Der Ausschluss extremistischer Gesellschafter aus GmbH und Personengesellschaften

I. Kann ich einen Vertrag mit einem Extremisten kündigen?

Vieles spricht dafür, dass diese – hier etwas platt formulierte – Fragestellung künftig die Gerichte beschäftigen wird. Während das Öffentliche Recht sich bereits seit geraumer Zeit mit Extremismus als Rechtsproblem befasst, steht der privatrechtliche Diskurs noch am Anfang. Eine Ausnahme bildet das Arbeitsrecht, doch auch hier betrafen einschlägige Gerichtsentscheidungen in der Regel Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst (vgl. etwa ArbG Köln, Urt. v. 03.07.2024 – 17 Ca 543/24, juris). Für Vertragsverhältnisse zwischen Privaten ist bisher weitgehend ungeklärt, ob und inwieweit extremistische Einstellungen und Verhaltensweisen eines Vertragsteils zum Anlass für die Beendigung der Vertragsbeziehung genommen werden können. Die Frage stellt sich im Ausgangspunkt für jede Art von Verträgen, dürfte sich aber nicht pauschal beantworten lassen. Zu unterschiedlich sind die Interessenlagen und Abwägungsgesichtspunkte in den verschiedenen Vertragskonstellationen. So ist etwa die Kündigung eines Mieters etwas anderes als die Beendigung der Zusammenarbeit mit einem Handwerker oder der Ausschluss eines Gesellschafters aus einer OHG oder GmbH.

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BGH hebt OLG Celle in Sachen Geschäftsführerabberufung (Martin Kind) bei der Hannover 96 Management GmbH auf und weist Klage ab

Der Inhalt der Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH

Der BGH hat mit Urteil vom 16.7.2024 die Berufungsentscheidung des OLG Celle in Sachen Abberufung des Geschäftsführers (Martin Kind) der Komplementär-GmbH der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA aufgehoben und die Beschlussmängelklage abgewiesen. Der Gesellschafterbeschluss über die Abberufung des Klägers Martin Kind als Geschäftsführer ist damit nicht nichtig, sondern wirksam. Abweichend vom OLG Celle als Berufungsgericht wird vom II. Zivilsenat sowohl eine Nichtigkeit analog § 241 Nr. 3 AktG als auch eine Sittenwidrigkeit analog § 241 Nr. 4 AktG verneint. Die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH könne nur eine Verletzung von tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts begründen. Dazu gehörten nicht Satzungsbestimmungen, die einem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen. Im konkreten Fall zähle auch die Beachtung des sog. Hannover-96-Vertrags nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Der Abberufungsbeschluss verstoße durch seinen Inhalt nicht gegen die guten Sitten und er begründe auch keine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen. Ein bloßer Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung der GmbH mache einen Gesellschafterbeschluss zwar anfechtbar, aber nicht sittenwidrig. Auch einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags oder einer Gesamtbetrachtung begründe nicht die Sittenwidrigkeit des Beschlusses.

Darüber hinaus ist der Abberufungsbeschluss nach Ansicht des BGH nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig. Zudem sei der Kläger wegen fehlender Gesellschafterstellung in der Komplementär-GmbH nicht befugt, im Wege einer Anfechtungsklage etwaige Verletzungen der GmbH-Satzung geltend zu machen.

Die komplexe Beteiligungsstruktur bei Hannover 96 und der Hannover-96-Vertrag im Konflikt mit der 50+1-Regel des DFB

Der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. ist Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH. Der im BGH-Fall klagende Martin Kind ist im Handelsregister als Geschäftsführer der verklagten Komplementär-GmbH eingetragen. Die Beklagte ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die den Profifußball-Bereich unterhält, also zurzeit die am Spielbetrieb der 2. Fußball-Bundesliga teilnehmende Lizenzspielermannschaft Hannover 96.

Kommanditaktionärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, die darüber hinaus zu 100 % an der Hannover 96 Arena GmbH & Co. KG beteiligt ist. Einzige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, an der Martin Kind mit 52,73 % und der Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann mit 19,76 % beteiligt ist (https://de.wikipedia.org/wiki/Hannover_96#Hannover_96_GmbH_&_Co._KGaA).  Nach der Satzung der verklagten Hannover 96 Management GmbH ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Im August 2019 wurde zwischen dem Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG der sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen, der vorsieht, dass der zu 100 % an der Komplementär-GmbH der KGaA beteiligte Verein Hannover 96 die Satzung dieser GmbH nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt. Dies bezieht sich insbesondere auf den Passus der GmbH-Satzung, die der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers einräumt (vgl. dazu OLG Celle, GmbHR 2023, 739).

Nach § 16c Nr. 2 der Satzung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kann ein Verein nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der Deutsche Fußball Liga (DFL) erwerben, wenn er rechtlich unabhängig ist, das heißt auf ihn kein Rechtsträger einen rechtlich beherrschenden oder mitbeherrschenden Einfluss ausüben kann. Eine Kapitalgesellschaft kann gem. § 16c Nr. 3 Satz 1 DFB-Satzung nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der DFL erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Der Mutterverein ist gem. § 16c Nr. 3 Satz 3 DFB-Satzung an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt (sog. 50+1-Regel). Bei Wahl der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) muss gem. § 16c Nr. 3 Satz 4 DFB-Satzung der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben.

Abberufungsbeschluss und die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses analog § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG

Im Juli 2022 fassten Vertreter des Alleingesellschafters Hannover 96 e.V. in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der verklagten Komplementär-GmbH den Beschluss, den klagenden Geschäftsführer Martin Kind „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer“ der GmbH abzuberufen.

Das Landgericht Hannover hat die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG festgestellt und der Klage stattgegeben. Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“. § 241 Nr. 3 AktG ist entsprechend auf Gesellschafterbeschlüsse der GmbH anwendbar (vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 16 ff.; Wertenbruch in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 89 ff.).

Die dagegen gerichtete Berufung der verklagten Hannover 96 Management GmbH wies das Oberlandesgericht Celle nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung zurück, weil die Berufung „offensichtlich“ keine Aussicht auf Erfolg habe. Das Tatbestandsmerkmal „offensichtlich“ ist im Jahre 2011 im Rahmen der Reform des § 522 Abs. 2 ZPO in diese Vorschrift eingefügt worden, weil § 522 Abs. 2 ZPO a.F. von den Berufungsgerichten sehr unterschiedlich angewendet worden war und insoweit ein Vertrauensverlust der Bürger drohe (vgl. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 1). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2002, 814 f. zu § 349 StPO) führt der Rechtsausschuss aus, dass eine Berufung dann „offensichtlich aussichtslos“ sei, wenn „für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können“ (Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 9; vgl. dazu Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 Rz. 36).

In der Sache bejahte das OLG Celle wegen Kompetenzwidrigkeit eine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses analog § 241 Nr. 3 AktG, weil der Abberufungsbeschluss nicht vom GmbH-Aufsichtsrat gefasst worden sei, und wegen Sittenwidrigkeit in analoger Anwendung des § 241 Nr. 4 AktG. Der Hannover 96 e.V. sei sich als Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH seiner im Hannover-96-Vertrag eingegangenen Bindung bewusst gewesen und habe daher die satzungsmäßige Kompetenzverteilung bewusst unterlaufen (OLG Celle, GmbHR 2023, 739, 740 ff.). Verfahrensrechtlich wurde vom OLG Celle die Revision zum BGH nicht zugelassen. Die dagegen beim BGH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte allerdings Erfolg. Mit Beschluss vom 27.2.2024 (II ZR 71/23) ließ der insbesondere für Gesellschaftsrecht und Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat die Revision zu, wodurch das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren weitergeführt wurde.

