Referentenentwurf zur virtuellen HV

In diesen Tagen erscheint im Otto Schmidt Verlag die Neuauflage des renommierten Handbuchs börsennotierte AG, u.a. mit einem umfassenden Kapitel zur Hauptversammlung aus meiner Feder. Behandelt wird darin selbstverständlich auch die virtuelle HV auf Basis des COVMG, die als Notstandsinstrument die Praxis der letzten beiden Jahre geprägt hat und noch bis Ende August 2022 genutzt werden kann. Unterdessen arbeitet das BMJ daran, die virtuelle HV inhaltlich aufzurüsten und dauerhaft im Aktiengesetz zu implementieren. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften liegt seit dem 9.2.2022 offiziell vor.

Worum geht es?

Zunächst ist bemerkenswert, worum es im RefE überhaupt geht – und auch worum nicht. Der RefE behandelt allein die neue virtuelle HV und deren Mindestanforderungen, außerdem eine punktuelle Absicherung der Gesellschaften gegen Anfechtungsrisiken bei technischen Pannen. Im Übrigen bleibt das Beschlussmängelrecht jedoch unangetastet. Gleiches gilt für das Recht der Präsenzhauptversammlung, die vollständig erhalten bleibt und gegenüber dem neuen virtuellen Format den gesetzlichen und wohl auch den praktischen Regelfall bilden soll.

Wer regelt was?

Die virtuelle HV soll, außer für die Dauer eines einmaligen Übergangsjahres, nicht unmittelbar durch Gesetz ermöglicht werden. Der RefE sieht vielmehr vor, dass die Satzung das virtuelle Format entweder selbst anordnen oder den Vorstand entsprechend ermächtigen kann – wie es bereits von der Briefwahl und der Online-Teilnahme bekannt ist. Hinzu kommt, dass die Satzungsklausel zum virtuellen Format stets eine beschränkte Laufzeit von maximal fünf Jahren haben soll. Das macht es erforderlich, die Hauptversammlung wiederkehrend mit der Frage zu befassen, ähnlich wie beim genehmigten Kapital, bei Anleiheermächtigungen oder beim Erwerb eigener Aktien. Damit verbinden sich beachtliche Hürden. Allen voran: Es bedarf im Regelfall einer Drei-Viertel-Kapitalmehrheit, außerdem der Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister, die durch etwaige Anfechtungsklagen erschwert sein kann. Für Publikumsgesellschaften mit breitem Streubesitz ist beides kein triviales Unterfangen.

Was gehört zum Programm?

Die Eckpunkte der neuen virtuellen HV sehen laut RefE wie folgt aus:

  • Übertragung der gesamten HV in Bild und Ton
  • Stimmabgabe der Aktionäre im Wege elektronischer Kommunikation
  • Geschäftsordnungsanträge während der HV im Wege elektronischer Kommunikation
  • Gegenanträge i.S.v. § 126 AktG nur vorab unter Wahrung der bekannten 14-Tagesfrist, es sei denn, die Einberufung gestattet Gegenanträge auch noch in der HV
  • „Auskunftsrecht nach § 131“ (gemeint ist: Fragerecht) im Wege elektronischer Kommunikation, wobei der Vorstand eine Vorabeinreichung der Fragen bis vier Tage vor der HV anordnen kann – dann allerdings hat der Aktionär in der Versammlung noch ein thematisch beschränktes Nachfragerecht im Wege elektronischer Kommunikation
  • Bereitstellung des Vorstandsberichts (d.h. des Redemanuskripts des CEO) oder seines wesentlichen Inhalts spätestens sechs Tage vor der HV
  • Einreichung von Stellungnahmen (insbesondere Videobotschaften) zur Tagesordnung im Wege elektronischer Kommunikation bis vier Tage vor der HV
  • Live-Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation – mit vorherigem Anmeldeerfordernis und Vergabe der verfügbaren Slots nach dem Prioritätsprinzip
  • Widerspruchsrecht in der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation
  • Aufnahme „elektronisch zugeschalteter“ Aktionäre in das Teilnehmerverzeichnis
  • Anfechtungsbefugnis auch für „elektronisch zugeschaltete“ Aktionäre

Was darf die HV?

Der RefE schränkt die Kompetenzen einer HV im neuen virtuellen Format in keiner Weise ein. Auch das virtuelle Format ist also geeignet, sämtliche Gegenstände zu behandeln, die in die Zuständigkeit der HV als Organ fallen – einschließlich weitreichender Kapital-, Struktur- und Umwandlungsmaßnahmen. Ausdrücklich heißt es in den Materialien, die virtuelle HV sei eine vollwertige Versammlungsform, im Verhältnis zur Präsenzversammlung also keine „Versammlung zweiter Klasse“.

Wie geht es weiter?

Die Verbände haben bis zum 11.3.2022 Gelegenheit, zum RefE Stellung zu nehmen. Dabei dürfte es wenig aussichtsreich sein, auf weiterreichende Reformen, namentlich des Beschlussmängelrechts oder der Präsenzversammlung, zu drängen – denn dafür fehlt neben der Zeit augenscheinlich auch ein konsensfähiger Ansatz. Was aber zu diskutieren ist, sind die Bausteine der virtuellen HV. So fällt beispielsweise auf, dass Videobotschaften (auf freiwilliger Basis) schon bisher vielfach ermöglicht, aktionärsseitig aber kaum genutzt worden sind. Es besteht also offenbar kein nennenswertes Interesse hieran. Es sollte daher überdacht werden, ob dieses Element im Gesetz wirklich verankert sein muss – zumal neben den Live-Redebeiträgen. Auch sind einige dogmatische Fehler zu beheben: So verwechselt der RefE das Auskunftsrecht (d.h. den Anspruch auf eine Antwort) mit dem Fragerecht (d.h. dem Auskunftsverlangen), übersieht die erhebliche Schnittmenge zwischen Geschäftsordnungs- und Gegenanträgen und umschreibt die vorgelagerte Übersendung von Briefwahlstimmen und Weisungen rechtsirrig als „Abstimmung“.

Fokus statt Flickenteppich

Ein weiterer Punkt: Die Entwurfsmaterialien signalisieren, dass die virtuelle HV neuen Zuschnitts kein breites Massenphänomen mehr sein wird (vgl. die zurückhaltenden Schätzungen i.R.d. Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft, Begr. RefE S. 19). Genau das mag vom BMJ politisch auch durchaus gewollt sein. Dann aber fragt sich, warum sich ihre Regelung zersplittert in nahezu jeder zentralen HV-Vorschrift niederschlagen soll. Meine Anregung ist: ein eigener, in sich geschlossener Unterabschnitt zur virtuellen HV, z.B. als neue §§ 132a ff. AktG. Dort wäre dann en bloc zu lesen, dass die HV auf Satzungsgrundlage auch im virtuellen Format stattfinden kann – mit unmittelbar anschließender Regelung aller Besonderheiten gegenüber der klassischen Präsenzversammlung. Die Vorteile liegen auf der Hand: eine schlankere und klarere Regelung, keine systematischen und thematischen Sprünge im bisherigen HV-Recht sowie die Möglichkeit, das virtuelle Format im Gesetz schlicht zu überblättern, falls es denn für die eigene Praxis keine Rolle spielt.

Hinweis des Verlags:

Weitere Informationen zu Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, finden Sie hier.

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Sustainable Shareholder Activism – bald auch in Deutschland?

Im ersten Teil des Beitrags wurden die globalen Entwicklungen rund um den Sustainable Shareholder Activism beleuchtet. Dabei wurde insbesondere das Beispiel Exxon Mobile aufgegriffen. Sicherlich stellt das in Teil I beschriebene Beispiel eines ESG-Aktivismus Exxon Mobile einen Sonderfall dar und natürlich gilt generell, dass die Sitten an den US-amerikanischen Kapitalmärkten rauer sind und zumindest in Kontinentaleuropa die dortigen Gebräuche zwar nachvollzogen werden, aber meist weit weniger akzentuiert. Dennoch wird man auch in Deutschland damit zu rechnen haben, dass bei zukünftigen Kampagnen und Initiativen aus dem Aktionariat ESG-Themen eine wachsende Bedeutung erlangen werden.

