Jetzt auch amtlich – Der Vorschlag eines Omnibus-Rechtsaktes der Europäischen Kommission

Bereits in der Budapester Erklärung zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit vom 8.11.2024 und im Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union hatte die Kommission „revolutionäre Vereinfachungen“ des mittlerweile umfänglichen supranationalen Pflichtenhefts im Nachhaltigkeitsbereich und einen entsprechenden Omnibus-Rechtsakt (in deutscher Diktion ein Artikelgesetz) angekündigt (s. im Einzelnen Jaspers, Blog-Beitrag v. 3.2.2025, WRBLOG0002027). Nachdem bereits seit Mitte Februar inoffizielle Auszüge aus den Vorschlägen kursierten, hat die Kommission diese termingerecht am 26.2.2025 offiziell vorgelegt (vgl. EU-Kommission, Vereinfacht Vorschriften für Nachhaltigkeitsberichterstattung und EU-Investitionen: mehr als 6 Mrd. EUR an Entlastung beim Verwaltungsaufwand angestrebt, PM v. 26.2.2025).

Bevor im Folgenden ausgewählte Inhalte skizziert werden, empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die einzelnen Bestandteile der Vorschläge zu verschaffen. In einer ersten Grobgliederung sind „Omnibus I“ und „Omnibus II“ zu unterscheiden, die aber ihrerseits jeweils nur Sammelbegriffe für eine Reihe von Änderungsrichtlinien sind. Während der Omnibus I die aus Sicht des Gesellschafts- bzw. Unternehmensrechts zentralen Änderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD und des supranationalen Lieferkettenregimes der CS3D sowie eine Anpassung der Mechanik des CO2-Grenzausgleichs beinhaltet, sieht der Omnibus II eine Stärkung des europäischen Investitionsfonds InvestEU vor. Im Einzelnen können die folgenden Bestandteile unterschieden werden:

Omnibus I bestehend aus:

  • COM 2025 (80) – Änderungs-RL zur Änderung des (gestaffelten) Inkrafttretens von (i) CSRD EU 2022/2464 als Änderungs-RL zu Abschlussprüfer-VO EU 537/2014 und Bilanz-Richtlinie EU 2013/34 und (ii) Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD / CS3D) (EU) 2024/1760;
  • COM 2025 (81) – Änderungs-RL zur Änderung materieller Bestimmungen der CSRD EU 2022/2464 und der CSDDD;
  • Staff Working Document zu den beiden Änderungs-RL gemäß COM (2025) 80 und COM (2025) 81, in dem Kalkül und Inhalte der vorgeschlagenen Änderungen eingehender erläutert werden;
  • in COM 2025 (80) und COM 2025 (81) implizit enthaltenen materiellen Änderungen der Taxonomie-VO, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass das Taxonomie-Reporting gemäß Art. 8 Taxonomie-VO seine Adressaten mittels Verweises auf Art. 19a, 29a Bilanz-RL bestimmt;
  • Vorschlägen und Konsultationsdokumentation zur Verschlankung der auf Grundlage der Taxonomie-VO erlassenen Delegierten Verordnungen, die zur Kommentierung durch die Bereichsöffentlichkeit bis zum 26.3.2026 auf dem Have your say“-Portal zur Verfügung stehen;
  • COM (2025) 87 – Änderungen der CBAM-Verordnung, insbesondere hinsichtlich Anwendungsbereich und Berichtspflichten (VO (EU) 2023/956 v. 10.5.2023 zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems); und
  • COM (2025) 87 – Anlagen zur vorgeschlagenen Änderung der CBAM-VO durch COM (2025) 87 (enthaltend die Berechnungsformel zur dynamisierten Bestimmung des Anwendungsbereichs der CBAM-VO)

Omnibus II – bestehend aus:

  • COM (2025) 84 – Änderungs-RL zur Erhöhung der Effizienz des EU-Investitionsvehikels InvestEU und zur Vereinfachung der zugehörigen Berichtspflichten durch Änderung von: 1. Verordnung (EU) 2021/523 (VO zur Einrichtung des Programms „InvestEU“); 2. Verordnung (EU) 2015/1017 (VO über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen, die europäische Plattform für Investitionsberatung und das europäische Investitionsvorhabenportal); und 3. Verordnung (EU) 2021/695 (VO zur Einrichtung von „Horizont Europa“, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, sowie über dessen Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse).
  • Staff Working Document zu COM (2025) 87 mit Erläuterung der beabsichtigten Änderungen der supranationalen Förderlandschaft.

Zusätzlich hat die Kommission Q&As zu Omnibus I und Omnibus II veröffentlicht.

Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD

Einen ersten Schwerpunkt setzen die Omnibus-Vorschläge im Bereich der nichtfinanziellen bzw. Nachhaltigkeitsberichterstattung, u.a. auf nachfolgende Themenfelder:

  • Beschränkung des Anwendungsbereichs des obligatorischen Sustainability Reporting: Berichtspflichtig sollen künftig allein große Unternehmen sein, die im Jahresdurschnitt mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Als große Unternehmen i.d.S. sind entsprechend der allgemeinen handelsbilanziellen Terminologie Unternehmen anzusehen, die entweder Umsatzerlöse von EUR 50 Mio. oder aber eine Bilanzsumme von 25 Mio. EUR ausweisen (vgl. § 267 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 HGB).
    Die in der dritten Welle vorgesehene größenunabhängige Erfassung aller „börsennotierten“ Gesellschaften, also solcher Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt in der EU oder dem EWG zugelassen sind, soll zur Gänze entfallen.
    Nach den Schätzungen der Kommission würden mit dieser Neuvermessung des Anwendungsbereichs 80 % der bisher von der CSRD erfassten Unternehmen von der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung befreit.
  • Schaffung eines freiwilligen Berichtsstandards: Quasi als Ausgleich für die erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht der Omnibus die Schaffung eines am Proportionalitätsprinzip ausgerichteten und am Vorbild des VSME orientierten freiwilligen Standards vor, der eine Aufwertung durch offizielle Annahme mittels delegierter Verordnung erfahren soll (Art. 29ca Bilanz-RL-E).
    Zusätzlich soll der freiwillige Berichtsstandard bei der Eindämmung des trickle-down bzw. Kaskadeneffekts in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten helfen. CS3D-pflichtige Unternehmen sollen im Rahmen der Kartierung der Wertschöpfungskette (value chain mapping) von Nicht-CSRD-Unternehmen nur die nach dem geplanten freiwilligen Berichtsformat (Art. 29ca Bilanz-RL-E) vorgesehenen Informationen anfordern dürfen (Art. 19a Abs. 3, 29a Abs. 3 Bilanz-RL-E), womit ein Rahmen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit entsprechender informationsbegehren geschaffen wird.
  • Verzicht auf sektorspezifische Berichtsstandards: Die für 2026 avisierte Ergänzung der sog. sektoragnostischen ESRS, d.h. der unabhängig von Branche und Sektor des berichtenden Unternehmens geltenden Berichtsvorgaben, um kumulativ zu beachtende sektorspezifische Unterberichtsstandards (Art. 29b Abs. 3 UAbs. 2 ii) Bilanz-RL) soll vollständig entfallen.
  • Beschränkung der Prüfungsintensität der Nachhaltigkeitsprüfung: Die in Art. 26a Abs. 3 Abschlussprüfer-RL vorgesehene schrittweise Schärfung der Intensität der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, mit der über das Zwischenstadium der limited assurance ein dem der Finanzberichterstattung vergleichbares Konfidenzniveau (reasonable assurance) erreicht werden soll, wird von festen Umsetzungsdaten befreit und im Übrigen weitgehend dem Ermessen der Kommission überantwortet.