Gesellschaftsrechtliche und verbandsrechtliche Konsequenzen

Der BGH musste zwar über die Reichweite der „50 + 1“ – Regel der DFB-Statuten im Beteiligungsgeflecht von Hannover 96 nicht entscheiden, weil dies für den konkreten Streitgegenstand nicht einschlägig war. Die verbandsrechtliche Pointe bestand bislang darin, dass die Komplementär-GmbH der Profifußball KGaA zwar – in Konkordanz mit den DFB-Statuten – formal zu 100 % vom Idealverein Hannover 96 beherrscht wird. Der wirksam abberufene Geschäftsführer hatte aber über seine Mehrheitsbeteiligung an der einzigen Kommanditaktionärin, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, und den Hannover-96-Vertrag auch Mitentscheidungsrechte im Bereich der Komplementär-GmbH. Es war daher sehr fraglich, ob das Weisungsrecht des Idealvereins als Alleingesellschafter aus § 37 Abs. 1 GmbHG einen ausreichenden Einfluss sicherte. Mit der Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer ist die verbandsrechtliche Dimension zwar zumindest temporär entschärft. Ansprüche wegen Verletzung des Hannover-96-Vertrags sind aber nicht vom Tapet, und bei der Bestellung eines neuen Geschäftsführers stellt sich wieder die Problematik der Mitentscheidungsrechte der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG über den Aufsichtsrat der GmbH.

Online-Dossier: Wachstumschancengesetz

Der Bundesrat hat nach intensiven politischen Auseinandersetzungen in seiner Sitzung am 22.3.2024 dem Wachstumschancengesetz zugestimmt und damit einen Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat vom 21.2.2024 bestätigt.

Mit dem Wachstumschancengesetz sollen zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden, die die Liquiditätssituation der Unternehmen verbessern und Impulse setzen, damit Unternehmen dauerhaft mehr investieren und Innovationen wagen können. Daneben werden Maßnahmen ergriffen, um das Steuersystem an zentralen Stellen zu vereinfachen und mittels Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie zu entlasten. Zudem sollen Instrumente umgesetzt werden, die dazu beitragen, unerwünschte Steuergestaltungen aufzudecken und diese abzustellen.

Zeitschriftenbeiträge:

  • Heidecke/Liebe, Konzernfinanzierung: Neuerung durch § 1 Abs. 3d und 3e AStG ab dem 1.1.2024 einschließlich eines Abgleichs mit der angedachten Zinshöhenschranke im § 4l EStG-E, Ubg 2024, 333
  • Liekenbrock/Liedgens, Die außenstehende Person in der neuen Spaltungssperre des Wachstumschancengesetzes, DB 2024, 1296
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 2, Ubg 2024, 324
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 1, Ubg 2024, 241
  • Ditz/Kausch/Leucht, Wesentliche Änderungen durch das Wachstumschancengesetz, DB 2024, 1230
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Einkommensteuerliche und gewerbesteuerliche Änderungen, EStB 2024, 109
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2024, 235
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz in Kraft getreten!, GmbHR 2024, R116
  • Sterzinger, Aktuelle Änderungen des UStG und der UStDV durch das Wachstumschancengesetz und andere Gesetze, UR 2024, 117
  • Geberth/Bartelt, BMF: Anpassung des AEAO an das MoPeG und Art. 23 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes, GmbHR 2024, R59
  • Geberth/Bartelt, Vermittlungsausschuss: Beratung zum Wachstumschancengesetz am 21.2.2024, GmbHR 2024, R57
  • Flad, Aktuelle Änderungen im Umsatzsteuerrecht – insbesondere durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz und das Wachstumschancengesetz, UStB 2024, 22
  • Wünnemann, Wachstumschancengesetz – Hängepartie ohne Abschluss, DB 2024, M4
  • Wiese, Staatsfinanzierung, Schuldenbremse, Steuerpolitik – ein Ausblick auf das Unternehmensteuerrecht im Jahr 2024, GmbHR 2024, R36
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Handlungsbedarf wegen drohender Abschaffung der Gesamthand-Steuervergünstigungen (§§ 5–7 GrEStG) ab 1.1.2024, ErbStB 2024, 54
  • Binnewies/Mückl/Olbing, Aktuelles Steuerrecht rund um die GmbH und ihre Gesellschafter 2023/2024, GmbHR 2023, 1289
  • Bleckmann, BMF: Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung, GmbHR 2023, R344
  • Schneider, Geplante Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen (§ 138l bis § 138n AO-E), DB 2023, 2468
  • Dorn, Bundesrat äußert sich kritisch zum Wachstumschancengesetz, DB 2023, M4
  • Geberth/Bartelt, Bundeskabinett: Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R293
  • Forst/Schiffers, Beratungspraxis Familienunternehmen – Neue Koordinaten zur Rechtsformwahl durch das Wachstumschancengesetz?, GmbHR 2023, 966
  • Weimann, BMF zur beabsichtigten eRechnung, ASTW 2023, 787
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz – eine erste Einschätzung, GmbHR 2023, R256
  • Geberth/Bartelt, BMF: Referententwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R245
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2023, 521
  • Niermann, Rechtsänderungen im Bereich der Arbeitnehmerbesteuerung durch das Wachstumschancengesetz, DB 2023, 1944
  • Behrens/Sparr, Die Zinsschranke und die Zinshöhenschranke nach dem Entwurf eines Wachstumschancengesetzes BMF-Referentenentwurf vom 14.7.2023 und Regierungsentwurf vom 30.8.2023, Ubg 2023, 461
  • Nieskens, Es wird ernst: Die verpflichtende elektronische Rechnung im B2B-Geschäftsverkehr kommt, UR 2023, 671
  • Cordes/Glatthaar, Reform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG und Anpassung des Optionsmodells – Entwurf eines Wachstumschancengesetzes, FR 2023, 681

Blogbeiträge:

Gesetzesmaterialien:

  • Gesetzgebungsvorgang im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien
  • BGBl. 2024 I Nr. 108 vom 27.3.2024
  • Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 20/10410
  • Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9396
  • Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9341
  • Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), BT-Drucks. 20/8628
  • Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz)

Seminare, Webinare und Fortbildungen:

Neues zu virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH

Zum 1.8.2022 wird nicht nur die Möglichkeit virtueller Hauptversammlungen für Aktiengesellschaften in das AktG eingeführt, es treten ebenfalls mit dem Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG) Erleichterungen für die Abhaltung virtueller Gesellschafterversammlungen in der GmbH in Kraft.

Durch das DiREG wird § 48 Abs. 1 GmbHG folgender Satz 2 angefügt: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“

Diese Ergänzung ist zu begrüßen, denn der Austausch in Konferenzschaltungen, sei es per Telefon oder Videoschaltungen, in Gremien und Organen ist durch die Corona-Pandemie mehr und mehr zum Normalfall in der Praxis geworden. Dieser Entwicklung trägt der Gesetzgeber durch die Einfügung des neuen zweiten Satzes in § 48 Abs. 1 GmbHG Rechnung. Er ergänzt die (dispositiven) Bestimmungen über die innere Organisationsverfassung der GmbH – und damit das gesetzliche Leitbild – und erweitert die Möglichkeit der Willensbildung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung auf nichtphysische Zusammenkünfte. Nach der Gesetzesbegründung sind auch sogenannte kombinierte Versammlungen zulässig, bei denen mehrere Gesellschafter, die sich physisch an einem Ort befinden, sich gemeinsam, fernmündlich oder mittels Videokommunikation mit einem oder mehreren Gesellschaftern versammeln, die sich an anderen Orten befinden. Es müssen sich daher nicht sämtliche Gesellschafter an unterschiedlichen Orten befinden.

Vorstehendes gilt allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Gesellschafter sich damit ausdrücklich einverstanden erklären. Hierfür wird eine Bestätigung in Textform verlangt, was nach der Gesetzesbegründung schon durch den Austausch beispielsweise von E-Mails oder Textnachrichten einfach und unkompliziert möglich ist, wenn man sich ohnehin elektronischer Mittel bedient. Für die Beschlussfassung selbst reicht dann die mündliche Kommunikation im Rahmen der (auch rein telefonischen) Konferenzschaltung aus.