I. Keine Hauptversammlungszuständigkeit für ESG-Themen

Dem deutschen Aktienrecht ist ein rein konsultatives Votum ohne Bindungswirkung, das der Hauptversammlung die Beschäftigung mit mehr oder weniger beliebigen Themen zur Aufgabe machen könnte, grundsätzlich fremd. Die Hauptversammlung ist im Ausgangspunkt nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zuständig, wobei ausdrückliche Zuständigkeiten im Bereich ESG bisher fehlen. Trotz der Aufwertung, die Nachhaltigkeit aktuell auch bei Unternehmen und ihren Anteilseignern erfährt, wird man selbstverständlich auch keine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung in ESG-Themen nach den Grundsätzen der Holzmüller-Gelatine-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes annehmen können. Voraussetzung und Rechtsfolgen dieser Rechtsprechung sind für andere Fälle entwickelt worden und passen kaum auf Bemühungen, den ökologischen und sozialen Fußabdruck der Gesellschaft zu verbessern.

II. Möglichkeiten eines Sustainable Shareholder Activism nach deutschem Recht

Wenn auch dem deutschen Recht das Instrument des shareholder proposal als Instrument der Wahl eines Sustainable Shareholder Activism fremd ist, ist nachhaltigkeitsbezogener Aktionärsaktivismus nicht qua Gesetzes unmöglich. Vielmehr stehen auch hier Anteilseignern grundsätzlich die drei bereits benannten allgemeinen Instrumente zur Durchsetzung einer ESG-Agenda zur Verfügung: Nutzung der Aktionärsrechte, trategiegespräche mit der Zielgesellschaft und allgemeines Werben für die eigene Agenda gegenüber der Gesellschaft oder Öffentlichkeit.

1. Ausübung von Aktionärsrechten

Das deutsche Aktienrecht steht bekanntlich auf dem Standpunkt, dass die Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft – grundsätzlich nur – in der Hauptversammlung ausüben (§ 118 AktG). Wenn auch ein „say on climate“ oder ein „say on ESG“ dem deutschem Aktienrecht grundsätzlich unbekannt sind (umfassend Harnos/Holle, AG 2021, 853), existieren multiple Möglichkeiten, die Nachhaltigkeitspolitik der Gesellschaft im Rahmen der Hauptversammlung zu thematisieren, kommentieren und bis zu einem gewissen Grade einer Abstimmung zu unterwerfen.

(1) Durch die nicht-finanzielle Berichterstattung nach §§ 289b ff., §§ 315b f. HGB sind die ESG-Anstrengungen der Gesellschaft (bzw. ein nach dem comply-or-explain-Prinzip erklärter Verzicht) integraler Bestandteil der Rechnungslegung.

(2) Da Gegenstand der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat letztlich die gesamte Unternehmensführung des abgelaufenen Geschäftsjahrs ist, kann diese zu einem Urteil über die Corporate Responsibility-Bemühungen des abgelaufenen Geschäftsjahres gemacht werden. Die gerade aktualisierten Proxy Voting Guidelines u.a. der Stimmrechtsberater (ISS, Glass Lewis) wie auch die hauseigenen Abstimmungsrichtlinien großer Vermögensverwalter wie BlackRock für die Hauptversammlungssaison 2022 lassen denn auch tatsächlich eine Tendenz erkennen, diagnostizierte Defizite im ESG-Bereich entweder bei Wahlen oder aber im Rahmen der Entlastung zu adressieren bzw. sanktionieren.

(3) Nächster naheliegender und auch durch das Aktiengesetz gewiesener Hebel sind die Beschlussfassungen zu Vergütungssystem und Vergütungsbericht, nachdem das Vergütungssystem nunmehr ausdrücklich Angaben zur Ausgestaltung von eventuell vorhandenen vergütungsrelevanten Nachhaltigkeitsparametern zu enthalten hat.

(4) Da das Aktiengesetz Geschäftsführung und Leitung der Gesellschaft bzw. des Unternehmens in die Hände des Vorstands legt (§§ 76, 77 AktG) und die Hauptversammlung damit weitgehend von operativen Entscheidungen ausschließt, stellen die Wahlen zum Aufsichtsrat wohl den wichtigsten Hebel für Aktionäre dar, (mittelbar) Einfluss auf die ESG-Politik der Gesellschaft zu nehmen. Das Beispiel Exxon Mobile/Engine No. 1 zeigt, dass Aufsichtsratswahlen durchaus auch als Kampfabstimmung unter ESG-Gesichtspunkten instrumentalisiert werden können. Dass das deutsche Recht in diesem Zusammenhang das Instrument der Wahl US-amerikanischer Kampagnen, die proxy solicitation nicht kennt, ist nur bedingt ein Hinderungsgrund. Auch nach deutschem Recht bestehen hinreichende Möglichkeiten, eine Kampagne zu organisieren. Zudem wirken sich zugunsten potenzieller Aktivisten die strukturellen Verschiebungen im Aktionariat von Publikumsgesellschaften seit Beginn der 90er des letzten Jahrhunderts aus (allgemein Gilson/Gordon, Colum. L. Rev. 113 (2013), 863; 864 f.; Gilson/Roe, Yale L. J. 102 (1993), 871, 878). Die Substitution echten Streubesitzes (dispersed ownership) nach dem Muster der Berle-Means-Corporation (Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932; hierzu etwa Gilson/Roe, Yale L. J. 102 (1993), 871, 876 ff.) durch große institutionelle Investoren reduziert die mit einer Kampagne verbundenen Such-, Anbahnungs- und Abschlusskosten drastisch. Im Einzelfall kann es genügen, sich der Unterstützung durch eine überschaubare Anzahl institutioneller Investoren zu versichern, um den Erfolg des eigenen Vorhabens zu gewährleisten. Zumindest naheliegende Zielgesellschaften von ESG-Aktivisten wie traditionelle Energieversorger, Rohstoffkonzerne etc. werden zukünftig mehr als nur einen Seitenblick darauf zu werfen haben, ob die eigenen Kandidaten nicht nur von ihrer finanzwirtschaftlichen Expertise, Herkunft und Hintergrund geeignet erscheinen, sondern ob sie auch den ESG-Ansprüchen der Mehrheit der Anteilseigner genügen. Die nach AktG und DCGK geschuldeten Angaben zu den eigenen Kandidaten der Gesellschaft für die Besetzung des Aufsichtsrats bieten hier eine Möglichkeit, diese Themen proaktiv zu adressieren und mögliche Zweifel an der ESG-Expertise des Aufsichtsrats erst gar nicht aufkommen zu lassen.

(5) Ein unter Berücksichtigung der bisherigen Praxis deutscher Publikumsgesellschaften vorläufig wohl nur theoretisches echtes Einfallstor für die Einflussnahme auf konkrete Aspekte der ESG-Agenda wäre § 119 Abs. 2 AktG, mit dem die Zuweisung der operativen und strategischen Entscheidungen an die Hauptversammlung bis zu einem gewissen Grad unter Vorbehalt gestellt werden (zu § 119 Abs. 2 AktG etwa Dietz-Vellmer, NZG 2014, 721; speziell im vorliegenden Kontext jetzt Harnos/Holle, AG 2021, 853, 858 und im Gesellschaftsrechts-Blog).

(6) Die genannten Ansatzpunkte stehen nur beispielhaft. Auch bei anderen Maßnahmen wie etwa Fusionen & Übernahmen, die etwa über den Umweg des Umwandlungsrechts ein Votum der Aktionäre verlangen, werden neben strategischer Logik, finanzwirtschaftlicher Angemessenheit von Preis bzw. Umtauschverhältnis ESG-Fragen wohl einer strengeren Prüfung durch Investoren unterzogen werden.

