller im Haus der Klägerin überschwemmt wurde. Als Ursache stellte sich der Einwuchs von Wurzeln eines Baums heraus, der auf einem der Beklagten gehörenden Grundstück steht. Die Klägerin, deren Haus entgegen den Vorgaben der Nutzungsbedingungen nicht mit einer Rückstausicherung versehen war, begehrte Ersatz von zwei Dritteln des ihr entstandenen Schadens. Das LG sprach ihr die Hälfte des entstandenen Schadens zu. Das OLG wies die Klage ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bestätigt, dass ein Grundstückseigentümer grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Nachforschungen anzustellen, ob das Wurzelwerk ihm gehörender Bäume schädigende Auswirkungen auf im Boden verlegte Leitungen hat. Abweichend von der Auffassung des OLG muss der Eigentümer aber die gebotenen Maßnahmen ergreifen, wenn er in seiner Eigenschaft als Betreiber der Leitungen Kenntnis von einem eingetretenen oder drohenden Schaden Kenntnis erlangt. Dem steht nicht entgegen, dass eine Schadensersatzhaftung als Betreiber der Leitungen ausgeschlossen ist, wenn der Geschädigte sein Anwesen nicht in der gebotenen Weise gegen Rückstau abgesichert hat. Für die Haftung als Grundstückseigentümer ist eine fehlende Rückstausicherung nur im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.

Praxistipp: Betroffene Gemeinden müssen sicherstellen, dass relevante Informationen aus der Überprüfung von Leitungsanlagen an die Liegenschaftsverwaltung weitergegeben werden.

Ausschluss der Gewährleistung für öffentlich beworbene Eigenschaften
Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 271/16

Der VIII. Zivilsenat entscheidet, dass öffentliche Äußerungen, aufgrund derer ein Käufer das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften der Kaufsache erwarten darf, nicht mit einer Beschaffenheitsvereinbarung gleichzusetzen sind.

Der Kläger begehrte Minderung des Kaufpreises für einen Gebrauchtwagen. Der Beklagte hatte das Fahrzeug auf einer Internet-Plattform als Opel Adam Slam 1.4 ecoFlex angeboten. Der schriftliche Kaufvertrag, in dem das Fahrzeug lediglich als Opel Adam bezeichnet wurde, enthielt einen individuellen Gewährleistungsausschluss. Nach Zahlung und Übergabe stellte der Kläger fest, dass es sich um ein Fahrzeug der Modellvariante Jam handelte, die über eine weniger umfangreiche Serienausstattung und einen Motor mit höherem Normverbrauch verfügt. Die auf Erstattung der Preisdifferenz gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Mit dem OLG gelangt er zu dem Ergebnis, dass die Zugehörigkeit zur Modellvariante Slam weder ausdrücklich noch konkludent als Eigenschaft des verkauften Fahrzeugs vereinbart und ein möglicherweise aus der öffentlichen Werbung resultierender Gewährleistungsanspruch wirksam ausgeschlossen wurde. Ein umfassender Gewährleistungsausschluss ist zwar grundsätzlich dahin auszulegen, dass er sich nicht auf Eigenschaften bezieht, deren Vorhandensein Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung ist. Für Eigenschaften, deren Vorhandensein der Käufer aufgrund einer öffentlichen Äußerung des Verkäufers erwarten darf, gilt dies aber nicht ohne weiteres.

Praxistipp: Wenn der Kaufvertrag einen Gewährleistungsausschluss vorsieht, sollte der Käufer darauf bestehen, dass öffentlich beworbene Eigenschaften, auf deren Vorhandensein er Wert legt, in den Kaufvertrag aufgenommen werden.

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Kein spektakulärer Anlass, aber dennoch bemerkenswert:
Dies ist Montagsblog Nr. 50!