Auf den ersten Blick wirkt die Neuregelung vermeintlich wie eine schnelle und unkomplizierte Lösung für den Umgang mit virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH. Denn nach der Gesetzesbegründung wird die bisherige rechtliche Unsicherheit, ob bei einer gemeinsamen Zusammenschaltung der Gesellschafter mittels elektronischer Kommunikationsmittel die notwendigen Voraussetzungen für eine Versammlung hergestellt werden können, beseitigt. Nach der Gesetzesbegründung bleibt allerdings „[d]ie bisherige Möglichkeit zur Abweichung vom (dispositiven) gesetzlichen Leitbild im Rahmen des § 45 Absatz 2 GmbHG, nämlich der Schaffung einer eigenen Grundlage für die Durchführung der Beschlussfassung, […] unberührt.“ D.h. der Gesellschaftsvertrag kann von§ 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. beliebig abweichen.

Mit Blick hierauf stellt sich die Frage, der Zulässigkeit virtueller Gesellschafterversammlungen, wenn Gesellschaftsverträge, die vor der Gesetzesänderung wirksam geworden sind, bereits detaillierte Regelungen hierzu enthalten oder schlicht den „alten“ Gesetzeswortlaut des § 48 Abs. 1 GmbHG wiederholen. Gilt dann ein Vorrang des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages bzw. besteht eine Sperrwirkung? In der Praxis  regeln viele Gesellschaftsverträge ausschließlich Präsensversammlungen; die virtuelle Gesellschafterversammlung war, wie sich in der Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat, beim Entwurf und Wirksamwerden dieser Gesellschaftsverträge noch gar nicht auf der Agenda. Vor diesem Hintergrund wäre es wohl fehlgeleitet anzunehmen, dass ein Gesellschaftsvertrag mit der bloßen Wiederholung des „alten“ Gesetzeswortlauts die virtuelle Gesellschafterversammlung unter Geltung der neuen Gesetzeslage ausschließt. In diesem Fall gilt u.E. für die Zulässigkeit von virtuellen Gesellschafterversammlungen § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. Eine ähnliche Annahme wurde aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage beim vollständigen Wechsel zum elektronischen Bundesanzeiger für Satzungsregelungen mit altem Gesetzeswortlaut bevorzugt getroffen.

Differenzierter zu betrachten ist u.E. allerdings der Fall, dass in bestehenden Gesellschaftsverträgen bereits Detailregelungen zur virtuellen Gesellschafterversammlungen enthalten sind. Hier ist etwa denkbar, dass bestehende Gesellschaftsverträge das Einverständnis der Gesellschafter mit virtuellen Gesellschafterversammlungen an eine strengere Form (z.B. Schriftform) oder an eine geringere Form (z.B. mündliche) knüpfen oder gar kein Einverständnis der Gesellschafter oder ein geringeres Quorum gefordert wird. Jedenfalls solche Detailregelungen wird man als „besondere Bestimmungen“ im Sinne des § 45 Abs. 2 GmbHG anzusehen haben, die der dispositiven Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. vorgehen.

Inwieweit Gesellschaften mit beschränkter Haftung von der virtuellen Gesellschafterversammlung nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in Zukunft Gebrauch machen werden, wird sich zeigen. Die praktischen Erfahrungen der letzten beiden Jahre deuten darauf hin, dass insbesondere das Erfordernis des Einverständnisses sämtlicher Gesellschafter, gerade bei streitigen Gegenständen von Gesellschafterversammlungen, beschwerlich zu erzielen sein könnte. Daher bietet es sich für Gesellschafter von GmbH an, die gesetzliche Neuregelung zum Anlass zu nehmen, bestehende Gesellschaftsverträge hinsichtlich der Regelungen zu Gesellschafterversammlungen zu modernisieren und bei entsprechendem Konsens klare und der jeweiligen Gesellschafterstruktur angemessene Regelungen auch zu virtuellen Gesellschafterversammlungen zu beschließen.

Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag der Ampel

Am Mittwoch, den 24.11.2021, haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag präsentiert, der auf den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ lautet. Bei der Lektüre des 178 Seiten langen Textes fällt auf, dass die Ampel-Koalition zwei unternehmensrechtliche Themen, die früher Gegenstand von Wahlkämpfen waren, nicht aufgreift: die Geschlechterquote in den Gesellschaftsorganen und die Managervergütung. Augenscheinlich ist das Unternehmensrecht in diesem Zusammenhang fortschrittlich genug und muss nicht angetastet werden. Im Hinblick auf die Reformen der vergangenen Jahre bleibt zu hoffen, dass sich die Koalitionäre an ihr Schweigen halten. Der Schwerpunkt der unternehmensrechtlichen Reformvorhaben liegt in anderen Bereichen, die im Folgenden dargestellt werden.

Sorgfaltspflichten in den Lieferketten

Am Ende der vergangenen Legislaturperiode hat der deutsche Gesetzgeber das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG; BGBl. I 2021, S. 2959) verabschiedet (zum Entwurf vom März 2021 Reich, AG 2021, R116; Scheffler, AG 2021, R120; zur Endfassung Scheffler, AG 2021, R199). Außerdem hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Legislativvorschlag zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen präsentiert. Der für Herbst 2021 erwartete Richtlinienentwurf der EU-Kommission liegt bislang nicht vor. An diese Entwicklung anknüpfend halten die Ampel-Koalitionäre auf S. 34 fest, dass sie ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das deutsche LkSG werde unverändert umgesetzt und ggf. verbessert. Insgesamt wäre die Bundesregierung wohl gut beraten, zunächst die Entwicklungen auf europäischer Ebene abzuwarten und ggf. zu versuchen, sie zu beeinflussen. Erst wenn das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene ins Stocken geraten oder gar scheitern sollte, wäre es zweckmäßig, das LkSG nachzubessern.

Whistleblowing

Anders als das LkSG hat es ein Hinweisgeberschutzgesetz in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr über die Ziellinie geschafft. In dieser Legislaturperiode ist hiermit sicher zu rechnen, da die Whistleblowing-Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 den Mitgliedsstaaten Regelungen zum Whistleblowing zwingend zur Umsetzung vorgibt. Da die Umsetzungsfrist bereits am 17.12.2021 endet, wäre es nicht überraschend, wenn das Whistleblowing zu denjenigen unternehmensrechtlichen Themen zählt, die die Ampel-Koalitionäre prioritär angehen.

Die Essenz der Umsetzung deutet der Koalitionsvertrag auf S. 111 nur vage an. Zu begrüßen ist die ausdrückliche Festlegung, insofern über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinauszugehen, als das angestrebte Regime nicht auf die Meldung von Verstößen gegen EU-Recht beschränkt bleiben soll, sondern auch bestimmte Verstöße gegen nationale Vorschriften umfasst sein sollen. Abgesehen hiervon wäre es der Rechtssicherheit und Praktikabilität dienlich, wenn der Gesetzgeber Klarheit hinsichtlich der Frage schafft, ob und inwieweit Hinweisgebersysteme im Konzern einheitlich betrieben werden können (hierzu Holle, ZIP 2021, 1950). Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger stellen die Ampel-Koalitionäre unter einen Prüfvorbehalt, so dass abzuwarten bleibt, inwieweit sie sich dazu durchringen werden, Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote vorzusehen.

Verbandssanktionen

Kein unionsrechtlicher Umsetzungsdruck besteht beim Thema Verbandssanktionierung. Die gegenwärtige Rechtslage wird von vielen aus guten Gründen aber als unbefriedigend empfunden; die in der letzten Legislaturperiode anvisierte Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung ist auf der Zielgeraden gescheitert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der Koalitionsvertrag sich ihrer auf S. 111 neuerlich annimmt. Ob sich dahinter eine ähnlich weitreichende Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung verbirgt, wie sie der in der vergangenen Legislaturperiode vorliegende Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG; BT-Drucks. 19/23568) bedeutet hätte, ist fraglich. Tendenziell klingt es nach einer kleinen Lösung, die sich mit einer Anhebung der Bußgeldobergrenzen, der Normierung einer Compliance-Defense sowie gewisser Regelungen zu internen Untersuchungen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts begnügt.