2. Engagement

Das deutsche Aktienrecht steht auf dem Standpunkt, dass die Aktionäre ihre Rechte grundsätzlich (nur) in der Hauptversammlung ausüben. Dass allerdings Investorenkontakte auch in der Bundesrepublik ein Faktum sind, mit dem Beratung und Rechtsprechung umgehen müssen, belegt die jüngere Debatte um die Zulässigkeit von Investorenkontakten des Aufsichtsrats, die ihr zwar nicht rechtsverbindliches vorläufiges Ende damit gefunden hat, dass der DCGK unter A.3 nunmehr anregt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessenem Rahmen bereit sein sollte, Gespräche mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen (hierzu etwa Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360; J. Koch, AG 2017, 129; E. Vetter, AG 2016, 873). Aus Sicht der Unternehmen bieten entsprechende vertrauliche Gespräche die Möglichkeit, sensible Themen nicht in der-zumindest halböffentlichen Arena der Hauptversammlung ausfechten zu müssen, die durchaus vorhandenen juristischen Untiefen entsprechender Kontakte sind aber ernst zu nehmen und ex ante zu minimieren (Insiderrecht, selektive Vorabinformation und informationelle Gleichbehandlung etc.). Bereits diese tour d’horizon zeigt, dass trotz ihres zunehmenden Routine-Charakters die entsprechenden Gespräche mit wesentlichen Investoren aufgrund zahlreicher Fallstricke nicht nur inhaltlich, sondern auch juristisch sorgfältig vorbereitet und begleitet werden sollten.

3. Advocacy / Kampagnen

Institutionelle Investoren und Aktivisten entwickeln darüber hinaus generell oder im Einzelfall erhebliche Öffentlichkeitsarbeit, um die eigenen Themen und Anliegen zum Erfolg zu führen, wobei Form und Inhalte nach Investorentypus und Anlass differieren. Unter der Überschrift Advocacy, worunter sich klassisches Lobbying, die Mitgliedschaft in Verbänden (z.B. United Nations Principles for Responsible Investing (PRI)) und die eigene Unternehmenskommunikation fassen lassen, engagieren sich insbesondere die großen Vermögensverwalter für die Einführung nachhaltigkeitsbezogener best practices durch die Portfoliounternehmen. So werben etwa die Großen Drei seit geraumer Zeit für die Beachtung und Vereinheitlichung der noch zahlreichen und teilweise in Konkurrenz zueinander stehenden Standards für eine nachhaltige Berichterstattung.

Hinzutreten fokussierte Medienkampagnen. Sowohl traditionelle institutionelle Investoren wie auch Aktivisten greifen in diesem Zusammenhang häufig auf eine – eventuell parallel öffentlich bekanntgegebene – Eingabe an den Vorstand zurück, in der die eigenen Ziele formuliert werden (Letter writing campaign). Bei Aktivisten steht eine entsprechende Eingabe nicht selten am Anfang einer weit umfänglicher angelegten Kampagne, in der durch kumulierten Einsatz aller zur Verfügung stehenden rechtlichen und tatsächlichen Instrumente versucht wird, maximalen Druck aufzubauen, um die Einigungsbereitschaft der Verwaltung zu erhöhen. Als Lehrbuchbeispiel taugt auch insoweit der „Fall“ Exxon Mobile, der mit der öffentlichen Aufforderung des Investors Enkraft Capital an den Vorstand der RWE, sich aus dem Kohlegeschäft zurückzuziehen und einen stärkeren Fokus auf erneuerbare Energien zu legen, bereits einen ersten Nachahmer in der Bundesrepublik gefunden hat.

III. Fazit

Das Thema ESG ist mittlerweile bei Unternehmen und Investoren nicht nur als Marketing- und Recruiting-Instrument angekommen. Nachdem auch Gerichte und Gesetzgeber zunehmend verbindliche Anforderungen an ESG formulieren, ist es zugleich als harter Erfolgsfaktor der Unternehmensführung erkannt worden. Wie die zunehmende Zahl von Beispielen aus dem Schrittmacherstaat Vereinigte Staaten zeigt, müssen sich Publikumsgesellschaften darauf einstellen, dass Forderungen nicht mehr nur durch Gesetzgeber und Rechtsprechung formuliert werden, sondern auch aus den Reihen der eigenen Anteilseigner. Insbesondere zentrale Akteure wie die „Großen Drei“ und ihre europäischen Pendants räumen ESG-Fragen auf ihrer Dringlichkeitsskala aktuell eine hohe Priorität ein.

Angesichts dieses Befundes sind die auch die deutschen Publikumsgesellschaften gehalten, sich auf entsprechende Forderungen ihrer Anteilseigner, die notfalls auch mit den zur Verfügung stehenden Aktionärsrechten durchzusetzen versucht werden, vorzubereiten. Der Umstand, dass das deutsche Aktienrecht zumindest grundsätzlich keine unmittelbare Befassung der Hauptversammlung mit ESG-Themen vorsieht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aktionären Instrumente für die Implementierung von ESG-Zielvorstellungen zur Verfügung stehen. Möglichkeiten und Konsequenzen eines Sustainable Shareholder Activism sollten deshalb bei zukünftigen Planungen auf der Agenda stehen und proaktiv adressiert werden.

Ein ausführlicher Aufsatz des Autors zum Sustainable Shareholder Activism erscheint demnächst in der AG.

Sustainable Shareholder Activism – globale Entwicklungen

I. Einleitung

Sucht man nach dem aktuellem Großthema, führt kein Weg an Nachhaltigkeit bzw. Environmental, Social and Governance (ESG) vorbei. Standen bisher vor allem Reputationsrisiken und Anpassung an ein geändertes Handlungsumfeld im Vordergrund, konturieren sich zunehmend auch rechtliche Anforderungen heraus (vgl. Fleischer, DB 2022, 37). Stellvertretend für viele seien nur die wohl bemerkenswertesten Beispiele der jüngsten Vergangenheit genannt: Das Bezirksgericht Den Haag verurteilt die niederländisch-britische Royal Dutch Shell, ihre Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um netto 45% im Vergleich zu 2019 zu senken (Rechtbank Den Haag, Urt. v. 26.5.2021 – Milieudefensie vs. Royal Dutch Shell), mittelgroße und große Unternehmen müssen sich und anderen Rechenschaft nicht mehr nur über Kosten und Margen in ihren Lieferketten ablegen („Lieferkettengesetz“) und Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe nehmen die Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutzgesetz 2019 zum Anlass für einen Versuch, ausgewählten Leuchttürmen der deutschen Automobil- und Energiewirtschaft über den Umweg des Deliktrechts (§§ 823, 1004 BGB) bestimmte unternehmerische Entscheidungen (Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bzw. der Erdgaswirtschaft) gerichtlich vorgeben zu lassen.

Zunehmenden Druck auch rechtlicher Natur erfahren Unternehmen nicht allein von Seiten des Gesetzgebers und der Gerichte, sondern auch durch die Kapitalmärkte. Wie u.a. auch mit zentralen Bausteinen der dem Informationsmodell verpflichteten Sustainable Finance Agenda der Europäischen Kommission beabsichtigt bzw. von diesen vorausausgesetzt, bieten institutionelle Investoren und Vermögensverwalter ihre Produkte mittlerweile praktisch durchgängig mindestens auch in einer „grünen“ oder nachhaltigen Variante an. Um dem damit formulierten und kommunizierten bzw. beworbenen Anspruch gerecht werden zu können, kann im Ausgangspunkt entweder im Rahmen der Investitionsentscheidung das Nachhaltigkeitsprofil der Zielgesellschaften berücksichtigt oder aber versucht werden, rechtliche und tatsächliche Möglichkeiten als Aktionär einzusetzen, um Kompatibilität zwischen den eigenen Anforderungen und der ESG-Politik der Zielgesellschaft herzustellen. Bei letzterem handelt es sich letztlich um eine grüne bzw. nachhaltigkeitsorientierte Variante des bekannten Phänomens des Shareholder Activism, so dass sich insoweit von Sustainable Shareholder Activism sprechen lässt.

Während bisher die Umsetzung von ESG-Anforderungen im Rahmen der Investitionsentscheidung das Bild dominiert, ist insbesondere für die USA zu konstatieren, dass Active Ownership bzw. Sustainable Shareholder Activism zunehmend Bedeutung erlangt. Im Folgenden wird ein erster kurzer Abriss über Inhalte, Akteure und Erscheinungsformen dieses Sustainable Shareholder Activism gegeben und – in einem zweiten Teil – in Ansätzen beleuchtet, ob es sich um ein US-Besonderheiten geschuldetes Phänomen handelt oder auch das deutsche Aktien- und Kapitalmarktrecht diesbezüglich Spielräume eröffnet, so dass mit entsprechenden Maßnahmen auch in der Bundesrepublik zu rechnen ist.

