Referentenentwurf zum Fondsstandortgesetz vorgelegt

Das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) hat am 1. Dezember 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Fondsstandorts Deutschland („FoG“) vorgelegt. Durch das FoG soll u. a. der Finanzstandort Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht werden, ohne dabei das vorhandene aufsichtsrechtliche Schutzniveau zu senken.

Geplante Änderungen des Kapitalanlagegesetzbuches

Rechtsform für Investmentvermögen:  Der Referentenentwurf des BMF sieht u.a. vor, dass nunmehr für Spezial-AIF geschlossene inländische Investmentvermögen auch in der Rechtsform des Sondervermögens aufgelegt werden dürfen, was bisher nur offenen inländischen Investmentvermögen vorbehalten ist. Bislang konnten geschlossene inländische Investmentvermögen nur in der Rechtsform der Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital und als geschlossene Investmentkommanditgesellschaft aufgelegt werden.

Offenlegungsfrist für Jahresbericht:  Für geschlossene Publikums-Investmentkommanditgesellschaften ist weiterhin die Frist für die Offenlegung des Jahresberichtes von 6 Monate auf 9 Monate verlängert worden, was eine deutliche Erleichterung für die Verwalter von geschlossenen Publikums-Investmentkommanditgesellschaften bedeutet. Schon vor der COVID-19 Pandemie war in der Praxis die 6-monatige Offenlegungsfrist für Kapitalverwaltungsgesellschaften zeitlich nicht immer leicht einzuhalten.

Textform:  Um den Digitalisierungsprozess zu fördern, soll an vielen Stellen des KAGB die Schriftform durch Textform ersetzt werden. Beispielweise kann die Bestätigung einer beauftragten Vertriebsgesellschaft zu der Einstufung eines Anlegers als semiprofessioneller Anleger nach § 1 Abs. 19 Nr. 33 KAGB nunmehr auch in Textform erfolgen. Hierdurch entfällt das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift des Vertriebsmitarbeiters, was den digitalen Vertriebsprozess erleichtert.

Fremdkapitalobergrenze:  Weiterhin schlägt der Referentenentwurf des BMF vor, die Fremdkapitalobergrenze für offene Spezial-AIF anzuheben. Hierbei soll die Fremdkapitalobergrenze für Kredite zulasten der in dem Sondervermögen befindlichen Immobilien von 50 % auf 60 % angehoben werden.

Umsetzung der OffenlegungsVO:  Ferner sind Reglungen zur Umsetzung der Offenlegungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/2088), welche am 10.3.2021 in Kraft tritt, in das KAGB aufgenommen worden. Die Offenlegungsverordnung trifft einheitliche Vorgaben darüber, wie Finanzmarktteilnehmer Anleger über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken informieren müssen. Der Referentenentwurf trifft insoweit Regelungen, wie diese Berichtspflichten in Verkaufsprospekten und Jahresberichten umzusetzen sind.

Eine ausführlichere Darstellung der beabsichtigten Änderungen im KAGB erfolgt im nächsten AG-Report.

Mehr zum Autor:
Sven Johannsen ist Salaried Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek PartGmbB, Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt ist Investmentrecht und Kapitalanlagerecht.

§ 64 GmbHG und D&O-Versicherung – Endlich Rechtsklarheit!

Nach gut zwei Jahren ist der Spuk vorbei und endlich Rechtsklarheit eingetreten: Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19 entschieden, dass der bislang noch in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet werden, ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz ist und folglich im Regelfall von einer zugunsten der Organe abgeschlossenen D&O-Versicherung erfasst ist.

In der Literatur hatte sich zuvor insbesondere im Anschluss an ein erstes Urteil des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2018 (OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, ZIP 2018, 1542, juris-Rz. 79 ff.) eine lebhafte Diskussion zu der Frage entwickelt, ob Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG von einer D&O-Versicherung gedeckt sind, die in der Praxis oftmals von der Gesellschaft zugunsten ihres Geschäftsführers abgeschlossen wird (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 216 ff. m.w.N.). Diese Diskussion hatte das OLG Düsseldorf in einem zweiten bestätigenden Urteil aus dem Jahr 2020 gänzlich ausgeblendet und mit dürren Worten an seiner 2018 eingeschlagenen Linie festgehalten (OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1084 f., juris-Rz. 101 ff.); nicht einmal hatte es dabei die Revision zugelassen, weil nicht von einer obergerichtlichen Rechtsprechung abgewichen werde (juris-Rz. 153).

Dem tritt der Versicherungssenat des BGH nun erfreulich klar entgegen und würdigt dabei eingehend die vom OLG Düsseldorf ausgeblendete Diskussion in der Literatur, welche die Linie des OLG Düsseldorf mehrheitlich kritisiert hatte (vgl. die Nachweise bei Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 216 ff.). Die Gelegenheit dazu bot ihm eine Revision gegen den Beschluss des OLG Frankfurt v. 7.8.2019 – 3 U 6/19, welcher sich zuvor dem OLG Düsseldorf angeschlossen hatte (vgl. tendenziell auch OLG München v. 4.3.2019 – 25 U 3606/17 [unveröffentlicht]; sehr knapp zuvor schon OLG Celle v. 1.4.2016 – 8 W 20/16, juris-Rz. 38).

1. Auslegung des Versicherungsvertrags orientiert am Interesse des Geschäftsführers

Im Kern geht es um eine Auslegung der konkreten Vertragsbedingungen für die jeweils zugunsten der Geschäftsführer abgeschlossene D&O-Versicherung (vgl. zum Folgenden bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 217 ff.): Enthalten die Versicherungsbedingungen eine hinreichend klare Regelung, wie es teilweise seit dem ersten Urteil des OLG Düsseldorf in der Praxis festzustellen ist, ergeben sich die jetzt vom BGH und zuvor von den Oberlandesgerichten thematisierten Auslegungsfragen nicht.

Das OLG Düsseldorf meinte für die von ihm beurteilten, auf „Schadensersatz“ abstellenden Versicherungsverträge eine Deckung insbesondere deshalb verneinen zu müssen, weil § 64 GmbHG kein gesetzlicher Haftpflichtanspruch sei, der auf Schadensersatz gerichtet ist (OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, ZIP 2018, 1542, 1545, juris-Rz. 82 ff.; bestätigend OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1084, juris-Rz. 105 ff.; zustimmend Jaschinski/Wentz, GmbHR 2018, 1289 ff.). Das Gericht knüpfte dabei an die von der h.M. vertretene Einordnung des § 64 Satz 1 GmbHG als „Ersatzanspruch eigener Art“ an (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 24 ff.). Es betonte, dass die Norm keinen Schaden der Gesellschaft voraussetze. Schutzzweck der Norm sei der Erhalt der Insolvenzmasse im Interesse der Gläubigergesamtheit.

Diese Argumentation überzeugt jedoch schon deshalb nicht, weil der einer juristischen Person zugeordnete Anspruch mangels eigener Interessen jenes fiktiven Gebildes immer im Drittinteresse liegt, bei § 43 GmbHG etwa überwiegend im Interesse der Gesellschafter (Abs. 1 und 2), aber auch im Interesse der Gläubiger (Abs. 3; dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 30 f.). Niemand hat aber aus diesem Grund jemals einen Anspruch aus § 43 GmbHG von der Deckung ausgenommen.

Mit Recht weist der Versicherungssenat des BGH nun darauf hin, dass einem Geschäftsführer die dogmatischen Feinheiten des § 64 GmbHG nicht bekannt sind, insbesondere nicht die Diskussion, ob jene Haftungsnorm auf Schadensersatz i.e.S. gerichtet ist oder es sich um einen Ersatzanspruch eigener Art handelt, welcher im Interesse der Gläubigergesamtheit eine Masseschmälerung ausgleicht, welche durch die Betriebsfortführung im Zustand der Insolvenzreife entsteht (BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, Rz. 17 ff.; ebenso zuvor schon Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 220 m.w.N.). Bei seiner gegenteiligen, Deckungslücken zulasten des Geschäftsführers akzeptierenden Argumentation hatte das OLG Düsseldorf insoweit nicht hinreichend beachtet, dass es bei der Versicherung für fremde Rechnung maßgeblich auf das Interesse der durch den Versicherungsvertrag geschützten Person, also den Geschäftsführer ankommt; für diesen ist jedoch nicht bedeutend, ob der Schaden bei „der GmbH“ oder der Gläubigergesamtheit entsteht (vgl. auch Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 64 Rz. 44; Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290, 1293 f.; Primozic/Nöller, ZInsO 2018, 2509, 2511; ausführlich Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1855 ff.: Passivenversicherung; Gläubigerschutz als Reflex). Vielmehr kann nach dem Verständnis des Geschäftsführers einer der wichtigsten Haftungsfälle nicht von der D&O-Versicherung ausgenommen sein (Schwencke/Röper, ZInsO 2018, 1937, 1940; Wilhelm, ZInsO 2019, 768, 769).

