BGH lässt im Urteil vom 10.7.2024 Einfluss des MoPeG auf die bisherige Rechtsprechung zur Eigenbedarfskündigung der GbR als Vermieterin offen

I. Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH zur Eigenbedarfskündigung analog § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB bei Vermieterstellung einer GbR

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt ein die Eigenbedarfskündigung rechtfertigendes Interesse des Vermieters vor, wenn „der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt“. Nach der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10.8.2021 (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG, BGBl. I S. 3436) ergangenen ständigen Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als Vermieterin von Wohnraum in analoger Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter oder dessen Angehörigen geltend machen (vgl. BGH v. 21.3.2018 – VIII ZR 104/17, BGHZ 218, 162 = MDR 2018, 584 Rz. 14; BGH v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, BGHZ 213, 136 = ZIP 2017, 122 Rz. 14 ff.).

Da die Gesellschafter einer GbR als Wohnungsvermieterin offensichtlich keine „Familienangehörigen oder Angehörige des Haushalts“ der GbR sind, ist in der Konstellation, in der eine solche Gesellschaft Eigenbedarf für einen Gesellschafter oder dessen Angehörigen geltend macht, jedenfalls eine direkte Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Zur Begründung der analogen Anwendung hat der VIII. Zivilsenat des BGH bislang darauf rekurriert, dass die „Teilrechtsfähigkeit“ der GbR nicht die Folgerung rechtfertige, dass die Interessen der Personenmehrheit, die diese Gesellschaft bilde, bei der Eigenbedarfskündigung analog § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ohne rechtliche Bedeutung seien. Die „Weißes Ross“-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH vom 29.1.2021 (BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330) ändere nichts an der früheren Rechtslage, nach der die GbR als „Vermietermehrheit“ – ebenso wie die Miteigentümergemeinschaft (Bruchteilseigentum) und die Erbengemeinschaft – zur Vornahme einer Eigenbedarfskündigung berechtigt gewesen sei (vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung Wertenbruch, NJW 2023, 1393 Rz. 16 ff.).

II. Der BGH-Fall aus Berlin-Mitte

Dass die Rechtsform der GbR zumindest bislang bei der Vermietung von Wohnraum insbesondere in Bezug auf die Eigenbedarfskündigung eine bedeutende Rolle spielte, visualisiert der Sachverhalt der aktuellen BGH-Entscheidung vom 10.7.2024 (BGH v. 10.7.2024 – VIII ZR 276/23): Die auf Räumung verklagten Mieter haben seit 2009 in einem Mehrfamilienhaus in Berlin-Mitte eine 160 Quadratmeter große 6-Zimmer-Wohung gemietet, die sie mit ihren beiden Kindern bewohnen. Aktuelle Vermieterin ist eine GbR, die das Hausgrundstück im Jahre 2013 im Wege eines Kaufs erworben hat, wobei die Grundbucheintragung im Jahre 2014 erfolgte. Mit Schreiben vom 16.8.2021 kündigte die GbR das Mietverhältnis ordentlich wegen Eigenbedarfs zu Gunsten eines ihrer Gesellschafter. Diese Kündigung hätte im Fall ihrer Wirksamkeit zur Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.5.2022 geführt.

III. Keine Rückwirkung des MoPeG bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts

Im Fall des BGH ist die am 16.8.2021 ergangene Eigenbedarfskündigung zwar nach Verkündung des MoPeG im Bundesgesetzblatt, aber vor Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 (Art. 137 Satz 1 MoPeG) erfolgt. Der BGH geht daher unter Berufung auf das Urteil des II. Zivilsenats vom 18.10.1965 (BGH v. 18.10.1965 – II ZR 36/64, BGHZ 44, 192, 194 = MDR 1966, 43) in Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts zutreffend davon aus, dass die Wirksamkeit der Kündigung nach dem im Zeitpunkt der Kündigung geltenden Recht zu beurteilen ist. Die erst einige Zeit später im Rahmen des MoPeG in Kraft getretene Neuregelung des Rechts der GbR konnte deshalb auf die Wirksamkeit der Kündigung keine Auswirkungen haben. Für die Entscheidung des Revisionsgerichts ist zwar grundsätzlich die Rechtslage im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung maßgeblich. Ein erst nach Erlass der Berufungsentscheidung in Kraft getretenes Gesetz ist aber nur dann zu berücksichtigen, wenn es nach seinem zeitlichen Geltungswillen auch das streitige Rechtsverhältnis erfasst. Insoweit geht der BGH zu Recht davon aus, dass vom MoPeG keine rückwirkende Geltung seiner Regelungen für eine in der Vergangenheit von einer GbR ausgesprochene einseitige Gestaltungserklärung in Form einer Kündigung beansprucht wird, die – bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen – das Mietverhältnis mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ohne Weiteres beendet.

Der BGH konnte daher offenlassen, ob auf Grundlage des neuen Rechts der GbR eine Änderung der bisherigen ständigen Rechtsprechung zur Eigenbedarfskündigung einer GbR als Wohnungsvermieterin geboten ist, und in dieser Hinsicht auf den aktuellen Meinungsstand verweisen: Gegen eine Änderung Seidel, ZPG 2024, 94; Jacoby, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Wohnraummietrecht: GbR als Vermieterin, abrufbar unter www.mietgerichtstag.de/mietgerichtstage/downloadvorträge/mietgerichtstag-2024/(demnächst in ZMR 2024); Schäfer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2024, § 705 BGB Rz. 228; für eine künftige Unzulässigkeit der Eigenbedarfskündigung Börstinghaus in Schmidt-Futterer/Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 573 BGB Rz. 66a; Weidenkaff in Grüneberg, 83. Aufl. 2024, § 573 BGB Rz. 26; Brinkmann, NJW 2024, 177 Rz. 8, 20 ff.; Hinz, NZM 2023, 185, 187 f.; Wertenbruch, NJW 2023, 1193 Rz. 18 ff.

Dass im Fall des BGH die beim Amtsgericht Berlin-Mitte erhobene Räumungsklage in der Revisionsinstanz im Ergebnis scheiterte, beruht auf der Sperrfrist des § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin i.V.m. § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB. Nach § 2 dieser Berliner VO (außer Kraft getreten am 30.9.2023) kann sich in Berlin ein Erwerber auf berechtigte Interessen i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB erst nach Ablauf von zehn Jahren berufen. Die Ausnahme des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB „… nicht anzuwenden, wenn die Gesellschafter oder Erwerber derselben Familie oder demselben Haushalt angehören“ wurde vom BGH verneint, weil die ursprünglichen GbR-Gesellschafter (Zeitpunkt des Eigentumserwerbs) als Cousins keine Familienangehörigen im Sinne dieser Vorschrift seien.

IV. Künftige Rechtsentwicklung – Ausblick

Ob das MoPeG – zumindest mit dolus eventualis – die Axt an die gesellschaftsrechtlichen Wurzeln der bisherigen Rechtsprechung zur Eigenbedarfskündigung der GbR als Vermieterin gelegt hat, wird sich zeigen, wenn eine nach dem 1.1.2024 ausgesprochene Kündigung auf dem Rechtsweg unter Berufung auf die Reform des Personengesellschaftsrechts die Revisionsinstanz erreicht. Nach § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB kann die GbR selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Gesellschaft). Diese Variante der GbR ist damit eine „rechtsfähige Personengesellschaft“ i.S.d. § 14 BGB. Nach der amtlichen Begründung zum MoPeG (BT-Drucks. 19/27635, S. 125) ist die rechtsfähige GbR das neue Leitbild des Rechts der GbR: „Im Sinne eines gesetzlichen Leitbilds konzipiert § 705 Abs. 2 BGB die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Gestalt der rechtsfähigen Gesellschaft als auf eine gewisse Dauer angelegte, mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete Personengesellschaft grundlegend neu.“ Nach der Legaldefinition des § 713 BGB sind die „Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschaft erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten Vermögen der Gesellschaft“. Die Zulässigkeit einer Eigenbedarfskündigung der GbR als Vermieterin in analoger Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann daher künftig nicht mehr darauf gestützt werden, dass die GbR eine mit der Bruchteilsgemeinschaft und der Erbengemeinschaft vergleichbare „Vermietermehrheit“ sei und ihr – im Vergleich zur juristischen Person – nur eine „Teilrechtsfähigkeit“ zukomme (vgl. zum Ganzen Wertenbruch, NJW 2023, 1193 Rz. 18 ff.).

Zukunftsfinanzierungsgesetz: die zweite Runde

Ungefähr neun Monate nach dem Inkrafttreten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG I) hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Referentenentwurf eines Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG II) veröffentlicht. Das Gesetzespaket setzt die am 17.7.2024 vom Bundeskabinett beschlossene Wachstumsinitiative um und verfolgt auch dieses Mal das Ziel, private Investitionen anzukurbeln sowie den Finanzstandort Deutschland zu stärken. Im Folgenden soll eine erste Einordnung des Entwurfs erfolgen, deren Fokus sich auf das Delisting, die Penny Stocks, die Mehrstimmrechtsaktie und die emittentenfinanzierten Analysen richtet.

Kleine Reform des Delistings

Der Paukenschlag für die Unternehmensrechtler kommt gleich im Art. 1 ZuFinG II-RefE, in dem Änderungen des Spruchverfahrensgesetzes (SpruchG) vorgesehen sind. Nach § 1 Nr. 8 SpruchG-E sollen Streitigkeiten über die „Höhe der Gegenleistung beim Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum Handel auf Antrag des Emittenten“ – also beim Delisting – im Spruchverfahren ausgetragen werden (S. 7 des Entwurfs). Diese partielle Rückkehr zu den Macrotron-Grundsätzen (zur Statthaftigkeit des Spruchverfahrens in Delisting-Altfällen s. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 57 f. = AG 2003, 273) wird flankiert durch Änderungen der §§ 3, 4, 5, 14 SpruchG und des § 39 BörsG (vgl. S. 120 f., 147 ff. des Entwurfs; zur Delisting-Reform etwa Mohamed, ZIP 2023, 1975; Redenius-Hövermann, ZIP 2021, 485, 488 ff.).

Mit einem kleinen Eingriff in § 39 Abs. 2 Satz 1 BörsG – die Börsengeschäftsführung hat (und nicht kann) die Zulassung der Wertpapiere zum Handel im regulierten Markt auf Antrag des Emittenten zu widerrufen (vgl. S. 49 des Entwurfs) – will der Gesetzgeber deutlich machen, dass die Börsengeschäftsführung eine gebundene Delisting-Entscheidung trifft (vgl. S. 147 des Entwurfs; für eine solche dogmatische Einordnung bereits Habersack in Habersack/​Mülbert/​Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 40.31; Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 775 f.; für eine Ermessensentscheidung Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.12, 63.56). Aus der Emittentenperspektive gesprochen: Der Emittent hat einen Anspruch auf den Widerruf der Börsenzulassung, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2-3 BörsG vorliegen (Groß, AG 2015, 812, 815). Gestrichen werden soll die Vorgabe des § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG, wonach der Widerruf der Börsenzulassung nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf. Der Wegfall dieser Generalklausel führt nicht zur Absenkung des Anlegerschutzniveaus, weil sich die Delisting-Voraussetzungen ohnehin aus den detaillierten Regelungen des § 39 Abs. 2-6 BörsG ergeben.

In konzeptioneller Hinsicht hält der Gesetzgeber daran fest, dass ein Delisting ein Erwerbsangebot nach WpÜG-Vorschriften voraussetzt (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BörsG-E) und dass ein partielles Delisting ohne ein solches Angebot möglich ist (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BörsG-E). Es kommen aber zwei weitere Ausnahmen vom angebotspflichtigen Delisting hinzu (zum teleologischen Hintergrund vgl. S. 147 des Entwurfs): Wenn die Wertpapiere weiterhin zum Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt einbezogen sind (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BörsG-E) und wenn über das Vermögen des Emittenten ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BörsG-E; s. hierzu einerseits Häller, ZIP 2016, 1903; Korch, BKR 2020, 285, andererseits Heidel, BKR 2021, 530; vgl. ferner Schulz, ZIP 2024, 1110). Die KMU-Wachstumsmarkt-Ausnahme wird flankiert durch § 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 WpHG-E, § 48a Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BörsG-E, die die Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten für den Fall, dass der Emittent die Einbeziehung von Wertpapieren zum Handel an dem KMU-Wachstumsmarkt kündigt, dazu verpflichten, § 39 Abs. 2-6 BörsG entsprechende Vorschriften vorzusehen. Damit soll das Anlegerschutzniveau des § 39 BörsG auch auf „privaten“ Märkten gewährleistet werden.