II. Sustainable Shareholder Activism als Ausprägung eines Active Ownership

Wollen Finanzmarktteilnehmer für ein Produkt z.B. die Qualitätssiegel gem. Art. 8 f. Offenlegungs-VO in Anspruch nehmen, stellen Lehre und Praxis des Asset Management grundsätzlich unterschiedliche Strategien zur Verfügung, um zu gewährleisten, dass das Portfolio den damit formulierten Anforderungen genügt. Im Vordergrund stand bis in die jüngste Vergangenheit das nach Konzeption und Implementierungsaufwand vergleichsweise einfache sog. negative screening. Nach feststehenden Kriterien identifizierte Unternehmen werden dabei ex ante und per se aus dem Anlageuniversum ausgeschieden. Typische ESG-Ausschlusskriterien sind etwa Einsatz fossiler Brennstoffe (ex fossil fuels) oder in der Bewertung umstrittene Techniken wie aktuell die Atomkraft.

Zunehmende Bedeutung bei institutionellen Investoren erlangt allerdings in jüngster Vergangenheit die direkte Einflussnahme auf die ESG- bzw. Nachhaltigkeitspolitik von Unternehmen durch Active Ownership. In Abgrenzung zum negative screening werden Unternehmen, die den jeweiligen ESG-Standards des Investors nicht oder zumindest nicht vollumfänglich genügen, nicht per se und ex ante als mögliches Anlageobjekt ausgeschieden. Vielmehr wird nach Erwerb der Anteile versucht, Aktionärsrechte und das eigene Gewicht als Anteilseigner gegenüber der Verwaltung zur Geltung zu bringen, um auf die ESG-Politik der Portfoliogesellschaft Einfluss zu nehmen. In dieser Form sind ESG-Aktivitäten praktisch eine Spielart des traditionellen und mittlerweile auch in Deutschland heimischen Shareholder Activism.

III. Sustainable Shareholder Activism – Instrumente

Institutionellen Investoren wie auch anderen Aktionären mit einer z.B. klimapolitischen Agenda stehen grundsätzlich dieselben Instrumente zur Verfügung, um sich bei der Verwaltung der Zielgesellschaft Gehör zu verschaffen, mit denen auch profanere Anliegen durchgesetzt werden können. An erster Stelle zu nennen ist der Einsatz der Aktionärsrechte, insbesondere des Stimmrechts. Von in der Praxis mindestens ebenso großer Bedeutung sind sog. Engagements, informelle Kontakte von Investoren mit Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat und/oder weiteren ausgewählten Funktionsträgern der Unternehmen. Dritter Baustein der Einflussnahme ist die sog. Advocacy, worunter sich sämtliche Lobbying- und PR-Maßnahmen im politischen Raum wie auch in der allgemeinen gesellschaftspolitischen Debatte zusammenfassen lassen.

IV. Sustainable shareholder activism – Akteure

In der Vergangenheit waren ESG-Themen echte Nischenthemen. In Hauptversammlungen deutscher Publikumsgesellschaften beschränkten sich die dahingehenden Initiativen auf die sogenannten kritischen Aktionäre, also Umwelt- und/oder Menschenrechtsaktivisten, die Rede- und Fragerecht dazu nutzen, um als kritisch erachtete Aspekte der Unternehmensführung auch auf diesem Forum zu adressieren. Das Bild hat sich allerdings erheblich gewandelt. Praktisch sämtliche großen Vermögensverwalter und institutionelle Investoren haben Nachhaltigkeit entweder als zentrales und drängendes Zukunftsthema oder aber zumindest als Trend identifiziert, der zu einer Ergänzung der eigenen Produktpalette um nachhaltig ausgerichtete Angebote zwingt. Prominentestes Beispiel dieser Hinwendung der Finanzwirtschaft und Kapitalmärkte zu einem „Social Responsible Investing“ (SRI) stellen sicherlich die „Letter to CEOs“ des Chairman des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock, Inc., Larry Fink, dar, die bisher vor allem den Klimawandel als zentrale Herausforderung für Menschheit und Unternehmen betonen, im gerade veröffentlichten Letter to CEOs 2022 „The power of Capitalism“/„Die transformative Kraft des Kapitalismus“ aber auch unter den Schlagwörtern „stakeholder capitalism“ und „purpose“ die thematische Breite von ESG und Nachhaltigkeit stärker hervorheben.

Letztlich nicht anders agieren die weiteren beiden Mitglieder des exklusiven Clubs der sogenannten „Großen Drei“ (Big Three) Vanguard und State Street Global Advisors sowie ihre globalen und kontinentaleuropäischen Wettbewerber sowie die großen Pensionsfonds. Selbst erste Hedgefonds, die vor einigen Jahren wahrscheinlich noch nicht im Verdacht gestanden hätten, einen ausgeprägten ESG-Ansatz zu verfolgen, haben die Bedeutung von Nachhaltigkeit für das eigene Geschäftsmodell erkannt.

V. Sustainable Shareholder Activism in der Praxis – Das doppelte Beispiel Exxon Mobile

Gerade für traditionsbewusste und auf eine lange Unternehmensgeschichte zurückblickende Kapitalmarktteilnehmer wie etwa Versicherungen und Pensionsfonds galt bisher, dass sie gegenüber nachdrücklichem und lautem Einwirken auf ihre Portfoliogesellschaften eine gewisse Reserve beobachten. Werden sensible Themen angesprochen, bevorzugt man den diskreten Weg eines Engagements bzw. eines Vieraugengesprächs („one-on-one“) und suchte bisher zumindest nicht ohne Not das Licht der halböffentlichen Hauptversammlung. Auch insoweit beginnt sich das Bild allerdings zu wandeln.

Ein gleich doppeltes Beispiel bieten hierfür die ordentlichen Hauptversammlungen des Erdölkonzerns Exxon Mobile, Inc. die in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit gleich zweimal das Interesse der weltweiten Kapitalmärkte und der ESG-Community auf sich gezogen haben. Anlässe und Eckpunkte beider Versammlungen stehen geradezu exemplarisch für Möglichkeiten und Grenzen, Gestaltung und Teilnehmer eines Sustainable Shareholder Activism.

Erstmals Aufmerksamkeit hatte bereits die Hauptversammlung von Exxon Mobile im Jahre 2017 erregt. Ein für die Gesellschaft rechtlich nicht verbindlicher, aber öffentlichkeitswirksamer Antrag des New York State Common Retirement Fund an die Hauptversammlung von Exxon Mobile (shareholder proposal), die Berichterstattung des Unternehmens um weitgehende Informationen zu den Risiken neuer Technologien und des Klimawandels auf das Geschäftsmodell von Exxon Mobile zu ergänzen, wurde – seinerzeit zu Überraschung vieler Beobachter – gegen die Empfehlung des Exxon-Managements angenommen. Ursächlich für diese „Niederlage“ der Verwaltung war vor allem der Umstand, dass mit BlackRock, Inc. und Vanguard zwei der sog. „Großen Drei“ ihre beschriebene Reserve gegenüber shareholder proposals in diesem Fall beiseiteschoben und den Antrag unterstützten, ebenso wie die global dominierenden Stimmrechtsberater (proxy adviser) ISS und Glass Lewis.

Noch deutlich weiter gehende Konsequenzen hatte die im Vorfeld der letzten Hauptversammlung von Exxon Mobile initiierte Kampagne des Hedgefonds Engine No. 1 (hierzu Döding, AG 2021, R249 f.). Wohl zur allgemeinen Überraschung gelang es dem gerade gegründeten und nur marginal an Exxon beteiligten Fonds, ausreichend Unterstützung im Aktionariat zu organisieren, um in den Wahlen zum Verwaltungsrat (board) von Exxon Mobile drei eigene Kandidaten gegen die Vorschläge des Managements durchzusetzen. Die Ablehnung der durch Exxon nominierten Personen begründete Engine No. 1 dabei maßgeblich damit, dass diesen die notwendige Expertise mangele, um den Erdölkonzern bei der notwendigen Transformation in ein nachhaltigeres Unternehmen zu begleiten. ESG-Themen sind damit buchstäblich auch im boardroom angekommen.