Alternative ärztliche Behandlungsmethoden
Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 203/16

Mit einer nicht alltäglichen Methode der Zahnbehandlung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Zahnarzt wirbt in seinem Internetauftritt und in Vorträgen für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer. Bei der Klägerin diagnostizierte er ein „mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften … bis in den Unterleib“. Entsprechend seiner Empfehlung ließ sich die Klägerin zunächst vier Zähne (14 bis 17) im rechten Oberkiefer entfernen und den gesamten Kieferknochen „gründlich“ ausfräsen. Nachdem Schwierigkeiten mit der verordneten Prothese aufgetreten waren, brach die Klägerin die Behandlung ab. Ihre Klage auf Rückzahlung des Honorars, Ersatz der Kosten für Folgebehandlungen und Zahlung eines Schmerzensgeldes war in den ersten beiden Instanzen überwiegend erfolgreich.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach die Anwendung von nicht allgemein anerkannten Therapieformen grundsätzlich erlaubt ist. Zugleich betont er, dass sich der Arzt nur dann für eine solche Behandlung entscheiden darf, wenn er die Vor- und Nachteile sorgfältig und gewissenhaft abgewogen hat. Die Beurteilung dieser Frage durch die Vorinstanzen hält der BGH für unzureichend, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht über Erfahrungen mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis verfügte.

Praxistipp: Die Parteien sollten im eigenen Interesse darauf hinwirken, dass das Gericht die ausreichende Qualifikation des Sachverständigen schon vor Erteilung des Gutachtenauftrags umfassend prüft.

Verkehrssicherungspflicht nach vorzeitiger Besitzeinweisung
Urteil vom 13. Juni 2017 – VI ZR 395/16

Mit den Grenzen der Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Das Auto des Klägers wurde durch einen herabfallenden Ast beschädigt. Deshalb nahm er die Beklagte, die damals noch Eigentümerin des ursächlichen Grundstücks war, auf Schadensersatz in Anspruch. Schon geraume Zeit vor dem Unfall war der Beklagten im Rahmen eines fernstraßenrechtlichen Enteignungsverfahrens der Besitz an dem Grundstück durch vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG entzogen worden. Das LG verurteilte die Beklagte dennoch im Wesentlichen antragsgemäß. Das OLG wies die Klage hingegen ab.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Beklagte mit der vorzeitigen Besitzeinweisung die Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück verloren hatte und deshalb im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr die Verkehrssicherungspflicht trug.

Praxistipp: Um die Verjährung von Ansprüchen gegen weitere als Schuldner in Betracht kommende Personen zu verhindern, muss diesen rechtzeitig der Streit verkündet werden.

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Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

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Gewährleistungsrechte vor Abnahme des Werks
Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 301/13

Eine sehr umstrittene Frage beantwortet der VII. Zivilsenat in drei für BGHZ bestimmten Entscheidungen (VII ZR 301/13, VII ZR 193/15 und VII ZR 235/15), von denen die erste jetzt zugänglich ist.

Der später verstorbene Schwiegersohn des Klägers hatte die Beklagte mit Fassadenarbeiten an zwei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden betraut. Nach Fertigstellung verweigerte der Besteller die Abnahme mit der Begründung, das zum Anstrich verwendete Material entspreche nicht den vertraglichen Anforderungen. Ein selbständiges Beweisverfahren bestätigte den erhobenen Vorwurf. Die daraufhin erhobene Klage auf Zahlung eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er entscheidet, dass die in § 634 BGB vorgesehenen Gewährleistungsrechte grundsätzlich erst mit Abnahme des Werks entstehen, und zwar auch dann, wenn der Besteller die Abnahme nach Fertigstellung des Werks in Hinblick auf Mängel zu Recht verweigert. Vor der Abnahme kann der Besteller nach allgemeinen Regeln die mängelfreie Herstellung des Werks und nach Maßgabe von § 280 und § 281 BGB Schadensersatz verlangen. Gewährleistungsrechte darf er nur dann geltend machen, wenn der Vertrag in ein Abrechnungsschuldverhältnis übergegangen ist. Letzteres setzt voraus, dass der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung oder Minderung des Werklohns verlangt oder wenn er zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen. Das bloße Verlangen eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung reicht dafür nicht aus.