2. Inanspruchnahme des Versicherers durch die Insolvenzverwalter

Über den Freistellungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Versicherer, welcher an die GmbH abgetreten werden kann und sich dann in einen Zahlungsanspruch umwandelt, macht der Insolvenzverwalter die Versicherungssumme für die Gläubigergesamtheit nutzbar (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 221). Dabei hat der Insolvenzverwalter allein im Interesse der Insolvenzschuldnerin und ihrer Gläubiger zu entscheiden, ob der Fortbestand oder die Kündigung des Versicherungsvertrags sinnvoller erscheint. Nicht hingegen ist er nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH dem Geschäftsführer gegenüber verpflichtet, eine zu dessen Gunsten abgeschlossene Haftpflichtversicherung aufrechtzuerhalten, um ihn aus einer Inanspruchnahme wegen verbotener Zahlungen freizustellen (BGH, Beschl. v. 14.4.2016 – IX ZR 161/15, ZIP 2016, 1126; zust. OLG Köln v. 16.3.2017 – 18 U 226/13, juris-Rz. 508).

3. Beachtlichkeit von Eigenschadenklauseln

Zu beachten sind sog. Eigenschadenklauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, nach denen der Deckungsschutz für die Innenhaftung anteilig in dem Umfang entfällt, in dem der Geschäftsführer zugleich an der GmbH beteiligt ist (vgl. zum Folgenden bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 223). Meist ist für das Eingreifen solcher Klauseln vorgesehen, dass eine gewisse Mindestbeteiligung erforderlich ist (z.B. 25 %). Diese – inzwischen weniger gebräuchlichen – Klauseln sollen den Eigenschaden des Gesellschafter-Geschäftsführers von der Deckung ausnehmen, da dies nicht zum Zweck einer Haftpflichtversicherung passe. Allerdings wird die Versicherungsleistung insgesamt anteilig gekürzt und nicht spezifisch auf etwaige Rückflüsse der Versicherungsleistung an den Gesellschafter-Geschäftsführer abgestellt. Auf eine solche Eigenschadenklausel stützte das OLG Düsseldorf die Klageabweisung hilfsweise in seinem zweiten Urteil aus dem Jahr 2020 (OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1085 ff., juris-Rz. 117 ff.). Allerdings thematisierte das Gericht dabei mit keinem Wort die Frage, ob der genannte Regelungszweck derartiger Klauseln überhaupt auf die Konstellation des § 64 Satz 1 GmbHG passt, in der Rückflüsse an die Gesellschafter in aller Regel ohnehin nicht erfolgen. Wendet man die Eigenschadenklausel – wie es das OLG Düsseldorf tat – auch auf Ansprüche aus § 64 GmbHG an, bleibt letztlich für die D&O-Versicherung eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers, abgesehen von den in diesem Bereich eher seltenen Dritthaftungsansprüchen (vgl. zur Deliktshaftung des Geschäftsführers gegenüber Dritten Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 383 ff.), nahezu kein Anwendungsbereich mehr (C. Schneider, GmbHR 2020, 1078, 1088 f.). Die D&O-Versicherung ist nämlich in der typischen Einpersonen-GmbH, in welcher der Alleingesellschafter auch Geschäftsführer ist, auch für die klassische Organhaftung aus § 43 GmbHG in der Regel irrelevant, da insoweit stets ein haftungsausschließendes Einverständnis des Gesellschafters, der ja zugleich Geschäftsführer ist, vorliegt und damit schon der Haftungstatbestand entfällt (vgl. Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 30; die diesbezügliche BGH-Rechtsprechung zusammenfassend BGH v. 17.10.2017 – KZR 24/15, ZIP 2017, 2295, 2296, Rz. 25 – „ConsulTrust“).

4. Problemfall: wissentliche Pflichtverletzung

Weiter zu beachten gilt es, dass eine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers die Einstandspflicht des Versicherers nach den üblichen Regelwerken der D&O-Versicherung ausschließt (dazu Primozic/Nöller, ZInsO 2018, 2509, 2510). Der Insolvenzverwalter kann deshalb mit seiner Klage aus § 64 Satz 1 GmbHG gegen den D&O-Versicherer nur Erfolg haben, wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife fahrlässig verkannt hat, nicht aber, wenn ihm die Insolvenzreife bewusst war und er gleichwohl die Geschäfte fortgeführt hat. Der Prozessvortrag des Insolvenzverwalters ist insoweit immer eine Gratwanderung (vgl. bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 224). Zur Prüfung dieser Frage hat der BGH die Sache an das OLG Frankfurt zurückverwiesen.

Weiteres „Update Frauenquote“ – die Stellungnahme der Bundesregierung zur Evaluation des FüPoG I.

Im Anschluss an das „Update Frauenquote“ zum FüPoG II. (dazu siehe Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) gilt es über die Evaluation zur Wirksamkeit des FüPoG I. durch Bundesfrauenministerin Giffey und Bundesjustizministerin Lambrecht zu berichten, die in einer Stellungnahme der Bundesregierung zur Wirksamkeit des FüPoG I. mündete. Das zugrunde liegende Gutachten des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), das Autoren der Kienbaum Consultants International, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, der ESCP sowie der Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbH verfassten, ist abrufbar unter www.bmfsfj.de/evaluation-füpog.

Wenig überraschend ergab die Evaluation einen starken Anstieg der Zahlen von Frauen in Aufsichtsräten. Anders sehen die Ergebnisse bei den Zielgrößen in Vorständen aus. Nach Angaben der Ministerinnen setzten sich rund 70 Prozent der vom Gesetz betroffenen Unternehmen die Zielgröße „Null“ für den Vorstand (zu den Gründen bereits Mutter, AG-Report 2020, R72).

Für die Abschätzung des weiteren Gesetzgebungsgangs ist die 21 Seiten starke Stellungnahme der Bundesregierung bedeutender als das Gutachten:

Die Empfehlung der Gutachter, den Anwendungsbereich der festen Frauenquote auf weitere Unternehmen auszudehnen, hat die Bundesregierung lediglich zur Kenntnis genommen, will dies aber erst bei weiteren Maßnahmen prüfen. Die angeregte Abkehr von den Kriterien „Börsennotierung“ und „Mitbestimmung“ hat man hingegen erkennbar schon verworfen. Hier stellt die Bundesregierung knapp fest, sie habe sich bewährt.

Noch deutlicher ist die Bundesregierung hinsichtlich einer erweiterten Begründungspflicht einer gesetzten Zielgröße „null“. Sie wird ausdrücklich „begrüßt“. Nur prüfen will man hingegen, ob sich die Motivation der Unternehmen, sich Zielgrößen zu setzen sowie Fristen und das Verschlechterungsgebot einzuhalten, durch Sanktionen verbessern lässt.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 24/2020.

BMJV, „Evaluation zum FüPoG belegt: Die feste Quote wirkt, freiwillige Maßnahmen hingegen nicht“, PM v. 18.11.2020

Der BMJV-Referentenentwurf eines MoPeG

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat jetzt den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) veröffentlicht. Der Entwurf bewegt sich im Großen und Ganzen auf den auch durch wissenschaftliche Fachtagungen und zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften eingefahrenen Gleisen des am 20.4.2020 veröffentlichten Mauracher Entwurfs (abrufbar mit Abschlussbericht und Thesenpapieren der einzelnen Arbeitsgruppen unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/Modernisierung_PersonengesellschaftsR.html), der von einer auf Grundlage einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die gegenwärtige Legislaturperiode vom BMJV im Herbst 2018 (S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode (abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download%20 =%201) eingesetzten Expertenkommission erstellt worden war. Tragende Säule auch des RefE sind (1) das bislang in den §§ 705 ff. BGB nicht geregelte Außenrecht der GbR mit Perpetuierung der Rechts- und Parteifähigkeit, organschaftlicher Vertretung und persönlicher akzessorischer Gesellschafterhaftung, (2) Einführung eines Gesellschaftsregisters mit nur mittelbarem Eintragungszwang (Voreintragungsprinzip), (3) Öffnung der OHG und KG und damit auch der GmbH & Co. KG für die Freien Berufe sowie (4) das Beschluss- und Beschlussmängelrecht.