Der zweite Teil des Beitrags geht der Frage nach, inwieweit man auch in Deutschland mit Sustainable Shareholder Activism zu rechnen hat. Er erscheint demnächst auf unserem Gesellschaftsrechts-Blog.

Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag der Ampel

Am Mittwoch, den 24.11.2021, haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag präsentiert, der auf den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ lautet. Bei der Lektüre des 178 Seiten langen Textes fällt auf, dass die Ampel-Koalition zwei unternehmensrechtliche Themen, die früher Gegenstand von Wahlkämpfen waren, nicht aufgreift: die Geschlechterquote in den Gesellschaftsorganen und die Managervergütung. Augenscheinlich ist das Unternehmensrecht in diesem Zusammenhang fortschrittlich genug und muss nicht angetastet werden. Im Hinblick auf die Reformen der vergangenen Jahre bleibt zu hoffen, dass sich die Koalitionäre an ihr Schweigen halten. Der Schwerpunkt der unternehmensrechtlichen Reformvorhaben liegt in anderen Bereichen, die im Folgenden dargestellt werden.

Sorgfaltspflichten in den Lieferketten

Am Ende der vergangenen Legislaturperiode hat der deutsche Gesetzgeber das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG; BGBl. I 2021, S. 2959) verabschiedet (zum Entwurf vom März 2021 Reich, AG 2021, R116; Scheffler, AG 2021, R120; zur Endfassung Scheffler, AG 2021, R199). Außerdem hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Legislativvorschlag zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen präsentiert. Der für Herbst 2021 erwartete Richtlinienentwurf der EU-Kommission liegt bislang nicht vor. An diese Entwicklung anknüpfend halten die Ampel-Koalitionäre auf S. 34 fest, dass sie ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das deutsche LkSG werde unverändert umgesetzt und ggf. verbessert. Insgesamt wäre die Bundesregierung wohl gut beraten, zunächst die Entwicklungen auf europäischer Ebene abzuwarten und ggf. zu versuchen, sie zu beeinflussen. Erst wenn das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene ins Stocken geraten oder gar scheitern sollte, wäre es zweckmäßig, das LkSG nachzubessern.

Whistleblowing

Anders als das LkSG hat es ein Hinweisgeberschutzgesetz in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr über die Ziellinie geschafft. In dieser Legislaturperiode ist hiermit sicher zu rechnen, da die Whistleblowing-Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 den Mitgliedsstaaten Regelungen zum Whistleblowing zwingend zur Umsetzung vorgibt. Da die Umsetzungsfrist bereits am 17.12.2021 endet, wäre es nicht überraschend, wenn das Whistleblowing zu denjenigen unternehmensrechtlichen Themen zählt, die die Ampel-Koalitionäre prioritär angehen.

Die Essenz der Umsetzung deutet der Koalitionsvertrag auf S. 111 nur vage an. Zu begrüßen ist die ausdrückliche Festlegung, insofern über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinauszugehen, als das angestrebte Regime nicht auf die Meldung von Verstößen gegen EU-Recht beschränkt bleiben soll, sondern auch bestimmte Verstöße gegen nationale Vorschriften umfasst sein sollen. Abgesehen hiervon wäre es der Rechtssicherheit und Praktikabilität dienlich, wenn der Gesetzgeber Klarheit hinsichtlich der Frage schafft, ob und inwieweit Hinweisgebersysteme im Konzern einheitlich betrieben werden können (hierzu Holle, ZIP 2021, 1950). Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger stellen die Ampel-Koalitionäre unter einen Prüfvorbehalt, so dass abzuwarten bleibt, inwieweit sie sich dazu durchringen werden, Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote vorzusehen.

Verbandssanktionen

Kein unionsrechtlicher Umsetzungsdruck besteht beim Thema Verbandssanktionierung. Die gegenwärtige Rechtslage wird von vielen aus guten Gründen aber als unbefriedigend empfunden; die in der letzten Legislaturperiode anvisierte Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung ist auf der Zielgeraden gescheitert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der Koalitionsvertrag sich ihrer auf S. 111 neuerlich annimmt. Ob sich dahinter eine ähnlich weitreichende Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung verbirgt, wie sie der in der vergangenen Legislaturperiode vorliegende Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG; BT-Drucks. 19/23568) bedeutet hätte, ist fraglich. Tendenziell klingt es nach einer kleinen Lösung, die sich mit einer Anhebung der Bußgeldobergrenzen, der Normierung einer Compliance-Defense sowie gewisser Regelungen zu internen Untersuchungen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts begnügt.

GmbH mit gebundenem Vermögen

Ein klares Bekenntnis geben die Ampel-Koalitionäre auf S. 30 des Vertrags zu einer neuen Rechtsform ab, die im Schrifttum sehr umstritten ist: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (für die Einführung einer solchen Gesellschaftsform Sanders/Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2021, 285; dagegen etwa Habersack, GmbHR 2020, 992). Den Einsatz dieser Rechtsform als Vehikel für Steuersparkonstruktionen will die künftige Regierung vermeiden (auf diese Gefahr hinweisend Hüttemann/Schön, DB 2021, 1356; relativierend Kempny, DB 2021, 2248). Ungeachtet der steuerrechtlichen Probleme sollte der Gesetzgeber überprüfen, ob es einer solchen Gesellschaftsform tatsächlich bedarf, um die angestrebten Ziele zu erreichen (eingehend Hüttemann/Rawert/Weitemeyer, npoR 2020, 296).

GmbH-Gründungsrecht

Darüber hinaus verpflichten sich die Koalitionäre auf S. 111 f. des Vertrags, die Gründung von Gesellschaften zu erleichtern, indem sie Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlauben. Die Ampel dürfte damit in erster Linie die GmbH im Blick gehabt haben. Auch wenn keine sachlichen Gesichtspunkte gegen eine elektronische AG-Gründung sprechen, dürfte dies trotz aller Fortschrittsbekundungen auch künftig keine Option sein.

Der Koalitionsvertrag setzt an § 2 Abs. 3 GmbHG i.d.F. des DiRUG (BGBl. I 2021, S. 3338) an, wonach nur eine elektronische GmbH-Bargründung möglich ist. Diese Einschränkung, die im Schrifttum kritisiert wurde (s. nur Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985 Rz. 32 ff.), soll in der Zukunft entfallen, was nachdrücklich zu begrüßen ist. Die Unternehmensgründung soll zudem durch eine umfassende Start-Up-Strategie gefördert werden, zu der u.a. die Einführung von flächendeckenden „One Stop Shops“ (Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung) gehört. In solchen „One Stop Shops“ sollen Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden möglich sein (S. 30 des Koalitionsvertrags).

Hauptversammlungsrecht

Auf einhellige Zustimmung dürfte die auf S. 112 des Koalitionsvertrags angekündigte dauerhafte Einführung von Online-Hauptversammlungen fallen. Die auf Corona-Sondergesetzgebung gestützte Online-Hauptversammlung (s. § 1 COVMG) hat sich im Groben und Ganzen bewährt (zur Empirie s. nur Danwerth, AG 2021, 613) und kann als Blaupause für die anstehende Aktienrechtsreform dienen.

Spannend bleibt die Frage, wie die Aktionärsrechte im künftigen Hauptversammlungsrecht ausgestaltet werden. Die Ampel-Koalition verspricht, jene uneingeschränkt zu wahren. Dies deutet darauf hin, dass die Regelungen in § 1 Abs. 1, 2 und 7 COVMG, die das Rede-, Auskunfts- und Anfechtungsrecht der Aktionäre beschränken, nicht ins Aktiengesetz überführt werden (speziell zur Aktionärskommunikation Seibt/Danwerth, AG 2021, 369 und VGR, AG 2021, 380 Rz. 8 ff.). Ungeachtet der rechtspolitischen Diskussionen um die Reichweite der Aktionärsrechte sollte das BMJ zügig einen Referentenentwurf präsentieren, damit die Unternehmen nach den Erfahrungen mit § 1 COVMG in der Hauptversammlungssaison 2023 nicht wieder im vordigitalen Zeitalter landen (zu COVMG-Verlängerungen und der Zeitschiene für die Aktienrechtsreform Danwerth, AG 2021, R283 f.).