Praxistipp: Trotz der aufgezeigten Beschränkungen ist es für einen Besteller, der einen der Abnahme entgegenstehenden Werkmangel rechtzeitig erkannt hat, in der Regel vorteilhaft, die Abnahme zu verweigern.

Doppelte (qualifizierte) Schriftformklausel und Schriftformheilungsklausel in langfristigem Gewerbemietvertrag
Beschluss vom 25. Januar 2017 – XII ZR 69/16

Mit den Konsequenzen des Formerfordernisses aus § 550 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Parteien stritten über die vorzeitige Kündigung eines auf zwei Jahre fest abgeschlossenen Mietvertrags über Gewerberäume. Der ursprüngliche Mietvertrag war vom früheren Eigentümer mit einem anderen Mieter auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Als Nutzungszweck waren darin Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren vereinbart worden. Wenig später hatten sich die Vertragsparteien formlos darauf geeinigt, dass der Mieter auch einen Getränkehandel betreiben darf. Nach einiger Zeit trat der Beklagte, der ebenfalls einen Getränkehandel betrieb, anstelle des ersten Mieters in das Mietverhältnis ein. Nach der Veräußerung des Anwesens an die Klägerin vereinbarte diese mit dem neuen Mieter in einem schriftlichen Nachtrag eine feste Laufzeit bis 31.12.2016. Wenig später kündigte sie den Mietvertrag fristlos und hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg, vor dem OLG allerdings nur aufgrund der ordentlichen Kündigung.

Der BGH, der gemäß § 91a ZPO nur noch über die Kosten zu entscheiden hatte, tritt dem OLG in Ergebnis und Begründung bei. Die vereinbarte Befristung genügt nicht dem Formerfordernis des § 550 BGB, weil die von den Parteien geschlossene Nachtragsvereinbarung und der darin in Bezug genommene ursprüngliche Mietvertrag nicht den gesamten Inhalt des Mietverhältnisses wiedergeben. Die zwischen dem früheren Vermieter und dem früheren Mieter getroffene Vereinbarung über die Änderung des Nutzungszwecks hätte ebenfalls schriftlich geschlossen werden müssen. Der BGH sieht die formlose Änderungsvereinbarung als wirksam an, obwohl der ursprüngliche Mietvertrag eine „doppelte“ Schriftformklausel enthält, wonach jede Vertragsänderung der Schriftform bedarf und dies auch für eine Änderung der Schriftformklausel gilt. Der BGH lässt offen, ob eine solche Vereinbarung in AGB wirksam getroffen werden kann, und sieht eine nicht dem Formerfordernis genügende Vertragsänderung jedenfalls aufgrund des Vorrangs von Individualabreden als wirksam an. Im Ergebnis ebenfalls wirkungslos blieb eine im ursprünglichen Vertrag daneben enthaltene Klausel, wonach die Vertragsparteien jederzeit verpflichtet sind, alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB gerecht zu werden. Eine solche Heilungsklausel darf nach Sinn und Zweck des § 550 BGB jedenfalls nicht einem Vermieter entgegengehalten werden, der als Erwerber des Grundstücks in einen bestehenden Mietvertrag eingetreten ist. Dies gilt auch dann, wenn er die längere Laufzeit selbst vereinbart hat.

Praxistipp: Um Zweifel an der Wirksamkeit zu vermeiden, sollte eine Laufzeitverlängerung nicht durch Bezugnahme auf den früheren Vertrag, sondern durch vollständige Neubeurkundung des gesamten Vertragsverhältnisses erfolgen.