Mit § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG-E will der Gesetzgeber die Geltung des § 11 WpÜG dahingehend einschränken, dass eine Delisting-Angebotsunterlage nicht alle Angaben enthalten muss, die in sonstigen Übernahmesituationen erforderlich sind (vgl. S. 147 des Entwurfs). Mit § 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG-E bestimmt sich die Angebotshöhe im Ausgangspunkt weiterhin nach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor der Delisting-Ankündigung. Allerdings macht der Gesetzgeber in § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG-E deutlich, dass eine Ausnahme vom Börsenkurs-Grundsatz – und damit eine Bemessung der Angebotshöhe nach dem inneren Unternehmenswert – nicht nur in drei enumerativ aufgezählten Fällen in Betracht kommt, sondern schon dann veranlasst ist, wenn „besondere Umstände den Börsenkurs dieses Zeitraums derart beeinflusst, dass dieser zur Bestimmung einer angemessenen Gegenleistung ungeeignet ist.“ (vgl. S. 147 f. des Entwurfs; dafür de lege ferenda bereits Koch/Harnos, NZG 2015, 729, 732 f.; für eine solche Deutung des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG de lege lata Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.41; Koch, AG 2021, 249 Rz. 9 ff.; dagegen Habersack in Habersack/​Mülbert/​Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 40.24; Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 771 f.). Die besonderen Umstände sind als Regelbeispiele in § 39 Abs. 3 Satz 5 BörsG-E aufgezählt:

  • Verletzung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht nach Art. 17 MAR (Nr. 1);
  • Marktmanipulation seitens des Emittenten oder des Bieters (Nr. 2);

Zudem gilt § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG-E bei Marktenge i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 6 BörsG-E entsprechend, d.h. bei Marktenge ist – wie bereits nach geltender Rechtslage (s. § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG und Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 770 f.) – eine Unternehmensbewertung durchzuführen. § 39 Abs. 3 Satz 7 BörsG-E eröffnet den Weg in das Spruchverfahren, korrespondiert also mit § 1 Nr. 8 SpruchG-E. § 39 Abs. 3 Satz 8 BörsG-E stellt sicher, dass Anleger, die das Abfindungsangebot wegen einer zu niedrigen Gegenleistung nicht annehmen, nicht von einer späteren gerichtlichen Erhöhung profitieren (vgl. S. 148 des Entwurfs). Schließlich folgt aus einer unscheinbaren Änderung des § 39 Abs. 5 Satz 3 BörsG-E, dass die Börsenordnungen nähere Bestimmungen über das Widerrufsverfahren (und nicht den Widerruf als solchen) treffen (vgl. S. 148 des Entwurfs).

Zu Recht hält das BMF davon Abstand, die Delisting-Entscheidung in die Hände der Aktionäre zu legen; sie bleibt nach wie vor eine Ermessensentscheidung des Vorstands (dazu Wieneke/Schulz, AG 2016, 809, 814 ff.). Allerdings hätte der Gesetzgeber in den Materialien andeuten können, ob Aktionäre trotz § 23 Abs. 5 AktG eine Hauptversammlungszuständigkeit für das Delisting qua Satzung begründen können (dafür Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.61; Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 96; Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 119 AktG Rz. 151; sympathisierend Harnos, ZHR 182 [2018], 363, 370; dagegen die h.M., s. nur Bayer, NZG 2015, 1169, 1178; Groß, AG 2015, 812, 814; Koch, 18. Aufl. 2024, § 119 AktG Rz. 45; von der Linden, NZG 2015, 176; Scholz, BB 2015, 2248, 2249 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 119 AktG Rz. 52).

Außerdem sollte der Gesetzgeber § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG, wonach die Streitigkeiten über die Angebotshöhe in Delisting-Fällen KapMuG-fähig sind, im Lichte der § 39 Abs. 3 Satz 7 BörsG-E, § 1 Nr. 8 SpruchG-E anpassen. Anderenfalls entsteht der Eindruck, dass die Aktionäre unabhängig von den Fristen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SpruchG-E, § 39 Abs. 3 Satz 8 BörsG-E eine Klage auf Erhöhung der Gegenleistung vor dem Landgericht erheben und ein KapMuG-Verfahren anstrengen können. Eine solche Klage ist derzeit im Rahmen der üblichen Verjährungsfristen möglich (s. Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 779 f.).

Schließlich sollte der Gesetzgeber überlegen, ob er den (im Zuge des ZuFinG I geschaffenen) § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG anpasst (Einzelheiten zu dieser Vorschrift bei Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 47 ff.). Das Regelungsvorbild für § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG war die bisherige Delisting-Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG (s. nur Harnos, AG 2024, 348 Rz. 28). Wenn die Vorschriften über die Angebotshöhe in § 39 Abs. 3 BörsG-E geändert werden sollen, sollte dies konsequent auch im Rahmen des aktienrechtlichen Wertverwässerungsschutzes beim Bezugsrechtsausschluss berücksichtigt werden. Bei dieser Gelegenheit sollte der Gesetzgeber das Redaktionsversehen in § 255 Abs. 5 Satz 2 AktG beheben: „Absatz 4 Satz 2“ gibt es nicht (s. dazu Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 42 Fn. 183). Anspruchsvoller als die Korrektur des Redaktionsversehens, aber im Hinblick auf den Aktionärsschutz dringlicher wäre die Schließung der Rechtsschutzlücke, die in Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses droht (zu Problem und Lösungsvorschlägen s. etwa Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 54 ff.; Heidel, AG 2024, 310 Rz. 26 ff.; Koch, 18. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 9 ff.).

Ceterum censeo: Die Vorgaben zur (marktorientierten) Unternehmensbewertung sollten anlassübergreifend – also auch im Vertragskonzern, beim Squeeze-out und bei Umwandlungen – in ein stimmiges gesetzliches Gesamtsystem überführt werden (s. bereits Harnos, AG 2024, 348 Rz. 32).

Weitere Änderungen des Börsenrechts

Im Börsenrecht will das BMF zum einen das BörsG, zum anderen die Börsenzulassungs-Verordnung (BörsZulV) ändern. Die Vorschläge zum BörsG haben zum Gegenstand:

  • Die Prüfungsbefugnisse der Börsenaufsichtsbehörde nach § 3 Abs. 4 BörsG-E (vgl. S. 44 f., 143 f. des Entwurfs).
  • Die Pflichten des Börsenträgers, etwa im Zusammenhang mit der Auslagerung von Bereichen, die für die Durchführung des Börsenbetriebs wesentlich sind (s. § 5 Abs. 3 Satz 3 BörsG-E), oder hinsichtlich der Organisationsanforderungen (s. § 5 Abs. 4b BörsG-E und S. 45, 144 des Entwurfs). In diesem Kontext ist auch die Einführung einer neuen Nr. 14 im Katalog der Pflichten der MTF- und OTF-Betreiber in § 72 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu beachten (vgl. S. 14, 127 des Entwurfs).
  • Die Pflichten des Börsenträgers gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde hinsichtlich der Beteiligungspublizität nach § 6 Abs. 6 BörsG, der wegen MiFID II-Änderungen umformuliert werden soll (vgl. S. 53, 149 des Entwurfs).
  • Die Synchronisierung von im Geschäftsverkehr verwendeten Uhren: § 22a BörsG wird aufgehoben, weil sich die Vorgaben aus Art. 22c MiFIR ergeben (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Vorschrift über den Börsenpreis (§ 24 BörsG), die redaktionell an MiFID II-Änderungen angepasst wird (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Informationspflichten der Börsengeschäftsführung gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde und der Bundesanstalt nach § 25 Abs. 1b BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 54, 145 des Entwurfs).
  • Die Mindestpreisänderungsgröße nach § 26b BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Positionsmanagementkontrollen nach § 26f BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 46, 146 des Entwurfs); in diesem Zusammenhang sind auch die Änderungen der § 54 Abs. 6, § 57 WpHG zu beachten (vgl. S. 13 f., 126 f. des Entwurfs).
  • Die Übermittlung von Daten nach § 26g BörsG, der sprachlich an Art. 25 Abs. 2 MiFIR angeglichen werden soll (vgl. S. 46, 146 des Entwurfs).
  • Die Einführung von Wertpapieren (Börsennotierung): Die Neufassung des § 38 Abs. 1 BörsG („Der Emittent teilt den beabsichtigten Zeitpunkt und die Merkmale für die Aufnahme der Notierung von zum regulierten Markt zugelassener Wertpapiere (Einführung) der Geschäftsführung mit. Das Nähere regelt die Börsenordnung.“) soll zur Folge haben, dass die Börsengeschäftsführung nicht mehr durch Verwaltungsakt über die Aufnahme der Notierung zugelassener Wertpapiere im regulierten Markt entscheidet (vgl. S. 48 f., 147 des Entwurfs); damit geht wohltuende Entbürokratisierung einher.
  • Die Pflichten der Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten, die ein Segment eines Freiverkehrs (s. § 48a Abs. 1a BörsG-E und S. 51, 148 f. des Entwurfs) bzw. eines multilateralen Handelssystems (MTF) sind (§ 76 Abs. 1a WpHG-E und S. 21, 132 des Entwurfs).
  • Die Bußgeldvorschriften in § 50 BörsG (vgl. S. 46 ff., 146 des Entwurfs).

Die Vorschläge hinsichtlich der BörsZulV gehen auf die Änderungen der unionsrechtlichen Grundlagen, insb. des Art. 51a MiFID II, zurück. Sie betreffen:

  • Die Aufhebung des § 2 Abs. 4 BörsZulV, wonach die Börsengeschäftsführung geringere Beträge als in 2 Abs. 1-3 BörsZulV vorgeschrieben zulassen kann, wenn sie überzeugt ist, dass sich für die zuzulassenden Wertpapiere ein ausreichender Markt bilden wird (vgl. S. 11, 123 des Entwurfs).
  • Die Aufhebung des § 3 BörsZulV, der bislang die Dauer des Bestehens des Emittenten geregelt hat (vgl. S. 11, 123 des Entwurfs).
  • Die Vorgaben zur Streuung von Aktien in § 9 BörsZulV (vgl. S. 11 f., 124 des Entwurfs).
  • Die Veröffentlichung der Börsenzulassung, die nach § 51 BörsZulV-E nicht mehr im Bundesanzeiger, sondern von der Börsengeschäftsführung unverzüglich auf der Internetseite der Börse oder des Börsenträgers veröffentlicht werden soll (vgl. S. 12, 124 des Entwurfs).

Wenn schon das Börsenrecht angefasst wird, wäre die Beseitigung von Unklarheiten in §§ 44 ff. BörsG wünschenswert, die die Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) betreffen (s. dazu Harnos, Blog-Beitrag v. 3.10.2023 [GESRBLOG0001593] und Harnos, AG 2024, S53).

Zulässigkeit von Penny Stocks

Im Aktienrecht will der Gesetzgeber – den Rufen aus dem Schrifttum folgend (s. DAV-HRA, NZG 2023, 738 Rz. 81 ff.; Lieder/Singhof in VGR, Reformbedarf im Aktienrecht, 2024, Rz. 14.25 f.; kritisch aber Beneke/Heidel/Lochner, AG 2024, 528 Rz. 42) – mit der Einführung des § 8 Abs. 7 AktG-E die sog. „Penny Stocks“ ermöglichen (vgl. S. 55, 151 des Entwurfs): Nach § 8 Abs. 7 Satz 1 AktG-E kann die Satzung vorsehen, dass Nennbetragsaktien einen geringeren Nennwert haben dürfen. In diesem Fall müssen sie gem. § 8 Abs. 7 Satz 2 AktG-E auf mindestens einen Eurocent lauten. Für Stückaktien kann die Satzung gem. § 8 Abs. 7 Satz 3 AktG-E vorsehen, dass der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals einen Eurocent betragen darf. Im Übrigen findet § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG gem. § 8 Abs. 7 Satz 4 AktG-E entsprechende Anwendung. Das bedeutet, dass Aktien über einen geringeren Nennbetrag als ein Eurocent nichtig sind und dass für den Schaden aus der Ausgabe die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich sind.

Der Vorschlag des BMF, der die Unternehmensfinanzierung erleichtern dürfte, ist generell zu begrüßen. Es leuchtet aber nicht ein, warum die Zulässigkeit von „Penny Stocks“ in der Satzung vorgesehen sein muss. Die Materialien führen insoweit aus, dass durch eine ausdrückliche Satzungsregelung, die zur Ausgabe entsprechender Aktien mit geringeren Nennbeträgen ermächtigt, der potenziellen Gefahr der Irreführung der Anleger vorgebeugt werden soll (vgl. S. 151 des Entwurfs). Wieso ausgerechnet eine Satzungsklausel die Irreführungsgefahr verringern soll, ist indes nicht ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass die Standardisierung der Satzung, die in § 23 Abs. 5 AktG vorgeschrieben ist, die Verkehrsfähigkeit der Aktie sicherstellen und die Transaktionskosten senken soll (s. nur Seibt in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 23 AktG Rz. 53). Vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 5 AktG erscheint es zweifelhaft, ob Anleger – die durch den Zwang zur Satzungsregelung geschützt werden sollen – die Satzungen nach einer Klausel zur Zulässigkeit von „Penny Stocks“ durchsuchen werden. Es drängt sich nicht auf, wieso sie es tun sollten, wenn sie generell davon ausgehen dürfen, dass die Satzung ein Standarddokument ist. Mit § 8 Abs. 7 AktG-E setzt das BMF für die Aktionäre einen Anreiz, die Satzungen zu studieren und damit die Transaktionskosten zu erhöhen. Dies läuft dem Zweck des § 23 Abs. 5 AktG zuwider.

