Das Lieferkettenrecht kommt nicht zur Ruhe, so dass obige Anleihe bei Wolfgang Zöllners bekanntem bon mot zulässig erscheint (vgl. Zöllner, Aktienrechtsreform in Permanenz – Was wird aus den Rechten der Aktionäre?, AG 1994, 336). Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene schreiten die Arbeiten an einer Überarbeitung des Lieferkettenrechts voran. Für die zukünftige Gestalt des Lieferkettenregimes bundesdeutscher Unternehmen von besonderer Bedeutung sind insbesondere die gegenwärtig auf europäischer Ebene laufenden, nicht friktionsfreien Abstimmungen zur Positionierung des Europäischen Parlaments zum Omnibus-Rechtsakt der Kommission für eine Modernisierung bzw. Entschärfung der Lieferkettensorgfaltspflichten-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive (EU) 2024/1760 – CS3D) sowie auf nationaler Ebene die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf zur Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – Entlastung der Unternehmen durch anwendungs- und vollzugsfreundliche Umsetzung (zum RegE des LkSG-Änderungsgesetzes vgl. Haug, GmbHR 2025, R292; Fitzer/Theusinger, DB 2025, 2622). Im Folgenden wird ein Überblick über den aktuellen Stand der beiden Gesetzgebungsverfahren, der notwendig Momentaufnahme ist, gegeben und ein vorsichtiger Ausblick auf die weitere Entwicklung gewagt.
Europäisches Lieferkettenrecht / CS3D – Nachschärfungen des Rechtsausschusses durch EP (vorerst) abgelehnt
Während die CS3D bei ihrer Verabschiedung noch als historischer Erfolg gefeiert wurde, ist die Anfangseuphorie bekanntlich einer zunehmend nüchternen bis kritischen Haltung gewichen, wofür nicht zuletzt nicht unbegründete Zweifel an einer sinnvollen Aufwands-/Ertrags-Relation des komplexen CS3D-Regimes verantwortlich zeichnen. In Reaktion auf diese lauter werdende Kritik hat die Kommission bereits zu Beginn des Jahres ihre umfassenden Omnibus-Vorschläge vorgelegt, die im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen u.a. im Bereich der CS3D zum Teil signifikante Erleichterungen für die betroffenen Unternehmen vorsehen (vgl. hierzu etwa J. Schmidt, NZG 2025, 289; Jaspers, AG 2025, R107). Für das Europäische Parlament als zweiten wesentlichen Akteur des europäischen Trilogverfahrens hat unlängst zunächst dessen Rechtsausschuss die Omnibus-Vorschläge im Grundsatz begrüßt, gleichzeitig aber noch über die Pläne der Kommission hinausgehend weitere Erleichterungen für betroffene Unternehmen gefordert bzw. vorgeschlagen (vgl. EP – Sustainability reporting and due diligence: simpler rules for fewer companies, Press Release v. 13.10.2025), im Einzelnen:
- Der Anwendungsbereich des europäischen Lieferkettenregimes soll deutlich beschränkt werden auf Unternehmen mit mehr als 5.000 (bisher 1.000) Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als EUR 1,5 Milliarden (bisher EUR 450.000.000). Erste Schätzungen gehen davon aus, dass unter Berücksichtigung dieser Schwellenwerte in der Bundesrepublik nur noch ca. 150 Unternehmen den europäischen Due Diligence-Pflichten unterliegen würden.
- Stärkung des risikobasierten Ansatzes der CS3D: Quasi im Sinne einer Fokussierung auf das Wesentliche sollen Unternehmen nur noch dann Prüfungspflichten gegenüber den Unternehmen in ihrer Liefer- bzw. Wertschöpfungskette treffen, wenn Anhaltspunkte für eine Verletzung elementarer, durch die CS3D geschützter Rechtsgüter vorliegen, das bisherige Regel- also zu einem bloß anlassbezogenen Reporting herabgestuft werden, was auch auf der Linie des RegE eines Änderungsgesetzes zum LkSG liegen würde (vgl. unten). Zusätzlich soll durch die neue Kategorie der reasonable available information der trickle down-Effekt reduziert werden.