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Vertrauensschutz gegenüber Rechtsnachfolge in öffentlich-rechtliche Pflichten
Urteil vom 29. September 2016 – I ZR 11/15

Mit grundlegenden Fragen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin war von der zuständigen Behörde zur Altlastensanierung eines von ihr genutzten Grundstücks verpflichtet worden. Sie verlangte von der beklagten AG, die seit ihrer Gründung im Jahr 1926 bis 1997 Eigentümerin des Grundstücks gewesen war, Gesamtschuldnerausgleich nach § 24 Abs. 2 BBodSchG. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt, weil die Beklagte entweder als Gesamtrechtsnachfolgerin der früheren Eigentümerin oder aufgrund eigener Baumaßnahmen im Jahr 1928 hafte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung kann die Beklagte nicht als Gesamtrechtsnachfolgerin des Verursachers in Anspruch genommen werden. Die am 01.03.1999 in Kraft getretene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sieht eine solche Haftung zwar vor. Eine zeitlich unbegrenzte Anwendung dieser Vorschrift würde aber jedenfalls für Fälle, in denen die Gesamtrechtsnachfolge bereits im Jahr 1926 eingetreten ist, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen „echten“ Rückwirkung führen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden öffentlich-rechtliche Verpflichtungen als grundsätzlich höchstpersönlich angesehen und eine Gesamtrechtsnachfolge hinsichtlich solcher Pflichten verneint. In der Literatur wurde dies erst Ende der 1960er Jahre in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte eine Gesamtrechtsnachfolge erstmals im Jahr 1971. § 4 Abs. 3 BBodSchG ist deshalb verfassungskonform zu reduzieren.

Praxistipp: Angesichts der in der Entscheidung mitgeteilten Daten dürfte die verfassungskonforme Reduktion grundsätzlich für alle Fälle gelten, in denen die Gesamtrechtsnachfolge vor Ende der 1960er Jahre eingetreten ist.

Klage auf Freistellung nach Abweisung einer denselben Anspruch betreffenden Vollstreckungsgegenklage
Urteil vom 18. Oktober 2016 – XI ZR 145/14

Mit dem Verhältnis zwischen einer Freistellungs- und einer Vollstreckungsgegenklage befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Zur Finanzierung hatte ihr die beklagte Bank ein mit einer sofort vollstreckbaren Grundschuld besichertes Darlehen gewährt. Später machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe arglistig verschwiegen, dass der Kaufpreis um ein Mehrfaches über dem Verkehrswert der Wohnung liege. Die Klägerin beantragte unter anderem, die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld für unzulässig zu erklären und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag freizustellen. Die Vollstreckungsgegenklage wurde im weiteren Prozessverlauf rechtskräftig abgewiesen. Der abgetrennte und an ein anderes Gericht verwiesene Freistellungsanspruch hatte hingegen in zweiter Instanz Erfolg.

Der BGH weist die auf Freistellung gerichtete Klage ab. Der Freistellungsanspruch ist schon deshalb als unbegründet anzusehen, weil er gegen eine Forderung gerichtet ist, deren Bestehen für die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage relevant war. Zwar betreffen die beiden Klagen nicht denselben Streitgegenstand. Die rechtskräftige Abweisung der Vollstreckungsgegenklage entfaltet aber eine Bindungswirkung, die den Schuldner daran hindert, Einwendungen gegen den Bestand der titulierten Forderung zu erheben, die bereits im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden konnten.

Praxistipp: Angesichts der Bindungswirkung sollte der Schuldner schon vor Prozessbeginn sorgfältig erwägen, ob es nicht sinnvoller ist, sich auf eine Vollstreckungsgegenklage zu konzentrieren und von einer zusätzlichen, denselben Anspruch betreffenden Freistellungs- oder Schadensersatzklage abzusehen.

Versetzung in den Ruhestand
Urteil vom 16. November 2016 – IV ZR 356/15

Um eine juristische Sekunde geht es in einer Entscheidung des IV. Zivilsenats.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen. Die Klägerin wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, was nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen als Eintritt des Versicherungsfalls gilt. Die Beklagte verweigerte die Leistung, weil die Versicherungsdauer mit dem 30.11.2012 geendet hatte und die Versetzung in den Ruhestand erst zum Ablauf dieses Tags erfolgt war. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er denjenigen Zeitpunkt als ausschlaggebend an, zu dem die Versetzung in den Ruhestand wirksam geworden ist. Anders als die Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die relevante Wirkung nicht erst mit dem ersten Tag des Ruhestands (also am 01.12.2012 um 0 Uhr) eingetreten ist, sondern schon mit Ablauf des Vortags, also am 30.11.2012 um 24 Uhr – gewissermaßen in letzter Sekunde.

