Oberster Gerichtshof der USA lehnt „discovery“ für Schiedsgerichte ab

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass in den USA ein Verfahren praktiziert wird, das hierzulande regelmäßig auf wenig Gegenliebe stößt. Die sog. „discovery“ (Entdeckung, Ermittlung).  Über dieses Verfahren kann eine potentielle Streitpartei von der potentiellen Gegenpartei schon vor dem eigentlichen Prozess die Herausgabe von Dokumenten u. a. verlangen. Dabei besteht in den USA auch die Möglichkeit, dass dort entsprechende Ersuchen bearbeitet werden, die aus dem Ausland kommen.

Die entscheidende Frage war nun, ob auch Schiedsgerichte die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschrift erfüllen, ob also ein Schiedsgericht ein entsprechendes Ersuchen stellen kann. Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Frage einstimmig entschieden, d. h. mit 9 : 0 Stimmen: Nein! Der einschlägige Wortlaut der Vorschrift lautete u. a. wie folgt: Discovery ist zulässig „for use in a proceeding in a foreign or international tribunal“; also in etwa: für den Gebrauch in einem Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht. Letztlich ist damit klar, dass Schiedsgerichte nicht als solche Gerichte angesehen werden können, zumal das Wort „arbitration“ an keiner Stelle in der Vorschrift enthalten ist.

Die Entscheidung hat die von Donald Trump vorgeschlagene jüngere Richter Amy Coney Barrett verfasst. Man kann an dieser Entscheidung jedoch sehen, dass die politische Orientierung der Richter, anders als in anderen Fällen, hier keine Rolle gespielt hat. Sie argumentiert sorgfältig unter Heranziehung von Wörterbüchern zum Wortlaut der Vorschrift und unterbreitet anschließend auch noch darüber hinaus gehende Sachargumente.

Für die Attraktivität von Schiedsgerichtsverfahren ist diese Entscheidung allerdings eher nachteilig. Aber wenigstens wurde die Frage nunmehr verbindlich geklärt, was angesichts divergierender Entscheidungen von Berufungsgerichten in den USA dringend erforderlich war.

OLG Braunschweig: Unstatthafte Beschwerde eines Rechtsanwalts gegen eine vorläufige Wertfestsetzung

Das OLG Braunschweig (Beschl. v. 13.6.2022 – 4 W 16/22) hat einen wichtigen Grundsatz des Streitwertrechts betont.

Das LG Itzehoe setzte den Wert eines Verfahrens auf 27.897,13 Euro fest und verwies anschließend das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das LG Braunschweig. Der Klägervertreter vertrat die Auffassung, der Wert sei zu niedrig festgesetzt worden und legte nach der Verweisung im eigenen Namen gegen den Streitwertbeschluss Beschwerde ein. Der Beschwerde wurde vom LG Braunshcweig nicht abgeholfen, sondern dem für das LG Braunschweig zuständigen OLG Braunschweig vorgelegt. Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Das für das LG Braunschweig zuständige OLG hatte hier richtigerweise zu entscheiden. Nach einer Verweisung eines Rechtsstreites ist über ein Rechtsmittel so zu entscheiden, als stamme die angefochtene Entscheidung von dem übernehmenden Gericht.

Die Beschwerde ist jedoch nicht statthaft. Das LG Itzhoe hatte den Streitwert nämlich nur vorläufig zur Bestimmung der Zuständigkeit festgesetzt. Dies wäre zwar nicht erforderlich gewesen, erfolgt jedoch gleichwohl durchaus häufig. Damit handelte es sich hier um die Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwertes, nicht des Gebührenstreitwertes. Eine derartige Wertfestsetzung ist für die Partei nicht anfechtbar. Die Beschwerdemöglichkeit der §§ 63, 68 GKG betrifft nur die verbindliche Festsetzung des Gebührenstreitwertes. Im Streitwertrecht steht dem Rechtsanwalt auch kein im Vergleich zur Partei weitergehendes Beschwerderecht zur Verfügung. Demensprechend hilft § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt hier nach ganz h. M. gleichfalls nicht weiter.