- Das „Ob“ und die inhaltliche Ausgestaltung einer zivilrechtlichen Haftung von CS3D-pflichtigen Unternehmen wegen Verstoßes gegen ihre Due Diligence-Pflichten sollen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, was allerdings auch die Omnibus-Entwürfe durch die geplante Streichung von Art. 29 Abs. 1 CS3D bereits abbilden. Hinsichtlich einer möglichen zivilrechtlichen Haftung für Verstöße gegen die lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten soll sich die Richtlinie nach Auffassung des Rechtsausschusses auf die Konturierung eines groben Rahmens beschränken. Konkret sollen insbesondere der Maximalbetrag einer zivilrechtlichen Haftung auf 5% des globalen Umsatzes beschränkt und im Übrigen den Mitgliedstaaten Handreichungen für die Bestimmung der Haftungshöhe im Einzelfall zur Verfügung gestellt werden
- Festhalten möchten die Vorschläge des Rechtsausschusses demgegenüber an der gleichfalls umstrittenen Verpflichtung CS3D-pflichtiger Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Übereinkommens von Paris zu erstellen (vgl. Art. 22 CS3D). Allerdings sieht der Rechtsausschuss drei signifikante Modifikationen der lex lata vor: (1) In Übereinstimmung mit den Omnibus-Vorschlägen soll klargestellt werden, dass Art. 22 CS3D keine unmittelbare Verpflichtung zur Umsetzung der Maßnahmen des Emissionsreduktionsplans begründet, (2) soll die aktuelle best efforts zu einer reasonable efforts-Verpflichtung herabgestuft werden, was insbesondere auch Gelegenheit für eine Nachschärfung der unglücklichen deutschen Sprachfassung („alles in ihrer Macht stehende“) geben würde und (3) soll Referenz nicht das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Abkommens sein, sondern das Pariser Abkommen an sich sein, das auch alternative, weniger ambitionierte Zielwerte kennt.
Trotz im Regelfall faktisch verbindlicher Vorabstimmung zwischen den Fraktionen und einer vermeintlichen Mehrheit der informellen Koalition aus EVP, S&D und Liberalen hat allerdings das Europäische Parlament den Vorschlägen seines Rechtsausschusses die Gefolgschaft versagt und diese am 22.10.2025 mit 318 zu 309 Stimmen abgelehnt. Dem Vernehmen nach sollen bei dieser überraschenden Entscheidung nicht nur inhaltliche Erwägungen, sondern auch Unstimmigkeiten über die Verhandlungsführung zwischen den Fraktionen eine Rolle gespielt haben (vgl. van Rinsum, TAZ v. 22.10.2025). Es bleibt insoweit abzuwarten, ob das Plenum des Europäischen Parlaments, das zumindest in der Vergangenheit ein besonders vehementer Befürworter einer strengen Lieferkettenregulierung war, den Plänen des Rechtsausschusses in einer erneuten Befassung im November doch noch zustimmt oder aber diese erneut verwirft und möglicherweise aus dem Plenum eigenständige Alternativen zum Omnibus-Entwurf in den Trilogverhandlungen präsentiert werden.
LkSG – Bundesrat für weitere Erleichterungen im Gesetz zur Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes
Anfang September 2025 hat zudem die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lieferkettengesetzes – Entlastung der Unternehmen durch anwendungs- und vollzugsfreundliche Umsetzung beschlossen (s. dazu etwa Reich, AG 2025, R299), das erkennbar einen Kompromiss zwischen der in der letzten Legislaturperiode geforderten vollständigen Abschaffung des LkSG und dessen unmodifizierter Fortgeltung darstellt. Die beabsichtigte Entlastung LkSG-pflichtiger Unternehmen soll einerseits durch Entfall der Berichtspflichten über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten und andererseits durch deutliche Reduzierung der Bußgeldtatbestände des LkSG erreicht werden. Im Einzelnen sieht das LkSG-Änderungsgesetz zunächst eine Streichung des Berichts nach § 10 Abs. 2-4 LkSG vor, die rückwirkend auch Berichtszeiträume ab dem 1.1.2023 erfassen soll. In Konsequenz der Streichung der Berichtspflicht entfallen auch die §§ 12, 13 LkSG (= Abschnitt 4, Unterabschnitt 1 LkSG), die die behördliche Kontrolle der Einhaltung der Berichtspflichten zum Gegenstand haben. Bestehen bleiben sollen demgegenüber die lieferkettenbezogenen Dokumentationspflichten nach § 10 Abs. 1 LkSG.
Zweiter Schwerpunkt des Regierungsentwurfs ist eine signifikante Ausdünnung des Bußgeldkatalogs des § 24 LkSG. Von den bisher 13 Bußgeldtatbeständen sollen lediglich vier beibehalten werden: Das Unterlassen oder verspätete Ergreifen von Präventions- bzw. Abhilfemaßnahmen in Bezug auf menschenrechtliche Risiken, die nicht rechtzeitige Erstellung oder Umsetzung eines menschenrechtlichen Konzepts sowie Verstöße gegen die Verpflichtung zur Einrichtung eines unternehmenseigenen Beschwerdeverfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 LkSG. Unter anderem Versäumnisse bei Risikomanagement und -analyse würden damit nicht mehr als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Im Hintergrund steht die Überlegung der Bundesregierung, dass die Bebußung ultima ratio sein und deshalb nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen zentrale Sorgfaltspflichten des LkSG verhängt werden sollte (vgl. RegE LkSG-Änderungsgesetz, S. 9), In Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag sollen allein schwerste Menschenrechtsverletzungen als schwerwiegende LkSG-Verstöße gelten (vgl. Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 60). Praktisch bedeutet dies vor allem, dass Verstöße gegen umweltbezogene Sorgfaltspflichten nach LkSG nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könnten.