I. Gesetzliche Perpetuierung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR – Abgrenzung zur juristischen Person

Die mit der Grundsatzentscheidung „ARGE Weißes Ross“ vom BGH am 29.1.2001 anerkannte Rechts- und Parteifähigkeit (BGHZ 146, 341) perpetuiert § 705 Abs. 2 BGB-RefE: „Die Gesellschaft kann entweder selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Gesellschaft), oder sie kann den Gesellschaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander dienen (nicht rechtsfähige Gesellschaft).“ Die zweite Alternative betrifft die auch schon bislang nicht rechts- und parteifähige Innengesellschaft. Nach § 719 Abs. 1 BGB-RefE entsteht die GbR im Verhältnis zu Dritten, „sobald sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt, spätestens aber mit Eintragung in das Gesellschaftsregister“. Zur Vertretung der GbR sind gem. § 720 Abs. 1 BGB-RefE „alle Gesellschafter gemeinsam befugt, es sei denn der Gesellschaftsvertrag bestimmt etwas anderes“. Der RefE hält damit am Prinzip der Selbstorganschaft fest und markiert damit einen wesentlichen Unterschied zur juristischen Person.

Auch die Personengesellschaft des RefE stellt keine juristische Person dar. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Rechtsformen liegt nicht im Bereich der Rechts- und Parteifähigkeit im Außenverhältnis, sondern in der fehlenden Verselbständigung der Gesamtheit der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis, die insbesondere durch das Prinzip der Selbstorganschaft und die „An- und Abwachsung“ der Wertanteile bei Veränderungen im Gesellschafterbestand sowie das Bestehen eines Schuldvertrags im Innenverhältnis zum Ausdruck kommt. In ertragssteuerrechtlicher Hinsicht erfolgt daher weiterhin eine Mitunternehmerbesteuerung nach §§ 15, 15a EStG und keine Besteuerung nach KStG (vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2020, R 196).

II. GbR-Register mit mittelbarem Eintragungszwang – problematische Ausnahme für Patent-, Marken-, Gebrauchsmuster und Designregister

1. Eintragungsfreiheit und Voreintragungprinzip

Die §§ 707 ff. RefE regeln das neue Gesellschaftsregister ohne unmittelbaren Eintragungszwang. Die Eintragungsoption mutiert aber zu einem mittelbaren Zwang, wenn eine noch nicht eingetragene GbR eine rechtliche Maßnahme vornehmen will, die eine Eintragung dieser GbR in ein anderes Register (insbesondere Grundbuch oder Handelsregister) erfordert. Die GbR muss dann für eine Voreintragung sorgen. Entsprechendes gilt beispielsweise in dem Fall, in dem die GbR einen Anteil an einer GmbH erwerben will und deshalb im Rahmen des Vollzugs die Gesellschafterliste geändert werden muss. Das Voreintragungsprinzip mit der Konzentration der gesellschaftsrechtlichen Daten der GbR – insbesondere Sitz und Vertretungsmacht – im digital einsehbaren Gesellschaftsregister dient nicht nur der Rechtsklarheit und der Rechtsicherheit, sondern in besonderem Maße auch der Effizienz im Bereich der behördlichen Registerverwaltung.

2. Die Problematik der Nichtgeltung des Voreintragungsprinzips bei gewerblichen Schutzrechten

Die vom Mauracher Entwurf abweichende Nichtgeltung des Voreintragungsprinzips im Bereich der gewerblichen Schutzrechte Patent, Marke, Gebrauchsmuster und Design ist allerdings bestenfalls nutzlos. Die für die einzelnen Schutzrechte vorgesehenen Veränderungen der einschlägigen Verordnungen (vgl. dazu Begründung RefE S. 328 ff.) stellen richtigerweise die eingetragene GbR der juristischen Person und der OHG/KG gleich, das heißt, es müssen nur Name/Firma, Rechtsform und Sitz angegeben werden. Die aktuellen Regelungen, nach denen im Falle einer Schutzrechtsanmeldung durch eine GbR die Angabe und Anschrift mindestens eines vertretungsberechtigten Gesellschafters erforderlich ist, sollen aber für diejenigen Gesellschaften fortgelten, die von ihrem Eintragungswahlrecht (noch) nicht Gebrauch gemacht haben. Es ist in einem solchen Anmeldungsfall aber nicht klar, ob das Recht der (rechtsfähigen) Gesellschaft als solcher oder den Gesellschaftern als Bruchteilsberechtigten in irgendeiner schuldvertraglichen Verbundenheit zusteht. Die Problematik verschärft sich, wenn die Eintragung in das Gesellschaftsregister nach der Schutzrechtsanmeldung erfolgt. Das belegen auch die Ausführungen in der Begründung (S. 328) zu diesem Fall. Hier soll nämlich, so die Begründung, davon auszugehen sein, dass es sich um eine Namensänderung (also Identität) im Sinne des § 27 DPMAV handelt, die auf Antrag im Patentregister bzw. den anderen einschlägigen Registern vermerkt, wenn sie dem DMPA nachgewiesen wird.

Die registerrechtliche Fortgeltung des Prinzips der Schutzrechtsanmeldung durch eine GbR ohne vorherige Registrierung kommt prima facie in einem unbürokratischen und auf Schnelligkeit geschneiderten Gewande daher, provoziert aber in Wirklichkeit materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Probleme, die von den Gesellschaftern zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht überschaut werden können, sowie einen vermeidbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand auf Seiten der Registerbehörden. Die in Rede stehende Ausnahme vom Voreintragungsprinzip öffnet daher nicht nur in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf sämtliche Rechtsgeschäfte, die das betreffende Schutzrecht zum Gegenstand haben, in einem nicht unbedeutenden Bereich des Rechtsverkehrs eine Büchse der Pandora, die der II. Zivilsenat mit der „ARGE Weißes Ross“ zugeschraubt und der Mauracher Entwurf versiegelt hat.

III. Öffnung der GmbH & Co. KG für die Freien Berufe

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater können auf Grundlage von Spezialvorschriften in der WPO bzw. im StBerG schon jetzt in der Rechtsform der KG und GmbH & Co. KG praktizieren. Für Rechtsanwälte und sonstige freie Berufe besteht diese Rechtsformfreiheit bislang nicht. § 107 Abs. 1 Satz 2 RefE eröffnet insoweit eine Eintragungsoption, „soweit das anwendbare Berufsrecht dies zulässt“. Dieser Berufsrechtsvorbehalt kommt insbesondere dann zum Tragen, sofern es um die Zulässigkeit von reinen Kapitalbeteiligungen geht. Die Öffnung der OHG/KG für Rechtsanwälte wäre zwar auch durch Spezialregelungen in der BRAO, die dann leges speciales im Verhältnis zu § 105 HGB wären, gesetzestechnisch möglich. Dadurch würden aber diejenigen freien Berufe in Bezug auf die Eintragungsoption „ausgebremst“, deren Berufsrecht in die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber fällt, also insbesondere Ärzte, Bauingenieure und Architekten (vgl. dazu Wertenbruch, NZG 2019, 407 ff.). Die gesellschaftsrechtliche Landungsbrücke des § 107 Abs. 1 Satz 2 RefE für die freien Berufe ist daher breiter und insgesamt überzeugender als partielle Stege.

IV. Neues System der Beschlussanfechtung

Die §§ 110 ff. RefE regeln das neue Beschlussmängelrecht der OHG/KG – in systematischer Anlehnung an die Beschlussanfechtung bei der AG und GmbH – in Gestalt einer Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage, wobei die Befristung des § 112 RefE nur für die Anfechtungsklage gilt. Die Nichtigkeitsgründe sind so transparent und passend gesetzlich konfiguriert, dass die Modernisierung gerade auch im Verhältnis zur AG und GmbH, wo der Reformprozess bei der Beschlussanfechtung noch nicht in Gang gekommen ist, deutlich sichtbar ist. Die Gesellschafter der GbR können durch den Gesellschaftsvertrag optieren (vgl. Begründung RefE S. 123). Abweichend vom Mauracher Entwurf ist die Nichtigkeits- und Anfechtungsklage aber bei der GbR nicht das gesetzliche Regelmodell. Das ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass bei einer kleinen GbR ohne anwaltlichen Beistand – also beispielsweise einer vierköpfigen Musikband, die auf den ersten Hit warten – im Falle eines Beschlussstreits die GbR als solche vom Kläger mit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage angegriffen werden und die anderen Gesellschafter auf Seiten der GbR als Nebenintervenienten beitreten und sich als Streitgenossen auf die Seite des Klägers schlagen können, wohl nicht der Verkehrsauffassung in derartigen Geschäftsbereichen entspricht (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 882).