GmbH mit gebundenem Vermögen

Ein klares Bekenntnis geben die Ampel-Koalitionäre auf S. 30 des Vertrags zu einer neuen Rechtsform ab, die im Schrifttum sehr umstritten ist: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (für die Einführung einer solchen Gesellschaftsform Sanders/Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2021, 285; dagegen etwa Habersack, GmbHR 2020, 992). Den Einsatz dieser Rechtsform als Vehikel für Steuersparkonstruktionen will die künftige Regierung vermeiden (auf diese Gefahr hinweisend Hüttemann/Schön, DB 2021, 1356; relativierend Kempny, DB 2021, 2248). Ungeachtet der steuerrechtlichen Probleme sollte der Gesetzgeber überprüfen, ob es einer solchen Gesellschaftsform tatsächlich bedarf, um die angestrebten Ziele zu erreichen (eingehend Hüttemann/Rawert/Weitemeyer, npoR 2020, 296).

GmbH-Gründungsrecht

Darüber hinaus verpflichten sich die Koalitionäre auf S. 111 f. des Vertrags, die Gründung von Gesellschaften zu erleichtern, indem sie Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlauben. Die Ampel dürfte damit in erster Linie die GmbH im Blick gehabt haben. Auch wenn keine sachlichen Gesichtspunkte gegen eine elektronische AG-Gründung sprechen, dürfte dies trotz aller Fortschrittsbekundungen auch künftig keine Option sein.

Der Koalitionsvertrag setzt an § 2 Abs. 3 GmbHG i.d.F. des DiRUG (BGBl. I 2021, S. 3338) an, wonach nur eine elektronische GmbH-Bargründung möglich ist. Diese Einschränkung, die im Schrifttum kritisiert wurde (s. nur Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985 Rz. 32 ff.), soll in der Zukunft entfallen, was nachdrücklich zu begrüßen ist. Die Unternehmensgründung soll zudem durch eine umfassende Start-Up-Strategie gefördert werden, zu der u.a. die Einführung von flächendeckenden „One Stop Shops“ (Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung) gehört. In solchen „One Stop Shops“ sollen Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden möglich sein (S. 30 des Koalitionsvertrags).

Hauptversammlungsrecht

Auf einhellige Zustimmung dürfte die auf S. 112 des Koalitionsvertrags angekündigte dauerhafte Einführung von Online-Hauptversammlungen fallen. Die auf Corona-Sondergesetzgebung gestützte Online-Hauptversammlung (s. § 1 COVMG) hat sich im Groben und Ganzen bewährt (zur Empirie s. nur Danwerth, AG 2021, 613) und kann als Blaupause für die anstehende Aktienrechtsreform dienen.

Spannend bleibt die Frage, wie die Aktionärsrechte im künftigen Hauptversammlungsrecht ausgestaltet werden. Die Ampel-Koalition verspricht, jene uneingeschränkt zu wahren. Dies deutet darauf hin, dass die Regelungen in § 1 Abs. 1, 2 und 7 COVMG, die das Rede-, Auskunfts- und Anfechtungsrecht der Aktionäre beschränken, nicht ins Aktiengesetz überführt werden (speziell zur Aktionärskommunikation Seibt/Danwerth, AG 2021, 369 und VGR, AG 2021, 380 Rz. 8 ff.). Ungeachtet der rechtspolitischen Diskussionen um die Reichweite der Aktionärsrechte sollte das BMJ zügig einen Referentenentwurf präsentieren, damit die Unternehmen nach den Erfahrungen mit § 1 COVMG in der Hauptversammlungssaison 2023 nicht wieder im vordigitalen Zeitalter landen (zu COVMG-Verlängerungen und der Zeitschiene für die Aktienrechtsreform Danwerth, AG 2021, R283 f.).

Die Ampel-Koalition sollte die Digitalisierung der Hauptversammlung dafür nutzen, auch das Beschlussmängelrecht zu reformieren. Die Große Koalition, die eine solche Reform auf S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode angekündigt hatte, hat ihr Versprechen trotz umfassender rechtspolitischer Vorschläge nicht umgesetzt (s. nur die Beschlüsse des 72. Deutschen Juristentags, S. 27 ff. und die Vorschläge des AK Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617).

Überdies sollte die künftige Regierung erwägen, die Möglichkeit einer digitalen Versammlung auch für die Gesellschaftsorgane und andere Gesellschaftsformen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, besteht nicht nur für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ein Bedarf an virtuellen Sitzungen.

Elektronische Aktie

In der 19. Legislaturperiode hat der Gesetzgeber mit dem eWpG (BGBl. I 2021, S. 1423) die Möglichkeit geschaffen, elektronische Wertpapiere zu begeben (hierzu nur Sickinger/Thelen, AG 2020, 862; Sickinger/Thelen, AG 2021, R198). Gleichwohl beschränkt sich das Gesetz gem. § 1 eWpG auf Inhaberschuldverschreibungen; die Begebung elektronischer Aktien ist nicht möglich (s. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/26925, 38). Dies könnte sich in der 20. Legislaturperiode ändern: Beiläufig erwähnt der Koalitionsvertrag auf S. 172 unter der Überschrift „Digitale Finanzdienstleistungen und Währungen“, die Emission elektronischer Aktien zu ermöglichen (zu den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen Guntermann, AG 2021, 449).

Kapitalmarktrecht

Positiv ist zu würdigen, dass sich die Ampel auf den S. 169 ff. des Koalitionsvertrags zur Vertiefung der Kapitalmarktunion bekennt und die Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abbauen, den Zugang von KMU zum Kapitalmarkt erleichtern und die Markttransparenz stärken möchte. Auch die Schaffung eines angemessenen regulatorischen Rahmens für FinTechs und vergleichbare Unternehmen ist zu begrüßen. Gleichwohl sollte die künftige Regierung bei all der Regulierungsfreude bedenken, dass sich die enorme Regelungsdichte im Kapitalmarktrecht als ein Grund dafür erweist, den Kapitalmärkten fernzubleiben. Vor diesem Hintergrund sollte die Ampel erwägen, ob weniger (und klarer!) nicht doch mehr ist.

Mitbestimmungsrecht

Auf S. 72 kündigen die Koalitionäre an, sich für die Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung einzusetzen, so dass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Das klingt für zahlreiche Gesellschaften, die (noch) nicht der Unternehmensmitbestimmung unterliegen, wie eine Einladung zur zügigen Umwandlung in eine SE, um rechtzeitig die derzeit bestehende Möglichkeit auszunutzen, das Mitbestimmungsstatut einzufrieren.

Prozessrecht

Aus der Perspektive des Unternehmensrechts interessant sind die Aussagen auf S. 108 des Koalitionsvertrags, wonach das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – das in der 19. Legislaturperiode ohne inhaltliche Änderungen verlängert wurde (BGBl. I 2020, S. 2186) – modernisiert werden soll und englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden sollen.

Steuer- und Geldwäscherecht

Fernwirkungen auf das Unternehmensrecht dürften manche steuer- und geldrechtlichen Pläne haben. So sprechen die Koalitionäre auf S. 167 des Vertrags davon, aufbauend auf den Maßnahmen der letzten Legislaturperiode missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden. Ein weiteres Reformversprechen betrifft das Transparenzregister. Auf S. 171 f. des Koalitionsvertrags kündigt die künftige Regierung an, die Qualität der Daten im Transparenzregister zu verbessern, so dass die wirtschaftlich Berechtigten in allen vorgeschriebenen Fällen tatsächlich ausgewiesen werden.

Mehr zum Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag im AG-Report 24/2021.