Die Ampel-Koalition sollte die Digitalisierung der Hauptversammlung dafür nutzen, auch das Beschlussmängelrecht zu reformieren. Die Große Koalition, die eine solche Reform auf S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode angekündigt hatte, hat ihr Versprechen trotz umfassender rechtspolitischer Vorschläge nicht umgesetzt (s. nur die Beschlüsse des 72. Deutschen Juristentags, S. 27 ff. und die Vorschläge des AK Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617).

Überdies sollte die künftige Regierung erwägen, die Möglichkeit einer digitalen Versammlung auch für die Gesellschaftsorgane und andere Gesellschaftsformen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, besteht nicht nur für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ein Bedarf an virtuellen Sitzungen.

Elektronische Aktie

In der 19. Legislaturperiode hat der Gesetzgeber mit dem eWpG (BGBl. I 2021, S. 1423) die Möglichkeit geschaffen, elektronische Wertpapiere zu begeben (hierzu nur Sickinger/Thelen, AG 2020, 862; Sickinger/Thelen, AG 2021, R198). Gleichwohl beschränkt sich das Gesetz gem. § 1 eWpG auf Inhaberschuldverschreibungen; die Begebung elektronischer Aktien ist nicht möglich (s. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/26925, 38). Dies könnte sich in der 20. Legislaturperiode ändern: Beiläufig erwähnt der Koalitionsvertrag auf S. 172 unter der Überschrift „Digitale Finanzdienstleistungen und Währungen“, die Emission elektronischer Aktien zu ermöglichen (zu den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen Guntermann, AG 2021, 449).

Kapitalmarktrecht

Positiv ist zu würdigen, dass sich die Ampel auf den S. 169 ff. des Koalitionsvertrags zur Vertiefung der Kapitalmarktunion bekennt und die Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abbauen, den Zugang von KMU zum Kapitalmarkt erleichtern und die Markttransparenz stärken möchte. Auch die Schaffung eines angemessenen regulatorischen Rahmens für FinTechs und vergleichbare Unternehmen ist zu begrüßen. Gleichwohl sollte die künftige Regierung bei all der Regulierungsfreude bedenken, dass sich die enorme Regelungsdichte im Kapitalmarktrecht als ein Grund dafür erweist, den Kapitalmärkten fernzubleiben. Vor diesem Hintergrund sollte die Ampel erwägen, ob weniger (und klarer!) nicht doch mehr ist.

Mitbestimmungsrecht

Auf S. 72 kündigen die Koalitionäre an, sich für die Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung einzusetzen, so dass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Das klingt für zahlreiche Gesellschaften, die (noch) nicht der Unternehmensmitbestimmung unterliegen, wie eine Einladung zur zügigen Umwandlung in eine SE, um rechtzeitig die derzeit bestehende Möglichkeit auszunutzen, das Mitbestimmungsstatut einzufrieren.

Prozessrecht

Aus der Perspektive des Unternehmensrechts interessant sind die Aussagen auf S. 108 des Koalitionsvertrags, wonach das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – das in der 19. Legislaturperiode ohne inhaltliche Änderungen verlängert wurde (BGBl. I 2020, S. 2186) – modernisiert werden soll und englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden sollen.

Steuer- und Geldwäscherecht

Fernwirkungen auf das Unternehmensrecht dürften manche steuer- und geldrechtlichen Pläne haben. So sprechen die Koalitionäre auf S. 167 des Vertrags davon, aufbauend auf den Maßnahmen der letzten Legislaturperiode missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden. Ein weiteres Reformversprechen betrifft das Transparenzregister. Auf S. 171 f. des Koalitionsvertrags kündigt die künftige Regierung an, die Qualität der Daten im Transparenzregister zu verbessern, so dass die wirtschaftlich Berechtigten in allen vorgeschriebenen Fällen tatsächlich ausgewiesen werden.

Mehr zum Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag im AG-Report 24/2021.

Say on Climate

ESG als globaler Trend

Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).

All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?

Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen

Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.

Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen

Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.

A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.

Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage,  inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.

Die virtuelle Hauptversammlung 2022

Sprichwörtlich in letzter Sekunde, tatsächlich jedenfalls bei letzter Gelegenheit hat der 19. Deutsche Bundestag am 7.9.2021 die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung ein zweites Mal verlängert. Damit wird es nach den Jahren 2020 und 2021 „angesichts der ungewissen Fortentwicklung der Pandemie-Situation und daraus resultierender Versammlungsbeschränkungen“ (BT-Drucks. 19/32275, 30) auch im Jahr 2022 die Möglichkeit geben, Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abzuhalten.

In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/32275, 30) mahnt der Gesetzgeber, dass von dem „Instrument“ der Online-Hauptversammlung „im Einzelfall nur dann Gebrauch gemacht werden [sollte], wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens und im Hinblick auf die Teilnehmerzahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint.“ Die Prognoseentscheidung (!) nach § 1 Abs. 2 COVMG muss ermessensfehlerfrei erfolgen. Es gelten die Grundsätze für eine unternehmerische Entscheidung auf Grundlage des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (Business Judgement Rule), wobei gem. § 1 Abs. 7 COVMG, der ebenfalls bis 31.8.2022 verlängert wurde, allein vorsätzlicher Missbrauch schadet. Daher sind an die Ermessensentscheidung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.

Eindeutig lässt sich vor diesem Hintergrund wohl nur folgende Situation beurteilen: Nach einem sog. Freedom Day (zuletzt Dänemark) kann rechtssicher keine virtuelle Hauptversammlung mehr geplant werden. Eine bereits einberufene Online-Hauptversammlung müsste aber nicht wieder abberufen und als physische Versammlung neu einberufen werden. Vielmehr könnte dann auch nach der Aufhebung sämtlicher Pandemiebeschränkungen eine virtuelle Versammlung abgehalten werden. Auch dürfte eine Hauptversammlung vollständig virtuell durchgeführt werden, wenn die Vorbereitungen zum Zeitpunkt eines möglichen Freedom Days bereits so weit fortgeschritten sind, dass die kurzfristige Organisation einer physischen Versammlung bis zum 31.8.2022 faktisch unmöglich wäre. Im Übrigen dürfte für die Beurteilung, ob die Entscheidung zur Einberufung und Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ermessensfehlerfrei war, nicht der Zeitpunkt der Einberufung, sondern (ex ante!) ein Zeitpunkt sein, der mitunter weit vor dem Tag der Einberufung liegt. Sollte sich ein Emittent mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Aktionäre, Organmitglieder, Dienstleister, Presse- und Medienvertreter aus Vorsichtsgründen für eine Online-Hauptversammlung entscheiden, dürfte es aus heutiger Sicht schon im Ansatz schwerfallen, Ermessensfehler zu konstruieren.

Im Ergebnis ist daher auch für die Hauptversammlungssaison 2022 davon auszugehen, dass diese weitestgehend, wenn nicht gar nahezu vollständig, virtuell stattfinden wird.

Mehr zur virtuellen Hauptversammlung 2022 in der AG 2021, R283.

Empirische Untersuchung und Auswertung der zweiten virtuellen Hauptversammlungssaison

Auch die Saison der Aktionärstreffen im Jahr 2021 war von der virtuellen Hauptversammlung geprägt. Die fortdauernde COVID‑19-Pandemie erforderte, das COVMG zu verlängern, um rechtssicher eine zweite Saison von Online-Hauptversammlungen durchführen zu können. Nachdem zum Jahreswechsel das im Verordnungswege zur Verlängerung ermächtigte BMJV und der Deutsche Bundestag fast zeitgleich zur Tat schritten, trat mit Wirkung zum 28.2.2021 ein leicht überarbeitetes COVMG in Kraft. Auf Grundlage des novellierten Gesetzes wurden bis Ende Juli 2021 von den Unternehmen der DAX-Indexfamilie (DAX30, MAX, SDAX und TecDAX) 134 Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Versammlung einberufen. Anknüpfend an die Beiträge in AG 2020, 418 und AG 2020, 776 wurde nunmehr die zweite virtuelle Hauptversammlungssaison empirisch untersucht und systematisch ausgewertet, um den Marktstandard herauszuarbeiten.