V. Resumee

Dass der RefE im Wesentlichen mit dem inzwischen breit diskutierten Mauracher Entwurf übereinstimmt und insbesondere die Grundprinzipien und Leitbilder keine Änderungen erfahren haben, sind m.E. Pluspunkte, die hoffentlich auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren positiv zu Buche schlagen. Die Ausnahme vom Voreintragungsprinzip bei der Anmeldung eines gewerblichen Schutzrechts durch eine GbR sollte allerdings für eine Disqualifikation vorgesehen werden, die schon mit dem Regierungsentwurf wirksam wird.

Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG – ein „führendes Standardwerk“

I. Unternehmensübernahmen erregen in der Rechtspraxis stets besondere Aufmerksamkeit, auch wenn feindliche Übernahmen gegenwärtig Seltenheitswert haben. Jedenfalls ist die wirtschaftliche Bedeutung von Übernahmen und Wertpapiererwerben regelmäßig immens. Das praktische Bedürfnis nach einem tragfähigen Rechtsrahmen befriedigt das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG). Der hierzu kürzlich in 3. Auflage erschienene und in AG 2020, 879 ausführlich besprochene Kommentar von Heinz-Dieter Assmann, Thorsten Pötzsch und Uwe H. Schneider erläutert das WpÜG auf höchstem Niveau.

II. Bei einem Vergleich mit der Vorauflage stechen sofort zwei prominente Neuzugänge im Autorenkreis ins Auge. Mit Dirk Uwer, der nun gemeinsam mit Assmann für die §§ 40–47 WpÜG verantwortlich zeichnet, und Ralf van Ermingen-Marbach, der gemeinsam mit den beiden Vorgenannten nun die §§ 60–65 WpÜG erläutert, konnten ausgewiesene Experten gewonnen werden, von denen eine kompetente Fortführung der Kommentierung zu erwarten ist. Überdies kann sich der Leser über zahlreiche Aktualisierungen und eine Vielzahl an Ergänzungen freuen. Exemplarisch ist die vollständige Überarbeitung des bisher von Uwe H. Schneider verantworteten, nunmehr von Daniela Favoccia kommentierten § 30 WpÜG herauszugreifen. Beispielsweise wird die bisher von Uwe H. Schneider vertretene extensive Auslegung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG aufgegeben; die neue Bearbeiterin schwenkt auf die Linie des BGH (BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, AG 2014, 662 Rz. 39 ff.) ein, wonach ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung von Aktien keine Zurechnung von Stimmrechten nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG auszulösen vermag (§ 30 Rz. 113 ff.). Das ist in der Sache überzeugend, weil ein bloßer Verschaffungsanspruch dem Innehaben von Aktien mit Blick auf den Stimmrechtseinfluss gerade nicht gleichsteht.

Selbst zu entlegeneren Rechtsfragen liefert die Kommentierung eine wertvolle Orientierungshilfe. Beispielhaft dafür steht die zu § 10 WpÜG (§ 10 Rz. 55) von Assmann erläuterte Konstellationen eines Bietertausches sowie die Bildung von Bietergemeinschaften nach Veröffentlichung des Angebots.

III. Spätestens mit der nunmehr vorliegenden 3. Auflage darf der Kommentar als führendes Standardwerk gelten. Das Werk verarbeitet das reichhaltige Material aus Rechtsprechung und Wissenschaft umfassend und auf höchstem Niveau, verliert dabei aber nie den – für die praktische Handreichung unentbehrlichen – Blick für das Wesentliche. Der hier angezeigte Kommentar wird damit dem selbst gesetzten – hohen – Ansprüchen mit Leichtigkeit gerecht und gehört auf den Schreibtisch eines jeden Übernahmerechtlers.

Hinweis des Verlags:

Weitere Informationen zum Kommentar von Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, finden Sie hier.

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Verbandssanktionengesetz – Update

Gesetzgebungsverfahren schreitet voran

Die Bundesregierung hat nunmehr das Hauptverfahren eingeleitet und den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (BT Drs. 19/23568) in den Bundestag eingebracht. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates vom September 2020 wurden von der Bundesregierung teilweise verworfen, einige Vorschläge sollen im Gesetzgebungsverfahren geprüft werden. Das geht aus der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates (BR Drs. 440/20 (B)) hervor. Mittlerweile dürfte absehbar sein, dass das Verbandssanktionengesetz (VerSanG), das Kernstück der Reform ist, das Gesetzgebungsverfahren zügig durchlaufen wird. Die Beschlussfassung des Bundestages erfordert drei Beratungen über den Gesetzesentwurf. Anschließend wird der vom Bundestag beschlossene Gesetzestext dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet. Nach heutigem Stand kann spätestens bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im Herbst 2021 mit einer Verabschiedung und Verkündung des Gesetzes gerechnet werden.

Auswirkungen auf die Praxis

Für die unternehmerische Praxis ist vor allem relevant, dass für Verfahren nach dem künftigen VerSanG das sog. Legalitätsprinzip gelten soll. Dies bedeutet, dass Verfolgungsbehörden fortan verpflichtet sein werden, gegen Mitarbeiter und gegen das Unternehmen zu ermitteln, wenn es Anhaltspunkte für strafbares Verhalten gibt. Geprüft werden soll eine Erweiterung der bislang vorgesehenen Einstellungsmöglichkeiten wegen Geringfügigkeit. Als mögliche Sanktionen für Verbandstaten sieht der Gesetzesentwurf insbesondere Verbandsgeldsanktionen vor. Deren Höhe kann bei einer vorsätzlichen Verbandstat bis zu EUR 10 Mio., bei Verbänden mit einem durchschnittlichen (Konzern-)Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. bis zu 10% des Gruppenumsatzes betragen. Geprüft werden soll insgesamt, ob und gegebenenfalls wie die Kriterien der Strafzumessung gerade auch im Hinblick auf KMU stärker ausdifferenziert werden können. An dem vorgesehenen, jedoch vom Bundesrat kritisierten „Pranger“ durch öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung hält die Bundesregierung fest, wird aber die Ausgestaltung der Voraussetzungen für eine Veröffentlichung eingehend prüfen. Zudem soll nach dem Gesetzesentwurf das Vorhandensein von Compliance-Vorkehrungen sanktionsmildernd berücksichtigt werden, ebenso wie eine Kooperation mit den Verfolgungsbehörden bei der Sachverhaltsaufklärung mittels Durchführung verbandsinterner Untersuchungen.

Handlungsbedarf für Unternehmen

Für Unternehmen ist insoweit von Bedeutung, dass das VerSanG nur für Verbandstaten gelten soll, die nach Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden sind. Nach Art. 15 des Entwurfs des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft sollen die Neuregelungen zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten, konkret im ersten Monat des auf die Verkündung folgenden Quartals in zwei Jahren. Danach könnte das VerSanG, würde es noch in diesem Jahr das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, bereits ab Anfang 2023 gelten. Zweck der Übergangsfrist ist es, der Justiz, aber auch den Unternehmen die Möglichkeit einzuräumen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Daher ist es zu begrüßen, dass auch der Vorschlag des Bundesrates, die Übergangsfrist auf drei Jahre zu verlängern, erneut geprüft werden soll. Bereits jetzt ist jedoch absehbar, dass das VerSanG, wenn es in der geplanten oder in ähnlicher Form in Kraft tritt, mit beträchtlichen Auswirkungen für Unternehmen verbunden sein wird. Insgesamt dürfte es bei unzureichenden präventiven und repressiven Compliance-Vorkehrungen schwieriger werden, sich gegen eine Sanktionierung zu verteidigen. Der Aufbau effektiver Compliance-Strukturen bedarf einer gewissen Vorlaufzeit, die Unternehmen Anlass gibt, frühzeitig auf die neue Gesetzeslage zu reagieren.

 

Eine ins Wanken geratene Praxis: Die vorzeitige Löschung einer GmbH mit erschöpftem Vermögen

Die beliebte Praxis der Löschung einer GmbH mit erschöpftem Vermögen ohne Wahrung des als lästig empfundenen Sperrjahrs ist zuletzt mehrfach Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen gewesen, die sich teils gegen diese Praxis stemmten (für deren Zulässigkeit aber weiterhin OLG Hamm v. 2.9.2016 – 27 W 63/16, GmbHR 2017, 930; OLG Jena v. 15.9.2019 – 2 W 159/19, NotBZ 2019, 391 m. insoweit zust. Anm. Watoro). Eine höchstrichterliche Klärung der Zulässigkeit dieses abgekürzten Liquidationsverfahrens steht noch aus; die traditionelle Meinung hält den Weg der Abkürzung im Grundsatz bei erschöpftem Vermögen für gangbar, setzt sich aber bislang kaum mit den jüngeren obergerichtlichen Entwicklungen auseinander.