Insoweit erscheint es überzeugender, § 8 Abs. 7 AktG-E zu streichen und im Anschluss an die Vorschläge aus dem Schrifttum § 8 Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 3 Satz 3 AktG dergestalt zu ändern, dass Nennbetragsaktien mindestens auf einen Eurocent und höhere Aktiennennbeträge auf volle Eurocent lauten müssen bzw. dass der anteilige Betrag des Grundkapitals einen Eurocent nicht überschreiten darf (dafür DAV-HRA, NZG 2023, 738 Rz. 81; Lieder/Singhof in VGR, Reformbedarf im Aktienrecht, 2024, Rz. 14.25).

Kapitalmarktrechtliche Regelungen zur Mehrstimmrechtsaktie

Einige Regelungsvorschläge haben die Mehrstimmrechtsaktie zum Gegenstand, wobei das BMF den § 135a AktG nicht ändern will. Vielmehr fokussiert sich das Ministerium auf kapitalmarktrechtliche Vorschriften, die u.a. der Umsetzung der Mehrstimmrechtsaktien-RL dienen:

  • Mit § 76a WpHG-E, § 48b BörsG-E will der Gesetzgeber die Transparenz hinsichtlich der Mehrstimmrechtsaktienstrukturen bei Gesellschaften erhöhen, deren Aktien in multilateralen Handelssystemen (MTF) und KMU-Wachstumsmärkten gehandelt werden (vgl. S. 22 f., 132 und S. 51 f. des Entwurfs).
  • In § 74 Abs. 6 WpHG-E soll geregelt werden, dass Betreiber eines multilateralen Handelssystems die Zulassung der Aktien eines Emittenten zum Handel nicht mit der Begründung verhindern dürfen, dass die AG eine Struktur mit Mehrstimmrechtsaktien nach § 135a AktG eingeführt hat (vgl. S. 20, 131 des Entwurfs). Eine Parallelregelung soll für Börsenträger, die einen Freiverkehr betreiben, in § 48 Abs. 6 BörsG-E eingeführt werden (vgl. S. 50, 148 des Entwurfs). Diese Vorschläge überzeugen, weil sie die partielle Satzungsautonomie, die § 135a AktG schafft, vor mittelbaren börsenrechtlichen Einschränkungen schützen. Die Materialien sprechen treffend von einem Diskriminierungsverbot (vgl. S. 131 und 148 des Entwurfs).
  • Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 EGAktG-E soll § 135a Abs. 1 Satz 2 AktG – der die Beschränkung des maximalen Stimmgewichts einer Mehrstimmrechtsaktie auf das Zehnfache des Stimmrechts einer Stammaktie regelt (s. nur Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 12 ff.) – auch dann gelten, wenn die Aktien einer Altgesellschaft i.S.d. § 5 Abs. 2 EGAktG nach dem Inkrafttreten des ZuFinG II in den Handel an einem multilateralen Handelssystem nach § 2 Abs. 6 BörsG einbezogen werden, das kein Freiverkehr ist, und die Altgesellschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht börsennotiert ist und noch keine Aktien in den Handel an einem multilateralen Handelssystem einbezogen hatte (vgl. S. 56 des Entwurfs). Damit will der Gesetzgeber Art. 4 Abs. 1 lit. b) Ziff. i) Mehrstimmrechtsaktien-RL umsetzen, der auch für Gesellschaften gilt, deren Aktien in sonstigen MTF als dem Freiverkehr handelbar sind (vgl. S. 153 des Entwurfs).

Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sollten das Kabinett und das Parlament prüfen, ob kleinere Ausbesserungen des § 135a AktG vorgenommen werden sollten:

  • Die Verfallsklauseln des § 135a Abs. 2 AktG gelten auch dann, wenn die Aktien des Emittenten ohne einen Antrag in den Freiverkehr einbezogen wurden. Dies ist nicht sachgerecht. Vorzugswürdig wäre es, wenn § 135a Abs. 2 AktG nur auf Gesellschaften anwendbar wäre, deren Aktien mit Zustimmung des Emittenten in den Handel im Freiverkehr einbezogen wurden (so der begrüßenswerte Vorschlag von Ceesay, AG 2024, S2 Rz. 42 ff.; s. ferner zum Problem und zu Lösungsvorschlägen Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 34 f.).
  • Die übertragungsbezogene Verfallsklausel des § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG ist einerseits zu weit, weil sie auch Umstrukturierungsfälle erfasst, in denen der Inhaber der Mehrstimmrechtsaktie sich formell geändert hat, in wirtschaftlicher Hinsicht aber gleich geblieben ist (hierzu etwa Denninger/von Bülow, AG 2023, 417 Rz. 33; Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1166; Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 37). Andererseits ist sie zu eng, weil sie dem Wortlaut nach nicht eingreift, wenn eine rechtsfähige Personenvereinigung die Mehrstimmrechtsaktien hält und die Mitglieder jener Personenvereinigung wechseln (vgl. dazu Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 40 ff. m.w.N. zu Lösungsvorschlägen). Diese Konstellationen könnte der Gesetzgeber im Wortlaut des § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG abbilden.
  • Die Position der Mehrstimmrechtsaktionäre kann infolge von Kapitalmaßnahmen verwässern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf § 135a Abs. 1 Satz 3 AktG, der auch die (nachträgliche) Emission von Mehrstimmrechtsaktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung von der Zustimmung sämtlicher betroffenen Gesellschafter abhängig macht (zum Problem Ceesay, AG 2024, S2 Rz. 57 f.; Florstedt, ZGR 2024, 321, 343 f.; Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 70 ff.). Der Gesetzgeber könnte sich auch  dieses Problems (ergebnisoffen) annehmen.

Emittentenfinanzierte Analysen

Mit § 63a WpHG-E will der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 24 Abs. 3a-3d MiFID II, der ein Bestandteil des Listing Acts ist, die Vorschriften über die Analysen (Research), die bislang in § 70 Abs. 2 Satz 2-5, Abs. 3, Abs. 6a WpHG verortet waren, um weitere Vorgaben ergänzen (vgl. S. 19, 131 des Entwurfs). So wird in § 63a Abs. 1 Satz 1 WpHG-E angeordnet, dass Analysen redlich eindeutig sein müssen und nicht irreführend sein dürfen. Außerdem müssen Analysen nach § 63a Abs. 1 Satz 2 WpHG-E eindeutig als solche erkennbar sein, es sei denn, sie sind aufgrund von WpHG oder VO (EU) 2017/565 als Marketingmitteilungen zu kennzeichnen.

§ 63a Abs. 2 und 3 WpHG-E enthält Vorschriften über Analysen, die ganz oder teilweise durch Emittenten finanziert wurden (emittentenfinanzierte Analysen). In § 63a Abs. 2 WpHG-E geht es im Wesentlichen um die Kennzeichnungspflichten und die Einhaltung eines EU-Verhaltenskodex für emittentenfinanzierte Analysen, der nach Art. 24 Abs. 3d MiFID II erlassen werden kann. § 63a Abs. 3 WpHG-E statuiert Organisationspflichten, deren Erfüllung gewährleisten soll, dass die emittentenfinanzierten Analysen den Vorgaben des § 63a Abs. 1 und 2 WpHG-E entsprechen und unter Einhaltung des EU-Verhaltenskodex für emittentenfinanzierte Analysen erstellt wurden.

Zudem will das BMF § 70 Abs. 6a WpHG, der bislang die Analysen über Unternehmen mit geringer oder mittlerer Kapitalausstattung regelt (dazu Beule in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl. 2023, § 70 WpHG Rz. 26a), neu fassen (vgl. S. 20 des Entwurfs). Die Änderungen führen dazu, dass § 70 Abs. 6a WpHG den Charakter einer Sondervorschrift für Unternehmen mit geringer oder mittlerer Kapitalausstattung verliert: Nach § 70 Abs. 6a Satz 1 Nr. 3 WpHG-E soll es nicht mehr darauf ankommen, ob die Analysen „Emittenten betreffen, die in den 36 Monaten vor der Bereitstellung der Analysen eine Marktkapitalisierung von 1 Milliarde Euro nicht überschritten haben“. Neu eingefügt wird zudem § 70 Abs. 6b WpHG-E, in dem geregelt werden soll, wann die Bereitstellung von Analysen keine Zuwendung darstellt (zum unionsrechtlichen Hintergrund der Änderungen vgl. S. 131 des Entwurfs).

Schließlich soll die BaFin nach § 6 Abs. 2h WpHG-E die Befugnis haben, die Öffentlichkeit zu warnen oder die Verbreitung von emittentenfinanzierten Analysen durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen auszusetzen, wenn emittentengesponserte Analysen nicht im Einklang mit dem nach Art. 24 Abs. 3d MiFID erlassenen EU-Verhaltenskodex für emittentengesponserte Analysen erstellt wurden (vgl. S. 18, 130 des Entwurfs).

Weitere Änderungen des Wertpapierhandelsrechts

Weitere Regelungsvorschläge, die das Wertpapierhandelsrecht zum Gegenstand haben, betreffen:

  • Die Anpassung der Kataloge der §§ 2, 3 WpHG an die Änderungen der MiFID II und MiFIR (vgl. S. 12 ff., 125 des Entwurfs).
  • Die Befugnisse der BaFin nach § 6 WpHG (vgl. S. 13, 18 f., 125 f., 130 des Entwurfs).
  • Die Anpassung der §§ 40, 41, 46, 49-51, 114-116 WpHG an die geänderte Transparenz-RL (vgl. S. 24 f., 133 f. des Entwurfs); diese Änderungen stehen im Zusammenhang mit dem European Single Access Point (s. dazu noch unter Varia).
  • Die Selbstauskunft bei der Vermittlung des Vertragsschlusses über Wertpapiere i.S.d. § 6 WpPG: § 65a WpHG und § 6 WpPG sollen aufgehoben werden (S. 19, 43, 131, 142 des Entwurfs; aufschlussreich und mit Anpassungsvorschlägen zu § 6 WpPG, § 65a WpHG Schmoll, WM 2024, 631).
  • Die Aufhebung einer Reihe von Vorschriften über den Einsatz von Mitarbeitern der Wertpapierdienstleistungsunternehmen in § 87 WpHG (vgl. dazu S. 15, 128 des Entwurfs). Außerdem sollen Vorschriften, die bislang in §§ 1 bis 6 WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung (WpHGMaAnzV) verortet waren und die die Sachkunde der Mitarbeiter der Wertpapierdienstleistungsunternehmen betreffen, in §§ 14-21 WpDVerOV-E überführt werden, die (vgl. S. 29 ff., 136 f. des Entwurfs)
  • Die Erleichterung des Zugangs zu Drittstaatenhandelsplätzen: Die §§ 102-105 WpHG sollen ersatzlos gestrichen werden (zum teleologischen Hintergrund vgl. S. 129 des Entwurfs).
  • Die Bußgeldtatbestände des § 120 WpHG sollen an die materiell-rechtlichen WpHG-Änderungen angepasst werden (vgl. S. 16 ff., 23 f. des Entwurfs). Bei dieser Gelegenheit könnte der Gesetzgeber die Unklarheiten beseitigen, die mit § 120 Abs. 2 Nr. 14 WpHG einhergehen (Sanktionierung der Verstöße gegen § 86 Abs. 1 WpHG; zum Problem Harnos in BeckOK/WpHR, Ed. 12 Stand: 1.4.2024, § 86 WpHG Rz. 23.1).

Investitionsfreundliches Einkommensteuerrecht

In den Ministerialentwürfen zum ZuFinG I war eine Erhöhung des Freibetrags in § 3 Nr. 39 EStG von 1.440 € auf 5.000 € vorgesehen (vgl. RefE ZuFinG I, S. 27, 109, RegE ZuFinG I, BT-Drucks. 20/8292, 33, 129). Der Bundestag hat auf Beschlussempfehlung des Finanzausschusses hin die Freibetragsgrenze auf 2.000 € im Hinblick auf die haushalterischen Auswirkungen herabgesetzt (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG I, BT-Drucks. 20/9363, 56; krit. dazu Harnos, AG 2023, 873 Rz. 24).

Nunmehr schlägt das BMF abermals eine Erhöhung des Freibetrags in § 3 Nr. 39 EStG auf 5.000 € vor, die durch Änderungen der §§ 17, 20, 43a EStG flankiert werden soll (vgl. S. 62, 174 ff. des Entwurfs). Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß diesmal das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren überlebt. Zudem wäre es zweckmäßig, wenn die Konzernklausel, die noch in § 19a Abs. 1 Satz 3 AktG-RegE ZuFinG I vorgesehen war (vgl. RefE ZuFinG I, S. 28, 110, RegE ZuFinG I, BT-Drucks. 20/8292, 34, 130), wieder Eingang in das Gesetzgebungsverfahren fände (zur Streichung s. BeschlussE FinanzA ZuFinG I, BT-Drucks. 20/9363, 57; krit. dazu Harnos, AG 2023, 873 Rz. 24).