Fazit: Die Festsetzung eines Zuständigkeitsstreitwertes durch ein Gericht kann somit weder von der Partei noch von einem Rechtsanwalt angefochten werden. Wenn es erforderlich werden sollte, steht es dem Rechtsanwalt im Übrigen frei, den Weg des § 32 RVG zu gehen, mithin aus eigenem Recht die Festsetzung des Wertes für seine Gebühren zu verlangen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Grenzen der Möglichkeit, das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen maßgebliche Recht auszuwählen.

Verstoß gegen ordre public durch Ausschluss des Pflichtteilsrechts aufgrund Rechtswahl
Urteil vom 29. Juni 2022 – IV ZR 110/21

Mit dem internationalen Erbrecht befasst sich der IV. Zivilsenat.

Der Kläger macht gegen die Beklagte als Alleinerbin seines im Jahr 2018 verstorbenen Adoptivvaters einen Pflichtteilsanspruch geltend.

Der 1936 geborene Erblasser war britischer Staatsbürger. Seit den 60er Jahren hatte er seinen Wohnsitz in Deutschland. Im Jahr 1975 adoptierte er den Kläger, der deutscher Staatsbürger ist und hier auch seinen Wohnsitz hat. In einem Testament aus dem Jahr 2015 setzte der Erblasser die Beklagte zur Alleinerbin ein und wählte für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das englische Recht.

Die auf Auskunft über Bestand und Wert des Nachlasses gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagte überwiegend antragsgemäß.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Für die Rechtsnachfolge von Todes wegen ist im Streitfall das englische Recht maßgeblich. Gemäß Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 (EuErbVO) wäre zwar grundsätzlich das deutsche Recht anwendbar, weil der Erblasser hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO war der Erblasser aber befugt, stattdessen das Recht des Staates zu wählen, dem er angehörte, also das englische Recht als Teilrechtsordnung des Vereinigten Königreichs.

Das englische Recht kennt keinen Pflichtteilsanspruch. Es sieht lediglich einen nach richterlichem Ermessen zuzusprechenden Ausgleichsanspruch für bedürftige Abkömmlinge vor. Dem Kläger steht ein solcher Anspruch schon deshalb nicht zu, weil er seinen Wohnsitz (domicile) nicht in England oder Wales hat.

Der hieraus resultierende Ausschluss des Pflichtteilsrechts verstößt offensichtlich gegen den deutschen ordre public. Das Recht auf eine bedarfsunabhängige Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Deshalb ist das englische Recht gemäß Art. 35 EuErbVO insoweit nicht anwendbar. Dem Kläger steht ein Pflichtteilsanspruch nach Maßgabe des deutschen Rechts zu.

Praxistipp: Nach dem bis 31.12.1976 geltenden Adoptionsrecht (§ 1767 BGB aF) konnte das Erbrecht (und damit auch das Pflichtteilsrecht) eines adoptierten minderjährigen Kindes im Adoptionsvertrag ausgeschlossen werden. Solche Vereinbarungen haben aufgrund der Übergangsregelung in Art. 2 § 2 Abs. 2 des Adoptionsgesetzes am 1.1.1978 ihre Wirksamkeit verloren, wenn das Kind am 1.1.1977 noch minderjährig war und bis zum 31.12.1977 kein Beteiligter der Anwendbarkeit des neuen Rechts widersprochen hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Im 250. Montagsblog geht es um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Kenntnis eines Kaufmangels zum Ausschluss der Gewährleistungsrechte führt.