Mit großen Schritten in Richtung Online-Gründung – Bundesregierung legt Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungs-RL im Gesellschaftsrecht und Handelsregisterrecht (RegE-DiRUG) vor

Die Umsetzungsuhr für die Digitalisierungs-RL tickt. In Rekordzeit (Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 192, 1922) wurde das Company Law Package der EU-Kommission vom 25.4.2018 beraten und bereits am 31.7.2019 trat die Digitalisierungs-RL (RL EU 2019/1151) in Kraft. Gut ein Jahr später, am 13.11.2019, leitete das Bundesland Nordrhein-Westfalen dem Bundesrat den Entwurf eines Umsetzungsgesetzes für die Digitalisierungs-RL (BR-Drucks. 611/19) zu. In der Folge herrschte erst einmal Stillstand. Nachdem die Bundesregierung mit Erklärung vom 27.10.2020 gegenüber der EU-Kommission von der Verlängerungsoption für die Umsetzungsfrist des Art. 2 Abs. 3 Digitalisierungs-RL Gebrauch gemacht hatte, sah es sogar so aus, als würde in Sachen Umsetzung in dieser Legislaturperiode nichts mehr geschehen. Plötzlich ging dann aber doch alles ganz schnell: Am 18.12.2020 legte das BMJV einen umfassenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungs-RL (RefE-DiRUG) vor (dazu Knaier, GmbHR 2021, 169; J. Schmidt, ZIP 2021, 112; Überblick bei Ulrich, GmbHR 2021, R35). Keine zwei Monate später folgte am 10.2.2021 der Regierungsentwurf (RegE-DiRUG). Dieser liegt nun dem Bundesrat zur Stellungnahme vor, bevor er im Deutschen Bundestag beraten werden wird. Art. 31 RegE-DiRUG sieht ebenso wie schon Art. 30 des Referentenentwurfs vor, dass das DiRUG am 1.8.2022 unter voller Ausschöpfung der verlängerten Umsetzungsfrist in Kraft treten soll. Dies ist begrüßenswert und daran sollte unbedingt festgehalten werden, keineswegs jedoch um das Tempo aus dem Digitalisierungsgalopp herauszunehmen; vielmehr wird so der Praxis – insbesondere den Registergerichten und Notaren – ausreichend Zeit gewährt, den umfassenden Neuerungen – etwa Errichtung und Betrieb der erforderlichen digitalen Infrastruktur und Schulung der Notare – Rechnung zu tragen. Zusätzlich hat bis zum 1.1.2022 ohnehin jeder Notar ein elektronisches Urkundenarchiv zu führen. Dieses stünde zum Inkrafttreten des DiRUG dann bereits zur Verfügung und wäre auch schon erprobt.

Während im Gesetzgebungsverfahren viel Bewegung herrscht, entspricht der RegE-DiRUG im Wesentlichen dem sehr gelungenen Referentenentwurf (zu den Inhalten im Detail Knaier, GmbHR 2021, 169; J. Schmidt, ZIP 2021, 112). Die noch erfolgten Änderungen sind vor allem „technischer“ Natur. Durch das DiRUG soll insbesondere die rein digitale Gründung einer GmbH ermöglicht werden. Daneben werden weitere Online-Verfahren für Registeranmeldungen bereitgestellt. Zugleich soll hierbei das bewährte System der vorsorgenden Rechtspflege mit einer starken Rolle des Notars über ein notarielles Verfahren mittels Videokommunikation erhalten bleiben. Außerdem sind Regelungen zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch hinsichtlich inhabiler Geschäftsführer sowie Konzepte für die Verbesserung der Registervernetzung und Informationszugänglichkeit im Binnenmarkt und die Optimierung des Informationsaustauschs über Zweigniederlassungen im grenzüberschreitenden Kontext vorgesehen.

Im Hinblick auf die Musterprotokollverfahren sieht der RegE-DiRUG eine Änderung im Vergleich zum Referentenentwurf vor. Weder Referenten- noch Regierungsentwurf nehmen sich jedoch intensiv der massiven Praxisprobleme bei der Musterprotokollgründung (hierzu aktuell Knaier, ZNotP 2021, 9), die in den vergangenen 10 Jahren offenbar wurden, an (dazu schon Knaier, GmbHR 2021, 169, 177 f.). Statt einer dringend notwendigen Überarbeitung der beiden bisher in der Anlage zum GmbHG befindlichen Musterprotokolle werden zwei weitere Musterprotokolle für die Online-Gründung einer GmbH durch eine oder mehrere Personen in einer neuen Anlage 2 zum GmbHG eingefügt. Der RegE-DiRUG sieht in diesem Zusammenhang nun die Möglichkeit vor, dass bei der Online-Musterprotokollgründung eine unechte Gesamtvertretung der Gesellschaft durch einen Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vereinbart werden kann. Die Praxisuntauglichkeit der Musterprotokolle wird hierdurch allein jedoch keineswegs aufgehoben (siehe Knaier, GmbHR 2021, 169, 178).

Des Weiteren wurden trotz Forderungen aus der Wissenschaft (siehe Knaier, GmbHR 2021, 169, 172; J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118) und in den Stellungnahmen verschiedener Verbände zum RefE-DiRUG (etwa der BNotK und des DAI) die Online-Verfahren zur Registeranmeldung nicht auf Personenhandelsgesellschaften erweitert. Wahrscheinlich wird sich dies auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr ändern, was angesichts dessen, dass die Reform des Personengesellschaftsrechts fast vollendet ist, durchaus bedauerlich ist. Indes erscheint es wahrscheinlich, dass Personengesellschaften im Zuge der Evaluierung des DiRUG in die Online-Verfahren miteinbezogen werden könnten.

Das Fazit zum DiRUG fällt angesichts des Regierungsentwurfs trotz der genannten Kritikpunkte weiterhin positiv aus. Es bleibt zu hoffen, dass das Umsetzungsgesetz im Sprint noch in dieser Legislaturperiode die Ziellinie überquert, ohne dass ein zusätzlicher Hürdenlauf gemeistert werden muss.

Weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG, aber nur für die Überschuldung – Ein politischer Kompromiss mit enormen Fallstricken

Die Insolvenzantragspflicht für haftungsbeschränkte Gesellschaften aus § 15a InsO ist derzeit in vielen Fällen gemäß § 1 COVInsAG bis zum 30.9.2020 ausgesetzt (dazu ausführlich Bitter, GmbHR 2020, 797 ff. und GmbHR 2020, 861 ff.). Lange war spekuliert und auch diskutiert worden, ob wohl das Ministerium von der in § 4 COVInsAG enthaltenen Möglichkeit, den Aussetzungszeitraum per Rechtsverordnung bis zum 31.3.2021 zu verlängern, Gebrauch machen würde.

Mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 zeichnet sich nun eine ganz andere Lösung ab: Die Verlängerung der Aussetzung soll per Gesetz erfolgen, allerdings zeitlich bis zum 31.12.2020 befristet und sachlich auf den Insolvenzgrund der Überschuldung beschränkt. Wörtlich heißt es in den Beschlüssen: „Die Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung wird bis zum 31.12.2020 weiterhin ausgesetzt.“ Eine weitere Option zur Verlängerung per Rechtsverordnung ist offenbar nicht geplant.

Mit der sachlichen Beschränkung auf den Tatbestand der Überschuldung werden Ideen aufgegriffen, die auf dem 16. Mannheimer Insolvenzrechtstag am 23.6.2020 von Seiten der Praxis entwickelt wurden (vgl. den Veranstaltungsbericht im INDat-Report 06_2020, S. 60 ff.). Doch die Verkürzung auf das Jahresende ist sehr bedauerlich, weil damit der von der Praxis geforderte nahtlose Übergang zu den neuen Sanierungsinstrumenten, die in Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie geschaffen werden, nicht gesichert ist. Es ist also zu befürchten, dass nun die Insolvenzwelle spätestens zum 1.1.2021 kommt.