Praxistipp: Die Unterscheidung zwischen dem Ende eines Tages und dem Beginn des Folgetags kann auch für die Einhaltung prozessualer Fristen von Bedeutung sein.

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In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Zurechnung von sittenwidrigem Handeln und Vorsatz
Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15

Mit grundlegenden Fragen der Haftungszurechnung nach § 31 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die beklagte Aktiengesellschaft war Mitherausgeberin eines Prospekts für einen geschlossenen Immobilienfonds. Die Kläger, die einen Fondsanteil erwarben, begehrten die Rückabwicklung ihrer Beteiligung, unter anderem mit der Begründung, im Prospekt sei ein bestehender Altlastenverdacht nicht erwähnt worden. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Es bejahte einen Ersatzanspruch der Kläger aus § 826 BGB, weil die unterlassene Aufklärung über den Altlastenverdacht verwerflich sei und die Beklagte jedenfalls das bei ihren Sachbearbeitern vorhandene Wissen gegen sich gelten lassen müsse.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass der Prospekt ohne einen Hinweis auf die Altlastenproblematik fehlerhaft war. Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit bedarf es aber zusätzlicher Umstände, etwa einer bewussten Täuschung. Dabei ist grundsätzlich nur der Kenntnisstand von Personen maßgeblich, für deren Verhalten die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, also von Vorständen und sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertretern. Ob darüber hinaus die für den rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelten Grundsätze über die Wissenszurechnung herangezogen werden können, lässt der BGH offen. Nicht zulässig ist jedenfalls eine „mosaikartige“ Zusammenstellung des Wissens von mehreren Mitarbeitern. Entsprechendes gilt für den gemäß § 826 BGB erforderlichen Vorsatz.

Praxistipp: Wenn ungewiss ist, ob der erforderliche Kenntnisstand für die gesetzlichen Vertreter nachgewiesen werden kann, sollte besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, wer als verfassungsmäßiger Vertreter der Gesellschaft in Betracht kommt.

Wahrunterstellung einer Behauptung
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZR 178/15

Mit den Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten vom Kläger eine Vierzimmerwohnung gemietet. Ende 2012 kündigte der Kläger den Mietvertrag mit der Begründung, sei Sohn wolle die Wohnung zusammen mit einem langjährigen Freund nutzen. Die Beklagten traten der Kündigung entgegen und machten in der Berufungsinstanz unter anderem geltend, die Geltendmachung von Eigenbedarf sei nicht glaubhaft, weil der Kläger nach den Angaben seines erstinstanzlich als Zeuge vernommenen Sohnes ein halbes Jahr vor der Kündigung eine frei gewordene Wohnung im gleichen Haus anderweit vermietet habe, obwohl der Sohn des Klägers den Entschluss, einen eigenen Hausstand zu gründen, schon geraume Zeit zuvor gefasst und dies mit dem Kläger auch besprochen habe. Zum Beweis benannten die Beklagten den Freund des Sohnes. Das LG wies die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Räumungsurteil ohne weitere Beweisaufnahme zurück. Zur Begründung führte es unter anderem an, aus den glaubhaften Angaben des Sohnes ergebe sich, dass ein fester Entschluss zur Gründung eines eigenen Hausstands erst kurz vor der Kündigung gefasst worden sei; aus der Behauptung, der Sohn habe sich mit seinem Freund schon längere Zeit zuvor über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, könnten keine abweichenden Schlussfolgerungen gezogen werden.