Taxonomie-VO

  • Einschränkung des Anwendungsbereichs der Berichtspflichten zur Taxonomie-Vereinbarkeit: Die kumulativ zum CSRD-Reporting zu erfüllenden Berichtspflichten gemäß Art. 8 Taxonomie-VO, nach denen anhand bestimmter KPI der Anteil nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten am Gesamtgeschäft zu melden ist, gelten für sämtliche CSRD-pflichtigen Unternehmen, entsprechend würde ihr Anwendungsbereich parallel zu dem der Nachhaltigkeitsberichterstattung signifikant eingeschränkt.
  • Vorschläge für eine Änderung der Delegierten Verordnungen zur Taxonomie-VO (Offenlegung, Klima, Umwelt) werden bis zum 26.3.2026 der Bereichsöffentlichkeit zur Kommentierung auf dem „Have your say“-Portal zur Verfügung gestellt und auf dieser Grundlage finale Vorschläge erarbeitet.
  • Die CSRD soll um ein optionales Taxonomie-Reporting unter weiteren Voraussetzungen ergänzt werden (Art. 19b, 29aa Bilanz-RL-E), womit die Schwächen des binären Ansatzes der Taxonomie-VO ausgeglichen werden sollen.
  • Überarbeitung des „Do Not Significant Harm“-Kriteriums. Die Qualifizierung als nachhaltig i.S.v. Art. 3 Taxonomie-VO scheitert in der Praxis häufig am Tatbestandsmerkmal des Do Not Significant Harm (DNSH), wofür unter anderem auch Komplexität und Auslegungsunsicherheiten als Ursachen benannt werden. Die Vorschläge sehen diesbezüglich vor, dass die aufwändige Prüfung des DNSH-Kriteriums nur noch dann erforderlich sein soll, wenn die entsprechenden Wirtschaftsaktivitäten mindestens 10 % der taxonomierelevanten Key Performance Indicators (Umsatz, CapEx, OpEx) repräsentieren.
  • Anpassung des Green Asset Ratio (GAR): Die methodisch fundierte und seit Langem erhobene Kritik am zentralen Leistungsindikator für den Finanzsektor, die darauf fußt, dass Zähler und Nenner der GAR unterschiedliche Bezugsgrößen besitzen, wird aufgegriffen.

Supranationales Lieferkettenregime gemäß CS3D

Als bemerkenswert wird man es bezeichnen dürfen, dass der Omnibus I auch für das europäische Lieferkettenregime nach der Richtlinie (EU) 2024/1760 noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten zum 26.7.2026 eine Reihe nicht unerheblicher Änderungen vorschlägt. Hervorzuheben sind insoweit:

  • Keine unbefristete Aussetzung der CS3D: Festzuhalten ist vorab, dass die durchaus auch von prominenter Seite erhobene Forderung nach einer unbefristeten Aussetzung der CS3D abgelehnt wird, die Kommission bekräftigt damit ihr grundsätzliches Bekenntnis zu dem umstrittenen Rechtsakt.
  • Verlängerung der Umsetzungsfrist: Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Frist zur Umsetzung der CS3D in nationales Recht wird um ein Jahr auf den 26.7.2027 verlängert, womit den betroffenen Unternehmen etwas mehr Zeit eingeräumt wird, allfällige Vorbereitungsmaßnahmen umzusetzen. Unterstützung erfahren sie dabei auch insoweit, als die Herausgabe allgemeiner Due-Diligence-Leitlinien für die Kernpflichten der CS3D auf den 26.7.2026 vorverlagert werden soll (Art. 19 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Abs. 3 CSDDD-E).
  • Überarbeitung des CS3D-Pflichtenhefts: Im Zentrum der Omnibus-Vorschläge für die CS3D stehen entlastende Straffungen des Pflichtenhefts für die Wertschöpfungskette, u.a.:
  • Hinsichtlich der Due-Diligence-Pflichten in der Wertschöpfungskette wird eine partielle Vollharmonisierung angeordnet, auch ein gold plating seitens der Mitgliedstaaten wird für Teile der Richtlinie ausdrücklich für unzulässig erklärt (Art. 4 CSDDD-E);
  • Die Due-Diligence-Pflichten werden grundsätzlich auf- wie abwärts auf die nächste Vertriebs- bzw. Wertschöpfungsstufe, also unmittelbare Lieferanten bzw. Abnehmer begrenzt, mittelbare Lieferanten und Abnehmer sind nur (i) bei begründeten Verdachtsmomenten (plausible information that suggests that adverse impacts at the level of the operations have arisen or may arise) und dann, (ii) wenn die Mittelbarkeit einer Geschäftsbeziehung Ergebnis eines Gestaltungsmissbrauchs ist (an artificial arrangement that does not reflect economic reality), einer eingehenden Prüfung zu unterziehen (Art. 8 Abs. 2 lit. b) CSDDD-E);
  • Parallel zum value chain cap der CSRD wird das Recht, gegenüber KMU mit weniger als 500 Arbeitnehmern Informationen zu verlangen, auf die Gegenstände des freiwilligen Reportings begrenzt, allerdings gilt diese Grenze nicht absolut, sondern darf bzw. muss bei begründetem Verdacht überschritten werden (Art. 8 Abs. 5 CSDDD-E),
  • Die Verpflichtung, zwingend eine Geschäftsbeziehung vollständig zu beenden, wird aufgehoben, bestehen bleiben hingegen das temporäre Verbot einer Ausdehnung einer inkriminierten Lieferkettengeschäftsbeziehung bzw. deren zeitweise Aussetzung (Art. 10 Abs. 6 CSDDD-E),
  • Die anlassunabhängige Risikobewertung von Lieferanten und Abnehmern soll nur noch in einem Turnus von fünf Jahren und nicht mehr jährlich erforderlich sein, soweit nicht im Einzelfall anlassbezogen ein Ad-Hoc-Assessment erforderlich ist (Art. 15 CSDDD-E).

Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten

Auch die Rechtsfolgenseite von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten soll neu geordnet werden:

  • Die auch im Rahmen der parlamentarischen Diskussion des LkSG hoch umstrittene Anordnung einer zwingenden zivilrechtlichen Haftung (Art. 29 Abs. 1 CSDDD) soll ersatzlos gestrichen werden.
  • Demgegenüber entspricht Art. 29 Abs. 1 CSDDD-E weitgehend dem aktuellen Art. 29 Abs. 2 CSDDD und ordnet unter Berücksichtigung der in Aussicht genommenen Streichung der zwingenden zivilrechtlichen Haftung an, dass – soweit eine Haftung nach nationalem Recht besteht – diese grundsätzlich volle Entschädigung erlauben muss, ohne allerdings gleichzeitig den Geschädigten zu überkompensieren, womit letztlich ein Verbot pönaler Elemente bei der Schadensbemessung festgesetzt wird.
  • Das aktuell bestehende Verbandsklagerecht nach Art. 29 Abs. 3 lit. 3 CSDDD soll gleichfalls ersatzlos gestrichen werden.

Verzicht auf ein Sonderrechtsregime für Finanzunternehmen

  • Die Ermächtigung zugunsten der Kommission, den Besonderheiten des Geschäftsmodells von Finanzunternehmen und ihrer Sonderrolle in der Wertschöpfungskette (keine eigentliche Wertschöpfungsstufe, Vermögensverwaltung mit Portfoliounternehmen etc.) durch ein Sonderrechtsregime Rechnung zu tragen (Art. 36 CSDDD), soll gestrichen werden.

Einschränkung des obligatorischen Stakeholder-Dialogs

  • Schon im Grundsätzlichen einigermaßen fragwürdig verpflichtet die CS3D Unternehmen zu einem obligatorischen Dialog mit Stakeholdern/Interessenträgern (Art. 13 Abs. 1 CSDDD), wobei der Kreis der Stakeholder extrem weit gefasst ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. n CSDDD). Die Omnibus-Vorschläge halten am Instrument des Stakeholder-Dialogs fest, sehen aber zumindest richtige und wohl auch praktisch zwingend erforderliche Beschränkungen des Kreises der gesprächsberechtigten Institutionen und Akteure vor. Eine Konsultationspflicht soll nur noch gegenüber relevanten Stakeholdern bestehen, deren Interessen unmittelbar betroffen sein müssen.

Anpassungen des CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM/Carbon Border Adjustment Mechanism)

  • Der Anwendungsbereich des zum Schutz der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung bzw. zur Verhinderung von Regulierungsarbitrage, insbesondere in Form der sog. Carbon Leakage, etablierten CO2-Grenzausgleichs wird durch Einführung einer dynamischen Formel zur Bestimmung der erfassten Importeure bzw. Einführer signifikant eingeschränkt.
  • Nach Art. 2 Abs. 3a CBAM-VO-E i.V.m. Anlage VII werden die betroffenen Einführer nur noch mittelbar und im Zeitablauf dynamisch bestimmt. Die optisch ansprechend formulierte Formel kann dahingehend zusammengefasst werden, dass so viele Einführer erfasst werden, dass mindestens 99 % der importierten CO2-Emissionen erfasst sind, also das Verhältnis aus erfassten importierten Emissionen und importierten Gesamtemissionen mindestens 99 % beträgt. Diese direkte Ansteuerung der Zielgröße ist einerseits theoretisch überzeugend, wird allerdings erst noch in der Praxis zu beweisen haben, ob sie nicht mit erheblichen Planungsunwägbarkeiten für Einführer verbunden ist.
  • Neben dieser grundsätzlichen Änderung der Grenzausgleichsmechanik sehen die Vorschläge zudem eine Reihe von Vereinfachungen des Verfahrens sowie hinsichtlich der bestehenden Berichtspflichten vor.
  • Verschärfte Missbrauchsbekämpfung: Während die Omnibus-Vorschläge rechtstreuen Einführern durch erhebliche Erleichterungen entgegenkommen, soll gleichzeitig die Effektivität des Grenzausgleiches durch verstärkte Bemühungen im Kampf gegen Missbrauch und Umgehungen abgesichert werden.