Kenntnis eines Mangels bei Genehmigung eines ohne Vollmacht geschlossenen Kaufvertrags
Urteil vom 6. Mai 2022 – V ZR 282/20

Mit dem nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkt befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beklagte kaufte von der Drittwiderbeklagten ein bislang als Bürogebäude genutztes Objekt. Der Kläger wirkte an der Veräußerung als Makler mit. In einem vor Vertragsschluss übersandten Exposé hieß es, eine Umnutzung in Wohnraum sei problemlos möglich; so könnten zum Beispiel auf einer vermietbaren Fläche von ca. 1703,57 m² Studentenwohnungen entstehen.

Beim Abschluss des notariellen Kaufvertrags am 3. April 2019 traten für beide Vertragsparteien vollmachtlose Vertreter auf. Die Drittwiderbeklagte genehmigte den Vertragsschluss kurz danach. Am 15. April ließ die Beklagte ihre Genehmigungserklärung notariell beglaubigen. Spätestens am 6. Mai erfuhr sie, dass die Wohnfläche nur 1412,41 m² beträgt. Am 29. Mai übersandte sie dem beurkundenden Notar die Genehmigungserklärung. Dabei behielt sie sich die Geltendmachung von Rechten wegen unzutreffender Angaben zum Kaufgegenstand vor.

Der Kläger begehrt die Zahlung von Maklerprovision in Höhe von rund 95.000 Euro. Die Beklagte verlangt vom Kläger und von der Drittwiderbeklagten wegen der zu geringen Fläche Schadensersatz in Höhe von rund 400.000 Euro. Das LG gab dem Kläger und der Drittwiderbeklagten recht. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Die Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Das OLG ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kaufvertrag wirksam zustande gekommen ist, der Beklagten aber keine Gewährleistungsansprüche zustehen, weil sie die Flächenabweichung bei Abgabe ihrer Genehmigungserklärung gekannt hat.

Nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Gewährleistungsrechte wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn der Käufer diesen Mangel bei Vertragsschluss kennt. Maßgeblich hierfür ist nicht der Zeitpunkt der notariellen Beurkundung des Kaufvertrags, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Käufer die Erklärung abgegeben hat, die ihn an den Vertrag bindet. § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB beruht auf der Wertung, dass ein Käufer nicht sehenden Auges einen mangelhaften Gegenstand kaufen darf, um anschließend Ansprüche aus Sachmängelhaftung geltend zu machen. Im Streitfall hat sich die Beklagte nicht schon durch die Beglaubigung ihrer Genehmigungserklärung an den Vertrag gebunden, sondern erst mit der Abgabe dieser Erklärung durch Übersendung an den beurkundenden Notar. Ihr stehen folglich keine Gewährleistungsansprüche zu, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits von der Flächenabweichung wusste.

Praxistipp: Ein Käufer, der von dem Mangel erst erfahren hat, nachdem er ein bindendes Vertragsangebot abgegeben hatte, verliert seine Gewährleistungsansprüche auch dann nicht, wenn der Verkäufer das Angebot erst nach Erlangung der Kenntnis annimmt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Darlegungslast des Reiseveranstalters für die Angemessenheit einer pauschalen Entschädigung bei Rücktritt vom Vertrag.

Entschädigung bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn
Urteil vom 24. Mai 2022 – X ZR 12/21

Mit einer besonderen Vertragsgestaltung auf Seiten des Reiseveranstalters befasst sich der X. Zivilsenat.

Der Kläger schloss mit der Beklagten für seine Ehefrau und sich einen Vertrag über eine knapp sechswöchige Pauschalreise nach Australien. Fünf Tage vor Reise trat er wegen Erkrankung der Ehefrau von der Reise zurück. Die Beklagte erstattete 30 % des bereits vollständig gezahlten Reisepreises. Den Rest behielt sie unter Bezugnahme auf ihre AGB als Entschädigung ein. Die AGB sehen für den Fall eines Rücktritts nach dem vierzehnten und vor dem fünften Tag vor Reiseantritt eine pauschale Entschädigung von 70 % des Reisepreises vor. Dieselben Pauschalsätze sind in dem Vertrag zwischen der Beklagten und einer Schwestergesellschaft vorgesehen, von der die Beklagte sämtliche Reiseleistungen bezieht.