Die Geschäftsführungen haftungsbeschränkter Gesellschaften (insbesondere der GmbH) müssen sich jedenfalls auf die neue Sachlage einstellen: Wer zum 1.10.2020 zahlungsunfähig i.S.v. § 17 InsO ist, profitiert nicht weiter von der Aussetzung der Antragspflicht. Zudem ergibt sich aus der Vermutungsregelung des § 1 COVInsAG eine Vorwirkung, die schon jetzt zum Antrag zwingen kann: Die Antragspflicht ist nach jener Vorschrift nicht voraussetzungslos ausgesetzt, sondern die Aussetzung entfällt nach Satz 2, wenn keine Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 799 ff.). Die zeitliche Dimension dieser „Aussichten“ beschränkt sich nach h.M. auf den Aussetzungszeitraum, bis zu dessen Ende die Liquiditätslücke geschlossen werden muss (Thole, ZIP 2020, 650, 653; Born, NZG 2020, 521, 523). Eine weitere Ausdehnung auf die Zeit nach Ablauf des Aussetzungszeitraums macht nämlich wenig Sinn, weil dann wieder die Antragspflicht eingreift (vgl. Bitter, ZIP 2020, 685, 690; im Ergebnis auch Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1 unter Ziff. III 3 b bb).

Genau hier wirkt sich nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 aus. Während vor diesem Beschluss oft darauf hingewiesen wurde, an die Stelle des 30.9.2020 trete bei einer Verlängerung der 31.3.2021 und je wahrscheinlicher eine Verlängerung bis zum 31.3.2021 werde, umso eher gehe es um „Aussichten“ bis zu jenem Datum (Bitter, GmbHR 2020, 797, 802, Rz. 21 m.w.N.), hat sich diese Einschätzung nun erledigt. Der Verlängerungszeitraum ist verkürzt und gilt zudem nur für die Überschuldung i.S.v. § 19 InsO. Damit muss eine Zahlungsunfähigkeit bis zum 30.9.2020 beseitigt sein, weshalb sich nun auch die „Aussichten“ i.S.v. § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG auf diesen Endpunkt beschränken. Daraus folgt: Wer jetzt schon nicht mehr die Aussichten hat, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit bis Ende September beseitigen zu können, darf nicht bis zum 1.10.2020 mit dem Insolvenzantrag warten. Er verliert vielmehr sofort die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG und muss folglich jetzt Insolvenzantrag stellen.

Selbst wenn aber nach dem großzügigen Maßstab jener Regelung (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 801 f., Rz. 16 ff.) derzeit noch von entsprechenden Aussichten auszugehen ist, greift jedenfalls ab dem 1.10.2020 die Regelung des § 17 InsO wieder mit voller Schärfe der außerhalb der Corona-Krise anerkannten Grundsätze ein (dazu ausführlich Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 6 ff.).

Unklar ist dabei, ob mit dem Ende des Aussetzungszeitraums und dem grundsätzlichen Wiedereinsetzen der Insolvenzantragspflicht die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO erneut zu laufen beginnt oder nicht (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 803, Rz. 24). Nach der bisherigen Fassung des COVInsAG wäre es im Regelfall nicht auf diesen Streitpunkt angekommen, weil die Drei-Wochen-Frist ohnehin keine Antragsfrist, sondern eine Höchstfrist für letzte Sanierungsbemühungen ist. Ist es während des Aussetzungszeitraums nicht gelungen, das Unternehmen finanziell zu stabilisieren, so dürften in aller Regel auch die weiteren drei Wochen dazu nicht ausreichen, sodass der Antrag direkt zum Ende des Aussetzungszeitraums zu stellen ist (Schülke, DStR 2020, 929, 933; Born, NZG 2020, 521, 522).

Wird nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 wie geplant umgesetzt, könnte der Streitpunkt doch relevanter werden als bisher gedacht, weil dann zum 1.10.2020 nur die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) wieder in Kraft tritt, nicht aber jene wegen Überschuldung (§ 19 InsO). Deshalb müsste nur die kurzfristige Zahlungsfähigkeit innerhalb der (ggf. zusätzlichen) drei Wochen wiederhergestellt werden, nicht aber die längerfristige, auf die es im Rahmen der Fortführungsprognose i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ankommt (vgl. zu den deutlich unterschiedlichen zeitlichen Horizonten der Betrachtung bei § 17 und § 19 InsO Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25 einerseits, Rz. 57 f. andererseits). Diese kurzfristige Zahlungsfähigkeit lässt sich in der Praxis wohl einfacher darstellen als die längerfristige, weshalb insoweit die Drei-Wochen-Frist eher ausreichen könnte.

Doch sollte man sich auf zusätzliche drei Wochen nicht verlassen. Bislang ist nämlich nicht einmal geklärt, ob die vom BGH bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu Grunde gelegte Drei-Wochen-Frist zur Frist des § 15a Abs. 1 InsO hinzukommt oder sie mit dieser identisch ist (vgl. die Nachweise bei Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25). Schon angesichts dieser Unsicherheiten sollte man sich als Geschäftsführer im Zweifel auf die strengere Sichtweise einstellen, will man sich nicht der Strafbarkeit und der Haftung wegen Insolvenzverschleppung aussetzen (dazu in Kürze eingehend die Kommentierung des § 64 GmbHG von Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020). Das bedeutet im Ergebnis: Die Zahlungsfähigkeit ist auf den 1.10.2020 zu bestimmen. Fehlt sie nach den Maßstäben von BGHZ 163, 134 an diesem Tag, ist spätestens dann Insolvenzantrag zu stellen!

Weiterhin ist das zeitnahe Auslaufen der kompletten Aussetzung zum Jahresende 2020 schon jetzt in den Blick zu nehmen. Da der Überschuldungstatbestand des § 19 InsO ab dem 1.1.2021 nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen ist und insoweit oft die Fortführungsprognose entscheidet (dazu Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 51 ff.), ist mit deren Erstellung schon rechtzeitig vor dem Jahresende zu beginnen. Auf die insolvenzberatenden Kanzleien und Wirtschaftsprüfer kommt also in den kommenden Monaten viel Arbeit zu. Dass dieser Aufwand zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist, mag man bezweifeln, zumal viele Prognosen immer noch auf wackligen Füßen stehen werden. Doch die Koalition hat so entschieden – ein politischer Kompromiss, kein sachlich berechtigter.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden noch in 2020 erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt – Beschluss im Bundeskabinett

Die Corona-Krise führt zu raschen Maßnahmen des Bundesgesetzgebers. Erst vor einer Woche, am 16.3.2020, hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) per Pressemitteilung angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers vom 17.3.2020). Schon eine Woche später, am 23.3.2020, hat das Bundeskabinett seinen Beschluss zu dem Gesetzentwurf gefasst  und am Mittwoch, 25.3.2020, soll der Deutsche Bundestag das Gesetz beschließen.

Das geplante COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CoVInsAG) baut zwar gesetzestechnisch auf der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 auf, öffnet sich aber deutlich im Sinne der vom Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 geforderten Erweiterung durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung

I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CoVInsAG)

In § 1 Satz 1 CoVInsAG heißt es nun allgemein, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum 30.9.2020 ausgesetzt ist. Sodann werden in Satz 2 zwei Ausnahmen angeführt: (1) Die Insolvenzreife beruht nicht auf der Covid-19-Pandemie. (2) Es bestehen keine Aussichten darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Wäre es bei dieser – der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 entsprechenden – Regelung geblieben, hätte mühsam im Einzelfall geprüft werden müssen, ob die entsprechende Kausalität vorliegt und wie die konkreten Aussichten des Unternehmens sind, welche im aktuell unsicheren Umfeld schwer zu bestimmen sind. Daher hilft der Gesetzgeber mit einer neuen Vermutung in § 1 Satz 3 CoVInsAG: War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Mit dieser Vermutung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gewährleistet werden, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen „in keiner Weise“ zulasten des Antragspflichtigen gehen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein. Der jetzige Entwurf nähert sich damit der vom Verfasser im Blogbeitrag v. 17.3.2020 geforderten bedingungslosen Aussetzung der Antragspflicht sehr weit an, lässt aber – durchaus berechtigt – ein Hintertürchen offen, um eindeutige Missbrauchsfälle einzufangen. Wenig sinnvoll erscheint dabei freilich, dass die Vermutung – jedenfalls dem Wortlaut nach – auch für Unternehmen gelten soll, die am 31.12.2019 zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon überschuldet waren und sich folglich bereits seit dem Jahresanfang 2020 im Zustand der Insolvenzverschleppung befanden. Eventuell wurde hier zu Beginn von Satz 3 versehentlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit statt an die fehlende Insolvenzreife angeknüpft, weil auch die Ausnahme in Satz 2 – dort berechtigt – auf die Zahlungsunfähigkeit beschränkt ist. Eine Korrektur dieses unglücklichen Wortlauts kann dadurch erfolgen, dass man bei bereits bestehender Überschuldung zum 31.12.2019 die Vermutung des Satzes 3 als widerlegt ansieht, weil dann nämlich „die Insolvenzreife“ i.S.v. Satz 2 nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

II. Privilegien für Geschäftsleiter, Kreditgeber und sonstige Vertragspartner im Haftungs- und Anfechtungsrecht (§ 2 CoVInsAG)

In § 2 Abs. 1 CoVInsAG wird ein guter Teil der Vorschläge aufgegriffen, welche der Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 unterbreitet hatte:

In Nr. 1 wird parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG und die Parallelvorschriften) eingeschränkt: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen (§ 64 Satz 2 GmbHG und die Parallelvorschriften).