Schaffung zusätzlicher Investitionskapazitäten durch Stärkung des InvestEU (Omnibus II)

  • Neben den vorstehenden marktordnungsrechtlichen Maßnahmen enthalten die Omnibus-Vorschläge auch eher dem Bereich der Industriepolitik zuzurechnende Vorschläge in Gestalt einer Stärkung des Investitionsfonds InvestEU.
  • Vereinfacht sollen Erträge bzw. Rückflüsse aus älteren Investitionsinstrumenten der Europäischen Union dem aktuell zentralen Investitionsfonds InvestEU gemäß Verordnung (EU) 2021/523 zur Verfügung gestellt werden, um die Ausreichung weiterer direkter europäischer Investitionshilfen sowie von Garantien durch InvestEU zu ermöglichen. Die Kommission erhofft sich durch die Aufstockung der Finanzmittel von InvestEU ein zusätzliches Gesamtinvestitionsvolumen (unter Berücksichtigung der Beiträge von Privatrechtsakteuren) von 50 Mrd. EUR.

Ausblick

Entgegen dem in der Rezeption, aber auch der Begleitkommunikation der Kommission hervorgerufenen Eindruck wird man sich zunächst in Erinnerung zu rufen haben, dass es sich bei Omnibus I und II bisher um bloße Gesetzesinitiativen der Kommission handelt, die den regelmäßig steinigen Weg durch Trilog mit Rat und vor allem Parlament noch vor sich haben. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die CSRD. So bleibt zunächst die Pflicht zur Umsetzung der CSRD für den deutschen Gesetzgeber bestehen. Auch Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der lex lata, nicht aber den der Bilanz-RL in der Fassung des Omnibus I fallen würden, können gegenwärtig (noch) nicht mit Sicherheit darauf vertrauen, durch schnelle Umsetzung keiner CSRD-Berichterstattung zu unterliegen.

Insgesamt gehen die Ideen der Kommission nach hier vertretener Ansicht in die richtige Richtung, auch wenn die euphemistische Kommunikation der Kommission nicht zu verdecken mag, dass Gegenstand des Omnibusses in weiten Teilen die Rücknahme von Rechtsakten ist, die erst unlängst, teilweise erst in 2024 beschlossen worden sind. Die doch recht hektisch eingeführte und umfassende angelegte Nachhaltigkeitsregulierung hat bereits jetzt eine kaum beherrschbare Komplexität erreicht; allein die Kenntnis des einschlägigen Normenbestandes dürfte nur noch von Experten leistbar sein. Als Manko wird man es allerdings bezeichnen dürfen, dass sich der Omnibus stark auf das Instrument der Einschränkung des Anwendungsbereichs zurückzieht. Man vermisst eine stringente Nachschärfung des Rechtsregimes für die betroffenen Unternehmen, die am Paradigma der decision usefulness orientiert wäre. Allerdings durfte man dies auch kaum erwarten, wird man im Omnibus doch vor allem auch eine kurzfristige Reaktion auf die (späte) Erkenntnis sehen müssen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union erheblich zurückgegangen ist und man deshalb – auch aus psychologischen Motiven – kurzfristig ein deutliches Signal setzen wollte.

OLG München bestätigt mit Beschluss vom 10.2.2025 OLG Frankfurt in Sachen Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen Vereins ohne Rechtspersönlichkeit

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 10.10.2024 (GmbHR 2024, 1324 ff. m. Anm. Wertenbruch; vgl. dazu auch den Wirtschaftsrecht-Blog v. 26.11.2024) die Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen Vereins bejaht. Der 34. Zivilsenat des OLG München bestätigt dies nun mit seinem Beschluss vom 10.2.2025 (OLG München v. 10.2.2025 – 34 Wx 328/24 e, juris).

Der nicht eingetragene Verein ist auf Grundlage des am 1.1.2024 in Kraft getretenen MoPeG auch begrifflich kein „nicht rechtsfähiger“ Verein, sondern vielmehr ein „rechtsfähiger Verein ohne Rechtspersönlichkeit“. Es fehlt also – im Vergleich zum eingetragenen Idealverein – nur der Status als juristische Person. Das MoPeG verweist mit der Neuregelung des § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH – für den nicht eingetragenen Idealverein auf die für den eingetragenen Idealverein geltenden §§ 24 bis 53 BGB. Die Eintragung des Idealvereins in das Vereinsregister ist damit eindeutig nicht konstitutiv für die Rechtsfähigkeit, sondern nur Voraussetzung der Rechtspersönlichkeit, also der Anerkennung als juristische Person des Zivilrechts. Die Regelung des § 21 BGB, auf die das MoPeG für den nicht eingetragenen Idealverein gerade nicht verweist, betrifft die Entstehung der rechtsfähigen juristischen Person. Diese Eigenschaft kommt dem nicht eingetragenen Idealverein auch auf Grundlage des MoPeG nicht zu.

Nach Auffassung des OLG München sprechen die besseren Gründe für die Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen Idealvereins ohne Rechtspersönlichkeit (OLG München v. 10.2.2025 – 34 Wx 328/24 e, juris Rz. 17). Das Gericht verweist zunächst darauf, dass der MoPeG-Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Streichung des § 50 Abs. 2 ZPO a.F. und des § 735 ZPO a.F. die materielle Rechtsfähigkeit des Idealvereins ohne Rechtspersönlichkeit sowie die aktive und passive Parteifähigkeit in Prozess und Zwangsvollstreckung konstatiere (OLG München v. 10.2.2025 – 34 Wx 328/24 e, juris Rz. 17 mit Verweis auf Begründung Regierungsentwurf, BT-Drucksache 19/27635, 202). Der MoPeG-Gesetzgeber habe, so das OLG München, mit der Neuregelung des § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB „an die schon seit langem bestehende Rechtslage“ anknüpfen wollen (OLG München v. 10.2.2025 – 34 Wx 328/24 e, juris Rz. 17 mit Verweis auf Begründung Regierungsentwurf, BT-Drucksache 19/27635, 124). Dazu gehöre auch die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2016 (WM 2016, 986), die in der Sache eine Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen Vereins bejahe. Der V. Zivilsenat des BGH hat allerdings in dieser Entscheidung aufgrund der globalen Verweisung des § 54 Satz 1 BGB a.F. auf das Recht der GbR die Grundbuchfähigkeit des nicht im Vereinsregister eingetragenen Vereins nur unter der Voraussetzung der Einhaltung des § 47 Abs. 2 GBO a.F. anerkannt, nach dem bei der rechtsfähigen GbR auch deren Gesellschafter in das Grundbuch einzutragen waren (BGH v. 21.01.2016 – V ZB 19/15, WM 2016, 986 Rz. 15; vgl. dazu auch OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, GmbHR 2024, 1324 m. Anm. Wertenbruch).

Nach der MoPeG-Neufassung des § 47 Abs. 2 GBO kann eine GbR nur in das Grundbuch eingetragen werden, wenn sie im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Es gilt also insoweit das sog. Voreintragungsprinzip (vgl. dazu auch OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, GmbHR 2024, 1324 m. Anm. Wertenbruch). Die Neufassung des § 54 BGB verweist aber für das Recht des nicht eingetragenen Idealvereins ohne Rechtspersönlichkeit nicht mehr auf das Recht der GbR, sondern auf das Recht des eingetragenen Idealvereins mit Rechtspersönlichkeit (§ 54 Abs. 1 Satz 1 iVm §§ 24 bis 53 BGB). Das OLG München geht daher zutreffend davon aus, dass § 47 Abs. 2 GBO – und damit das dort verankerte Voreintragungsprinzip – nicht auf den nicht eingetragenen Idealverein angewendet werden kann (OLG München v. 10.2.2025 – 34 Wx 328/24 e, juris Rz. 17). Zudem sieht das Gericht zu Recht in der Neufassung des § 15 Grundbuchverfügung (GBV) keinen Hinderungsgrund hinsichtlich der Eintragung des Idealvereins ohne Rechtspersönlichkeit in das Grundbuch.