Der Kläger hält allenfalls eine Entschädigung von 50 % für angemessen und verlangt deshalb Rückzahlung von weiteren 20 % des Reisepreises. Das AG wies die Klage ab. Das LG sprach den geltend gemachten Betrag von rund 4.000 Euro mit Ausnahme eines Teils der verlangten Zinsen zu.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Nach § 651i BGB aF (seit 1.7.2018: § 651h BGB) verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den Reisepreis, wenn der Reisende vor Beginn der Reise vom Vertrag zurücktritt. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Diese bestimmt sich nach dem Reisepreis abzüglich ersparter Aufwendungen und abzüglich dessen, was der Veranstalter durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Der Reiseveranstalter darf in seinen AGB angemessene Entschädigungspauschalen festlegen.

Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Reiseveranstalter sowohl bei konkreter Berechnung als auch bei Geltendmachung einer Pauschale die Umstände darlegen, aus denen sich die Angemessenheit der geforderten Entschädigung ergibt. Hierfür genügt es in der Konstellation des Streitfalls nicht, wenn die Beklagte auf die entsprechenden Pauschalsätze im Vertrag mit ihrer Schwestergesellschaft verweist. Die Beklagte muss sich vielmehr so behandeln lassen, als habe sie die Reiseleistungen unmittelbar von den Vertragspartnern der Schwestergesellschaft bezogen. Sie hätte deshalb zu den Ersparnissen und anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten in diesen Vertragsverhältnissen vortragen müssen.

Praxistipp: Nach der seit 1.7.2018 geltenden Regelung in § 651h Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Nachreichen einer Prozessvollmacht.

Heilung des Mangels der Prozessvollmacht
Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZB 18/18

Mit den Anforderungen an die Prozessvollmacht eines Inkassodienstleisters befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil über eine Forderung in Höhe von rund 5.500 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten. Sie ist durch eine in das Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin vertreten. Auf deren Antrag erließ das AG im Januar 2017 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Eine Erinnerung des Schuldners blieb erfolglos. Mit seiner Beschwerde rügte er unter anderem das Fehlen einer Prozessvollmacht. Die Inkassodienstleisterin legte daraufhin eine Inkassovollmacht der Gläubigerin im Original vor. Das LG wies die Beschwerde zurück.

Die Rechtsbeschwerde des Schuldners bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde hätte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss allerdings nicht ergehen dürfen. Die Ausnahmeregelung in § 88 Abs. 2 ZPO, wonach Mängel der Vollmacht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, wenn ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf Inkassodienstleister, die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO zur Vertretung befugt sind, nicht entsprechend anwendbar. Die für diesen Personenkreis geltende Ausnahmeregelung in § 753a ZPO gab es im hier relevanten Zeitraum noch nicht.

Dieser Fehler führte jedoch nicht zur Nichtigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, sondern nur zu dessen Anfechtbarkeit. Der Mangel der Vollmacht konnte deshalb bis zur Entscheidung über die Beschwerde geheilt werden. Dies ist im Streitfall durch Vorlage der Inkassovollmacht geschehen. Die Heilung wirkt auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück.

Praxistipp: Nach der seit 1.1.2021 geltenden Ausnahmeregelung in § 753a ZPO ist die Vorlage einer Vollmacht durch Inkassodienstleister und öffentlich geförderte Verbraucherverbände entbehrlich, wenn diese ihre ordnungsgemäße Bevollmächtigung versichern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das anwendbare Recht für Unterhaltsansprüche eines geschiedenen Ehegatten.