Rezeption des RegE und Stellungnahme des Bundesrats
Wie bei einem politisch schon im Grundsätzlichen äußerst umstrittenen Gesetz wie dem LkSG nicht anders zu erwarten, sind die Vorschläge auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während von Unternehmensseite die Änderungen zwar begrüßt, aber in Teilen als viel zu oberflächlich kritisiert wurden („große Chance zum Bürokratieabbau und für betriebliche Entlastung verpasst“, Stellungnahme BDA, S. 2), sind die Entschärfungen bei Umwelt- und Sozialverbänden und in Reihen der „grünen Wirtschaft“ auf scharfe Kritik gestoßen („inakzeptabler Rückschritt für Menschenrechte und Umweltschutz in globalen Lieferketten“, Stellungnahme Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, S. 2). Vor diesem Hintergrund darf daher auch die jüngst veröffentlichte Stellungnahme des Bundesrats mit einem geteilten und pointierten Echo rechnen (Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes v. 17.10.2025, BR-Drucks. 422/25). Die Länderkammer begrüßt einerseits die grundsätzliche Stoßrichtung, die Lieferkettenregulierung zu begrenzen, hält aber andererseits die Vorschläge des Regierungsentwurfs mit Teilen der Wirtschaft für nicht ausreichend. Wohl unter Orientierung an den Plänen des Rechtsausschusses des EP schlägt der Bundesrat insbesondere die folgenden Maßnahmen vor:
- Die Anwendungsbereiche von CS3D und LkSG sollen durch Anpassung von § 1 LkSG an Art. 2 CS3D harmonisiert werden, was auf Grundlage der Vorschläge des Rechtsausschusses des EP eine Begrenzung auf Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und mehr als EUR 1,5 Mrd. Umsatz, anderenfalls auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als EUR 450.000.000 bedeuten würde (aktuell erfasst das LkSG Unternehmen mit im Durchschnitt mehr als 1.000 Arbeitnehmern im Inland, § 1 LkSG).
- Nach dem Vorbild der (Pläne zur) CS3D soll der risikobasierte Ansatz auch im LkSG spürbar aufgewertet bzw. ausgebaut werden. Insbesondere wenn Unternehmen der Lieferkette in „unproblematischen“ Sitzstaaten ansässig sind, erwartet man sich hiervon eine spürbare Reduktion der laufenden bzw. anlassunabhängigen Due Diligence-Pflichten der LkSG-pflichtigen Unternehmen.
Ausblick
Auch wenn sich Gegner und Befürworter der Lieferkettenregulierung nach wie antagonistisch gegenüberstehen, zeichnet sich ab, dass weitgehende Forderungen nach einer kompletten Abschaffung der Lieferkettengesetze zumindest bis auf Weiteres keine Aussicht auf Erfolg im politischen Raum haben. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass sowohl auf nationaler wie auch der mittelfristig entscheidenden europäischen Ebene die Lieferkettenregulierung in Teilen zurückgenommen bzw. für die betroffenen Unternehmen abgemildert, in ihren Grundzügen aber Bestand haben wird. Über das finale Ausmaß der Korrekturen – insbesondere der weitreichenden CS3D – wird nicht zuletzt entscheiden, ob der aktuelle Widerstand des Europäischen Parlaments gegen die Vorschläge seines Rechtsausschusses primär prozessualen Unstimmigkeiten geschuldet ist oder ob weite Teile des Parlaments auch in seiner neuen Zusammensetzung weiterhin grundsätzliche Anhänger eines möglichst umfassenden und strengen Ansatzes sind. Unabhängig von der politischen Positionierung sollte zumindest daran festgehalten werden, einen weitgehenden Gleichlauf von CS3D und LkSG bzw. zukünftigem Umsetzungsgesetz anzustreben. Differierende Standards und Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten würden bei dieser notwendig grenzüberschreitenden Regulierung zu einem exponentiellen Anstieg des Aufwands für die betroffenen Unternehmen schon im Gebiet des gemeinsamen Binnenmarktes führen, ohne dass dem ein sichtbarer Mehrwert gegenüberstehen würde.