Im Fall des OLG München hatte das AG Memmingen die Eintragung des nicht eingetragenen Idealvereins als Inhaber eines Nießbrauchsrechts sowie als Gläubiger einer Briefgrundschuld abgelehnt. Das AG Memmingen verlangte unter Verweis auf eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 2 GBO eine vorherige Eintragung in das Vereinsregister. Die Beschwerde führte zur Aufhebung des Beschlusses.

Hauptversammlungssaison 2025: Was erwartet uns?

Vor wenigen Tagen ist im Verlag Dr. Otto Schmidt das Handbuch börsennotierte AG in brandaktueller 6. Auflage erschienen. Über die Datenbanken des Verlags und von juris ist das Handbuch elektronisch bereits verfügbar. In der kommenden Woche soll es dann auch als gedrucktes Werk ausgeliefert werden. Ich freue mich, dass ich dazu abermals das Kapitel zur Hauptversammlung beisteuern konnte – einschließlich zweier gänzlich neuer Abschnitte speziell zur virtuellen HV (§ 38 und § 39). Aber auch in unzähligen anderen Punkten hat das eingespielte Team aus Verlag, Herausgebern und Autoren das renommierte Werk auf den aktuellen Stand gebracht. Wichtige Stichworte sind etwa die Börsenmantel-AG, die Wiedereinführung der Mehrstimmrechte, die Reform des Kapitalerhöhungsrechts, der EU Listing Act, die CSRD und die CSDDD.

Dabei könnte das Timing kaum besser sein – denn die HV-Saison 2025 hat just in diesen Tagen begonnen. Mit Siemens, TUI und thyssenkrupp haben erste Schwergewichte (mit abweichendem Geschäftsjahr) ihre ordentlichen Hauptversammlungen 2025 bereits hinter sich gebracht. Der Höhepunkt der Saison liegt wie immer im Mai. Dann hält bekanntlich der Großteil der DAX-, MDAX- und SDAX-Gesellschaften (mit regulärem Geschäftsjahr) seine Aktionärstreffen ab. Die rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.

Was erwartet uns nun in der HV-Saison 2025?

Präsenz oder virtuell?

Die Frage des HV-Formats spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle:

Erstens geht es darum, welches Format die Unternehmen in der soeben eingeläuteten HV-Saison 2025 nutzen. Das ist noch nicht in jedem Fall absehbar. Der Rückblick auf die Jahre 2023 und 2024 zeigt, dass im DAX mit einem Verhältnis von 3:1 das virtuelle Format dominierte. Im MDAX hingegen hielten sich physische und virtuelle Veranstaltungen in beiden Jahren die Waage. Und im SDAX sowie außerhalb der wesentlichen DAX-Indizes überwog sehr klar: das Präsenzformat. Daraus lässt sich ableiten, dass in erster Linie sehr große deutsche Börsenunternehmen das virtuelle Format schätzen und nutzen – namentlich aufgrund der Kostenvorteile, der besseren Planbarkeit und der potenziell größeren Reichweite. Mittelgroße und kleinere Aktiengesellschaften, mit oder auch ohne Listing, stellen hingegen oftmals andere Erwägungen in den Vordergrund. Diese Interessenlage und damit auch das empirische Gesamtbild dürften sich in der Saison 2025 nicht grundlegend verschieben. Einige Unternehmen werden zwar das Versammlungsformat wechseln: So möchten etwa SAP und BASF nach zwei Jahren der Präsenz erstmals das neue virtuelle Format testen. Umgekehrt plant beispielsweise die Deutsche Börse erstmals seit der Pandemie wieder ein physisches Aktionärstreffen. Solche Wechsel in beide Richtungen gab es aber auch schon im Vorjahr. Auf das Gesamtbild hatten sie keine spürbaren Auswirkungen.

Zweitens steht, ähnlich wie in den Vorjahren, auch das „Wie“ beider Formate in Rede. Im Präsenzformat geht es dabei um freiwillige digitale Zusatzangebote für die Aktionäre. Zu denken ist etwa an eine Übertragung der Veranstaltung im Internet oder in einem zugangsgeschützten HV-Portal. Ferner an eine elektronische Briefwahl bis in die HV hinein – ähnlich wie im virtuellen Format. SAP hat hier in den vergangenen beiden Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen. Andere könnten sich in diesem Jahr daran orientieren. Für das virtuelle Format gibt es hingegen nur wenige echte Stellschrauben. Im Kern dreht sich hier alles um die Modalitäten des Fragerechts. Viele Aktionäre erwarten einen Live-Austausch mit dem Management. Das gilt auch für ihre Fragen und deren Beantwortung. Die allermeisten Unternehmen haben sich hierauf schon in den Vorjahren eingestellt. Das Gegenmodell, also das Einsammeln aller Fragen im Vorfeld der HV, nutzten hingegen nur wenige Gesellschaften. Dies im Übrigen mit stetig abschmelzender Tendenz. Die Deutsche Bank hat jüngst angekündigt, für ihre virtuelle HV 2025 nunmehr ebenfalls auf Live-Fragen umzustellen. Damit dürfte das „Fragenvorfeld“ sich für die aktienrechtliche Praxis erledigt haben. Es war stets aktionärsfreundlich gemeint. Bei Aktionärsschützern und in der Presse kam es aber leider niemals gut an.

Schließlich und drittens: Nahezu alle börsennotierten Gesellschaften müssen die Aktionäre in der Saison 2025 um eine neue Ermächtigung ersuchen, ihre HV bei Bedarf auch künftig rein digital abzuhalten. Hintergrund ist, dass die Notstandsgesetze der Coronazeit im Jahr 2022 ausgelaufen sind und der Gesetzgeber mit dem VHVG 2022 für das virtuelle Format einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Seither steht das virtuelle Format nicht mehr kraft Gesetzes zur Verfügung. Vielmehr muss die jeweilige Satzung eine HV im Internet, ohne physische Anwesenheit der Aktionäre, selbst vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen. Beides geht nur befristet auf maximal fünf Jahre – ähnlich wie beim genehmigten Kapital. Abweichend davon wurden die Ermächtigungen im Jahr 2023 aber zumeist nur für zwei Jahre vorgeschlagen und beschlossen – denn so forderten es mächtige Stimmrechtsberater, Investoren und Aktionärsschützer.

Deren Anforderungen haben sich seither eher noch verschärft. Es bleibt darum dabei, dass bei breitem Streubesitz eine Laufzeit der Ermächtigung von mehr als zwei Jahren kaum durchsetzbar sein wird – und entsprechend moderat fallen auch die diesjährigen Beschlussvorschläge aus. Schwer könnte sich auch tun, wer seit dem Ende der Coronapandemie ausnahmslos das virtuelle Format genutzt hat und daran in absehbarer Zukunft auch nichts ändern möchte. Dann kann sich im Aktionärskreis erheblicher Widerstand formieren. Erste Beispiele aus diesem Jahr belegen dies eindrucksvoll: So haben bei Siemens und TUI die Beschlussvorschläge für eine neue Ermächtigung die erforderliche (allerdings jeweils auch qualifizierte) Mehrheit verfehlt. Beide Unternehmen müssen demnach im kommenden Jahr in Präsenz tagen. Anders hingegen bei thyssenkrupp: Eine Präsenzversammlung im vergangenen Jahr sicherte hier die notwendige Unterstützung der Stimmrechtsberater und Investoren. Ähnlich dürfte es sich bei Infineon verhalten. Dort hat das Management für das kommende Jahr 2026 eine Präsenzversammlung in Aussicht gestellt. Auf diese Weise ließ sich ein positives Votum des einflussreichen Stimmrechtsberaters ISS erreichen. Die eigentliche HV steht bei Infineon allerdings noch bevor.