Der BGH verweist die Sache – die schon zum zweiten Mal in die Revisionsinstanz gelangt war – erneut an eine andere Kammer des LG zurück. Er bewertet das Absehen von einer Vernehmung des in zweiter Instanz benannten Zeugen als Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar kann eine Beweisaufnahme unterbleiben, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung unerheblich ist. Hierbei ist die Behauptung aber mit dem Inhalt heranzuziehen, wie die Partei sie aufgestellt hat. Im Streitfall bezieht sich der Beweisantrag nicht nur auf die Behauptung, der Sohn des Klägers habe gegenüber dessen Freund schon geraume Zeit vor der Kündigung Auszugsabsichten geäußert, sondern auch darauf, dass damals bereits ein fester Entschluss gefasst worden sei. Wenn die zuletzt genannte Behauptung zutrifft, schließt dies eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gegenüber den Beklagten zwar nicht per se aus. Der Zeitpunkt, zu dem der Eigenbedarf entstanden ist, kann aber für Frage von Bedeutung sein, ob der Nutzungswunsch ernsthaft ist.

Praxistipp: Bei umfangreichem und komplexem Tatsachenvortrag sollte stets unmissverständlich klargestellt werden, worauf sich ein Beweisangebot im Einzelnen bezieht.

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Akzessorietät der Bürgschaft: Verjährung der Hauptforderung
Urteil vom 14. Juni 2016 – XI ZR 242/15

Grundlegende Erörterungen zur Akzessorietät der Bürgenhaftung stellt der IX. Zivilsenat an.

Die klagende Bank hatte der damaligen Ehefrau des Beklagten in den Jahren 1992 und 1993 zwei Darlehen für den Ankauf und die Sanierung einer Wohnanlage gewährt; der Beklagte hatte jeweils eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Zahlungseinstellung und Anordnung der Zwangsverwaltung stellte die Klägerin die Darlehensforderungen im Jahr 2001 fällig. Im Jahr 2004 nahm sie den Beklagten als Bürgen in Anspruch. Die im Jahr 2008 in einem separaten Rechtsstreit in Anspruch genommene Hauptschuldnerin, die sich unter anderem auf Verjährung berief, wurde im Jahr 2009 erstinstanzlich zur Zahlung verurteilt; gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Die Klage gegen den Bürgen blieb zunächst in zwei Instanzen erfolglos. Nach Zurückverweisung in einem ersten Revisionsurteil erklärte das OLG die Klageforderung für dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der BGH weist die Revision des Beklagten gegen das Grundurteil des OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass sich der Beklagte aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung der Hauptschuldnerin nicht mehr auf die Verjährung der Hauptforderung berufen kann. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Bürge nur die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden erheben kann. Anders als bei den von § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Einwendungen gegen den Bestand der Hauptforderung (zB Erfüllung oder Aufrechnung) genügt bei Einreden also nicht, dass ein dafür erforderlicher Tatbestand objektiv erfüllt ist; vielmehr muss der Hauptschuldner (noch) berechtigt sein, die Einrede zu erheben. Im Streitfall kann die Hauptschuldnerin aufgrund ihrer rechtskräftigen Verurteilung die Einrede der Verjährung nicht (mehr) erheben. Deshalb kann auch der Bürge diese Einrede nicht mehr geltend machen. Etwas anderes gilt gemäß § 768 Abs. 2 BGB, wenn die Einrede bereits wirksam entstanden war und durch ein Rechtsgeschäft des Hauptschuldners wieder in Wegfall geraten ist. Der VIII. Zivilsenat hat diese Regelung für den Fall analog angewendet, dass sich der Hauptschuldner gegen eine nach Verjährung erhobene Klage nicht zur Wehr setzt (Urteil vom 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222 = MDR 1980, 664). Den im Streitfall erhobenen Einwand, die Hauptschuldnerin habe den Prozess schlecht geführt, hält der XI. Zivilsenat für eine analoge Anwendung von § 768 Abs. 2 BGB nicht für ausreichend.

Praxistipp: Wenn der Bürge vom Prozess gegen den Hauptschuldner weiß und befürchtet, dass dieser Hauptschuldner die Einrede der Verjährung durch unzureichende Prozessführung verlieren wird, sollte er dem Rechtsstreit als Streithelfer des Hauptschuldners beitreten.