Ausgangspunkt: Fehlender Sinn weiteren Zuwartens

Der Ausgangspunkt ist klar (zum Nachfolgenden, auf dem die Ausführungen teilweise beruhen, Karsten Schmidt/Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 73 Rz. 10 ff.): Ist das Vermögen bereits vor Ablauf des Sperrjahrs erschöpft – weil von Anfang an keines vorhanden war oder das vorhandene durch Gläubigerbefriedigung (nicht durch Verteilung unter die Gesellschafter) aufgebraucht wurde –, entbehrt das Sperrjahr (bzw. dasjenige, was von ihm noch übriggeblieben ist) seines Sinns, jedenfalls seines hauptsächlichen (dazu Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 60 Rz. 59 sowie Karsten Schmidt/Scheller, § 65 Rz. 22). Die durch das Sperrjahr zeitlich umgrenzte Ausschüttungssperre läuft nämlich bei Eintritt der Vermögenslosigkeit ins Leere, wenn es unter die Gesellschafter nichts zu verteilen gibt. Dies erklärt das geschilderte, in der Praxis beliebte Vorgehen, von einem Liquidationsende bereits vor Ablauf des Sperrjahrs auszugehen und dieses Liquidationsende entsprechend zum Handelsregister anzumelden, vorausgesetzt, auch alle sonstigen Abwicklungsaufgaben wären zu diesem Zeitpunkt erledigt (vgl. zu sonstigen Abwicklungsaufgaben, insbesondere den in diesen Fällen regelmäßig noch nicht abgeschlossenen Steuerverfahren, Karsten Schmidt/Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 74 Rz. 6; zur „Anmeldeversicherung“ bei vorzeitiger Anmeldung des Liquidationsendes Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 60 Rz. 59).

Jüngere Rechtsprechungstendenz: (Formales) Beharren auf dem Sperrjahr

Sofern die (jüngere) Rechtsprechung (teils unter Zustimmung der Literatur, vgl. Heckschen, GWE 2020, 63 [70] sowie Vossius, NotBZ 2019, 141; Übersicht bei Freier, NZG 2020, 812) zuweilen eine vorzeitige Anmeldung verwehrt, liefert sie keine durchschlagenden Gründe für das Beharren auf dem Sperrjahr. So verweist OLG Celle v. 17.10.2018 – 9 W 80/18, GmbHR 2018, 1318 m. abl. Anm. Wachter allzu apodiktisch auf die Nichtexistenz eines die vorzeitige Anmeldung gestattenden geschriebenen (und daher allenfalls rechtsfortbildend entwickelten) Rechtssatzes. Gleichsinnig zeigt KG v. 23.7.2019 – 22 W 29/18, GmbHR 2020, 317 (relativierend sodann jedoch in der Gegenvorstellung KG v. 12.9.2019 – 22 W 29/18, ZIP 2020, 520) allein auf die Notwendigkeit, Gläubigern während des Sperrjahrs Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zu geben. Warum diese Gelegenheit fortbestehen sollte, wenn das Vermögen in der Liquidation ordnungsgemäß unter die Gläubiger verteilt wurde, bleibt indessen offen und lässt sich nicht erklären, wenn man den Zweck des Sperrjahrs allein in der ab Eintritt der Vermögenslosigkeit leerlaufenden Ausschüttungssperre sieht.

Stellungnahme

Das formale Beharren auf dem Sperrjahr könnte überzeugen, wenn die Ausschüttungssperre nur ein Element des durch das Sperrjahr bewirkten Gläubigerschutzes wäre, weil zugleich die unbekannten Gläubiger vor einem Erlöschen der GmbH während des Laufs des Sperrjahrs geschützt werden sollten. Sie hätten bei dieser Lesart ein Jahr Zeit, um sich mit ihren Ansprüchen bei der Gesellschaft zu melden, ohne eine vorherige Ausschüttung unter die Gesellschafter oder die Beendigung von Liquidation und Gesellschaft befürchten zu müssen. Wertungsmäßig spräche einiges für diese Sichtweise. Denn sollten die Ansprüche bestehen, würden die Gläubiger bei vorzeitiger Löschung in die Nachtragsliquidation mit all ihren misslichen Konsequenzen gedrängt, und müssten im Prozess das Vorhandensein verwertbaren Vermögens schlüssig vortragen. Demgegenüber könnten sie innerhalb des Sperrjahrs ihre Ansprüche gegen die jedenfalls mangels Registerlöschung auch im Fall der Vermögenslosigkeit fortbestehende GmbH i.L. geltend machen; die Frage der Durchsetzbarkeit und Verwertbarkeit etwaig vorhandenen Vermögens wäre insoweit eine vollstreckungsrechtlich zu beantwortende. Vor diesem Hintergrund ist die von der h.M. gewährte Möglichkeit der Verkürzung des Sperrjahrs bei erschöpftem Vermögen keinesfalls selbstverständlich.

Trotzdem ist an der Zulässigkeit der Abkürzung des Liquidationsverfahrens bei erschöpftem Vermögen festzuhalten. Der Schutz vor einem Erlöschen der Gesellschaft während des laufenden Sperrjahrs ist nämlich nur ein mittelbarer (vermittelt über die Ausschüttungssperre), kein von § 73 Abs. 1 GmbHG intendierter. Das ergibt sich bereits aus dessen Wortlaut, der sich nur auf diese Sperre bezieht („die Verteilung darf nicht vor […] Ablauf eines Jahres […] vorgenommen werden“), nicht aber statuiert, dass die Liquidation nicht vor Fristablauf beendet sein könne. Systematisch müsste eine solche Bestimmung ohnehin in § 74 GmbHG zu finden sein, der aber über die näheren Voraussetzungen der Liquidationsbeendigung schweigt, jedenfalls nicht das Sperrjahr erwähnt. Die Zulässigkeit einer vorzeitigen Anmeldung der Beendigung der Liquidation bei erschöpftem Vermögen verlangt daher auch keine teleologische Reduktion des § 73 Abs. 1 GmbHG (so aber noch Bochmann/Cziupka, EWiR 2018, 713 [714] sowie Freier, NotBZ 2019, 121 [122]); die Bestimmung läuft vielmehr mangels ausschüttbaren Vermögens insoweit ins Leere.

Im Regelfall werden die Voraussetzungen für eine vorzeitige Anmeldung der Beendigung der Liquidation allerdings nicht vorliegen, obwohl manche Praktikerstellungnahmen hier zuweilen Gegenteiliges suggerieren. Um schon vor Ablauf des Sperrjahres die Beendigung der Liquidation anmelden zu können, müsste nämlich das Vermögen der Gesellschaft zumindest nahezu bei Null liegen; liegt es mehr als nur geringfügig über Null, wäre die GmbH nicht vermögenslos, läge dagegen Überschuldung vor, bestünde eine Insolvenzantragspflicht. Meist wird es schon an der völligen Vermögenslosigkeit fehlen, weil noch geringfügiges Restvermögen vorhanden ist; sollte dieses während des Sperrjahres an die Gesellschafter ausgekehrt werden, bestünden Schadensersatzansprüche gegen die Liquidatoren und damit Vermögen.

Hinweis für die Praxis

Für die Praxis ist davon losgelöst in Rechnung zu stellen, dass bei tatsächlicher Vermögenslosigkeit auch während des laufenden Sperrjahres eine Löschung der Gesellschaft von Amts wegen (nach § 394 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG) möglich ist. Die Amtslöschung ist in ihren Voraussetzungen streng von der vorzeitigen Anmeldung der Beendigung der Liquidation zu unterscheiden, auch wenn beide auf Vollbeendigung der Gesellschaft zielen. Die Amtlöschung kann angeregt werden, vgl. § 24 Abs. 1 FamFG. Die Anregung ist bei substantiiertem Vortrag Anlass zur Aufnahme von Ermittlungen des Registergerichts, bei Misserfolg erwächst daraus aber kein Beschwerderecht (dazu Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 60 Rz. 59 und Karsten Schmidt/Scheller, § 74 Rz. 11).