Say on Pay

Viele Unternehmen müssen im Jahr 2025 überdies den Say on Pay einholen. Gemeint sind damit die Beschlüsse der HV sowohl über das Vorstandsvergütungssystem als auch über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder. Denn hierfür sieht das Gesetz eine Vorlage wenigstens im vierjährigen Turnus vor. Zuvor ist es erforderlich, das bestehende System sorgsam auf Überarbeitungsbedarf zu überprüfen. Zwar hat sich der gesetzliche Rahmen in den vergangenen Jahren kaum verändert. Gleiches gilt für die flankierenden Empfehlungen im Corporate Governance Kodex. Die Erwartungen der Investoren und Stimmrechtsberater sind jedoch erheblich gestiegen. Von besonderer Bedeutung ist es, das Vergütungssystem für den Vorstand überzeugend auf die Strategie des Unternehmens abzustimmen – und mit der Strategie wiederum muss, je nach Aktionärskreis, der Spagat zwischen unterschiedlichen und teilweise sogar gegensätzlichen Investorenerwartungen gelingen. Das gilt vor allem in puncto ESG. Aus europäischer Sicht ist der Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten weiterhin, wenn nicht sogar mehr denn je eine wichtige Richtschnur. Demgegenüber gerät er in den USA als strategisches Ziel zunehmend unter Druck. Der jüngst vermeldete Ausstieg zahlreicher US-Unternehmen, US-Banken und US-Investoren aus Klimaallianzen macht dieses Dilemma besonders sichtbar.

Say on Climate

Aus demselben Grund dürfte der sogenannte Say on Climate in der HV-Saison 2025 allenfalls eine Nebenrolle spielen. Es besteht keine gesetzliche Pflicht, die Aktionäre über die Klima- und Umweltpolitik des Unternehmens abstimmen zu lassen. Folgerichtig können die Aktionäre einen solchen Beschlusspunkt auch nicht rechtsverbindlich verlangen. Zwei deutsche Börsenunternehmen, die Alzchem Group und die GEA Group, haben in den Jahren 2023 bzw. 2024 auf freiwilliger Basis ein Aktionärsvotum hierzu eingeholt – und dies auch mit großem Erfolg. Andere Unternehmen zeigen sich in diesem Punkt allerdings zurückhaltend. Das galt schon vor den US-Wahlen im November 2024. Jedoch wird die Zurückhaltung durch deren Ergebnis sowie den dadurch massiv beschleunigten „ESG-Backlash“ noch verstärkt. Die gute Nachricht ist aber: Auch auf Investorenseite spürt man aktuell offenbar kein echtes Bedürfnis nach einem Say on Climate. Der Beschlusspunkt wird also kaum einmal offensiv eingefordert, schon wegen der hohen Komplexität des Themas sowie auch deshalb, weil das bloße Prozedere einer Aktionärskonsultation für sich genommen keinerlei klima- oder umweltschützende Wirkung versprechen dürfte.

Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers

Die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht ist überfällig. Eigentlich hätte sie bis Mitte des Jahres 2024 stattfinden müssen. Gleichwohl haben mehrere Unternehmen schon im vergangenen Jahr – sei es auch nur vorsorglich – ihre HV einen Prüfer für den erwarteten Nachhaltigkeitsbericht 2024 wählen lassen. Zu nennen sind aus dem DAX40 namentlich Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Post, E.ON, Fresenius, MTU Aero Engines, Münchener Rück, SAP und Symrise. Demgegenüber setzte die Mehrheit der Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Hoffnung noch in eine gesetzgeberische Übergangslösung. Diese ist aber nunmehr – ebenso wie die Umsetzung der CSRD insgesamt – auf unabsehbare Zeit vertagt. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission kürzlich unter dem Stichwort „Omnibus“ eine Konsolidierung und Komprimierung der CSRD, der CSDDD, der Taxonomie-VO sowie weiterer „grüner“ Regelwerke in Aussicht gestellt hat. Gleichwohl dürfte die Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers auch in der Saison 2025 auf zahlreichen Tagesordnungsordnungen stehen – vermutlich sogar noch öfter als im Jahr 2024. Infineon jedenfalls verfährt so, ebenso wie zuvor schon Siemens, TUI, thyssenkrupp und thyssenkrupp nucera. So lassen sich die Weichen für den Nachhaltigkeitsbericht 2025 zumindest in diesem Punkt frühzeitig stellen.

Nachhaltigkeitsbericht 2024

Davon unabhängig stellt sich die Frage, wie die Unternehmen für ihr jüngst abgelaufenes Geschäftsjahr 2024 über Nachhaltigkeit berichten werden, nachdem die Umsetzung der CSRD weiter auf sich warten lässt. Die CSRD als solche hat als europäische Richtlinie keine unmittelbare Wirkung für oder gegen die Unternehmen. Fakt ist aber, dass börsennotierte Unternehmen bereits seit vielen Monaten, wenn nicht sogar deutlich länger, ihren Nachhaltigkeitsbericht 2024 in mühevoller Detailarbeit vorbereitet haben. Die Texte sind auf dem Papier und wollen verwendet werden. Eine denkbare Lösung ist es, den vorbereiteten Nachhaltigkeitsbericht (auch) als nicht-finanziellen Bericht im Sinne der CSR-Richtlinie 2014 und des CSR-RL-UmsG 2017 zu etikettieren und zu veröffentlichen – mit den neuen ESRS als Referenzrahmenwerk. Zahlreiche Unternehmen entscheiden sich für diesen Weg, auch um hierauf im kommenden Jahr wieder aufsetzen zu können. Demgegenüber erwägen andere, es für 2024 bei einem „klassischen“ nicht-finanziellen Bericht schlankeren Zuschnitts bewenden zu lassen. Beide Wege sind rechtlich und unternehmenspolitisch vertretbar. Eine einheitliche Praxis wird erst das CSRD-UmsG herbeiführen – wenn und sobald es denn kommt.

Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind günstig – Der Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit der EU

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die EU-Kommission am 29.1.2025 eine Strategieanpassung in dem Format eines Fünfjahresplans vorgelegt, der insbesondere auf eine Änderung der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO abzielt. Der Beitrag stellt die Kommissionsvorschläge dar und geht dabei auch auf die Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts ein.

Hintergrund: Letta- und Draghi-Report

Bestimmten bis in die jüngste Vergangenheit Green Deal und im Unternehmensrecht insbesondere die Sustainable Finance-Strategie der EU praktisch ausschließlich oder weitgehend die Brüsseler Agenda, hat spätestens in Reaktion auf die Ergebnisse des Letta-Berichts (Letta, Much more than a market) sowie des Draghi-Reports (Draghi, The future of European competitiveness), die jeweils den massiven und konstanten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten und China quasi offiziell bestätigen, ein Umdenken eingesetzt.

Bereits in der Budapester Erklärung vom 8.11.2024 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und die Kommission eine umfassende Rekalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU durch einen den Green Deal ergänzenden „New Deal“ zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit angekündigt. Unmittelbare Relevanz aus Sicht des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts hat dabei die als kurzfristig umzusetzende Maßnahme vorgestellte „Einleitung eines revolutionären Vereinfachungsprozesses, der für einen klaren, einfachen, und intelligenten Regelungsunternehmen für Unternehmen sorgt und den Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand, insbesondere für KMU, drastisch verringert.“ Den Umfang der Reduzierung der von Unternehmen zu beachtenden Berichtspflichten taxiert die Budapester Erklärung auf mindestens 25 Prozent, wobei auch und insbesondere die Berichtspflichten nach Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) und des Nukleus des europäischen Nachhaltigkeitsrechts, der Taxonomie-VO, Gegenstände der beabsichtigten Vereinfachungen bilden sollen.

Der Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die Kommission nunmehr die in Budapest angekündigte Strategieanpassung in dem – etwas gewöhnungsbedürftigen – Format eines Fünf-Jahresplans vorgelegt (EU-Kommission, A Competitiveness Compass for the EU v. 29.1.2025, COM (2025) 30 final). Auf einer Meta-Ebene identifiziert der Kompass zunächst die notwendigen Bedingungen (transformational imperatives to strengthen competitiveness) für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der EU (Innovationskraft, Versöhnung von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit, „de-risking“) und die dazu erforderlichen Einzelschritte (flagship actions). Flankiert werden diese übergeordneten Ziele und das zu ihrer Verwirklichung vorgesehene Maßnahmenbündel durch sog. horizontale Ermöglicher von Wettbewerbsfähigkeit (horizontal enablers of competitiveness), u.a. die signifikante Reduktion der bestehenden Regulierungsdichte. Zu letzterem zählt auch der bereits in der Budapester Erklärung in Aussicht gestellte Omnibus-Rechtsakt zur Verschlankung der voluminösen und voraussetzungsvollen Pflichten der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO. Hinzu tritt eine Modifikation des Anwendungsbereichs von CSRD und CS3D durch Schaffung einer neuen Größenklasse für Unternehmen, sog. „kleine mittelgroße Unternehmen“ (small mid-caps), die gleichfalls dem Ziel verpflichtet ist, die Bürokratiekosten für als small-mid caps zu qualifizierende Unternehmen zu senken. Der Vorschlag für den Omnibus-Rechtsakt soll bereits im Februar 2025 vorgelegt werden.