Nach Nr. 2 werden „neue“ Kredite und deren Besicherung anfechtungsrechtlich privilegiert, also solche, die zu einer effektiven Zufuhr weiterer Liquidität im Aussetzungszeitraum führen (vgl. dazu demnächst Bitter in ZIP). Auch für „neue“ Gesellschafterdarlehen wird eine im Ansatz vergleichbare Privilegierung eingeführt, die sich allerdings nicht auf die Besicherung solcher Kredite erstreckt. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 135 ff.) und die Regelung über gesellschafterbesicherte Drittdarlehen in § 44a InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 348 ff.) werden für solche „neuen“, im Aussetzungszeitraum gewährten Kredite vorübergehend bis zum 30.9.2023 abgeschafft, um in der aktuellen Krisensituation Anreize für die Gewährung neuer Kredite oder Sicherheiten von Gesellschafterseite zu setzen. Die Regelung tritt selbstständig neben die bereits vorhandene Ausnahme im Rahmen des Sanierungsprivilegs aus § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (dazu ausführlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 109 ff.).

Durch Nr. 3 soll für Kreditgeber zusätzlich auch das Risiko ausgeschaltet werden, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge eines Anspruchs geschädigter Dritter gemäß § 826 BGB (vgl. dazu die Nachweise bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Die vom BGH für das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufgestellten Anforderungen an ein substanzhaltiges und von einem objektiven Dritten überprüftes Sanierungskonzept (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123) laufen im Grundsatz parallel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Kreditgeber, wenn sie eine drittschädigende Kreditgewährung gemäß § 826 BGB und eine Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vermeiden wollen (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Da ein derartiges substanzhaltiges Sanierungskonzept in der aktuellen Krisensituation nicht zeitnah erstellt werden kann und zudem die weitere (Unternehmens-)Entwicklung nicht realistisch absehbar ist, erscheint es richtig, dass Kreditgeber durch Nr. 2 und 3 hinsichtlich aller genannten Konsequenzen Rechtssicherheit bekommen.

Nach Nr. 4 werden schließlich auch andere im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen, die nicht in einer Kreditgewährung i.S.v. Nr. 2 bestehen, anfechtungsrechtlich privilegiert. Dies betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Bei Nr. 4 wird es eine Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur sein, durch eine restriktive Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine zu weitgehende Anwendung auszuschließen, insbesondere nicht solche Zahlungen zu privilegieren, durch welche schlicht Altforderungen bedient werden, ohne dass ein Beitrag des Gläubigers zur Überwindung der Krise des Unternehmens geleistet wird (vgl. die Bedenken des Gravenbrucher Kreises in seiner Stellungnahme v. 22.3.2020).

In § 2 Abs. 2 werden die Regelungen der vorgenannten Nummern 2 bis 4 auch auf nicht insolvenzreife Unternehmen ausgedehnt. Diese sollen in der aktuellen Krise nicht schlechter als die bereits insolvenzreifen stehen.

III. Aussetzung von Gläubigeranträgen (§ 3 CoVInsAG)

Durch § 3 CoVInsAG wird für drei Monate auch die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen (vgl. zu den Insolvenzantragsrechten Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 117 ff.). Durch diese Regelung soll nach der Begründung des Entwurfs für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert werden, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können. Hierdurch wird zum einen die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (oben I.) flankiert; zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit Hilfe von Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen und sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.

IV. Verordnungsermächtigung (§ 4 CoVInsAG)

Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, wird das BMJV in § 4 CoVInsAG ermächtigt, die o.g. Maßnahmen bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat per Pressemitteilung vom 16.3.2020 angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen. Damit reagiert die Bundesregierung – sehr verständlich – auf die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur für uns alle zu deutlichen Einschränkungen des privaten und beruflichen Lebens führt, sondern auch weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits gravierend beeinflusst: Den Fluggesellschaften, Messebauern, Reise- und Kulturveranstaltern, dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie vielen anderen Unternehmen, die unmittelbar von den angeordneten Beschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind, geht derzeit in finanzieller Hinsicht die Luft aus. In einer zweiten Welle werden weitere Wirtschaftsbereiche folgen, weil allgemein von einem deutlichen Rückgang des Konsums auszugehen ist: Jede nicht dringend erforderliche Investition wird derzeit im Zweifel zurückgestellt, sodass sich eine wahre Insolvenzwelle durchs Land fressen könnte, die das Ausmaß der Finanzkrise noch übersteigt.

Im Grundsatz sollen insolvenzreife Gesellschaften vom Markt ferngehalten werden, wozu die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und das Gebot der Massesicherung (insbes. § 64 GmbHG) beitragen (dazu Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 573 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 646 ff.). Die zugrunde liegenden Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) werden von der Rechtsprechung mit Recht streng angewendet (Details bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 38 ff.; ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 578 ff.). Darüber hinaus hat der Verfasser dazu aufgerufen, die Fortführungsprognose im Zweifel strikter als bisher zu handhaben, um zu verhindern, dass eine Unternehmensfortführung oder Sanierung auf Kosten der Neugläubiger geht (Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 51 ff., insbes. Rz. 60 ff.).

Doch können diese allgemeinen Grundsätze auch jetzt in der Corona-Krise gelten? Sie ist durch die Besonderheit geprägt, dass Unternehmen gänzlich unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten. Umsätze brechen von heute auf morgen zu großen Teilen oder vollständig weg, ohne dass den Unternehmenslenkern irgendein Vorwurf gemacht werden könnte. Die Geschäftsmodelle sind tauglich und die Insolvenzreife allein durch die nicht vorhersehbaren, extremen äußeren Rahmenbedingungen verursacht.

In einer solchen Situation ist es richtig, die Insolvenzantragspflicht zu suspendieren, um den Unternehmen eine Schonfrist zu gewähren. Sanierungen können dann auf gesichertem Boden stattfinden. Eine seriöse Fortführungsprognose (auf der Basis eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts, vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 59) kann derzeit kein Berater erstellen, weil die weiteren Konsequenzen der Corona-Krise für niemanden abschätzbar sind. Dann jedoch sollte man erwägen, über die Ankündigung in o.g. Presseerklärung des BMJV hinaus die Antragspflicht (und die korrespondierende Massesicherungspflicht) ohne weitere Voraussetzungen für solche Unternehmen zu suspendieren, die nicht schon vor der aktuellen Corona-Krise insolvenzreif waren. Im Zweifel beruht nämlich jede in den kommenden Wochen und Monaten eintretende Insolvenz zumindest mittelbar auf den gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen. Dann aber sollte man die ex post in Strafverfahren oder Haftungsprozessen entscheidenden Gerichte nicht mit der im Einzelfall streitigen Frage belasten, ob und in welchem Maße der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht. Den redlichen und durch die Corona-Krise überrumpelten Geschäftsleitern muss jetzt der straf- und haftungsrechtliche Druck genommen werden, damit sie sich voll auf die wirtschaftliche Erholung ihrer Betriebe konzentrieren können. Sie sollen ihre Zeit (und das restliche Geld der Betriebe) nicht damit verschwenden, ggf. schwer beweisbare Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch anwaltliche oder sonstige Gutachten zu belegen, die ohnehin auf äußerst schwankendem Boden erstellt werden (ebenso Prof. Dr. Stephan Madaus; restriktiver Thole, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2020).