Energiewende im Investmentrecht

Außerdem sieht der Entwurf einige Änderungen des Investmentsteuergesetzes (InvStG) vor, die namentlich das Ziel verfolgen, die Fondsverwalter durch steuerliche Erleichterungen für die Energiewende zu begeistern (vgl. S. 57 ff., 156 ff. des Entwurfs). Die Vorschläge entsprechen im Wesentlichen dem Diskussionsentwurf, den das BMF im Mai 2024 präsentiert hat (hierzu Dahmen/Schneider-Deters, AG 2024, R188, R189 f.).

Auch die Anpassungen des KAGB betreffen die Energiewende (zur Streichung des grünen Investmentrechts im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zum ZuFinG I s. Harnos, AG 2023, 873 Rz. 26 f.). So soll § 1 Abs. 19 KAGB im Gleichlauf mit dem InvStG um eine neue Definition in Nr. 6a erweitert werden. Nach § 1 Abs. 19 Nr. 6a KAGB-E soll die Bewirtschaftung von erneuerbaren Energien i.S.d. KAGB erfassen: die Erzeugung, die Umwandlung, den Transport oder die Speicherung von Energie oder Energieträgern aus erneuerbaren Energien nach § 3 Nr. 21 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und nach § 3 Abs. 1 Nr. 15 des Wärmeplanungsgesetzes (WPG) sowie den Transport oder die Speicherung von Abwärme nach § 3 Nr. 21 des Energieeffizienzgesetzes (EnEfG). Darauf aufbauend sollen die materiell-rechtlichen Vorschriften in §§ 231, 261 KAGB im Sinne der Energiewende angepasst werden (vgl. S. 81 ff., 195 ff. des Entwurfs; hierzu auch bereits Dahmen/Schneider-Deters, AG 2024, R188 f.).

Varia

Ansonsten betreffen die Vorschläge:

  • Das zentrale europäische Zugangsportal (European Single Access Point – ESAP), das mit der ESAP-VO (EU) 2023/2859 eingerichtet wird und dessen registerrechtliche Grundlage in Deutschland in § 9d HGB-E verankert werden soll (vgl. S. 8 f., 121 f. des Entwurfs). Weitere Regelungen sollen die ESAP-VO (EU) 2023/2859 und den § 9d HGB-E ergänzen (s. etwa §§ 325, 328b HGB, §§ 24b, 76 Abs. 1a, § 124 Abs. 5, § 125 Abs. 5 WpHG-E, §§ 9a, 14, 27 WpÜG-E, § 23 WpPG-E, §§ 10a, 48a Abs. 1b, § 50a BörsG-E, §§ 120a, 130, 134b-134d AktG-E, §§ 11a, 35, 38, 42, 51, 66a, 77, 140, 174 SAG-E, §§ 37, 69 WPO-E, § 34d Abs. 11 GewO-E, § 7c KWG-E, § 8a WpIG-E, § 3b PfandBG-E, § 330a VAG-E).
  • Das Wertpapierprospektgesetz (WpPG), das insbesondere an die Regelungen des Listing Acts angepasst werden soll (zum Hintergrund vgl. S. 139 ff. des Entwurfs).
  • Die prospektfreie Schwarmfinanzierung durch Ausgabe von Genossenschaftsanteilen, die Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG sind (s. die Ergänzung des § 2a Abs. 1 VermAnlG und S. 54 f., 150 des Entwurfs).
  • Das REIT-Gesetz, das für die Zwecke der Energiewende eingespannt werden soll (vgl. S. 56, 153 ff. des Entwurfs).
  • Die elektronischen Wertpapiere: § 20 eWpG, der diverse Veröffentlichungen im Bundesanzeiger vorsieht (dazu etwa Gleske/​Klingenbrunn in Hopt/​Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2. Aufl. 2023, § 20 eWpG Rz. 1 ff.), soll komplett gestrichen werden (vgl. S. 57, 155 des Entwurfs). Flankiert wird die Streichung durch Art. 55 ZuFinG II-E, der das ZuFinG I hinsichtlich des § 20 eWpG ändern soll (vgl. S. 95, 208 f. des Entwurfs).
  • Die Änderungen des KWG (vgl. S. 66 ff., 179 ff. des Entwurfs) und die damit verbundene Anpassung des Millionenkreditmeldeverfahrens (s. § 15 Abs. 1a Großkredit- und Millionenkredit-VO-E sowie S. 71, 185 des Entwurfs); auch das WpIG soll angepasst werden (vgl. S. 78 ff., 192 ff. des Entwurfs).
  • Das Zahlungsdiensterecht: Einige ZAG-Vorschriften sollen geändert werden (vgl. S. 73 ff., 187 ff. des Entwurfs).

BGH hebt OLG Celle in Sachen Geschäftsführerabberufung (Martin Kind) bei der Hannover 96 Management GmbH auf und weist Klage ab

Der Inhalt der Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH

Der BGH hat mit Urteil vom 16.7.2024 die Berufungsentscheidung des OLG Celle in Sachen Abberufung des Geschäftsführers (Martin Kind) der Komplementär-GmbH der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA aufgehoben und die Beschlussmängelklage abgewiesen. Der Gesellschafterbeschluss über die Abberufung des Klägers Martin Kind als Geschäftsführer ist damit nicht nichtig, sondern wirksam. Abweichend vom OLG Celle als Berufungsgericht wird vom II. Zivilsenat sowohl eine Nichtigkeit analog § 241 Nr. 3 AktG als auch eine Sittenwidrigkeit analog § 241 Nr. 4 AktG verneint. Die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH könne nur eine Verletzung von tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts begründen. Dazu gehörten nicht Satzungsbestimmungen, die einem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen. Im konkreten Fall zähle auch die Beachtung des sog. Hannover-96-Vertrags nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Der Abberufungsbeschluss verstoße durch seinen Inhalt nicht gegen die guten Sitten und er begründe auch keine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen. Ein bloßer Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung der GmbH mache einen Gesellschafterbeschluss zwar anfechtbar, aber nicht sittenwidrig. Auch einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags oder einer Gesamtbetrachtung begründe nicht die Sittenwidrigkeit des Beschlusses.

Darüber hinaus ist der Abberufungsbeschluss nach Ansicht des BGH nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig. Zudem sei der Kläger wegen fehlender Gesellschafterstellung in der Komplementär-GmbH nicht befugt, im Wege einer Anfechtungsklage etwaige Verletzungen der GmbH-Satzung geltend zu machen.

Die komplexe Beteiligungsstruktur bei Hannover 96 und der Hannover-96-Vertrag im Konflikt mit der 50+1-Regel des DFB

Der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. ist Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH. Der im BGH-Fall klagende Martin Kind ist im Handelsregister als Geschäftsführer der verklagten Komplementär-GmbH eingetragen. Die Beklagte ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die den Profifußball-Bereich unterhält, also zurzeit die am Spielbetrieb der 2. Fußball-Bundesliga teilnehmende Lizenzspielermannschaft Hannover 96.

Kommanditaktionärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, die darüber hinaus zu 100 % an der Hannover 96 Arena GmbH & Co. KG beteiligt ist. Einzige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, an der Martin Kind mit 52,73 % und der Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann mit 19,76 % beteiligt ist (https://de.wikipedia.org/wiki/Hannover_96#Hannover_96_GmbH_&_Co._KGaA).  Nach der Satzung der verklagten Hannover 96 Management GmbH ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Im August 2019 wurde zwischen dem Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG der sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen, der vorsieht, dass der zu 100 % an der Komplementär-GmbH der KGaA beteiligte Verein Hannover 96 die Satzung dieser GmbH nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt. Dies bezieht sich insbesondere auf den Passus der GmbH-Satzung, die der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers einräumt (vgl. dazu OLG Celle, GmbHR 2023, 739).

Nach § 16c Nr. 2 der Satzung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kann ein Verein nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der Deutsche Fußball Liga (DFL) erwerben, wenn er rechtlich unabhängig ist, das heißt auf ihn kein Rechtsträger einen rechtlich beherrschenden oder mitbeherrschenden Einfluss ausüben kann. Eine Kapitalgesellschaft kann gem. § 16c Nr. 3 Satz 1 DFB-Satzung nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der DFL erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Der Mutterverein ist gem. § 16c Nr. 3 Satz 3 DFB-Satzung an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt (sog. 50+1-Regel). Bei Wahl der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) muss gem. § 16c Nr. 3 Satz 4 DFB-Satzung der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben.

Abberufungsbeschluss und die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses analog § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG

Im Juli 2022 fassten Vertreter des Alleingesellschafters Hannover 96 e.V. in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der verklagten Komplementär-GmbH den Beschluss, den klagenden Geschäftsführer Martin Kind „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer“ der GmbH abzuberufen.

Das Landgericht Hannover hat die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG festgestellt und der Klage stattgegeben. Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“. § 241 Nr. 3 AktG ist entsprechend auf Gesellschafterbeschlüsse der GmbH anwendbar (vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 16 ff.; Wertenbruch in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 89 ff.).

Die dagegen gerichtete Berufung der verklagten Hannover 96 Management GmbH wies das Oberlandesgericht Celle nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung zurück, weil die Berufung „offensichtlich“ keine Aussicht auf Erfolg habe. Das Tatbestandsmerkmal „offensichtlich“ ist im Jahre 2011 im Rahmen der Reform des § 522 Abs. 2 ZPO in diese Vorschrift eingefügt worden, weil § 522 Abs. 2 ZPO a.F. von den Berufungsgerichten sehr unterschiedlich angewendet worden war und insoweit ein Vertrauensverlust der Bürger drohe (vgl. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 1). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2002, 814 f. zu § 349 StPO) führt der Rechtsausschuss aus, dass eine Berufung dann „offensichtlich aussichtslos“ sei, wenn „für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können“ (Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 9; vgl. dazu Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 Rz. 36).

In der Sache bejahte das OLG Celle wegen Kompetenzwidrigkeit eine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses analog § 241 Nr. 3 AktG, weil der Abberufungsbeschluss nicht vom GmbH-Aufsichtsrat gefasst worden sei, und wegen Sittenwidrigkeit in analoger Anwendung des § 241 Nr. 4 AktG. Der Hannover 96 e.V. sei sich als Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH seiner im Hannover-96-Vertrag eingegangenen Bindung bewusst gewesen und habe daher die satzungsmäßige Kompetenzverteilung bewusst unterlaufen (OLG Celle, GmbHR 2023, 739, 740 ff.). Verfahrensrechtlich wurde vom OLG Celle die Revision zum BGH nicht zugelassen. Die dagegen beim BGH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte allerdings Erfolg. Mit Beschluss vom 27.2.2024 (II ZR 71/23) ließ der insbesondere für Gesellschaftsrecht und Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat die Revision zu, wodurch das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren weitergeführt wurde.

Gesellschaftsrechtliche und verbandsrechtliche Konsequenzen

Der BGH musste zwar über die Reichweite der „50 + 1“ – Regel der DFB-Statuten im Beteiligungsgeflecht von Hannover 96 nicht entscheiden, weil dies für den konkreten Streitgegenstand nicht einschlägig war. Die verbandsrechtliche Pointe bestand bislang darin, dass die Komplementär-GmbH der Profifußball KGaA zwar – in Konkordanz mit den DFB-Statuten – formal zu 100 % vom Idealverein Hannover 96 beherrscht wird. Der wirksam abberufene Geschäftsführer hatte aber über seine Mehrheitsbeteiligung an der einzigen Kommanditaktionärin, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, und den Hannover-96-Vertrag auch Mitentscheidungsrechte im Bereich der Komplementär-GmbH. Es war daher sehr fraglich, ob das Weisungsrecht des Idealvereins als Alleingesellschafter aus § 37 Abs. 1 GmbHG einen ausreichenden Einfluss sicherte. Mit der Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer ist die verbandsrechtliche Dimension zwar zumindest temporär entschärft. Ansprüche wegen Verletzung des Hannover-96-Vertrags sind aber nicht vom Tapet, und bei der Bestellung eines neuen Geschäftsführers stellt sich wieder die Problematik der Mitentscheidungsrechte der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG über den Aufsichtsrat der GmbH.

KapMuG-Reform: Problematische Änderungen im Rechtsausschuss

Am 13.6.2024 fand im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Beratung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) statt (vgl. BT‑Drucks. 20/10942). Wenige Tage zuvor haben die Regierungsfraktionen tiefgreifende und überwiegend ausgesprochen problematische Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf vorgeschlagen, die Gegenstand dieser Beratungen waren. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen zurück auf die Empfehlungen des Rechtsausschusses (BT‑Drucks. 20/11787). Im Folgenden werden die vom Rechtsausschuss empfohlenen und vom Bundestagsplenum angenommenen wesentlichen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs kritisch gewürdigt.