Konkretisierung der Zielvorgaben

Auch wenn der Kompass im Übrigen grundsätzlich noch keine Details offenbart, lassen sich aus den Verlautbarungen anlässlich und im Nachgang der Budapester Erklärung vorsichtige Rückschlüsse auf voraussichtliche oder doch zumindest mögliche Inhalte ziehen. Besondere Bedeutung besitzt insoweit u.a. die praktisch zeitgleich mit dem Kompass publik gewordene Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts (Note des autorités Francaises – Propositions des mesures pour l’agenda européen de simplification réglementaire et administrative, 20.1.2025 (NAF)). Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil man konstatieren dürfen wird, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Frankreich die Rolle der Leitjurisdiktion für die EU-Gesetzgebung übernommen hat und zudem Eingabe und Kompass ersichtlich im Wissen umeinander entstanden sein dürften. Im Folgenden werden einige der unternehmensrechtlich zentralen Positionen von Kompass und NAF vorgestellt.

Small mid-cap / enterprise de taille intermédiare – Neue Größenklasse für Unternehmen i.S.d. § 267 HGB

Kompass und NAF stimmen zunächst in der Empfehlung einer zusätzlichen Größenkategorie im europäischen Unternehmensrecht überein, wobei die NAF über das Strategiepapier der Kommission hinausgehend auch die empfohlenen Qualifikationsmerkmale benennt. Grenzwerte für das Vorliegen eines small mid-cap bzw. enterprise de taille intermédiare (ETI) sollen danach sein: (1) Umsatzerlöse von nicht mehr als 1,5 Milliarden Euro, (2) Bilanzsumme von nicht mehr als 2 Milliarden Euro und (3) im Jahresdurchschnitt zwischen 250 und 500 Arbeitnehmer. ETI nach dem französischen Vorschlag wären entsprechend zwischen mittelgroßen (§ 267 Abs. 2 HGB) und großen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) anzusiedeln. Gleiches dürfte auch für die small-mid caps des Kompasses gelten, auch wenn die Namensgebung (small mid-cap) selbst eine Verortung als kleine mittelgroße Kapitalgesellschaft, also zwischen § 267 Abs. 1 und Abs. 2 HGB zuließe.

CS3D – (Moratorium und) Revision

Besonders bemerkenswert ist, dass Frankreich, also der Mitgliedstaat, der mit der Verabschiedung des Loi de Vigilance (Loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre) einen wesentlichen Impuls für das europäische Lieferkettenregime gesetzt hat, sich bezüglich der CS3D in einem ersten Schritt für eine Verschiebung des Inkrafttretens auf unbestimmte Zeit ausspricht. Das damit gewonnene Zeitfenster soll insbesondere dazu genutzt werden, um die folgenden als notwendig erachteten Korrekturen umzusetzen: (1) Klarstellung, dass die durch die Kommission zu erlassenden Mustervertragsklauseln und Leitlinien dem Umstand Rechnung zu tragen haben, dass Sorgfaltspflichten in der Lieferkette reine Prozesspflichten sind, (2) Neuvermessung von Anwendungsbereich und gestaffeltem Inkrafttreten der CS3D – auch unter Berücksichtigung der neuen Größenklasse der „small mid-caps“, (3) Harmonisierung der Überwachung der CS3D, etwa durch Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsbehörde, die primär eine beratende und vermittelnde Funktion haben soll, (4) Ergänzung eines ausdrücklichen Konzernprivilegs, wonach die Konzernspitze die CS3D-Pflichten gruppenweit mit entlastender Wirkung für ihre Töchter wahrnehmen kann, sowie (5) die Streichung von Art. 36 Abs. 1 CS3D, d.h. Verzicht auf ein Sonder-Lieferkettenregime für den Finanzsektor. Sowohl NAF als auch Kompass stellen zudem wirksame Vorkehrungen gegen den sog. „trickle-down“-Effekt in Aussicht; mit trickle-down wird dabei der Umstand beschrieben, dass Unternehmen, die nicht vom Anwendungsbereich der CS3D erfasst werden, faktisch die Sorgfaltspflichten der CS3D beachten müssen, weil sie ihnen von verhandlungsstarken Zulieferern oder Abnehmern vertraglich auferlegt werden. Ob sich die Kommission für den weitreichenden Vorschlag einer zeitlich unbegrenzten Aussetzung der CS3D offen zeigt, wird man mit einem Fragezeichen versehen müssen. Trotz aller Kritik haben die EU-Institutionen die CS3D durchgängig als Leuchtturmprojekt beworben, zudem wird die Haltung des EP, das hinsichtlich der Lieferkettenverantwortung von Unternehmen noch deutlich weitergehende Vorstellungen hat, zu berücksichtigen sein. Einigungsfähig erscheinen demgegenüber u.a. vorsichtige Korrekturen zur Verhinderung des Trickle-Down-Effekts, da es der Logik des gestuften Anwendungsbereichs der CS3D entspricht, dass kleinere Unternehmen nicht (der vollen Last) der CS3D-Sorgfaltspflichten ausgesetzt werden.

CSRD

Voraussichtlich mit wesentlichen Modifikationen wird für den Bereich der CSRD zu rechnen sein. Im Zentrum dürfte dabei weniger die Richtlinie selbst als vielmehr die überaus breit geratene Ausformung der Berichtspflichten durch EFRAG stehen. Die NAF, die insoweit nicht weit von den Überlegungen der Kommission entfernt sein sollte, spricht sich bei grundsätzlicher Unterstützung für die CSRD für die folgenden Modifikationen aus: (1) erhebliche Reduzierung der berichtspflichtigen Datenpunkte und Fokussierung auf klimarelevante Aspekte, (2) Übernahme der Kategorie der small mid-caps in die CSRD mit einem proportional gestalteten Reporting-Programm, (3) Einschränkung der Berichtspflichten in der Lieferkette auch und gerade für große Unternehmen, um den Trickle-down-Effekt (s.o.) zu verhindern sowie (4) die Neuformulierung des ESRS E1 Abs. 1, um klarzustellen, dass die Offenlegungspflichten für sich keine Verpflichtung begründen, einen mit dem Pariser Klimaabkommen zu vereinbarenden Emissionsreduktionsplan aufzustellen.

Taxonomie

Vereinfachungen werden zudem von Kompass wie auch NAF für die Taxonomie-VO erwogen, die als Referenzsystem der Sustainable Finance-Regulierung der EU verbindlich festlegt, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig qualifiziert werden kann (vgl. Art. 1 Abs. 1 EU/2019/2088). Abzuwarten bleibt, an welchen Stellen diesbezüglich angesetzt wird, krankt die Taxonomie-VO doch an einer Reihe von nicht zuletzt technischen Schwächen (vgl. Ekkenga/Posch, WM 2021, 205). Große Erwartungen sind diesbezüglich allerdings kaum gerechtfertigt, findet doch der Umfang der Taxonomie seine Ursache letztlich in dem gesetzgeberischen Ziel, jede denkbare Erscheinungsform wirtschaftlichen Handels individuell unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu klassifizieren.

Fazit

Die Sentenz aus den Seneca zugeschriebenen Epistulae morales aufgreifend wird man im Strategiepapier einen ersten Schritt zur notwendigen Kalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU sehen dürfen. Aufgenommen wird damit die nicht unberechtigte verbreitete und wachsende Kritik in Wirtschaft und Wissenschaft an Frequenz, Procedere und Regulierungstiefe der Brüsseler Gesetzgebung (gegen einen Revisionsprozess bzw. eine Verwässerung von CSRD und CS3D haben sich allerdings u.a. Ferrero, Nestlé und Unilever positioniert). Auch der grünen Transformation verpflichtete Regeln und Maßnahmen binden Ressourcen, ziehen Allokationseffekte nach sich und sind deshalb einem Test auf Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit zu unterziehen. Dass muss gerade im Politikfeld nachhaltiger Wirtschaft gelten. Die Vieldeutigkeit und Komplexität von Begriffen wie „grün“ oder „nachhaltig“ implizieren bereits für sich ausladende Regelwerke (Taxonomie-VO), so dass eine Konzentration auf Wesentliches von zentraler Bedeutung ist. Als echtes Manko wird man deshalb das Fehlen eines umfassenden Bekenntnisses zu einem reduzierten Regelungsumfang und -tempo bezeichnen müssen. Im Gegenteil stellt der Kompass eine Vielzahl weiterer Verordnungen und Richtlinien in Aussicht. Dass selbst das grundsätzlich regulierungsfreudige Frankreich (planification) einen harten Stopp, sollte auch in Brüssel aufhorchen lassen. Jenseits echter geopolitischer Notwendigkeiten sollte tunlichst ein Rückfall in die wenig erfolgreichen Phasen aktiver Industriepolitik mittels immer kleinteiligerer Regulierung vermieden werden.