Der Gläubigerschutz ist damit nicht vollständig suspendiert, sondern die Grenze des (Kredit-)Betrugs und die daran anknüpfende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265b StGB bestehen fort (vgl. dazu Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 641 f.). Wer bedingt durch die Corona-Epidemie ernsthafte Zweifel an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit hat, muss also seine Lieferanten und sonstigen Gläubiger darüber aufklären. Und die Gläubiger müssen derzeit ohnehin wachsam sein und sich selbst sichern (etwa durch die Umstellung auf Vorkasse), weil selbst jahrzehntelang seriös geführte Unternehmen (unverschuldet) in Schieflage geraten.

Auch über weitere Maßnahmen wie die Erleichterung von Finanzierungen in der Krise durch Reduzierung der Anfechtungsgefahr aus § 133 InsO und eine partielle Aussetzung des Gesellschafterdarlehensrechts für echte Neukredite ist nachzudenken. Es muss nun jeglicher Anreiz gesetzt werden, trotz gänzlich unsicherer wirtschaftlicher Lage von Gläubiger- und Gesellschafterseite in Unternehmen mit im Grundsatz soliden Unternehmenskonzepten zu investieren, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. dazu die Vorschläge von TMA Deutschland in der Pressemitteilung vom 13.3.2020 und Lürken in Börsenzeitung v. 14.3.2020, S. 9).

Zusätzlich könnte eine Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums auf 6 Monate solchen Unternehmen helfen, die trotz Suspendierung der Antragspflicht den Weg ins Insolvenzverfahren gehen müssen, weil ihnen schlicht das Geld ausgeht, um weiter wirtschaften zu können. Auch im Insolvenzverfahren ist diese längere Schonfrist erforderlich, weil sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit in den kommenden Monaten kein Käufer für insolvente Unternehmen finden wird. Die Alternative wäre dann allein die Betriebsstilllegung mit Verlust aller Arbeitsplätze, obwohl das Unternehmenskonzept eigentlich stimmt. Das muss verhindert werden.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Neues vom BGH – Nicht nur zur Gesellschafterliste

Die Streitigkeiten um die Gesellschafterliste scheinen kein Ende zu nehmen. Dies gilt nicht für die Praxis, sondern auch für die Gerichte. Selbst der BGH muss sich immer wieder mit der Gesellschafterliste befassen (jüngst BGH, Urt. v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, demnächst in der GmbHR).

Der jüngste Fall betraf einen Gesellschafterstreit bei einem Berliner Familienunternehmen, der den Lesern der GmbHR bereits aus zahlreichen Aufsätzen bekannt ist (siehe etwa Fluck, GmbHR 2017, 67; Kleindiek, GmbHR 2017, 815; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 505; Otto, GmbHR 2018, 123).

Dabei ging es um die zwangsweise Einziehung des Anteils eines Mehrheits-Gesellschafters einer GmbH. Die Wirksamkeit der Einziehung ist (wie in der Praxis fast immer) zwischen den Beteiligten streitig. Über die Anfechtungsklage gegen den Einziehungsbeschluss wurde bislang noch nicht entschieden.

Der Minderheits-Gesellschafter, der die Einziehung betrieben hat, hat den Ausgang des Rechtsstreits um die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses aber gar nicht erst abgewartet. Vielmehr hat der Minderheits-Gesellschafter einfach vollendete Tatsachen geschaffen und die eingezogenen Geschäftsanteile des Mehrheitsgesellschafters aus der Gesellschafterliste gestrichen. Mit der Streichung aus der Liste und deren Aufnahme im Handelsregister war der von der Einziehung betroffene Gesellschafter faktisch entrechtet. Denn: Die Gesellschafterrechte stehen nur den gelisteten Gesellschaftern zu. Die nicht (mehr) gelisteten Gesellschafter haben keine Gesellschafterrechte. Dies gilt unabhängig von der Wirksamkeit der Einziehung. Materielle Rechtslage und formelle Legitimation sind voneinander „entkoppelt“. Der BGH hat jetzt nochmals bestätigt, dass die formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen eingreift (grundlegend BGH, Urt. v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, GmbHR 2019, 335, ausführlich dazu Lieder/Becker, GmbHR 2019, 441 und GmbHR 2019, 505).

Folge dieses „Coups“ war, dass die Minderheit die Mehrheit übernommen hatte. Der frühere Minderheits-Gesellschafter war jetzt der formell alleine legitimierte Gesellschafter und konnte in der Gesellschaft nach seinem Belieben schalten und walten. Dies hat er auch getan. Er hat weitreichende Geschäftsführungsentscheidungen getroffen und die Satzung grundlegend geändert. Diese Beschlüsse sind und waren wirksam. Die Beschlüsse bleiben selbst dann wirksam, wenn ein Gericht in der Hauptsache später entscheiden sollte, dass die Einziehung unwirksam und die Liste unrichtig war.

Der Mehrheits-Gesellschafter versuchte sich gegen die Einziehung und die Aufnahme der neuen Liste zu wehren. Allerdings hatte er damit nur wenig Erfolg. Immerhin hat das LG Berlin auf seinen Antrag eine einstweilige Verfügung erlassen, wonach die Aufnahme einer Gesellschafterliste in das Handelsregister ohne ihn als Gesellschafter verboten ist. Die Gesellschaft hat sich daran aber nicht gehalten und „dennoch“ eine solche Liste zum Registergericht eingereicht. Der BGH hat darin zu Recht ein „unredliches Verhalten“ gesehen. Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann sich die Gesellschaft daher ausnahmsweise nicht auf die Legitimationswirkung der Liste berufen.

Der BGH hat dies in seinem amtlichen Leitsatz wie folgt formuliert:

„Wird einer GmbH nach Einziehung eines Geschäftsanteils durch eine einstweilige Verfügung untersagt, eine neue Gesellschafterliste, die den von der Einziehung Betroffenen nicht mehr als Gesellschafter ausweist, beim Amtsgericht zur Veröffentlichung im Handelsregister einzureichen, ist die Gesellschaft nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu berufen, wenn entgegen der gerichtlichen Anordnung eine veränderte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und im Registerordner aufgenommen worden ist.“

Die Entscheidung des BGH überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Dies gilt auch für den zweiten Teil der Entscheidung, der mit der Gesellschafterliste überhaupt nichts zu tun hat. Vielmehr ging es dabei um die Einrichtung eines (fakultativen) Aufsichtsrats bei einer GmbH auf Grundlage einer Öffnungsklausel in der Satzung.

Die Satzung der GmbH enthielt eine Regelung, wonach die Gesellschafter einen Aufsichtsrat bilden können. Auf der Grundlage dieser Öffnungsklausel haben die Gesellschafter sodann einen Aufsichtsrat eingerichtet und diesem u.a. die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer übertragen.

Umstritten war nunmehr, ob für diesen (ausführenden) Gesellschafterbeschluss die Vorschriften für Satzungsänderungen (erneut) eingehalten werden müssen. Der BGH hat dies klar verneint und dies in seinem Leitsatz wie folgt zum Ausdruck gebracht.

„Die Einrichtung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH auf der Grundlage einer Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag ist keine Satzungsänderung und ohne Beachtung der für eine Satzungsänderung geltenden Vorschriften zulässig, wenn die Ermächtigung ausreichend bestimmt ist und der Einrichtungsbeschluss nicht gegen das Gesetz oder die Satzung verstößt.“

Die jüngste Entscheidung des Gesellschaftsrechtssenats des BGH ist zwar vergleichsweise lang (der amtliche Urteilsausdruck umfasst 39 Seiten), aber gleichwohl unbedingt lesenswert. Eine wertvolle Fundgrube für jeden GmbH-Berater!