Neufassung von Feststellungszielen im Eröffnungsbeschluss

Das Oberlandesgericht ist nach dem Regierungsentwurf nicht mehr an den Vorlagebeschluss des Landgerichts gebunden, sondern erlässt einen eigenen Eröffnungsbeschluss (§ 9 Abs. 1 KapMuG-E). Diese wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage soll die Verfahrensherrschaft des Oberlandesgerichts stärken (BT‑Drucks. 20/10942, 33). Nicht vollständig geklärt war bislang, welcher Prüfungsmaßstad für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses gelten soll und inwieweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele „inhaltlich zuschneiden“ können soll.

Der Rechtsausschuss empfiehlt nun, dass das Oberlandesgericht die Feststellungsziele innerhalb des durch die vorgelegten Musterverfahrensanträge gezogenen Rahmens auch teilweise oder gänzlich „neu fassen“ kann, um die Sachdienlichkeit der Klärung des betreffenden Feststellungsziels im Musterverfahren erst herzustellen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KapMuG‑E; Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 46 f.). Gegenüber dem Regierungsentwurf soll damit der Spielraum des Oberlandesgerichts beim Erlass seines Eröffnungsbeschlusses und der Festlegung der Feststellungsziele erweitert werden. In der Regierungsbegründung wurde jedoch zu Recht klargestellt, dass sich das Oberlandesgericht bei der Bestimmung der Feststellungsziele im Einklang mit § 308 Abs. 1 ZPO innerhalb des durch die vorlegten Musterverfahrensanträge bestimmten potenziellen Rahmens des Musterverfahrens halten muss (BT‑Drucks. 20/10942, 34).

Das von der Beschlussempfehlung angestrebte (sehr) weite Ermessen des Oberlandesgerichts bei der Festlegung der Feststellungsziele darf keinesfalls dazu führen, dass das Oberlandesgericht im Eröffnungsbeschluss gleichsam von Amts wegen und damit entgegen § 308 Abs. 1 ZPO den Streitgegenstand des Musterverfahrens selbst bestimmt. Vielmehr muss auch weiterhin die Maxime gelten, dass auf der Grundlage unzulässiger Musterverfahrensanträge kein Musterverfahren durchgeführt werden darf (vgl. zum RegE: Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1062).

Zu weitgehende Lockerung des Aussetzungsmaßstabs

Dreh- und Angelpunkt einer sachgerechten Verbindung der Ausgangsverfahren vor den Landgerichten mit dem Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht ist das Merkmal der „Abhängigkeit“ der Ausgangsverfahren von der Klärung der Feststellungsziele im Musterverfahren (derzeit § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG).

Die Beschlussempfehlung sieht nun vor, dass alle Ausgangsverfahren ausgesetzt werden sollen, die „voraussichtlich“ von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen (§ 10 KapMuG-E). Das Prozessgericht soll eine „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ treffen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47). Es soll damit ein sog. abstrakter Abhängigkeitsbegriff kodifiziert werden, die eine Abkehr von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeuten würde, nach der ein konkreter Maßstab bei der Aussetzungsentscheidung anzulegen ist (vgl. BGH v. 30.4.2019 – XI ZB 13/18, WM 2019, 1553).

Nach der sachgerechten Rechtsprechung des BGH dürfen nur diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen vor der Aussetzung offenbleiben, die den Feststellungszielen des Musterverfahrens nachgelagert sind und die nur auf der Grundlage des Musterentscheids sinnvoll beantwortet werden können. Zu allen anderen Tatsachenfragen ist ggf. Beweis zu erheben, bevor das betreffende Ausgangsverfahren ausgesetzt werden kann. Diese Rechtsprechung beruht auf zentralen verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzerwägungen: Die Beteiligung an einem Musterverfahren bei gleichzeitiger Aussetzung des eigenen Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht ist den Parteien nicht zuzumuten, wenn nicht feststeht, dass es für ihren individuellen Rechtsstreit auf den Ausgang des Musterverfahrens ankommt. Wenn die im Musterverfahren zu klärenden Feststellungsziele für das eigene Ausgangsverfahren unerheblich sind, darf das Ausgangsverfahren nicht ausgesetzt werden, weil den Parteien ansonsten der verfassungsrechtlich gewährte effektive Rechtsschutz verweigert wird.

Schon unter dem geltenden Recht sind die Landgerichte incentiviert, mit leichter Hand selbst unzulässige, unschlüssige und selbst Klagen, in denen es nicht einmal um kapitalmarktrechtliche Haftungsnormen geht, auszusetzen und die Prozessparteien mit ihrem Rechtsstreit gleichsam in einem KapMuG-Verfahren „zu parken“ (vgl. dazu eingehend Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1065 ff.). Die Einführung eines abstrakten Aussetzungsmaßstabs würde zur Folge haben, dass die Landgerichte noch schneller Verfahren aussetzen könnten, zumal die dann nur noch geforderte „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ kaum justiziabel wäre. Die Aussetzungsstreitigkeiten würde sich dann zwangsläufig in das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht verlagern, was zu erheblichen Verfahrenszögerungen führen würde.

Die angestrebte Lockerung des Gesetzgebers bei der Aussetzung der Ausgangsverfahren wird auch das von ihm angestrebte Ziel, die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren zu verringern (BT‑Drucks. 20/10942, 25, 35), offensichtlich verfehlen. Will der Gesetzgeber die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren verringern, muss er einen konkreten Abhängigkeitsmaßstab wählen, wie ihn die Rechtsprechung bereits vorgegebenen hat, damit nur solche Verfahren ausgesetzt werden, deren Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht konkret von den Feststellungszielen abhängt. Bei einem abstrakten Maßstab würden eher mehr als weniger Verfahren ausgesetzt werden (sofern der Kläger einen Antrag auf Aussetzung stellt, dazu sogleich), da die Voraussetzungen niedriger sind.

Will der Gesetzgeber das Musterverfahren „entschlacken“ (zu diesem trügerischen Gesetzgebungsziel s. Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1064), muss bereits auf der Ebene der Landgerichte – wie in anderen Zivilprozessen auch – frühzeitig die „Spreu vom Weizen getrennt“ werden. Es dürfen nur zulässige und schlüssige Ausgangsverfahren ausgesetzt werden, da nur deren Prozessparteien ein legitimes Interesse am Ausgang des Musterverfahrens haben. Nur dieses Regelungsmodell fördert die Effektivität der Streiterledigung bei kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren und wird dem Anspruch der Parteien auf effektiven Rechtsschutz gerecht.

Aussetzungsantrag nur noch vom Kläger

Weiter sieht die Beschlussempfehlung vor, dass nur noch der Kläger einen Aussetzungsantrag stellen kann (§ 10 Abs. 2 KapMuG-E). Der Beklagte soll keine Möglichkeit mehr haben, alle gegen sich gerichteten Verfahren, die von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen, zu bündeln. Seine Verteidigungsmöglichkeiten würden damit erheblich und ohne Sachgrund eingeschränkt. Als Begründung wird angeführt, mit dieser Regelung die „klägerische Dispositionsbefugnis über die Art und Weise der Rechtsverfolgung“ stärken zu wollen. Ein etwaiges Interesse des Beklagten, sich nur in einem einheitlichen Musterverfahren verteidigen zu müssen, trete dahinter zurück (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47).

Die mit dieser Änderung angestrebten vermeintlichen Rechtsschutzverbesserung für die Kläger wird allerdings in der Regel nicht erreicht werden, wenn einzelne Ausgangsverfahren parallel zum Musterverfahren geführt werden. Sofern es in den Parallelprozessen zumindest teilweise um identische Streitfragen geht, besteht – neben der Gefahr von widersprechenden Entscheidungen – das erhebliche Risiko paralleler Beweisaufnahmen in Parallel- und Musterverfahren. Denn der Sachverhalt müsste sowohl im Parallelprozess als auch im Musterverfahren ermittelt werden, so dass bei streitigen entscheidungserheblichen Tatsachen Beweis erhoben werden muss. Der Vorteil des Musterverfahrens liegt schließlich gerade in der einheitlichen Entscheidung über kollektive entscheidungserhebliche Streitfragen. Dieses Kernmerkmal des KapMuG-Modells würde mit der vorgesehenen Änderung weitgehend aufgegeben werden, da nicht einmal der Beklagte Verfahren, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, in einem Musterverfahren bündeln kann. Es droht eine Zersplitterung der kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren. Dies würde das Ziel einer effizienten Verfahrensführung und der Entlastung der Justiz geradezu konterkarieren. Es gilt stattdessen, Waffengleichheit zwischen Kläger und Beklagten herzustellen und beiden Seiten ein Antragsrecht auf Aussetzung des Verfahrens einzuräumen.

Vorlage von Beweismitteln

Gänzlich neu ist § 17 KapMuG-E, der die Vorlage von Beweismitteln regeln und eine Konkretisierung des Regelungsgedankens der §§ 142 ff. ZPO darstellen soll.  Die Regelung ist an § 33g GWB angelehnt (s. dazu Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 ff.).

Bei der prozessualen Dokumentenvorlage nach § 142 ZPO stellen die Gerichte hohe Anforderungen bezüglich der Identifizierung und des behaupteten Inhalts der vorzulegenden Dokumente; eine Ausforschung der Gegenpartei soll vermieden werden (Bünnigmann in Anders/Gehle, 82. Aufl. 2024, § 142 ZPO Rz. 8). Auch nimmt § 142 ZPO dem Kläger nicht seine allgemeine Darlegungs- und Substantiierungslast ab. Diese Grundsätze sollen auch beim neuen § 17 KapMuG-E gelten, wobei die Beweismittel so genau bezeichnet werden müssen, „wie dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist„.

Die Beschlussempfehlung will mit dieser Regelung die bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten angeblich bestehenden wechselseitigen Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten abbauen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 48). Dabei soll das Informationsinteresse des Antragstellers mit den Geheimhaltungsinteressen des Anspruchsgegners sorgfältig abgewogen und, sofern möglich, in einen Ausgleich gebracht werden. Dazu sieht § 17 Abs. 3 KapMuG-E eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. In diesem Spannungsfeld obliegt es dem um Auskunft ersuchten Unternehmen bzw. seiner Prozessbevollmächtigten, dessen berechtigten Schutzinteressen durchzusetzen. Vielfach wird auf die zu § 33g GWB entwickelten Grundsätze zurückzugreifen seien, wobei den kapitalmarktrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen wäre. Die neuen Regelungen zur Beweismittelbeschaffung werden – sofern sie denn überhaupt Eingang ins Gesetz finden – in künftigen Musterverfahren eine zentrale Rolle spielen und zu erheblichen (Neben-)Streitigkeiten mit entsprechenden Verfahrensverzögerungen führen. Warum ausgerechnet in kapitalmarktrechtlichen Haftungsstreitigkeiten größere Sachaufklärungsmöglichkeiten mit entsprechendem Ausforschungs- und Missbrauchspotential als in anderen Zivilrechtsprozessen bestehen sollen, ist nicht ersichtlich. Gerade das Ziel einer verbesserten Verfahrenseffizienz wird sicherlich nicht dadurch gefördert werden, dass nun auch im Kapitalmarkthaftungsrecht eine am US-Prozessrecht orientierte „Discovery light“ eingeführt wird.

Evaluation in fünf Jahren

Zu begrüßen ist demgegenüber die vorgesehene Evaluation des neuen KapMuG in fünf Jahren. Hier wird sich zeigen, ob die dann getroffenen Änderungen zielführend waren oder – wie hier vorhergesagt – dazu geführt haben, dass sich die Rahmenbedingungen für kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten nicht wesentlich verbessert haben.

Fazit

Der Bundestag hat das Reformgesetz noch vor der Sommerpause in der Sitzung am 13.6.2024 beschlossen, damit das derzeitige KapMuG zum 31.8.2024 nicht ausläuft. Der Bundesratsbeschluss steht noch aus; er kann in der Sitzung am 14.6.2024 oder am 5.7.2024 erfolgen. Die durch den Rechtsausschuss vorgeschlagenen Änderungen kommen sehr spät und sind überwiegend wenig zielführend, sondern vielmehr aus vielerlei Gründen hochproblematisch. Es steht zu befürchten, dass die vom Gesetzgeber angestrebte Verfahrensbeschleunigung mit diesen vorgeschlagenen Änderungen eher konterkariert als bestärkt wird.

OLG Hamburg und OLG Köln zur Gesellschaftsregistereintragung der rechtsfähigen GbR

Nach der MoPeG-Regelung des § 707a Abs. 2 Satz 1 BGB ist die rechtsfähige Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) i.S.d. § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB mit der Eintragung verpflichtet, als Namenszusatz die Bezeichnungen „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“ zu führen. In der Literatur ist umstritten, ob bei der Eintragung einer GbR in das neue Gesellschaftsregister der Rechtsformzusatz „eGbR“ zwingend am Ende des Gesellschaftsnamens stehen muss. Das Hanseatische OLG Hamburg hat mit Beschluss vom 22.4.2024 – 11 W 19/24 die Eintragung einer GbR unter dem Namen „eGbR …“, also mit vorangestelltem Rechtsformzusatz, als zulässig angesehen. Das AG Hamburg hatte als Registergericht die Eintragung abgelehnt, weil der Rechtsformzusatz am Ende angefügt, also dem Namen nachgestellt werden müsse. Mit Beschluss vom 24.4.2024  – 4 Wx 4/24 hat das OLG Köln die Eintragung einer GbR unter dem Namen „O. eGbR D.-straße N01“ sanktioniert. Der Rechtsformzusatz ist hier in den Gesellschaftsnamen integriert. Das AG Köln hatte – wie das AG Hamburg – im Rahmen der Ablehnung des Eintragungsantrags die Auffassung vertreten, dass der Rechtsformzusatz „eGbR“ dem Namen immer nachgestellt sein müsse und daher auch nicht in der Mitte des Namens platziert sein dürfe.