Urteil des II. Zivilsenats des BGH zur Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses der Personengesellschaft und Bindung an eine Stimmabgabe gem. §§ 130, 145 ff. BGB

I. Der Fall des BGH: Widerruf einer Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in der KG vor Ende der Abstimmungsfrist nach Erhalt eines Übernahmeangebots

Im Fall des BGH (Urteil v. 22.10.2024 – II ZR 64/63, WM 2025, 31) ging es um die Beschlussfassung im schriftlichen Abstimmungsverfahren in einer Publikumskommanditgesellschaft mit mehr als 12.000 Anlegern. Die Klägerin ist als Treugeberin mittelbar an der KG beteiligt. Beschlussgegenstand war die Zustimmung zum Verkauf einer Immobilie durch die H-Objektgesellschaft, an der die KG zu 94 % beteiligt war. Mit Schreiben vom 14.11.2019 lud die W-GmbH als geschäftsführende Kommanditistin der KG – in Übereinstimmung mit den Vorgaben des KG-Gesellschaftsvertrags – die Anleger zur Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren ein. Zur Ausübung des Stimmrechts mussten die beigefügten Stimmzettel spätestens bis zum 12.12.2019 unterschrieben zurückgesandt werden. In dem betreffenden Schreiben wurde den Anlegern eine Rückzahlung von 32,74 % des Anlagebetrags bei Zustandekommen des Verkaufs der Immobilie in Aussicht gestellt. Mit Schreiben vom 18.11.2019, also vier Tage nach Beginn des Abstimmungsverfahrens, unterbreitete die klagende Treugeberin den Anlegern der KG das Angebot, ihre Anteile für 34 % des Nominalwerts anzukaufen und sie von der Nachhaftung freizustellen. Das Angebot war befristet bis zum 11.12.2019 und stand unter der Bedingung, dass der Anleger im laufenden Abstimmungsverfahren gegen die Veräußerung der Immobilie der Objektgesellschaft stimmte. Die Treugeberin W, die über 25 Stimmen verfügte und am 15.11.2019 bereits mit „Ja“ gestimmt hatte, widerrief am 20.11.2019 ihre Stimmabgabe und reichte nunmehr einen Stimmzettel mit „Nein“ ein. Unter Berücksichtigung der (ursprünglichen) „Ja“-Stimmen der Treugeberin W wurde die erforderliche Mehrheit von mehr als Dreivierteln der abgebebenen Stimmen mit 75,004 % knapp erreicht. Die klagende Treugeberin wandte sich mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Berücksichtigung der „Ja“-Stimmen der Treugeberin W sowie drei weiterer „Ja“-Stimmen von Anlegern, die ebenfalls nach Eingang des Übernahmeangebots der Klägerin innerhalb der Abstimmungsfrist den Widerruf erklärten.

II. Einordnung der Stimmabgabe als Willenserklärung im Sinne des BGB mit der Folge der Anwendung des 130 BGB

Der II. Zivilsenat des BGH bestätigt zunächst die ständige Rechtsprechung und h.L., nach der die Stimmabgabe eines Gesellschafters im Rahmen der Beschlussfassung einer Personengesellschaft eine empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, so dass grundsätzlich die allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte einschließlich der Zugangsregelung des § 130 BGB Platz greifen. Nach § 130 BGB wird die Stimmerklärung im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Adressaten wirksam, sofern diesem nicht zuvor oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Die Zugangsregelung des § 130 BGB ist auch dann anwendbar, wenn in einer Präsenzversammlung nicht anwesende Gesellschafter audiovisuell zugeschaltet werden (vgl. dazu Wertenbruch GmbHR 2019, 149, 152 f.).

Unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung geht der BGH davon aus, dass eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung zugeht, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Entsprechendes gilt für die Widerrufserklärung i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Für das Wirksamwerden einer Willenserklärung unter Anwesenden, also in einer Präsenzversammlung, und von elektronischen Willenserklärungen gelten zwar Besonderheiten, aber das gleiche Prinzip (vgl dazu Erman/Arnold, BGB, 17. Auflage 2023, § 130 Rz. 21 ff. und Rz. 9; Wertenbruch, BGB Allgemeiner Teil, 6. Auflage 2024, § 8 Rz. 27 ff. Rz. 11 sowie Rz. 19 ff.). Im Fall des BGH erfolgte der Zugang der „Ja“-Stimmen der Treugeberin W am 15.11.2019. Der erst am 20.11.2019 zugegangene Widerruf war daher verspätet.

III. Widerruf der Stimmabgabe in der Interimsphase zwischen Zugang beim Abstimmungsleiter und Ablauf der Abstimmungsfrist?

1. Keine Anwendung des 130 BGB zwischen Zugang der Stimmabgabe und Wirksamwerden des Beschlusses nach Fristablauf

In Bezug auf die umstrittene und höchstrichterlich bislang noch nicht abschließend entschiedene Frage der Bindung eines Gesellschafters an seine Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in einer Personengesellschaft nach Zugang der Stimme beim Abstimmungsleiter bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens wendet der II. Zivilsenat des BGH – abweichend vom Berufungsgericht – die allgemeine Zugangsregelung des § 130 BGB und speziell die Widerrufsregelung des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB zutreffend nicht an. Insoweit muss nämlich in der Tat präzise unterschieden werden zwischen dem Wirksamwerden der einzelnen Stimmabgabe durch Zugang gem. § 130 Abs. 1 BGB beim Abstimmungsleiter und dem Wirksamwerden des Gesellschafterbeschlusses nach Ablauf der Abstimmungsfrist durch Auszählung der abgegebenen Stimmen und Feststellung des Beschlussergebnisses.

2. Primat von Gesellschaftsvertrag, abstimmungsbezogenen Gesellschaftervereinbarungen und eines geäußerten Bindungswillens – Grundsatz der Bindung

Für die Frage des Widerrufs einer Stimmabgabe kommt es nach Ansicht des II. Zivilsenats des BGH zuvörderst darauf an, ob der Gesellschaftsvertrag dazu eine Regelung vorsieht oder die Gesellschafter insoweit speziell für das konkrete Abstimmungsverfahren eine Vereinbarung getroffen haben. Zudem kann, so der BGH, im konkreten Fall eine Bindung an eine Stimmabgabe aus einem ausdrücklich oder konkludent erklärten Bindungswillen des einzelnen stimmberechtigten Gesellschafters zu folgern sein. Im Fall des BGH ergab sich bei Prüfung dieser besonderen Kriterien kein Ausschluss des Widerrufs einer abgegebenen Stimme. Insoweit rekurriert der II. Zivilsenat auch zu Recht darauf, dass aus der Geltung einer statutarischen Abstimmungsfrist deshalb keine unmittelbare Bindung an eine Stimmabgabe abgeleitet werden kann, weil diese Frist aus Sicht eines verständigen Publikumspersonengesellschafters nicht das Inkrafttreten des Beschlusses am Tag nach Fristablauf durch zeitliche Streckung des Auszählungsvorgangs gewährleisten, sondern vielmehr den stimmberechtigten Gesellschaftern die gebotene Informations- und Überlegungsfrist garantieren soll.

Für den Fall, dass auf Grundlage der genannten besonderen Parameter keine Einschränkung der Bindungswirkung zu bejahen ist, geht der BGH nunmehr von einer grundsätzlichen Bindung des Gesellschafters an seine Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang beim Abstimmungsleiter aus. Der Gesellschafter kann demnach seine durch Zugang beim Abstimmungsleiter gem. § 130 Abs. 1 BGB wirksam gewordene Stimmabgabe grundsätzlich jedenfalls nicht mehr frei bis zum Ende der Abstimmungsfrist widerrufen. Im Fall des BGH war dieses Prinzip entscheidungserheblich, weil eine gesellschaftsvertraglich angeordnete Bindung fehlte und ein zumindest konkludent erklärter Bindungswillen der Treugeberin W nicht vorlag. Die Treugeberin W konnte daher ihre Stimmabgabe nach Zugang beim Abstimmungsleiter am 15.11.2019 nicht mehr frei widerrufen.