Unterhaltsstatut für Expatriate-Ehe
Beschluss vom 11. Mai 2022 – XII ZB 543/20

Mit Art. 5 HUP befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Antragstellerin begehrt von ihrem geschiedenen Ehemann Unterhalt in Höhe von rund 5.000 Euro pro Monat. Die beiden Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige. Mit ihrer 1992 geborenen Tochter lebten sie seit 1994 in Schottland, wo der Antragsgegner promovierte. Seit 1999 ist der Antragsteller für ein Mineralölunternehmen tätig. Dieses setzt ihn als so genannten Expatriate jeweils für befristete Zeit – in der Regel fünf Jahre – an einem seiner internationalen Standorte ein. Von 1999 bis 2008 lebten die Beteiligten in den Niederlanden, wo sie 2006 einen Partnerschaftsvertrag nach niederländischem Recht schlossen und 2008 heirateten. Von 2008 bis 2012 lebten sie im Sultanat Brunei, seit Juni 2012 in Texas. Im Jahr 2017 wurde die Ehe von einem Bezirksgericht in Texas rechtskräftig geschieden. Die Antragstellerin lebt seither in Deutschland, der Antragsteller weiterhin – nunmehr auf Dauer – in Texas.

Der Antrag auf Verurteilung zur Unterhaltszahlung ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben, weil das nach Auffassung von AG und OLG anwendbare texanische Recht einen Unterhaltsanspruch grundsätzlich erst nach einer Ehedauer von zehn Jahren vorsieht.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Unterhaltsanspruch nach deutschem Recht zu beurteilen.

In den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme von Dänemark und Irland) ist das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht gemäß Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 nach dem Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUP) zu bestimmen.

Nach Art. 3 HUP ist für Unterhaltspflichten grundsätzlich das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist im Streitfall das deutsche Recht, weil die Antragstellerin in Deutschland wohnt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen führt Art. 5 HUP im Streitfall nicht zur Anwendbarkeit des texanischen Rechts. Hierfür wäre erforderlich, dass die Ehe eine engere Verbindung zu diesem Recht aufwiese. Hieran fehlt es im Streitfall, weil der gemeinsame Aufenthalt der Eheleute in Texas – wie alle vorangegangenen Aufenthalte an anderen Orten – nicht auf Dauer angelegt war. Eine engere Verbindung als diejenige zum deutschen Recht wird auch nicht dadurch begründet, dass die Ehe in Texas geschieden wurde oder dass der Antragsteller sich nach der Scheidung entschlossen hat, auf Dauer dort zu leben.

Praxistipp: Die Kollisionsregeln des HUP sind nach Art. 2 HUP auch dann anwendbar, wenn sie zum Recht eines Staates führen, der (wie die USA) dem Protokoll nicht beigetreten ist. Soweit keine spezielleren Regeln greifen, bilden sie deshalb (seit 18.06.2011) das für Deutschland maßgebliche Kollisionsrecht für Unterhaltsansprüche. Zum wesentlichen Inhalt vgl. Conti FamRBInt 2011, 62.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Folgen der Erstattung einer Lastschrift.

Erfüllungsanspruch nach Erstattung einer SEPA-Basislastschrift
Urteil vom 12. Mai 2022 – IX ZR 71/21

Dass die Erstattung einer Lastschrift gravierende Folgen für den Zahlenden haben kann, zeigt eine Entscheidung des IX. Zivilsenats.