 

Ausblick auf die Rechtsentwicklung

Zum abschließenden Ausblick auf die Rechtsentwicklung ist darauf hinzuweisen, dass die Justizministerinnen und Justizminister im Rahmen ihrer Herbstkonferenz am 7. November 2019 beschlossen haben, eine länderoffene Arbeitsgruppe einzurichten, die eine mögliche Vereinfachung des Löschungsverfahrens in Registersachen prüfen soll. Diese Reformbestrebungen sollten allerdings nicht dazu genutzt werden, die mit guten Gründen hoch angesetzten Hürden für eine Abkürzung des Sperrjahres bei Vermögenslosigkeit herabzusetzen. Wünschenswert wäre es dagegen, auch dauerhaft inaktive, unerreichbare Gesellschaften, ungeachtet der Vermögenslosigkeit, aus dem Handelsregister löschen zu können (Scheller in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 60 Rz. 52).

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band III erscheint in diesen Tagen, Band II erscheint Anfang 2021. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die in diesem Blog vielfach zitierten topaktuellen Kommentierungen von Dr. Johannes Scheller zu § 60 und § 74 GmbHG. Das möchten wir mit Ihnen feiern und laden Sie ein, unsere Datenbank zum Aktionsmodul Gesellschaftsrecht kostenlos zu testen!

Entwurf für „Wirecard-Folgen“-Gesetz vorgelegt

Mitte Oktober wurde ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) veröffentlicht.

Der Referentenentwurf stellt eine Reaktion auf die Insolvenz des Zahlungsanbieters Wirecard und die hiermit verbundene öffentliche Kritik an der Abschlussprüfung des Unternehmens und der Finanzmarktaufsicht durch die BaFin dar. Der Gesetzesentwurf betont dabei ausdrücklich, dass Bilanzmanipulationen von Kapitalmarktunternehmen das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt erschüttern und ihm schweren Schaden zufügen.

Vor diesem Hintergrund sieht der Referentenentwurf grundlegende Reformen im Bereich der Abschlussprüfung, der Corporate Governance von (kapitalmarktorientierten) Unternehmen sowie der Finanzmarktaufsicht vor und erstreckt sich inhaltlich auf diverse Wirtschaftsgesetze. Die praxisrelevantesten Reformvorschläge des Entwurfs werden nachfolgend skizziert.

Stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren

Reform & Regelungsort:  Das derzeitige zweistufige, auf freiwillige Mitwirkung der geprüften Unternehmen ausgerichtete Bilanzkontrollverfahren soll grundlegend reformiert werden, hin zu einem stärker staatlich-hoheitlich geprägten Bilanzkontrollverfahren. Denn bei mutmaßlichen betrügerischen Strukturen auf internationaler Ebene habe sich eine Kontrolle auf rein privatrechtlicher Ebene auf der ersten Stufe als ungeeignet erwiesen. Vor diesem Hintergrund soll das Bilanzkontrollverfahren künftig vollständig im WpHG geregelt werden (§§ 107a-107c WpHG-E, S. 54 RefE).

Mehr Befugnisse für BaFin:  Zudem sollen die Befugnisse der BaFin ausgeweitet werden, indem diese bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar mit hoheitlichen Befugnissen gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten können soll. Hierzu erhält die BaFin gemäß dem Gesetzesentwurf

  • ein Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen (§ 264d HGB) einschließlich Auskunftsrechte gegen Dritte,
  • die Möglichkeit forensischer Prüfungen sowie
  • das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren.

Ziel: Durch diese Kompetenzen werde der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen ermöglicht und sichergestellt, dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stehen. Bilanzkontrollen sollen auf diese Weise in Gänze schneller, transparenter und effektiver werden.

Stichproben- & Anlassprüfungen:  Zwar soll auch künftig noch eine privatrechtlich organisierte Einrichtung zur Prüfung von Verstößen gegen Rechnungsunterlagen (sog. Prüfstelle) anerkannt werden. Allerdings wird die Prüfstelle nach dem Referentenentwurf künftig lediglich für Stichprobenprüfungen zuständig sein, während Anlassprüfungen (= Prüfungen aufgrund konkreter Anhaltspunkte) allein die BaFin einleiten kann. Solche Anlassprüfungen kann die BaFin in der Folge entweder selbst durchführen oder auf die Prüfstelle oder andere Einrichtungen übertragen. Die Prüfung auf Verlangen der BaFin (sog. Verlangensprüfung) wird abgeschafft.

Stärkere Unabhängigkeit der Abschlussprüfer

Externer Prüferrotation:  Künftig soll für alle kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften (§ 264d HGB) eine verpflichtende externe Prüferrotation nach zehn Jahren geben. Dieser Grundsatz ist in der europäischen Abschlussprüferverordnung niedergelegt, wobei bislang durch eine öffentliche Ausschreibung die Höchstbestelldauer auf bis zu 24 Jahre verlängert werden konnte. Durch die externe Prüferrotation soll der Gefahr einer zu großen Nähe der Abschlussprüfer zu dem geprüften Unternehmen entgegengewirkt und die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern gestärkt werden. Darüber hinaus würde nach dem Referentenentwurf künftig ein Gleichlauf mit den Pflichten zur externen Rotation bei Kreditinstituten und Versicherungen erzielt, bei denen schon heute grundsätzlich eine zehnjährige Höchstlaufzeit für Abschlussprüfungsmandate gilt.

Trennung von Prüfung & Beratung:  Für Unternehmen von „öffentlichem Interesse“ (§ 316a S. 2 HGB n.F.) soll zudem die Pflicht zur Trennung von „Prüfung“ und „Beratung“ ausgeweitet werden. Unternehmen von öffentlichem Interesse werden definiert als kapitalmarktorientierte Unternehmen, bestimmte CRR-Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Dies kann als Reaktion auf die öffentliche Kritik verstanden werden, dass gerade die sog. „Big-4“ Prüfgesellschaften bei der Abschlussprüfung bisweilen Interessenkonflikten unterliegen können, weil sie auch in anderen Bereichen des Unternehmens beratend tätig sind bzw. sein wollen.

Schärfere Haftung der Abschlussprüfer:  Darüber hinaus ist beabsichtigt, die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfer bei Pflichtverletzungen künftig gegenüber dem geprüften Unternehmen zu verschärfen, indem die Haftungshöchstgrenzen von 1 Mio. Euro allgemein für die Abschlussprüfung auf 2 Mio. Euro heraufgesetzt wird und für die Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse künftig 20 Mio. Euro beträgt (S. 55 RefE, § 323 Abs. 2 HGB-E). Darüber hinaus sollen Abschlussprüfer künftig auch in Fällen grober Fahrlässigkeit der Höhe nach unbeschränkt haften. Die Berufung auf eine Haftungshöchstgrenze soll für den Abschlussprüfer außerdem nicht mehr möglich sein, wenn er selbst zwar einfach fahrlässig handelte, sein Gehilfe aber vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, und dieses Verhalten des Gehilfen dem Prüfer nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen zuzurechnen ist (S. 102 RefE).

Qualitätssteigerung oder Marktkonzentration?  Ob die beabsichtige Anhebung der Haftungshöchstgrenzen zu einer Qualitätssteigerung der Abschlussprüfung beitragen kann oder nicht primär den Prozess beschleunigen würde, kleine und mittelständische Unternehmen weiter aus der Prüfung zu drängen, sollte kritisch hinterfragt werden. Schon seit einer Weile ist zu beobachten, dass immer weniger Prüfgesellschaften Unternehmen, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, prüfen wollen wegen der damit verbundenen zusätzlichen berufsrechtlichen Anforderungen die sich nur dann rechnen, wenn ein Abschlussprüfer regelmäßig solche Prüfmandate hat. Die Neuregelungen werden zu erhöhten Versicherungskosten für die Regelprüfung führen und damit aller Wahrscheinlichkeit auch zu einer weiteren Konzentration im Prüfermarkt.

Verschärfung des Bilanzstrafrechts

Straftatbestände:  Im Bilanzstrafrecht soll durch gesetzliche Modifikationen eine erhöhte abschreckende Ahndung der Unternehmensverantwortlichen bei der Abgabe eines unrichtigen „Bilanzeids“ (künftig eigener Straftatbestand: § 331a HGB-E („unrichtige Versicherung“)) und der Abschlussprüfer bei Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks zu Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ermöglicht werden.

Ordnungswidrigkeiten:  Im Bilanzordnungswidrigkeitenrecht werden zudem die Bußgeldvorschriften für Abschlussprüfer, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, inhaltlich ausgeweitet und der Bußgeldrahmen deutlich angehoben.