Das OLG Hamburg und das OLG Köln reklamieren zu Recht für ihre Auffassung, dass § 707a Abs. 2 BGB – ebenso wie § 19 Abs. 1 HGB – eine bestimmte Platzierung des Rechtsformzusatzes nicht vorschreibt, sondern vielmehr insoweit eine Gestaltungsfreiheit statuiert, solange die zur Eintragung angemeldete Namenskonfiguration keinen irreführenden Charakter aufweist. Die in der Literatur vertretene und von den Vorinstanzen zugrunde gelegte abweichende Auffassung, nach der – in Abweichung von dem für OHG und KG geltenden § 19 Abs. 1 HGB – der Rechtformzusatz „eGbR“ immer dem Gesellschaftsnamen als Kernbestandteil der Eintragung nachgestellt sein müsse, wurde in den OLG-Beschwerdeentscheidungen zu Recht abgelehnt. Zulässig sind demnach in Bezug auf die Platzierung des Rechtsformzusatzes beispielsweise folgende GbR-Eintragungen: „eGbR Schlossallee 1“ sowie „A & B eGbR Parkstraße 2“ oder „C & D Vermögensverwaltung eGbR“.

Die im Gesellschaftsregister als Subjektregister bis zur Grenze der Irreführung des Rechts- und Geschäftsverkehrs freigestellte Platzierung des Rechtsformzusatzes „eGbR“ determiniert die Art und Weise der nach § 47 Abs. 2 GBO, § 15 Abs. 1 Nr. 2 GBV erfolgenden Eintragung der eGbR in das Grundbuch als Objektregister (vgl. dazu Begründung Regierungsentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 206, 208; Mauracher Entwurf der Expertenkommission MoPeG, S. 148 ff. [https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Dokumente/MauracherEntwurf.pdf?__blob=publicationFile&v= 3, zuletzt abgerufen am 3.6.2024]). Das Gleiche gilt für die Aufnahme der eGbR als Inhaberin eines GmbH-Geschäftsanteils in die gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nach Wirksamwerden jeder Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung neu zu erstellende Gesellschafterliste. Auch die GmbH-Gesellschafterliste hat mit Inkrafttreten des MoPeG für die GbR nur noch die Funktion eines Objektregisters, das in Bezug auf die Eintragung der GbR an das Gesellschaftsregister als Subjektregister anknüpft (vgl. Begründung Regierungsentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 108 f.; Mauracher Entwurf, S. 197; zu den Einzelheiten der Eintragung in die Gesellschafterliste unter Berücksichtigung des Voreintragungserfordernisses Wertenbruch/Alm, GmbHR 2024, 225). Entsprechendes gilt für die Eintragung der GbR in das Aktienregister nach § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG und in das Gesellschaftsregister oder Handelsregister gem. § 707a Abs. 1 Satz 2 BGB beziehungsweise i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB als Gesellschafterin einer anderen rechtsfähigen Personengesellschaft. Die unter obligatorischer Vergabe einer Registernummer vollzogene Eintragung der GbR im Gesellschaftsregister als Subjektregister entfaltet daher in Bezug auf den GbR-Namen einschließlich Positionierung des Rechtsformzusatzes „eGbR“ eine Tatbestandswirkung bei der nachfolgenden Eintragung in ein Objektregister.

 

 

 

 

KapMuG-Reform: Erste Lesung im Bundestag

Am 11.4.2024 fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (BT-Drucks. 20/10942) statt. Bundesjustizminister Buschmann brachte den Entwurf mit den aus den bisherigen Publikationen bekannten Argumenten ein. Das KapMuG soll über sein derzeitiges Verfallsdatum am 31.8.2024 unbefristet und neben den zwischenzeitlich geschaffenen Instrumenten der Verbandsklage beibehalten werden. Die Verfahren sollen allerdings beschleunigt werden. Die Stellung der Oberlandesgerichte im Musterverfahren soll gestärkt werden. Anders als bisher sollen solche Parteien, die sich nicht am Musterverfahren beteiligen wollen, nicht mehr ins Musterverfahren gedrängt werden (vgl. § 8 KapMuG vs. § 10 KapMuG-RegE). Schließlich sollen Musterverfahren schneller als herkömmliche Zivilverfahren digitalisiert werden.

Die anschließende Plenardebatte zeigte, dass die weitere Entwicklung des KapMuG in den Einzelheiten offenbleibt. Rednerinnen und Redner aller Fraktionen begrüßten zwar im Grundsatz die geplante Fortführung des KapMuG und die Bemühungen der Bundesregierung um Verfahrensbeschleunigung. Im Übrigen zeigte sich ein äußert buntes Bild von Redebeiträgen, in denen ganz unterschiedliche Themen behandelt wurden:

  • Vertreter der Unionsfraktion kritisierten zu viel gesetzgeberisches Klein-Klein und vermissten einen noch größeren Wurf, der insbesondere auch materiellrechtliche Themen (welche?) einschließen solle. Überdies sprach sich die Union für eine erneute Befristung des KapMuG und entsprechende Evaluierung aus. Einen Finger in eine offene Wunde legte die Kritik, dass nach derzeitigem Stand nur das erstinstanzliche Musterverfahren beschleunigt digitalisiert werden soll.
  • Die SPD-Fraktion befürwortete, dass Kapitalanlegermusterverfahren weiterhin neben den neu eingeführten Verbandsklagen zulässig sein sollte. Sie sprach sich dafür aus, die zwangsweise Aussetzung von Ausgangsverfahren nach § 8 KapMuG beizubehalten, weil nur dies unzählige Parallelprozess vermeide. Im Übrigen sprach sich die SPD losgelöst vom Verfahrensrecht im engeren Sinne auch dafür aus, eine Ausweitung des § 33g GWB, also des Anspruchs auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften, für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten zu erwägen.
  • Im zuletzt genannten Punkt pflichtete die Rednerin von Bündnis 90/Die Grünen der SPD-Vertreterin zu. Sie regte ferner an, der Gesetzgeber möge die strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zum Maß der erforderlichen Abhängigkeit des Ausgangsrechtsstreits vom Musterverfahren (gemeint war wohl der Beschluss des BGH v. 30.4.2019 – XI ZB 13/18, ZIP 2019, 1615 m. Komm. Dörrscheidt/Hettenbach, EWiR 2019, 585; s. dazu auch Klöhn/Zell, ZIP 2024, 321) gesetzgeberisch lockern.

Bei einer solchen Bandbreite der Wortbeiträge, die von Details des Verfahrensablaufs über den zentralen Dreh- und Angelpunkt des kollektiven Rechtsschutzes (Opt-In oder nicht?) bis hin zum materiellen Recht gehen, kann der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nur mit Spannung erwartet werden.

Shareholder activism bei ProSiebenSat.1: Aufsichtsratsbesetzung und Abspaltung von Unternehmenssegmenten

Seit einigen Jahren ist in Deutschland ein zunehmender Aktionärsaktivismus zu beobachten (aufschlussreiche aktuelle Bestandsaufnahme bei Rieckers, DB 2024, 439, 444; aus älterer Zeit etwa Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49; Schockenhoff/Culmann, ZIP 2015, 297, 299). Neben Öffentlichkeitskampagnen greifen aktivistische Investoren auch auf hauptversammlungsbezogene Aktionärsrechte zurück, um ihre Anliegen durchzusetzen (Überblick über die Möglichkeiten bei Schäfer/Wucherer, AG 2023, 483 Rz. 11 ff.). Hierzu gehören insbesondere Gegenanträge und Wahlvorschläge nach §§ 126, 127 AktG (s. Schäfer/Wucherer, AG 2023, 483 Rz. 31; zum Fall Brenntag in der HV-Saison 2023 Rieckers, DB 2024, 439, 444) sowie das Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG (hierzu etwa Kuthe/Beck, AG 2019, 898 ff.; Schäfer/Wucherer, AG 2023, 483 Rz. 41).

Aktionärsstruktur der ProSiebenSat.1

In der aktuellen Hauptversammlungssaison dürfte das Aktionärstreffen der ProSiebenSat.1 Media SE (im Folgenden: ProSiebenSat.1) das – aus rechtlicher und unternehmenspolitischer Perspektive – interessanteste Beispiel für den Aktionärsaktivismus sein. Die Besonderheit des Falles liegt zunächst darin, dass weder aktivistische Fonds noch Aktionärsvereinigungen noch Nichtregierungsorganisationen im Zentrum stehen, sondern ein Großaktionär: Die MFE-MEDIAFOREUROPE N.V. (im Folgenden: MFE) mit Satzungssitz in Amsterdam und Verwaltungssitz in Cologno Monzese bei Mailand, deren CEO Pier Silvio Berlusconi – der Sohn des ehemaligen italienischen Premierministers – ist und an der die Familie Berlusconi maßgeblich beteiligt ist, hält 26,58% der Aktien der ProSiebenSat.1. Rechnet man die gem. § 71b AktG stimmrechtslosen eigenen Aktien der ProSiebenSat.1 hinweg, beläuft sich der Stimmenanteil der MFE auf 27,32%. Der zweitgrößte Aktionär, die PPF Group N.V. (im Folgenden: PPF) – ein Finanzinvestor im Familienbesitz mit Satzungssitz in Amsterdam und Verwaltungssitz in Prag – ist mit 11,60% am Grundkapital der ProSiebenSat.1 beteiligt und hält 11,92% der Stimmrechte. 59,12% der Aktien bzw. 60,76% der Stimmrechte befinden sich im Streubesitz (s. die Aktionärsstruktur der ProSiebenSat.1).

Aktionärsvorschläge im Überblick

Die beiden Großaktionäre haben – zum Teil durchaus öffentlichkeitswirksam – für Wirbel gesorgt, indem sie die Verwaltungsorgane der ProSiebenSat.1 dazu gezwungen haben, fünf Vorschläge auf die Tagesordnung der Hauptversammlung 2024 zu setzen:

  • Zwei eigene Kandidaten zur Aufsichtsratswahl 2024 (MFE und PPF);
  • Abberufung des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden (nur MFE);
  • Vorbereitung der Abspaltung der Unternehmenssegmente Commerce & Ventures und Dating & Video (nur MFE);
  • Neugestaltung des genehmigten Kapitals (nur MFE);
  • Erweiterung der statutarischen Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats auf M&A-Transaktionen.

Wahlvorschläge der Großaktionäre

In der diesjährigen Hauptversammlung der ProSiebenSat.1 steht als TOP 8 die Wahl von drei Aufsichtsratsmitgliedern an. Der Aufsichtsrat hat Klára Brachtlová (die eine Leitungsposition in einer Tochtergesellschaft der PPF bekleidet), Marjorie Kaplan und Pim Schmitz (der ein Director einer Holdinggesellschaft ist, deren Tochtergesellschaft im Produktionsbereich eine Geschäftsbeziehung zur ProSieben.Sat1 unterhält) zur Wahl vorgeschlagen. Die beiden Großaktionäre haben gem. § 127 AktG Wahlvorschläge für die Aufsichtsratswahl unterbreitet. Die MFE schickt Leopoldo Attolico gegen Schmitz ins Rennen. Die PPF schlägt Christoph Mainusch statt Kaplan oder Schmitz zur Wahl vor. Der Aufsichtsrat hält in seiner Stellungnahme zu den Aktionärsvorschlägen an seinem ursprünglichen Vorschlag fest.

Weil die Hauptversammlung der ProSiebenSat.1 virtuell i.S.d. § 118a AktG stattfindet, greift die Antragsfiktion nach § 126 Abs. 4 AktG i.V.m. § 127 Satz 1 AktG ein. Das führt gem. § 126 Abs. 4 Satz 2 AktG dazu, dass die ProSiebenSat.1 den Aktionären schon im Vorfeld der Hauptversammlung die Wahl der oppositionellen Kandidaten ermöglichen muss (s. dazu Rieckers in BeckOGK/AktG, Stand: 1.2.2024, § 126 AktG Rz. 65 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 127 AktG Rz. 21 i.V.m. § 126 AktG Rz. 72).