Öffentliche Beschaffenheitsangaben und notarieller Gewährleistungsausschluss
Urteil vom 22. April 2016 – V ZR 23/15

Mit der Reichweite eines Gewährleistungsausschlusses in einem Grundstückskaufvertrag befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger kauften von den Beklagten ein Wohnhaus, an dessen Stelle früher eine Scheune gestanden hatte. In der Verkaufsanzeige in einem Internetprotal hatten die Beklagten angegeben, das Haus sei 1999/2000 errichtet worden. Später stellte sich heraus, dass eine Außenwand aus der Bausubstanz der früheren Scheune übernommen worden war. Die Kläger begehrten deshalb die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagten antragsgemäß, weil das Alter der Außenwand einem Mangel darstelle, dieser im Hinblick auf die höhere Schadensanfälligkeit und Wärmedurchlässigkeit nicht als unbeachtlich angesehen werden könne und der im notariellen Kaufvertrag vereinbarte Gewährleistungsausschluss Abweichungen von den im Internet veröffentlichten Beschaffenheitsangaben nicht erfasse.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem Berufungsgericht darin bei, dass öffentliche Äußerungen über Eigenschaften der Kaufsache gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit von Bedeutung sind und das Baujahr eines Gebäudes in aller Regel zu den wertbeeinflussenden Faktoren gehört. Er lässt offen, ob dies auch für die hier in Rede stehende Außenwand gilt, weil das OLG keine Feststellungen zu Art, Größe und Bedeutung dieses Bauteils im Verhältnis zum gesamten Gebäude getroffen hat. Abweichend vom OLG sieht er die Klageansprüche – sofern die Beklagten nicht arglistig gehandelt haben, was nach Zurückverweisung noch aufzuklären ist – als unbegründet an, weil sich der notariell vereinbarte Gewährleistungsausschluss grundsätzlich auch auf öffentliche Äußerungen zur Beschaffenheit erstreckt. Zwar können solche Äußerungen im Einzelfall die begründete Erwartung wecken, dass sich ein allgemeiner Haftungsausschluss nicht auf darin zugesagte Eigenschaften beziehe. Bei einem Grundstückskaufvertrag ist dies in der Regel aber ausgeschlossen, weil eine Einschränkung des im notariellen Vertrag vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschlusses ebenfalls der notariellen Beurkundung bedürfte und grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Parteien keinen formunwirksamen Vertrag schließen wollen.

Praxistipp: Ein Grundstückskäufer, der Wert auf bestimmte Eigenschaften legt, die in öffentlichen Anzeigen oder dergleichen beschrieben sind, muss darauf achten, dass ein vereinbarter Haftungsausschluss ausdrücklich um die Bestimmung ergänzt wird, dass die Gewährleistung für diese – konkret zu benennenden – Eigenschaften unberührt bleibt.

BGH: Für Auf-Dach-Photovoltaikanlagen kann 5-jährige Mängelverjährungsfrist anwendbar sein

In einer aktuellen Entscheidung hatte der BGH zu prüfen, welche Verjährungsfrist für eine auf einem Dach montierte Photovoltaikanlage gilt. Der Kläger war der Ansicht, die 5-jährige Frist aus § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB käme zur Anwendung, da es sich um ein Bauwerk im Sinne der Norm handele. Der BGH bejahte dies im vorliegenden Fall:

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die lange Verjährungsfrist „bei Bauwerken“, wenn das Werk in der Errichtung oder grundlegenden Erneuerung eines Gebäudes besteht, das Werk in das Gebäude fest eingefügt wird und dem Zweck des Gebäudes dient. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Photovoltaikanlage wurde durch die Vielzahl der verbauten Komponenten so mit der Tennishalle verbunden, dass eine Trennung von dem Gebäude nur mit einem erheblichen Aufwand möglich ist. Darin liegt zugleich eine grundlegende Erneuerung der Tennishalle, die einer Neuerrichtung gleich zu achten ist. Schließlich dient die Photovoltaikanlage dem weiteren Zweck der Tennishalle, Trägerobjekt einer solchen Anlage zu sein.