Angemessenes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem

Sorgfaltspflichten von Vorstand & Aufsichtsrat:  In § 93 AktG soll künftig in einem neuen Abs. 1a eine Präzisierung der Sorgfaltspflicht für den Vorstand bei börsennotierten Unternehmen (= regulierter Markt) erfolgen. Demnach umfasst künftig die Sorgfaltspflicht des Vorstands bei derartigen Gesellschaften „auch die Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems.“ Durch die Klarstellungen „angemessenen“ und „wirksamen“ wird deutlich, dass der Vorstand künftig stärker noch als bislang, fortlaufend die Adäquanz des Kontrollsystems in Bezug auf die tatsächlichen Unternehmensumstände und die Effizienz des Compliancesystems überprüfen muss, um eine etwaige Haftung zu vermeiden. Gleiches gilt über den Verweis in § 116 AktG auch für den Aufsichtsrat des Unternehmens und dessen Kontrollpflichten. In der Begründung zum Referentenentwurf wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch bei nicht (im regulierten Markt) börsennotierten Unternehmen der Vorstand zu prüfen hat, ob die Einrichtung eines Risikomanagement- oder internen Kontrollsystems für das konkrete Unternehmen erforderlich und sinnvoll ist. Es wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gleiches (unabhängig von der Börsennotierung) für die Einrichtung von Compliance-Management-Systemen gilt – dies sei bei „größeren“ Unternehmen erforderlich.

Eigener Prüfungsausschuss:  Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften, die zugleich ein Unternehmen von öffentlichem Interesse sind, müssen künftig zudem verpflichtend einen Prüfungsausschuss einrichten, der mit unmittelbaren Auskunftsrechten gegenüber dem Leiter der internen Kontrolle, dem Leiter des Risikomanagements und dem Leiter der Internen Revision ausgestattet wird (§ 107 Abs. 4 AktG-E). Durch einen gesetzlichen Verweis in § 324 Abs. 2 Satz 2 HGB-E auf § 100 Abs. 5 AktG soll zudem sichergestellt werden, dass im jeweiligen Prüfungsausschuss Sachverstand sowohl bezüglich der Rechnungslegung als auch der Abschlussprüfung vorhanden ist.

Höhere Qualität bei der Zulassung zu Börsen-Qualitätssegmenten

Ziel:  Die Stärkung der Corporate Governance durch börsennotierte Gesellschaften wird flankiert durch Änderungen des Börsengesetzes (BörsG, Art. 2 des RefE). Hierdurch soll die Qualität der Zulassung von Unternehmen zu den qualifizierten Marktsegmenten der Börsen verbessert werden und Emittenten bei Verstößen aus den Qualitätssegmenten der Börsen einfacher ausgeschlossen werden können, wie etwa durch eine Erleichterung des Ausschlusses insolventer Emittenten (S. 52 RefE).

Mechanismus:  Konkret soll durch eine Neufassung von § 42 BörsG klargestellt werden, dass ein Ausschluss aus einem Teilbereich des regulierten Marktes mit zusätzlichen Pflichten (z.B. Prime und General Standard der FWB) auch möglich ist, wenn eine Vorrausetzung für die Zulassung zu dem entsprechenden Teilbereich nicht mehr vorliegt. Wenn für den jeweiligen Teilbereich Voraussetzungen festgelegt wurden, die nicht nur im Zeitpunkt der Zulassung, sondern während der gesamten Dauer der Zulassung vorliegen müssen, ist ein Widerruf ohne weitere Fristsetzung durch die Geschäftsführung der Börse nach pflichtgemäßem Ermessen möglich (S. 83 RefE).

Fazit

Es ist zu vermuten, dass es im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens noch zu Anpassungen kommen wird. Bis zum 9. November 2020 besteht die Gelegenheit zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen.

Die vorgesehenen Neuregelungen sind im Grundsatz zu begrüßen und können einen Beitrag dazu leisten, die Überwachung der Abschlussprüfung, die Corporate Governance sowie die Effektivität der Finanzmarktaufsicht zu fördern. Gleichwohl werden sich auch hierdurch betrügerische Handlungen von Unternehmen nicht gänzlich verhindern lassen. Daher sollte bei den vorgeschlagenen Neuregelungen aus Sicht der Praxis kritisch analysiert werden, wieweit hier Aufwand und potenzielle Vorteile im Verhältnis stehen. Erste sehr weitgehende Überlegungen im Vorfeld des Referentenentwurfs (etwa zur Schaffung einer Europäischen „SEC“) hatten dies nicht immer berücksichtigt und sind dann auch nicht in den Gesetzgebungsvorschlag eingeflossen (vgl. zusammenfassend und illustrativ zur Diskussion das Positionspapier des Deutschen Aktieninstituts zu Konsequenzen aus dem Fall Wirecard vom 2. Oktober 2020).

Sowohl Abschlussprüfer als auch die Unternehmensorgane werden infolge der öffentlichen Diskussionen rund um die Wirecard-Insolvenz künftig allerdings auch unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung unter besonderer Beobachtung – v.a. durch Stimmrechtsberater – stehen. Vorstände und Aufsichtsräte sollten daher in besonderem Maße auf die Einrichtung, stetige Aktualisierung und laufende Überwachung adäquater interner Kontrollsysteme (Compliance) achten, um etwaige Haftungsrisiken und kritische Nachfragen auf Hauptversammlungen zu vermeiden.

 

Neues Zahlungsverbot in § 15b InsO-E und Streichung des § 64 GmbHG – Positive Überraschung im Regierungsentwurf eines SanInsFoG –

Berlin erhöht die Schlagzahl bei der Modernisierung des Sanierungsrechts. Erst kürzlich hatte das BMJV den Referentenentwurf eines Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) vorgelegt. Dessen Kern besteht in der Einführung eines neuen Gesetzes zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen (StaRUG), mit welchem die EU-Richtlinie zur Restrukturierung umgesetzt werden soll (dazu Thole, ZIP 2020, 1985 ff.). Nun hat das Bundeskabinett am 14.10.2020 bereits den Regierungsentwurf des SanInsFoG verabschiedet, der mit weiteren Überraschungen aufwartet. Dazu gehört der Plan, die bislang in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen verstreuten Zahlungsverbote (§ 64 GmbHG und die Parallelregelungen in § 92 Abs. 2 AktG, § 130a Abs. 1, auch i.V.m. § 177 Satz 1 HGB, § 99 GenG) in die Insolvenzordnung zu verlagern und dabei rechtsformneutral auszugestalten. Damit wird wieder zusammengeführt, was historisch zusammengehört: die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) und die Zahlungsverbote (§ 15b InsO), welche seinerzeit durch das MoMiG voneinander getrennt wurden (vgl. zur Historie Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 1 ff.).

Doch belässt es der Entwurf nicht bei der Zusammenführung der Zahlungsverbote im neuen § 15b InsO-E. Vielmehr schreitet er mutig und kraftvoll voran und packt jene Kritikpunkte an, welche der Verfasser vor einigen Jahren formuliert hatte (Bitter in Festheft Knauth, Beilage zu ZIP 22/2016, S. 5 ff.; ausführlich jetzt auch die o.g. Kommentierung des § 64 GmbHG im Scholz).

1. Begrenzung des Haftungsumfangs durch § 15b Abs. 4 InsO-E

Seit der „Entdeckung“ des § 64 GmbHG durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH vor gut 20 Jahren gibt es bekanntlich einen Grundlagenstreit zu der Frage des Haftungsumfangs (vgl. Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 20 ff. und Rz. 99 ff.): Soll der Geschäftsführer – wie es der Wortlaut zunächst nahelegt und die h.M. demgemäß vertritt – auf den Ersatz jedes einzelnen (!) Vermögensabflusses nach Insolvenzreife, also letztlich auf den danach getätigten Umsatz haften (Einzelbetrachtung) oder sind nicht im Gegenzug auch die während der Insolvenzreife eingetretenen Vermögenszuflüsse zu berücksichtigen, sodass der Geschäftsführer nur für die insgesamt eingetretene Masseschmälerung verantwortlich ist (Gesamtbetrachtung). Mit der neuen Regelung zur Rechtsfolge in § 15b Abs. 4 InsO-E will sich der Regierungsentwurf zwar nicht endgültig zu dieser Streitfrage positionieren. Er entfernt sich aber doch einen deutlichen Schritt von der im Grundsatz von einer Einzelbetrachtung ausgehenden Rechtsprechung des BGH und nähert sich damit der Gegenansicht an, die seit jeher vor allem von Karsten Schmidt, Altmeppen und vom Verfasser vertreten wird:

Im Grundsatz soll es zwar nach § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO-E bei der bisherigen Pflicht zur Erstattung der nach Insolvenzreife getätigten Zahlungen bleiben. Sodann heißt es jedoch in Satz 2: „Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“ Damit wird der „haftungsrechtliche Kampfhund“ (Karsten Schmidt, NZG 2015, 129) nunmehr gezähmt und dabei ein Weg eingeschlagen, den der Oberste Gerichtshof Österreichs bereits vor drei Jahren in einem in Deutschland wenig beachteten Urteil beschritten hat (OGH Wien v. 26.9.2017 – 6 Ob 164/16k unter Ziff. 2.3.3. bis 2.3.5. mit Hinweis auf Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 64 Rz. 16, 63, 68 f.; dazu Trenker, JBl 2018, 434, 437 ff.). Die einzelnen Zahlungen dienen danach nur als Vermutungstatbestand für die eigentlich relevante Masseschmälerung, den Gesamtschaden der Gläubiger. Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist insoweit mit Recht auf eine frühe Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG v. 30.11.1938 – II 39/18, RGZ 159, 211, 229 f.), auf welche der Verfasser jüngst aufmerksam gemacht hatte, die ansonsten aber nur in Österreich zur Kenntnis genommen wurde (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 108).