Die Mehrheit der 134 zwischen Februar 2021 und dem 31.7.2021 einberufenen virtuellen Hauptversammlungen von börsennotierten Unternehmen der DAX-Indexfamilie

  • nutzte das normale statt des verkürzten Fristenregimes des § 1 Abs. 3 COVMG (99 %),
  • sah vor, dass die Versammlung über das Internet in Bild und Ton nur für die Aktionäre übertragen würde (58 %),
  • gab einen „Ort der Hauptversammlung im Sinne des Aktiengesetzes“ in Form einer Postadresse als Ort der Hauptversammlung i.S.d. § 121 Abs. 3 AktG an (57 %),
  • gab Aktionären vor, Fragen gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 COVMG bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen (100 %),
  • beschrieb das Fragerecht gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVMG im Zusammenhang mit Angaben nach § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 AktG (80 %),
  • eröffnete den Aktionären die Möglichkeit, Fragen gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 COVMG bis zum Ablauf des zweiten Tages vor der Hauptversammlung zu übermitteln (96 %), so dass ein voller Tag zwischen der letzten Fragemöglichkeit und dem Tag der virtuellen Versammlung lag,
  • nutzte das Portal zur Übermittlung der Fragen an die Gesellschaft (98 %),
  • machte keine Angaben zur Namensnennung der Fragensteller in der virtuellen Versammlung (46 %),
  • bot ihren Aktionären weder eine Nachfragemöglichkeit (92,5 %) noch eine Stellungnahmemöglichkeit (81 %) während der virtuellen Hauptversammlung an,
  • ermöglichte keine elektronische Teilnahme gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG (99 %) und stellte dies auch explizit in der Einberufung der virtuellen Versammlung klar (60 %),
  • bot den Aktionären die Briefwahl über das Portal (100 %) und daneben auch auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail an (63 %),
  • ermöglichte den Aktionären, die elektronische Briefwahl über das Portal bis zum „Beginn der Abstimmungen“ (67 %) und die Briefwahl auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail bis zum Ablauf des Tages vor der virtuellen Hauptversammlung (62 %),
  • benannte einen Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft (100 %),
  • sah vor, den von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter über das Portal (99 %) und daneben auch auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail bevollmächtigen und anweisen zu können (69 %),
  • ermöglichte die Bevollmächtigung und Anweisung des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft über das Portal bis zum „Beginn der Abstimmungen“ (68 %) und beendete die Möglichkeit der Bevollmächtigung und Anweisung des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft auf dem Postweg, per Telefax oder E‑Mail mit Ablauf des Tages vor der virtuellen Hauptversammlung (60 %),
  • gab an, Widersprüche gegen Beschlüsse der Hauptversammlung während der virtuellen Hauptversammlung über das Portal erklären zu können (95 %), und
  • wählte Computershare (40 %), Link Market Services (18 %) oder Better Orange (17 %) als Hauptversammlungs-Dienstleister für die Vorbereitung und Durchführung der virtuellen Hauptversammlung (Marktanteil von zusammen 75 %).

In der AG 2021, 613 werden die Durchdringung der virtuellen Hauptversammlung gegenüber der Präsenz-Versammlung, der Umgang mit dem Fristenregime der Einberufung, dem (neuen) Fragerecht, der Ermöglichung von Nachfragen bzw. Stellungnahmen, den Modalitäten der Stimmrechtsausübung der Aktionäre sowie der Widerspruchsmöglichkeit ausführlich dargestellt und ausgewertet. Auch werden weitere Besonderheiten der virtuellen Hauptversammlung und die von den untersuchten Börsenunternehmen gewählten Hauptversammlungs-Dienstleister beleuchtet.

Squeeze Out: BGH zur Relevanz des Barwerts der Ausgleichszahlung – ist damit alles geklärt?

Bei einem Squeeze Out sowie bei Vorliegen eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (kurz: „Unternehmensvertrag“) stellt sich die Frage der Relevanz der in der Regel festen Ausgleichszahlung (auch „Garantiedividende“) für die Bemessung der Barabfindung. Der BGH (v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359) hatte in der „Nestlé“-Entscheidung 2016 die Frage, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen (kurz: „BdA“) neben dem Börsenkurs als (weitere) Untergrenze zu berücksichtigen ist, explizit noch offengelassen. In der Folge hatte das OLG Düsseldorf (v. 15.11.2016 – 26 W 2/16, AG 2017, 672) unter Bezugnahme auf rechtliche Argumente die Auffassung bekräftigt, der BdA sei prinzipiell nicht zu berücksichtigen. Dagegen hatte das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 20.11.2019 (21 W 77/14, AG 2020, 298) ausgeführt, der BdA sei als Mindestwert zu berücksichtigen, und die Rechtsfrage dem BGH vorgelegt.

In seinem Beschluss vom 15.9.2020 (II ZB 6/20, AG 2020, 949 – „Wella III“) hält der BGH nunmehr zunächst allgemein fest, die angemessene Barabfindung könne nach dem BdA bestimmt werden, wenn dieser höher als der anteilige Unternehmenswert ist, der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war. Die Diskontierung der festen Ausgleichszahlungen sei eine Methode zur Errechnung des Barwerts des Fruchtziehungsrechts. Ob der BdA, der quotale Unternehmenswert nach dem Ertragswertverfahren oder eine Kombination aus beiden den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbilde, sei eine Frage des Einzelfalls.

Im Hinblick auf die Relevanz des BdA als Untergrenze argumentiert der BGH mit dem OLG Frankfurt über die Vermögensposition des außenstehenden Aktionärs. Infolge der Übertragung der Aktie verliere der Minderheitsaktionär seine Stellung als außenstehender Aktionär und damit den Anspruch auf die Garantiedividende. Für den Minderheitsaktionär bestimme sich der Wert der Unternehmensbeteiligung primär durch die Erträge, die er ohne Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär zukünftig erhalten hätte. Während der Laufzeit des Unternehmensvertrags seien das die Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG. Der Ausgleichsanspruch ersetze (allerdings) nur die Aussicht auf Dividende, nicht aber den Anteil an der Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch bestehe. Daher stelle der BdA regelmäßig nur den Mindestwert der Abfindung dar.

Im Ergebnis hat der BGH mit der „Wella III“-Entscheidung die vorgelegte Rechtsfrage nunmehr im Sinne einer notwendigen Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen entschieden. Allerdings ergeben sich für die Bewertungs- und Rechtspraxis weiterhin interessante Auslegungs- und Umsetzungsfragen, die in diesem Blog-Beitrag nur angerissen werden können. Für eine ausführlichere Diskussion der BGH-Entscheidung sowie für eine Diskussion weiterer Entscheidungen und Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2020 verweisen wir auf unseren Beitrag   „Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2020“ in AG 2021, 296.

In methodischer Hinsicht stellt sich zunächst die Frage, ob eine zeitlich erst nach dem Squeeze Out im Spruchverfahren zum Unternehmensvertrag rechtskräftig erhöhte Ausgleichszahlung (nachträglich) heranzuziehen ist. Darüber hinaus ist der für die Diskontierung der Ausgleichszahlungen (risiko-)adäquate Zinssatz zu ermitteln. Daneben eröffnen die Entscheidungen des BGH in Sachen „Nestlé“ und „Wella III“ Interpretationsspielräume, ob der Börsenkurs ggf. keine Untergrenze im Sinne des BGH darstellt.

Ob der BdA, der anteilige Ertragswert oder eine Kombination aus beiden den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, ist nach der Auffassung des BGHs eine Frage des Einzelfalls. Sofern aus der Sicht des Bewertungsstichtags (vereinfachend) von einer unendlichen Laufzeit des Unternehmensvertrags ausgegangen wird und der BdA (berechnet über die Formel der ewigen Rente) über dem anteiligen Ertragswert und dem Börsenkurs liegt, greift entsprechend dem BGH – im Sinne einer Meistbegünstigung – der BdA als Untergrenze der Abfindung. Wird dagegen eine begrenzte Laufzeit prognostiziert, dürfte der Kombinationswert greifen. Dabei wird für die prognostizierte Laufzeit des Unternehmensvertrags der Barwert der festen Ausgleichszahlungen angesetzt und der auf den Bewertungsstichtag bezogene Barwert des anteiligen Ertragswerts nach der erwarteten Beendigung des Unternehmensvertrages addiert. Der Prognose einer realistischen Laufzeit des Unternehmensvertrags unter Abstraktion von dem Squeeze Out kommt somit eine maßgebliche Bedeutung zu. Wirtschaftlich entscheidend sind dabei die planerischen Überlegungen der herrschenden Gesellschaft. Von gewichtiger Bedeutung ist daher der vom BGH bei den Ausführungen zum Verhältnis zwischen BdA und Börsenkurs gegebene Hinweis auf die wirtschaftliche Interessenlage der betroffenen Parteien. Dazu wird vom BGH darauf hingewiesen, dass ein Unternehmensvertrag, der erheblich über dem Ertragswert liegende Ausgleichszahlungen gewährt, nicht dauerhaft von Bestand sein werde. Dahinter steht die wirtschaftliche Überlegung, dass für ein vertraglich herrschendes Unternehmen in einem solchen Fall die festen Ausgleichszahlungen „teurer“ sind als der entsprechende Anspruch der außenstehenden Aktionäre an der beherrschten Gesellschaft ohne Unternehmensvertrag. Für das herrschende Unternehmen bzw. den Mehrheitsaktionär wäre in einem solchen Fall grundsätzlich die Beendigung des Unternehmensvertrags ökonomisch rational.