Für Anlagenbetreiber sollte dies aber keine übereilte Freude auslösen. Der Kläger hatte in dem Verfahren vor dem BGH ausweislich der Pressemitteilung detailliert die umfangreichen Arbeiten zur Installation der Anlage dargelegt. Tatsächlich bestand der Aufwand in mehr, als nur „Module anschrauben und Kabel einstecken„. So waren im konkreten Fall Grabungsarbeiten, und wasserdichte Verbindungen der Module mit der bestehenden Dachdeckung erforderlich. Der Pressemittelung ist zu entnehmen, darin läge zugleich eine grundlegende Erneuerung der Tennishalle, die einer Neuerrichtung gleich zu achten sei. Insbesondere für selbst montierte Module dürfte es in der Regel bei der 2-jährigen Gewährleistungsfrist bleiben.

Die verlängerten Gewährleistungsfristen müssen sowohl von Anlagenbetreibern, als auch Werkunternehmern zukünftig bei der Kalkulation berücksichtigt werden, wenn umfangreiche Installationsarbeiten in Verbindung mit der bestehenden Bausubstanz Vertragsgegenstand werden.

BGH, Urteil vom 2. Juni 2016 Az.: VII ZR 348/13 (Pressemitteilung)

BGH: Diebstahl von eingelagerter Einbauküche berechtigt nicht zur Mietminderung

In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der BGH mit einer exotischen Fallgestaltung auseinanderzusetzen. Eine Mieterin hatte eine Wohnung mit Einbauküche gemietet, für die auch eine monatliche Mietzahlung zu leisten war. Während der Vertragslaufzeit fragte die Mieterin an, ob sie die Küche abbauen und eine eigene Küche einbauen dürfte, was ihr unter der Bedingung erlaubt wurde, dass die alte Küche sicher einzulagern sei. Hiernach kam es zum Diebstahl der Küche, für die der Vermieter eine Versicherungszahlung erhielt. Die Mieterin war nun jedoch der Ansicht, dass sie den auf die Küche entfallenden Anteil der monatlichen Miete nicht mehr zahlen müsste, da die eingelagerte Küche gestohlen und trotz Zahlung durch eine Versicherung nicht ersetzt wurde.

Der BGH geht davon aus, dass hier kein zur Minderung berechtigender Mangel vorliegt, § 536 Abs. 1 BGB. Durch die Vereinbarung, dass die alte Küche zwecks Einbau einer neuen Küche eingelagert wird, soll konkludent zwischen den Parteien vereinbart worden sein, dass unter Beibehaltung des bisherigen Mietzinses der Vermieter nunmehr nicht mehr die Gebrauchsgewährung in Bezug auf die alte Küche schuldet. Durch den Diebstahl der eingelagerten Küche hat sich somit die Ist-Beschaffenheit der Mietsache nicht geändert, sodass die Mietsache nicht mangelbehaftet ist. Dem Anspruch auf volle Mietzahlung stehe auch im Hinblick auf die erhaltene Versicherungsleistung § 242 BGB nicht entgegen, da die Versicherungsleistung ausschließlich Ersatz für den Schaden in Bezug auf das verlorene Eigentum an der Küche sei.

Diese Entscheidung überrascht. Zwar ist die rechtliche Konstruktion mit einer Anpassung des Mietgegenstandes bei Beibehaltung des Mietzinses geschickt. Aber wie wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn sich die Mieterin später wieder dazu entschieden hätte, die alte Küche – ihr Vorhandensein vorausgesetzt – wieder in die Wohnung einzubauen: Würde sie dann tatsächlich die Grenzen Ihrer mietvertraglichen Rechte überschreiten und hätte der Vermieter dann möglicherweise sogar Ansprüche (z.B. Herausgabe aus § 985 BGB) gegen die Mieterin?

BGH Urt. v. 13.4.2016 – VIII ZR 198/15