Die Beklagte bezog von einer Lieferantin aufgrund eines Rahmenvertrags Waren. Die Bezahlung erfolgte per SEPA-Lastschrift. Nachdem die Lieferantin Insolvenzantrag gestellt hatte, verlangte die Beklagte von Ihrer Bank die Erstattung der in den acht Wochen zuvor erfolgten Lastschrifteinzüge. Ihr wurden daraufhin rund 135.000 Euro wieder gutgeschrieben. Derselbe Betrag wurde dem Konto der Lieferantin bei einer Sparkasse belastet, das schon zuvor einen debitorischen Saldo aufgewiesen hatte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete die Sparkasse Forderungen in Höhe von rund 400.000 Euro zur Tabelle an. Aus der Verwertung von Sicherheiten erhielt sie rund 65.000 Euro. Sie nahm daraufhin die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Zahlung der erstatteten Beträge in Anspruch. Die Beklagte zahlte aufgrund eines Vergleichs rund 100.000 Euro. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Insolvenzverwalter Zahlung des Kaufpreises für die betroffenen Lieferungen. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies sie hingegen ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Die geltend gemachten Kaufpreisansprüche sind zwar durch den erfolgreichen Lastschrifteinzug und die daraufhin erfolgte Gutschrift auf dem Konto der Lieferantin erloschen. Aus der konkludenten Erfüllungsvereinbarung, die die Beteiligten bei Nutzung des SEPA-Basislastschriftverfahrens schließen, ergibt sich aber, dass der Anspruch wieder auflebt, wenn der Zahlende von dem in § 675x Abs. 2 und 4 BGB vorgesehenen Recht Gebrauch macht, innerhalb von acht Wochen nach Belastung die Erstattung des abgebuchten Betrags zu verlangen.

Entgegen der Auffassung des OLG hängt das Recht zur Geltendmachung des Anspruchs nicht davon ab, ob der Lieferantin durch die Erstattung ein Schaden entstanden ist. Im Insolvenzverfahren ist zwischen dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen und den Insolvenzforderungen der einzelnen Gläubiger zu trennen. Die Beklagte kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass sich die Erstattung wirtschaftlich im Wesentlichen zu Lasten der Sparkasse ausgewirkt hat, die den in Rede stehenden Betrag nur noch als Insolvenzforderung gegen die Lieferantin geltend machen kann. Ungeachtet dieser Wirkungen bleibt die Beklagte als Kaufpreisschuldnerin verpflichtet, den Kaufpreis zu erbringen und damit die zur Verteilung stehende Insolvenzmasse zu vergrößern.

Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch auch nicht insoweit entfallen, als die Beklagte der Sparkasse den erstatteten Betrag zurückbezahlt hat. Diese Zahlung betrifft lediglich das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und der Sparkasse. Als Ausgleich kann die Beklagte von der Sparkasse gemäß § 255 BGB die Abtretung der Insolvenzforderung verlangen. Ihre Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises an den Insolvenzverwalter bleibt hiervon unberührt.

Praxistipp: Der ursprüngliche Erfüllungsanspruch lebt auch dann wieder auf, wenn der Zahlende den gezahlten Betrag aufgrund der Käuferschutzregeln beim Amazon oder PayPal zurückerhält. Dogmatisch wird dieses Ergebnis auf eine bereits bei Vertragsschluss (und nicht erst bei der Zahlung) getroffene konkludente Vereinbarung gestützt. Trotz dieses Unterschieds kann eine Erstattung zu vergleichbaren Konsequenzen führen, wenn der Käufer das Geld ohne zureichenden Grund zurückverlangt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die prozessuale Stellung eines einfachen Streithelfers.

Widerspruch zwischen dem Sachvertrag von Partei und Streithelfer
Urteil vom 26. April 2022 – VI ZR 1321/20

Mit den Konsequenzen von § 67 Satz 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger verlangt Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen eines Katzenbisses, in dessen Gefolge ein stationärer Krankenhausaufenthalt und sechs Operationen stattfanden. Die beklagte Halterin der Katze ist anwaltlich nicht vertreten. Ihre Haftpflichtversicherung hat vorprozessual 1.000 Euro gezahlt und danach ihre Einstandspflicht in Abrede gestellt. Sie ist dem Rechtsstreit als Streithelferin der Beklagten beigetreten und hat geltend gemacht, der Kläger sei Miteigentümer und Mithalter der Katze; unabhängig davon sei die Schilderung des Unfallhergangs unplausibel. Die Beklagte hat bei einer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht die Darstellung des Klägers bestätigt. Dennoch blieb die Klage in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hängt die Haftung der Beklagten als Halterin der Katze gemäß § 833 Satz 1 BGB nicht davon ab, dass der Kläger den genauen Hergang des Unfalls beweisen kann. Es genügt, wenn die Katze ihn gebissen hat und der geltend gemachte Schaden dadurch verursacht worden ist. Letzteres haben die Vorinstanzen zugunsten des Klägers unterstellt. Auf dieser Grundlage kann die Klage nicht abgewiesen werden. Besonderheiten des Unfallhergangs können allenfalls zu einer Haftungsminderung oder ausnahmsweise zu einem Haftungsausschluss führen; die Beweislast für die dafür relevanten Umstände liegt bei der Beklagten.