Aus einer entscheidungstheoretischen Sicht ist die somit vom BGH angeregte Vornahme von wirtschaftlichen Rationalitätsüberlegungen zu begrüßen. Genauso wie der Ertragswert über den Börsenkurs und/oder Multiplikatoren und der Börsenkurs über den Ertragswert zu plausibilisieren ist, besteht die Notwendigkeit den (rein technisch) ermittelten BdA ökonomisch zu plausibilisieren. Bei dieser Plausibilisierung ist der BdA dem quotalen Ertragswert gegenüberzustellen. Dabei sollten nicht nur die Plausibilität der unterstellten Laufzeit, sondern auch die weiteren im Rahmen der Ermittlung des BdA angesetzten Parameter (im Wesentlichen der Diskontierungszins) gewürdigt werden.

Liegt der BdA im konkreten Fall erheblich über dem anteiligen Ertragswert und wird von einer adäquaten Festlegung der weiteren Bewertungsparameter ausgegangen, dürfte dies entsprechend ein starkes Indiz für die sachgerechte Annahme einer begrenzten Laufzeit sein. Dies wäre grundsätzlich selbst dann der Fall, wenn noch keine konkretisierten Überlegungen des herrschenden Unternehmens bekannt oder dokumentiert sind. Vereinfachend könnte in diesen Fällen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände sowie rechtlichen Beendigungsmöglichkeiten bspw. eine frühestmögliche Beendigung des Unternehmensvertrags nach der Detailplanungsphase oder eine alternative typisierende Laufzeitannahme sachgerecht sein.

Bei Wella lag der vom OLG Frankfurt herangezogene BdA bei rund 94 € je Aktie und der anteilige Ertragswert bei rund 65 € je Aktie. Der BdA lag somit um rund 46 % über dem anteiligen Ertragswert. Ob demnach bereits eine „erhebliche“ Diskrepanz vorlag, die letztendlich aufgrund wirtschaftlicher Plausibilisierungsüberlegungen für die Prognose einer begrenzten Laufzeit des Unternehmensvertrags oder eine Diskussion der weiteren bei der Ermittlung des BdA angesetzten Bewertungsparameter sprechen könnte, wird vom BGH nicht weiter ausgeführt.

Hinweis: Für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung des BGH in Sachen „Wella III“ sowie  zu weiteren Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2020 verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2020, AG 2021, 296. Zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung verweisen wir umfassend auf Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Pflicht zur Aktionärsidentifizierung durch die Hintertür?

Gemäß § 67d Abs. 1 AktG können börsennotierte Gesellschaften die Identität ihrer Aktionäre und der Intermediäre in Erfahrung bringen. Die Aktionärsidentifikation dient dabei vor allem dazu, die Kommunikation der Gesellschaft mit ihren Aktionären zu verbessern und dadurch deren Mitwirkung zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung zu fördern. Weder nach deutschem noch nach zugrundeliegendem europäischem Recht wird dabei eine Pflicht für die Gesellschaft statuiert, Aktionärsinformationen über Intermediäre einzuholen.

Am 20.1.2021 wurde der Regierungsentwurf eines Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) vorgestellt, wonach gem. § 45b Abs. 9 EStG-E börsennotierte Gesellschaften die Informationen über die Identität ihrer Aktionäre zum Zeitpunkt ihres Gewinnverteilungsbeschlusses zu verlangen haben. Begründet wird die geplante Neuregelung und damit die Pflicht der Gesellschaft zur Aktionärsidentifizierung mit einer vorbeugenden Verhinderung von Betrug insbesondere bei der Erstattung von Kapitalertragsteuer. Anders als § 67d Abs. 1 AktG vorsieht, würde das Recht der Gesellschaft auf Aktionärsidentifikation daher in eine entsprechende Pflicht umgewandelt.

Eine solche Verpflichtung zur Aktionärsidentifizierung ist jedoch abzulehnen. Es war niemals Absicht des europäischen und/oder des deutschen Gesetzgebers, das Recht auf Aktionärsidentifizierung in eine entsprechende Verpflichtung mit Gesetzesrang umzukehren. Zudem sieht der Regierungsentwurf des AbzStEntModG an keiner Stelle vor, wie sich eine etwaige Verpflichtung nach § 45b Abs. 9 EStG-E zur reinen Ermöglichungsfunktion des § 67d Abs. 1 AktG sowohl rechtsmethodisch als auch faktisch verhalten soll. Aus aktienrechtlicher Sicht wäre somit eine Rücknahme des so ausgestalteten § 45b Abs. 9 EStG-E zu befürworten.

Ausführlicher zur Pflicht zur Aktionärsidentifizierung Stiegler in AG 2021, R86.

Das Update zum „Update Frauenquote“ – das FüPoG II

Im Anschluss an das vor knapp einem Jahr veröffentlichte „Update Frauenquote“ zum FüPoG II (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) ist über den mittlerweile vorliegenden Regierungsentwurf zu berichten (abrufbar https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aenderung-fuepog-data.pdf). Wie damals prognostiziert, findet sich ein Kern der Initiative in der Ausweitung der Quotenregelungen. Für bestimmte börsennotierte und mitbestimmte Aktiengesellschaften sowie solche mit qualifizierter Beteiligung des Bundes muss fortan der Vorstand, falls er aus mehr als drei Mitgliedern bestehen sollte, mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein. Überraschend angesichts der ausufernden Staatshilfen in der COVID-19-Pandemie ist, dass man Gesellschaften, die durch Bund „gerettet“ wurden, nicht ebenfalls den verschärften Anforderungen unterwirft.

Rechtspolitisch fällt auf, dass der Regierungsentwurf mit der Regulierung jeweils nur eines Sitzes im Vorstand deutlich hinter den laufenden europäischen Überlegungen (dazu letzthin Mutter, AG 2020, 830) zurückbleibt, die auf einen Mindestanteil von 40 % Frauen und Männern in Vorstand und Aufsichtsrat zielen. Der Regierungsentwurf verdient daher insoweit wohl eher das Prädikat einer „kleinen Einstiegsregulierung“ anstatt besonderes Lob für einen mutigen Schritt. Auch hat man sich in Berlin noch keine Gedanken dazu gemacht, ob Übererfüllungen in einen der beiden Verwaltungsorgane zu „Anrechnungen“ im anderen führen könnten, wie das auf europäischer Ebene im Richtlinienentwurf schon lange angedacht ist.  Nur für Rechtsdogmatiker interessant ist hingegen wohl, dass man mit dem Regierungsentwurf durch die neuen Quoten zugunsten zweier Geschlechter anscheinend auf eine verfassungsrechtliche Absicherung der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Mutter in FS E. Vetter, 2019, S. 489, 494) verzichtet.

Alles Weitere bewegt sich mehr oder minder im Kreis der Erwartungen: Wie bereits im ersten Update (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) berichtet, soll nach neuem Recht die Festlegung der Zielgröße „Null“ für den Vorstand, die beiden obersten Führungsebenen unterhalb des Vorstands und den Aufsichtsrat begründet werden. Im Handelsbilanzrecht werden nach Vorstellung der Bundesregierung jeweils flankierende Berichtspflichten und Sanktionen eingeführt.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 4/2021.