Die PPF will zudem sicherstellen, dass die Hauptversammlung über ihren Wahlantrag vor dem Wahlvorschlag des Aufsichtsrats abstimmt und die vorgezogene Abstimmung über ihren Antrag auch in den Briefwahlunterlagen und im Aktionärsportal zum Ausdruck kommt. Die Festlegung der Abstimmungspriorität kann die PPF gem. § 137 AktG durchsetzen, wenn eine Minderheit der Aktionäre, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des vertretenen Grundkapitals erreichen, die vorgezogene Abstimmung über den Aktionärsvorschlag verlangt. Da die PPF mit 11,60% an der ProSiebenSat.1 beteiligt ist, kann sie das Minderheitsverlangen nach § 137 AktG im Alleingang erfolgreich stellen (zum Vorgehen in der virtuellen HV s. Rieckers in BeckOGK/AktG, Stand: 1.10.2023, § 137 AktG Rz. 9 ff.). Allerdings muss sie dies in der Hauptversammlung selbst tun: Die Antragsfiktion des § 126 Abs. 4 AktG erstreckt sich nicht auf das Minderheitsverlangen gem. § 137 AktG (Koch, 18. Aufl. 2024, § 126 AktG Rz. 18, § 137 AktG Rz. 2 a.E.; Rieckers in BeckOGK/AktG, Stand: 1.10.2023, § 137 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 127 AktG Rz. 21).

Die hauptversammlungsbezogene Ausgestaltung des Minderheitsverlangens nach § 137 AktG ist eine Hürde, an dem das zweite Ziel der PPF scheitern könnte. Es spricht viel dafür, dass die Verwaltungsorgane nicht verpflichtet sind, die Briefwahlunterlagen und das Aktionärsportal von vornherein so auszugestalten, dass die von PPF bevorzugte Abstimmungsreihenfolge erkennbar ist. In dogmatischer Hinsicht schränkt § 137 AktG nämlich das Ermessen des Versammlungsleiters ein, die Reihenfolge der Abstimmung festzulegen (Spindler in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 137 AktG Rz. 1); eine Bindungswirkung gegenüber den Verwaltungsorganen entfaltet § 137 AktG hingegen nicht. Dies ist im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Einbettung des § 137 AktG konsequent: Weil das Minderheitsverlangen im Vorfeld der Hauptversammlung noch nicht förmlich gestellt wurde, können die Verwaltungsorgane nicht daran gebunden sein. Freilich steht es den Verwaltungsorganen der ProSiebenSat.1 offen, schon in den Briefwahlunterlagen und im Aktionärsportal die von PPF beantragte Abstimmungsreihenfolge zu berücksichtigen.

In rechtspolitischer Hinsicht ist es erwägenswert, den Aktionären unabhängig vom Hauptversammlungsformat die Möglichkeit einzuräumen, das Minderheitsverlangen nach § 137 AktG schon im Vorfeld der Hauptversammlung zu stellen, und die Verwaltungsorgane im Erfolgsfall zu verpflichten, die von den Aktionären erzwungene Abstimmungsreihenfolge in den Briefwahlunterlagen und im Aktionärsportal kenntlich zu machen (darauf abzielende Vorschläge de lege lata bei Zetzsche in FS Krieger, 2020, S. 1165, 1172 f.; zurückhaltender M. Arnold in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 137 AktG Rz. 19; Koch, 18. Aufl. 2024, § 137 AktG Rz. 1). § 137 AktG will die Minderheitsinteressen stärken, indem er den Wahlvorschlag der Aktionäre gegenüber dem Vorschlag des Aufsichtsrats priorisiert; der oppositionelle Kandidat soll nicht hinter den Kandidaten des Aufsichtsrats versteckt werden (s. nur Spindler in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 137 AktG Rz. 1; Zetzsche in FS Krieger, 2020, S. 1165, 1168 f., der vom Grundsatz prozeduraler Neutralität spricht). Die Wirkung dieser verfahrensrechtlichen Vorkehrung droht zu verpuffen, wenn sie bei der – in der Praxis von Publikumsgesellschaften durchaus relevanten (s. nur Seibt/Danwerth, AG 2021, 369 Rz. 4 ff.; Zetzsche in FS Krieger, 2020, S. 1165, 1172) – Vorfeld-Abstimmung keine Rolle spielt. Insoweit sollte der Gesetzgeber die Verfahrensmodalitäten des § 137 AktG an die Realität der Hauptversammlung anpassen und sich auch insoweit vom Mündlichkeitsprinzip verabschieden (zur nicht mehr zeitgemäßen Ausgestaltung des § 137 AktG zutr. Zetzsche in FS Krieger, 2020, S. 1165, 1172 f.).

Abberufung des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden

Unternehmenspolitisch brisanter als die Wahlvorschläge der beiden Großaktionäre ist das auf § 122 Abs. 2 AktG gestützte Ergänzungsverlangen von MFE dahingehend, die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Tagesordnung zu setzen. Weil die Hauptversammlung gem. § 103 Abs. 1 AktG für die Abberufung zuständig ist und die MFE mit ihrem Aktienpaket den in § 122 Abs. 2 AktG vorgeschriebene Anteil am Grundkapital deutlich überschreitet, hat die ProSiebenSat.1 ihre Tagesordnung gem. § 124 Abs. 1 AktG entsprechend ergänzt.

Abberufen werden soll Rolf Nonnenmacher, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei ProSiebenSat.1 sowie der ehemalige Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, dessen Aufsichtsratsmandat erst mit dem Ablauf der Hauptversammlung 2025 endet. An Nonnenmachers Stelle soll nach dem Vorschlag der MFE Simone Scettri, ein italienischer Wirtschaftsprüfer, treten.

Die MFE begründet ihr Verlangen damit, dass Nonnenmacher in einem Zeitraum Aufsichtsratsmitglied und Prüfungsausschussvorsitzender war, auf den sich eine durch den Aufsichtsrat in Auftrag gegebene interne Untersuchung wegen möglicher Compliance-Vorfälle in Tochtergesellschaften erstreckt. Dadurch könne Nonnenmacher gerade als Vorsitzender des Prüfungsausschusses zumindest potenziell von der Untersuchung betroffen sein, so dass eine Interessenkollision nicht ausgeschlossen sei. Ein denkbarer Interessenkonflikt, der eine freie Amtsführung beeinträchtigen könne, sei vorsorglich zu vermeiden. Der Aufsichtsrat schlägt der Hauptversammlung vor, gegen die Abberufung von Nonnenmacher und die Wahl von Scettri zu stimmen, und verweist dabei zum einen auf die überlegende Qualifikation von Nonnenmacher, zum anderen auf mögliche Interessenkonflikte von Scettri, der in Italien für Ernst & Young (EY) tätig war; EY Deutschland habe als Abschlussprüfer der ProSiebenSat.1-Gruppe den von MFE ins Spiel gebrachten Compliance-Vorfall nicht beanstandet.

Um ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, muss die Hauptversammlung einen Beschluss fassen, der nach der gesetzlichen Grundregel in § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen bedarf; sachliche Anforderungen – etwa das Vorliegen eines wichtigen Grundes – stellt § 103 Abs. 1 AktG nicht auf (s. Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 103 AktG Rz. 3 f.). Indes sieht § 18 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der ProSiebenSat.1 vor, dass Hauptversammlungsbeschlüsse mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften oder die Satzung etwas anderes vorschreiben. § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG lässt es zu, dass die Satzung eine andere Mehrheit bestimmt. Dabei kann das Mehrheitserfordernis abgesenkt werden, so dass für die Abberufung eine einfache Stimmenmehrheit des § 133 AktG genügt (Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 103 AktG Rz. 5; Koch, 18. Aufl. 2024, § 103 AktG Rz. 3). Ausreichend ist eine Satzungsklausel, die wie § 18 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der ProSiebenSat.1 generell, also für alle Hauptversammlungsbeschlüsse, gilt (s. Koch, 18. Aufl. 2024, § 103 AktG Rz. 3). Eine Satzungsregelung, die hinsichtlich der Aufsichtsratsabberufung eine von § 18 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der ProSiebenSat.1 abweichende Mehrheit vorschreibt, liegt nicht vor.

Aus dem Zusammenspiel zwischen § 18 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der ProSiebenSat.1 und § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG folgt, dass die Hauptversammlung der ProSiebenSat.1 die Abberufung von Nonnenmacher mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen kann. Ob diese Mehrheit erreicht wird, lässt sich freilich noch nicht sicher vorhersagen. Die Hauptversammlungspräsenzen der ProSiebenSat.1 lagen in den Jahren 2021 bis 2023 bei ca. 52% bis 57%. Wird sich die Beteiligungsquote auch 2024 in dieser Größenordnung bewegen, ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die MFE mit ihrem Stimmenanteil von ca. 27% die Abberufung von Nonnenmacher im Alleingang beschließen kann. Es kann aber auch sein, dass sie die alleinige einfache Mehrheit (knapp) verfehlt und auf die Stimmen anderer Aktionäre angewiesen sein wird. Ob die PPF den Vorstoß unterstützen wird und wie sich die Stimmrechtsberater positionieren, ist nicht überliefert. Die Hauptversammlung 2023 hat Nonnenmacher mit 95,73% der abgegebenen gültigen Stimmen bei einer Beteiligung von 54,79% des eingetragenen Grundkapitals entlastet. Es bleibt abzuwarten, wie viele Aktionäre 2024 der Argumentation von MFE folgen, Nonnenmacher im Rahmen des Abberufungsbeschlusses ihr Misstrauen aussprechen und die weitere Umbildung des Aufsichtsrats vorantreiben.

Vorbereitung der Abspaltung von zwei Unternehmenssegmenten

Für viel Diskussionsstoff sorgt zudem das Ergänzungsverlangen der MFE zur Vorbereitung der Abspaltung von zwei Unternehmenssegmenten. Auch insoweit ist die Hauptversammlung zuständig (s. § 83 Abs. 1 AktG und § 125 UmwG i.V.m. §§ 13, 63 ff. UmwG), so dass die ProSiebenSat.1 nicht umhinkam, die Tagesordnung gem. § 122 Abs. 2 AktG wie von MFE verlangt zu ergänzen und die Ergänzung gem. § 124 Abs. 1 AktG bekanntzumachen. In rechtstechnischer Hinsicht erinnert das Vorgehen der MFE an den (gescheiterten) Brownspinning-Versuch der Enkraft Capital GmbH bei der RWE AG (s. dazu Fuhrmann/Döding, AG 2022, R168). Überdies ist der Vorstoß im Lichte der Entwicklungen zu sehen, die auch in anderen Marktbereichen zu beobachten sind: So haben etwa die Volkswagen AG mit Traton SE, die Daimler AG (heute Mercedes-Benz Group AG) mit Daimler Truck Holding AG und die Siemens AG mit der Siemens Healthineers AG sowie der Siemens Energy AG die früheren Unternehmenssparten als eigenständige Unternehmen an die Börse gebracht. Ein ähnlicher Schritt steht seit längerer Zeit bei Thyssenkrupp AG in der Diskussion.

Derzeit lässt sich die Unternehmensstruktur von ProSiebenSat.1 in drei Segmente unterteilen: Entertainment, Commerce & Ventures und Dating & Video. Die Abspaltung soll sich auf die letzten beiden Segmente erstrecken, die nach dem Vorschlag von MFE von eigenständigen – bestehenden oder neu zu gründenden – Rechtsträger geführt werden sollen. Diese Rechtsträgen sollen börsennotiert sein, so dass sie als Aktiengesellschaften organisiert sein müssten. Der Aktionärskreis von ProSiebenSat.1 und der neuen Gesellschaften soll im Ausgangspunkt identisch sein; eine Konzernstruktur soll also – anders als bei Volkswagen, Daimler und Siemens – nicht entstehen. Der Beschlussvorschlag lässt dem Vorstand der ProSiebenSat.1 aber die Möglichkeit offen, von der Vorbereitung der Abspaltung abzusehen und sich von den Segmenten Commerce & Ventures und Dating & Video auf eine andere Art und Weise – etwa durch einen Verkauf – zu trennen. Begleitet wird das Ergänzungsverlangen durch den Vorschlag, das genehmigte Kapital neu zu gestalten (s. dazu auch den Vorstandsbericht) und die in der Satzung verankerten Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats auf M&A-Transaktionen ab einer gewissen Schwelle zu erweitern.