Unabhängig davon durften die Vorinstanzen den Vortrag des Klägers zum Unfallhergang nicht als streitig ansehen. Das Bestreiten seitens der Streithelferin ist gemäß § 67 Satz 1 ZPO unbeachtlich, weil es in Widerspruch zum Vortrag der von ihr unterstützten Beklagten steht. Für die Frage, ob ein Widerspruch in diesem Sinne vorliegt, ist auch im Anwaltsprozess unerheblich, ob die widersprechenden Angaben von der unterstützten Partei oder von ihrem Anwalt stammen. Ein Streithelfer darf nur dann abweichend von der unterstützten Partei vortragen, wenn er gemäß § 69 ZPO als Streitgenosse gilt. Diese Voraussetzungen liegen bei einem Haftpflichtversicherer nicht vor.

Praxistipp: Der Widerspruch der Versicherungsnehmerin gegen den Vortrag des Haftpflichtversicherers führt zu Beschränkungen der Interventionswirkung nach § 68 ZPO. Er kann darüber hinaus Auswirkungen auf die Deckungspflicht haben.

BAG: Entscheidung über einen nicht protokollierten Antrag

Der BAG hat mit Urt. v. 9.2.2022 – 5 AZR 347/21 über einen Verfahrensfehler im Zivilprozess, der zur Aufhebung eines Urteils führen musste, entschieden.

In einem Schlussurteil hatte das LAG entschieden, dass dem Kläger eine Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016 nicht zustand. Dieser Antrag in dem ansonsten recht umfangreichen Prozess war erst in der Berufungsinstanz neu eingeführt worden. Ausweislich des Tatbestandes des Urteils des LAG war der entsprechende Antrag von dem Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt worden. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO sind die Anträge allerdings auch im Protokoll festzuhalten. Wenn dies unterbleibt, darf das Gericht nicht darüber entscheiden. Im Protokoll war der Antrag bezüglich des Annahmeverzugs für das Jahr 2016 jedoch nicht aufgeführt. Damit widersprachen sich Tatbestand und Protokoll. In einem solchen Fall geht das Protokoll vor (§ 165 S. 1 ZPO). Der Antrag bezüglich des Annahmeverzugs für das Jahr 2016 gilt daher als nicht gestellt, obwohl nach dem gesamten Verlauf der Angelegenheit offensichtlich war, dass es sich um ein Versehen des LAG gehandelt hatte, zumal der Kläger den Antrag nicht zurückgenommen hatte. Darüber hinaus ergab sich schon aus der Nichtzulassungsbeschwerde, dass der Kläger eine Entscheidung über diesen Antrag begehrt hatte.

Die Konsequenz: Damit hat das LAG gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Dieser Fehler nötigt das Revisionsgericht, das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LAG zurückzuverweisen, damit der Kläger dort nochmals ordnungsgemäß seine Anträge stellen kann.

Fazit: Auch das BAG fällt durchaus häufig zivilprozessrechtlich interessante Entscheidungen! Der Fall zeigt mit Deutlichkeit, wie wichtig es sowohl für das Gericht als auch für die Rechtsanwälte ist, auf eine ordnungsgemäße Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu achten. Hier darf nichts schiefgehen. Ein Teil jeder Terminsvorbereitung muss daher immer sein: Das Herausarbeiten der richtigen Anträge. Die Folgen können sonst mehr als ärgerlich sein.