2. Der Gegenbeweis des § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO-E als Schritt in die richtige Richtung

Die vom OGH Wien vorgezeichnete und nunmehr in § 15b Abs. 4 Sätze 1 und 2 InsO-E enthaltene Lösung ist als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen. Zwar taugen die einzelnen Zahlungen korrekterweise nicht einmal als Vermutungstatbestand für die insgesamt seit der Insolvenzreife eingetretene Masseschmälerung (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 202). Doch ist es allemal besser, dem Geschäftsführer zumindest den Gegenbeweis eines geringen Schadens zu ermöglichen als ihn stets erbarmungslos auf den Ersatz aller einzelnen Zahlungen haften zu lassen, obwohl der von ihm angerichtete Gesamtschaden der Gläubiger ggf. weit dahinter zurückbleibt. Den letzten Schritt auf dem jetzt eingeschlagenen Weg (mit einer Streichung des Vermutungstatbestandes) wird der Gesetzgeber wohl erst dann gehen wollen, wenn für die Bemessung des Gesamtverlustes ein rechtssicheres und praktikables Konzept gefunden ist (vgl. zu dem insoweit noch bestehenden Gesprächsbedarf Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 103).

3. Korrektur der BGH-Rechtsprechung zu § 64 Satz 2 GmbHG

Mit begrüßenswerter Kraft korrigiert der Regierungsentwurf in § 15b Abs. 2 und 3 InsO-E auch die vom Verfasser seit jeher kritisierte Rechtsprechung des BGH zu der bislang in § 64 Satz 2 GmbHG geregelten Sorgfaltsausnahme (dazu eingehend Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 162 ff.).

a) Änderung der sog. Notgeschäftsführung

Die vom BGH entwickelten Grundsätze sind nämlich einerseits zu weit, da auch Zahlungen im Zustand der Insolvenzverschleppung als privilegiert angesehen werden, andererseits zu eng, weil im Zustand fehlender Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz Insolvenzreife nicht nur Zahlungen zur Nachteilsabwendung im engeren Sinne (sog. Notgeschäftsführung) erlaubt sein sollten. Ein derartiger Zustand fehlender Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz Insolvenzreife besteht zum einen während der laufenden Drei- bzw. Sechs-Wochen-Frist i.S.v. § 15a Abs. 1 und 2 InsO-E, zum anderen nach der Erfüllung der Insolvenzantragspflicht im Eröffnungsverfahren (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 170; Bitter, ZIP 2020, 685, 690 f.). In diesen Fällen sollen nun überzeugend und in Übereinstimmung mit der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG bereits enthaltenen Regelung alle Zahlungen privilegiert werden, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen.

b) Verhältnis des Zahlungsverbots zu § 266a StGB und §§ 34, 69 AO

Mit dem geplanten § 15b Abs. 2 und 3 InsO-E soll die Rechtsprechung des BGH auch insoweit korrigiert werden, als sie die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung i.S.v. § 266a StGB sowie haftungs- und bußgeldbewerte Steuerzahlungen allgemein als privilegiert angesehen hat (BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422, Rz. 12). Dafür besteht im Zeitraum einer Insolvenzverschleppung kein Anlass, weil die Pflichtenkollision zwischen dem Massesicherungsgebot und der Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in diesem Fall vom Geschäftsleiter selbst verursacht ist (Bitter, Beilage zu ZIP 22/2016, S. 5, 6 f.; Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 176 f.). Im Zustand der Insolvenzverschleppung entspricht nicht die Fortführung des Unternehmens unter Inkaufnahme weiterer Zahlungen, sondern allein die Einreichung des Eröffnungsantrags der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Die Geschäftsleiter unterliegen daher im Zeitraum der Insolvenzverschleppung sowohl dem Gebot der Massesicherung als auch den Sanktionen aus § 266a StGB und den steuerrechtlichen Haftungs- und Bußgeldvorschriften. Aus dieser selbstgeschaffenen Pflichtenkollision hat sich der Geschäftsleiter durch die Einreichung des Eröffnungsantrags zu befreien.

Für den Zeitraum nach dem Eröffnungsantrag besteht zwar eine nicht mehr durch Antragstellung auflösbare Pflichtenkollision, jedoch ebenfalls kein Anlass für eine Privilegierung nach der Ausnahme sorgfaltsgemäßen Handelns. Die Pflichtenkollision lässt sich nämlich insoweit nach der für den Drei-Wochen-Zeitraum des früheren § 64 Abs. 1 GmbHG entwickelten Rechtsprechung des BGH zu § 266a StGB dahingehend auflösen, dass das Abführungsgebot hinter der Massesicherungspflicht zurücktritt (BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307 = GmbHR 2004, 112; näher Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 177, 184). Dann erledigen sich auch die Probleme, welche uns die BGH-Rechtsprechung bei den im Eröffnungsverfahren geleisteten Steuerzahlungen bereitet hat (dazu eingehend Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 181 ff. ).

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band III erscheint Anfang November 2020, Band II erscheint Anfang 2021. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die in diesem Blog vielfach zitierte topaktuelle Kommentierung von Prof. Dr. Georg Bitter zu § 64 GmbHG.

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Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes

Lesenswert für alle Mandatsträger und Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutsche Corporate Governance Kodex

Die Bundesregierung hat am 16.9.2020 die Neufassung der Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes 2020 beschlossen. Diese lösen mit Bekanntmachung durch das Bundesministerium der Finanzen vom selben Tag (VIIII B 1 – FB 0203/20/100002:003) die Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes vom 1. Juli 2009 (GMBl. 2011, 409 ff.) ab.

War der „alte“ Public Corporate Governance Kodex des Jahres 2009 nur ein schwacher Aufguss des damaligen Deutschen Corporate Governance haben sich nun 2020 die Vorzeichen verkehrt. Während sich die Regierungskommission bei ihrem „großen“ Neuaufschlag 2018/20 vorrangig in kleinteiligen Versuchen verzettelte, Corporate Germany eine bestimmte Vorstellung der Vorstandsvergütung aufzuzwingen und damit lediglich breitflächige Proteste auf Seiten vieler Unternehmen auslöste (unverändert nachlesbar https://www.dcgk.de/de/konsultationen/archiv/konsultation-2018/19.html), schreitet die Bundesregierung richtungsweisend nach vorn.

Während die Europäische Union noch de lege ferenda fragt, ob die Unternehmensleitung  bei ihren Entscheidungen neben den finanziellen Interessen der Gesellschafter auch Faktoren wie Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung oder den Klimawandel berücksichtigen sollte (https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/2020-sustainable-finance-strategy-consultation-document_en.pdf, question 46) und Studien über „directors duties and sustainable corporate governance“ in Auftrag gibt bzw. „Sustainablitiy, duty of care and due diligence“ auf die Agenda der ICLEG setzt (vgl. Jessica Schmidt, BB 2020, 1794, 1799), formuliert die Bundesregierung bereits eine klare Antwort und setzt erste Standards:

Der gesamte Abschnitt 5.5 des Public Corporate Governance Kodex 2020 handelt nämlich von nichts anderem als „nachhaltiger Unternehmensführung“. Das bemerkenswerte daran ist, dass es die Bundesregierung nicht bei einer Auflistung plakativer Schlagworte belässt, sondern weit über ein Dutzend Einzelempfehlungen ausspricht und konkrete Verpflichtungen für die Geschäftsführung formuliert.

Sie im Einzelnen nachzuzeichnen würde hier den Rahmen dieses Blogs sprengen; die Überlegungen der Bundesregierung sind aber (nicht nur insoweit) gewiss lesenswert für alle Mandatsträger in Vorstand und Aufsichtsrat, aber auch eine Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.

Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes sind im Einzelnen nachlesbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik/Beteiligungspolitik/grundsaetze-guter-unternehmens-und-aktiver-beteiligungsfuehrung.html.