Die MFE will erreichen, dass sich die ProSiebenSat.1 künftig nur noch auf das Segment Entertainment fokussiert. Die Zusammensetzung der ProSiebenSat.1 als ein Konglomeratunternehmen bringt nach der Einschätzung der MFE zu wenige Synergievorteile mit sich; zudem ist sie mit zu vielen Nachteilen verbunden. Vor diesem Hintergrund soll es für die einzelnen Segmente vorteilhafter sein, als selbständige Unternehmen mit einer eigenen „Equity Story“ am Markt zu agieren. Die Verwaltungsorgane der ProSiebenSat.1 weisen diese Argumente zurück. Sie empfehlen keine Abspaltung und wollen sich auf eine wertmaximierende Veräußerung der beiden Segmente fokussieren, die vorbehaltlich der Marktbedingungen über die nächsten 12 bis 18 Monate erfolgen soll.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass sich die MFE und die Verwaltungsorgane in der Sache einig sind: Die ProSiebenSat.1 soll sich über kurz oder lang von den Segmente Commerce & Ventures und Dating & Video trennen. Während eine Einigkeit über das „Ob“ herrscht, gehen die Meinungen über das „Wie“ auseinander: Die Verwaltungsorgane setzen allein auf einen Verkauf der beiden Segmente, der (liquide) Mittel in die Unternehmenskasse spülen würden. Die MFE hält eine solche Maßnahme an sich für sinnvoll, will aber die Trennung auch dann auf umwandlungsrechtlichem Wege vollziehen, wenn der Verkauf nicht gelingen sollte. Für den Großaktionär steht demnach nicht die Verbesserung der Kassenlage, sondern die strategische Neuausrichtung von ProSiebenSat.1 im Vordergrund: Die Abspaltung führt – anders als der Verkauf – nicht zu einem Mittelzufluss bei ProSiebenSat.1. Beschließt die Hauptversammlung 2024 wie von der MFE vorgeschlagen, wächst der Druck auf den Vorstand der ProSiebenSat.1, den Verkauf möglichst zeitnah abzuwickeln, um seine Vorstellungen von den Trennungsmodalitäten durchzusetzen.

Allerdings sind die aktienrechtlichen Hürden für die Beschlussfassung hoch: Nach § 83 Abs. 1 Satz 3 AktG bedarf der Beschluss der Mehrheit, die für die Maßnahme – also für die Abspaltung – erforderlich ist, also gem. §§ 125, 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG „einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt.“ Wie bei der Abberufung des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden hängt der Erfolg der Maßnahme vom Abstimmungsverhalten der PPF und der Streubesitzaktionäre ab; eine bedeutende Rolle dürfte die Positionierung der Stimmrechtsberater spielen. In inhaltlicher Hinsicht sind die Aktionäre in ihrem Abstimmungsverhalten weitgehend frei: Die Festlegung der Trennungsmodalitäten ist eine unternehmerische Entscheidung, so dass die Hauptversammlung einen breiten Ermessensspielraum genießt. Ihre Entscheidung dürfte kaum wegen Inhaltsfehler angreifbar sein.

Fasst die Hauptversammlung den Beschluss mit der qualifizierten Mehrheit des § 83 Abs. 1 AktG i.V.m. §§ 125, 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG, ist die Abspaltung noch nicht ausgemacht. Der Vorstand der ProSiebenSat.1 hätte nach wie vor die Option, die Segmente Commerce & Ventures und Dating & Video zu verkaufen. Auch wenn der Verkauf misslingt, ist die Abspaltung nicht sicher. In einem solchen Fall muss der Vorstand „lediglich“ den Spaltungs- und Übernahmevertrag vorbereiten, über den die Hauptversammlung 2025 nach Maßgabe der §§ 125, 13, 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG zu beschließen hat; erforderlich ist wiederum eine Dreiviertel-Kapitalmehrheit. Der Weg zur Spaltung ist also noch weit.

Bundesrat: Zustimmung zum Wachstumschancengesetz

Das im Bundesrat zunächst gescheiterte Wachstumschancengesetz stand am 22.3.2024 erneut zur Abstimmung auf der Tagesordnung des Bundesrats. Im Anschluss an die bereits erfolgte Verhandlungsrunde mit einer unechten Einigung im Vermittlungsausschuss hatte der Bundestag am 23.2.2023 bereits seine Zustimmung erteilt (s. bereits den Geberth/Bartelt, Blog-Beitrag v. 22.2.2024GESRBLOG0001740). Nunmehr hat auch der Bundesrat der vom Vermittlungsausschuss vorgelegten Fassung des Gesetzes final zugestimmt. Damit ist das Gesetzgebungsverfahren erfolgreich abgeschlossen. Mit der Verkündung des Gesetzes ist in naher Zukunft zu rechnen.

OLG Schleswig bejaht Vorrang der separaten Vorkaufsrechtsausübung beim Paketverkauf von GmbH-Geschäftsanteilen – keine Erstreckung auf gesamten Anteilsverkauf analog § 467 S. 2 BGB

I. Gesetzlicher Grundsatz der separaten Vorkaufsrechtsausübung

Das OLG Schleswig hat mit Urteil vom 7. Februar 2024 (GmbHR 2024, Ausgabe 7 m. Anm. Wertenbruch/Döring) – im Anschluss an BGHZ 168, 152 = WM 2006, 1598 und gegen eine verbreitete Literaturauffassung – beim Paketverkauf von GmbH-Geschäftsanteilen der Ausübung eines einzelnen, auf den Geschäftsanteil eines Mitgesellschafters bezogenen statutarischen Vorkaufsrechts den grundsätzlichen Vorrang gegenüber dem in § 464 Abs. 2 BGB geregelten Grundsatz der Vertragsidentität eingeräumt. Nach § 464 Abs. 2 BGB muss der Vorkaufsberechtigte den Inhalt des vom Vorkaufsverpflichteten mit dem Dritten geschlossenen Kaufvertrag prinzipiell in toto übernehmen. Wenn aber mehrere Gegenstände verkauft werden, an denen nur zum Teil oder eigenständige Verkaufsrechte bestehen, dann kann ein Vorkaufsrecht in Bezug auf einen einzelnen davon erfassten Verkaufsgegenstand separat ausgeübt werden. Nach § 467 Satz 1 BGB ist in dieser Konstellation ein verhältnismäßiger Teilkaufpreis zu ermitteln und vom Vorkaufsberechtigten zu entrichten. Das OLG Schleswig hat zu Recht auf Grundlage der im konkreten Fall tatsächlich erfolgten separaten Vorkaufsrechtsausübung eine doppelt analoge Anwendung des § 467 Satz 2 BGB prinzipiell abgelehnt und wegen drohenden Vollzugs des Paketverkaufs eine auf Unterlassung gerichtete einstweilige Verfügung erlassen.

II. Interessenabwägung auf Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht statt doppelt analoger Anwendung des § 467 Satz 2 BGB – Darlegungs- und Beweislast

Auch eine mehrfach analoge Anwendung des § 467 Satz 2 BGB kann beim Paketverkauf von GmbH-Geschäftsanteilen und Bestehen separater statutarischer Vorkaufsrechte vor allem deshalb keine geeignete Problemlösung darstellen, weil diese kaufrechtliche Vorschrift einseitig auf das Vorliegen eines Nachteils aufseiten des durch die separate Vorkaufsrechtsausübung verpflichteten Mitverkäufers und nicht auf die Interessen des anderen Mitverkäufers sowie der verkaufsberechtigten Gesellschafter auf der Gegenseite abstellt (Wertenbruch/Döring, GmbHR 2024, Ausgabe 7). Allein nach Kaufrecht kommt es daher bei separater Vorkaufsrechtsausübung nicht zu einer Erstreckung auf das von den Verkäufern im Rahmen der Vertragsfreiheit vordefinierte gesamte Anteilspaket. Da bei den üblichen wechselseitigen Vorkaufsrechten an GmbH-Geschäftsanteilen sowohl die Berechtigten als auch die Verpflichteten als Gesellschafter der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht unterliegen, kann sich beim Paketverkauf – und daher auch im Fall des OLG Schleswig – eine Obliegenheit zur einheitlichen Ausübung der Vorkaufsrechte aus dieser zentralen mitgliedschaftlichen Verpflichtung ergeben (Wertenbruch/Döring, GmbHR 2024, Ausgabe 7). Insoweit ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich, die § 467 Satz 2 BGB auch im Rahmen einer weitgehenden Analogie nicht gewährleisten könnte. Zu beachten ist aber, dass die separate Vorkaufsrechtsausübung der gesetzliche Regelfall ist mit der Folge, dass die Paketverkäufer die Darlegungs- und Beweislast für eine auf einheitliche Vorkaufsrechtsausübung gerichtete Treuebindung der vorkaufsberechtigten Mitgesellschafter tragen (Wertenbruch/Döring, GmbHR 2024, Ausgabe 7). Dem Vorkaufsberechtigten obliegt allerdings eine sekundäre Darlegungslast.

III. Beschränkte gesellschaftsvertragliche Lösungsmöglichkeiten – Tragweite von statutarischen Anbietungsrechten

Im Rahmen der Gestaltung einer GmbH-Satzung kann zwar die Frage der Art der Ausübung wechselseitiger Vorkaufsrechte bei Vorliegen eines Paketverkaufs besonders geregelt werden. Der bei Eintritt eines konkreten Vorkaufsfalls gegebenen Interessenlage und den sonstigen relevanten Umständen könnte dann aber nur schwer hinreichend Rechnung getragen werden. Auch dies belegt, dass die vorkaufsrechtliche Problematik eines Paketverkaufs im Streitfall letztlich nur auf Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gelöst werden kann. Die in der Praxis verbreiteten statutarischen Anbietungspflichten können die Vereinbarung von mitgliedschaftlichen Vorkaufsrechten zwar ergänzen, aber die hier in Rede stehenden Probleme bei der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht vermeiden (vgl. zum Wesen der Anbietungspflicht in GmbH-Satzungen BGHZ 48, 141 = WM 1967, 927; Seibt in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 15 GmbHG Rz. 118). Im Fall des BGH lautete die darauf bezogene Satzungsklausel: „Jeder zum Verkauf gelangende Anteil am Stammkapital ist zunächst jedem Gesellschafter gemäß dessen Anteil am Stammkapital und, soweit eine Übernahme nicht erfolgt, der Gesellschaft selbst anzubieten“ (BGHZ 48, 141, 145 = WM 1967, 927, 928). Lehnt ein vorkaufsberechtigter Gesellschafter nach Anbietung eines oder mehrerer Geschäftsanteile den Ankauf ab, so wird dadurch sein Verhalten bei einem nachfolgenden Anteilsverkauf mit Auslösung des Vorkaufsfalls weder gesetzlich noch gesellschaftsvertraglich determiniert. Für den Gesellschafter als Adressaten einer aktuellen Anbietung ist in Bezug auf die Kaufentscheidung in erster Linie von Bedeutung, ob ein wirtschaftliches Interesse an der Aufstockung der Beteiligung zu konstatieren ist und der Kaufpreis ohne größere Schwierigkeiten finanziert werden kann. Kommt es im Anschluss an die Ablehnung des Ankaufs nach satzungskonformer Anbietung zur Entstehung des Vorkaufsfalls gem. § 463 BGB durch Anteilsverkauf, so kann für die Ausübung des Vorkaufsrechts stattdessen die Abwehr des Eintritts des vom Vorkaufsberechtigten als nicht akzeptabel klassifizierten Anteilskäufers im Vordergrund stehen. Der vorkaufsberechtigte Mitgesellschafter handelt daher grundsätzlich nicht widersprüchlich oder in sonstiger Weise treuwidrig, wenn er deswegen nunmehr das am konkreten Geschäftsanteil bestehende Vorkaufsrecht ausübt. Ob im Falle eines Paketverkaufs die Vorkaufsrechte einheitlich ausgeübt werden müssen, ist auch hier im Wege einer Interessenabwägung auf Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu klären.

SEC mit neuen ESG-Offenlegungspflichten für börsennotierte Unternehmen

In den letzten Monaten berichteten Medien immer wieder von Anti-ESG-Kampagnen und -Bewegungen in den USA, so dass die Wahrnehmung entstand, Nachhaltigkeit sei für den amerikanischen Kapitalmarkt und das Finanzwesen kein Thema mehr. Nun aber – am 6.3.2024 – legte die US-Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde Vorschriften „zur Verbesserung und Vereinheitlichung“ der klimabezogenen Offenlegung von börsennotierten Unternehmen und bei Wertpapieremissionen vor. Das Paket besteht aus einem Factsheet der SEC über die neuen Anforderungen und einem umfangreichen SEC-Dokument.
Die SEC kommt nach eigenen Aussagen dem grundsätzlichen Investorenwunsch nach, standardisierte und belastbare Informationen über die finanziellen Auswirkungen klimabezogener Risiken auf das Geschäftsmodell oder einzelne Bereiche zu erhalten. Es geht dabei insbesondere um eine bessere (umfassendere) Beurteilung des Risikomanagements eines Unternehmens. Transparenz muss bspw. hergestellt werden hinsichtlich
  • allen klimabezogenen Risiken, die wesentlich sind, d.h. finanzielle Auswirkungen auf die Geschäftsstrategie oder die Geschäftsergebnisse haben;
  • Aktivitäten, die unternommen werden, um die identifizierten Risiken zu mindern oder Anpassungsmaßnahmen umzusetzen;
  • Überwachung durch die Geschäftsleitung und die Rolle des Managements in Bezug auf die wesentlichen klimabezogenen Risiken;
  • Scope-1-Emissionen und/oder Scope-2-Emissionen bei großen und mittleren Unternehmen;
  • Kosten und Verluste, die durch Unwetter und andere Naturereignisse im jeweiligen Geschäftsjahr entstanden sind.
Die endgültigen Vorschriften treten 60 Tage nach deren Veröffentlichung im Bundesregister (Federal Register) in Kraft und sollen dann schrittweise ab 2025 Anwendung finden.