Der II. Zivilsenat des BGH weicht mit der im hier in Rede stehenden Judikat vom 22.10.2024 vertretenen Bindungsdoktrin von der Rechtsprechung des Reichsgerichts ab, nach der ein Gesellschafter an seine Stimmabgabe bis zum Zustandekommen des Beschlusses nicht gebunden und jederzeit zum freien Widerruf berechtigt ist (RGZ 128, 172, 177; einschränkend allerdings RGZ 163, 385, 392 f.). Im Urteil vom 13.2.1990 (BGH v. 13.2.1990 – II ZR 42/89, ZIP 1990, 505, 508) hatte der II. Zivilsenat des BGH dies noch ausdrücklich offengelassen. Abgelehnt wurde vom BGH nunmehr auch die der RG-Rechtsprechung folgende Literaturauffassung, nach der eine Stimmabgabe bis zum Ablauf einer Abstimmungsfrist grundsätzlich frei widerruflich ist, sofern nicht ausnahmsweise die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eine Beschränkung gebietet.

3. Begründung für das Prinzip der Bindung an eine durch Zugang wirksam gewordene Stimmabgabe

a) Einordnung des Gesellschafterbeschlusses als mehrseitiges Rechtsgeschäft sui generis – Ablehnung einer Anwendung der §145 ff. BGB

Im Ergebnis geht die Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH in Bezug auf die Bindungswirkung konform mit der überwiegenden Literaturauffassung, nach der die Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in einer Personengesellschaft nach ihrem Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens grundsätzlich bindend und jedenfalls nicht mehr frei widerruflich ist. Die von einem Teil der Literatur als Begründung herangezogene direkte oder analoge Anwendung der §§ 145 ff. BGB lehnt der BGH ab. Insoweit wird unter Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung (zuletzt BGH v. 24.7.2012 – II ZR 185/10, ZIP 2013, 366 Rz. 3) konstatiert, dass der Gesellschafterbeschluss einer Personengesellschaft als Akt verbandsinterner Willensbildung kein Vertrag i.S.d. §§ 145 ff. BGB, sondern vielmehr ein mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener Art ist, das auf der Zusammenfassung der einzelnen Stimmabgaben der Gesellschafter beruht und auf eine kollektive, rechtsverbindliche Willensbildung gerichtet ist. Die Stimmabgabe des Gesellschafters ist danach Bestandteil dieses mehrseitigen Rechtsgeschäfts und geht mit Zustandekommen des Gesellschafterbeschlusses in ihm auf.

Den wesentlichen Unterschied zwischen dieser verbandsinternen Willensbildung und einem Vertragsschluss nach den §§ 145 ff. BGB sieht der BGH zum einen darin, dass der Gesellschafterbeschluss nicht auf einem Austausch von aufeinander bezogenen Willenserklärungen, sondern auf der Zusammenfassung gleichgerichteter Willenserklärungen zur Bildung eines Organwillens beruhe. Anders als bei einem Vertragsschluss nach den §§ 145 ff. BGB sollen die abgegebenen Willenserklärungen, so der BGH, nicht unmittelbar selbst bereits eine Wirkung für das Rechtsverhältnis der Beteiligten entfalten, sondern erst der durch sie gebildete Organwille. Zum anderen beruhe der Vertragsschluss nach den §§ 145 ff. BGB auf dem Prinzip der Willenseinigung der an dem Rechtsgeschäft beteiligten Parteien, während eine Beschlussfassung im Falle der Geltung des Mehrheitsprinzips auch die überstimmten oder sich der Stimme enthaltenden Gesellschafter binde. Abgelehnt wird vom II. Zivilsenat des BGH auch eine Bindung an die Stimmabgabe wegen Vorliegens eines einseitigen, grundsätzlich unwiderruflichen Rechtsgeschäfts.

Dass § 145 BGB die Bindung an ein Angebot ausdrücklich regelt, ist zudem nicht Ausdruck eines allgemeinen Charakters der Willenserklärung, sondern vielmehr der abweichenden Rechtslage nach Gemeinem Recht geschuldet. Nach Gemeinem Recht war das Angebot auf Abschluss eines Vertrags bis zur Annahme durch den Adressaten widerruflich (Motive, Mugdan I, S. 164 Randpagin. 164; Wertenbruch, BGB Allgemeiner Teil, 6. Auflage 2024, § 10 Rz. 2). Für die Beschlussfassung in der Personengesellschaft ist eine derartige Bindungsnorm nicht vorhanden. Eine Regelung über das Zustandekommen eines Vertrags durch übereinstimmende – wegen der Möglichkeit des Vertragsschlusses durch inhaltlich kongruente Kreuzofferten nicht zwingend aufeinander bezogene – Willenserklärungen sah der Gesetzgeber des BGB von 1900 (abweichend von der ersten BGB-Kommission) als überflüssig an (Protokolle, Mugdan I, S. 668 Randpagin. 156; Wertenbruch a.a.O. § 10 Rz. 1).

b) Grundsätzliche Unwiderruflichkeit wegen Funktion der Stimmabgabe als Bestandteil der kollektiven Willensbildung

Der grundsätzliche Ausschluss einer freien Widerruflichkeit einer durch Zugang nach § 130 BGB wirksam gewordenen Stimme bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft folgt nach Ansicht des BGH aus der Funktion der Stimmabgabe als Bestandteil der kollektiven Willensbildung und dem gemeinsamen Verbandsinteresse an einer möglichst raschen und rechtssicheren Bildung des Organwillens. Eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme wäre, so der BGH, mit dem generellen Zweck des Abstimmungsverfahrens nicht zu vereinbaren, eine nicht nur einfache, rasche und zielgerichtete, sondern vor allem auch möglichst rechtssichere kollektive Willensbildung zu bewerkstelligen. Daher widerspräche der freie Widerruf letztlich dem gemeinsamen Verbandsinteresse der Gesellschafter.

c) Widerruf der Stimmabgabe aus wichtigem Grund bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens?

Ob bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausnahmsweise eine Widerrufsmöglichkeit bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens zu bejahen ist, lässt der II. Zivilsenat des BGH ausdrücklich offen. Denn ein wichtiger Grund, der einen Widerruf eventuell rechtfertigen könnte, liege im konkreten Fall nicht vor. Nach Ansicht des BGH ist ein wichtiger Grund insbesondere nicht im Angebot der Klägerin zu sehen, den Treugebern ihre Gesellschaftsanteile unter der Bedingung einer „Nein“-Stimme bezüglich des zur Abstimmung gestellten Immobilienverkaufs in der Objektgesellschaft abzukaufen. Der Mehrheitsbeschluss war daher mit den Stimmen der Treugeberin W wirksam zustande gekommen. Auf die weiteren drei Stimmen, die Gegenstand eines Widerrufs waren, kam es für das Erreichen des Quorums nicht an.

 

OLG Frankfurt bejaht auf Grundlage des MoPeG die Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen Vereins

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 10.10.2024 – 20 W 186/24 auf Grundlage des am 1.1.2024 in Kraft getretenen Personengesellschaftsmodernisierungsgesetzes (MoPeG) zutreffend die Grundbuchfähigkeit des nicht eingetragenen nicht wirtschaftlichen Vereins ohne Rechtspersönlichkeit bejaht. Dies entspricht auch der inzwischen überwiegend vertretenen Literaturauffassung (Westermann/Anzinger in Erman, 17. Aufl. 2023, § 54 BGB Rz. 7a; Ellenberger in Grüneberg, 83. Aufl. 2024, § 54 BGB Rz. 8; Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 14 ff.; Schulteis, EWiR 2023, 654; Gummert, ZPG 2024, 370, 374 ff.; Bauer in Bauer/Schaub, 5. Aufl. 2023, § 13 GBO Rz. 37; Dörner in Schulze, 12. Aufl. 2024, § 54 BGB Rz. 8; Holzer in BeckOK/GBO, Stand: 2.9.2024, § 1 GBO Rz. 54). Die nicht im Vereinsregister eingetragenen Idealvereine, also auch Gewerkschaften und Parteien, sind nunmehr unter ihrem eigenen Namen in das Grundbuch einzutragen. Das Grundbuchamt darf die Grundbucheintragung nicht von einer vorherigen Eintragung in das Vereinsregister abhängig machen. Eine zusätzliche Eintragung der Namen sämtlicher Mitglieder des Vereins hat nicht zu erfolgen.

Im Fall des OLG Frankfurt hatte das Grundbuchamt unter Verweis auf die insbesondere von Enneking/Wöffen (NZG 2023, 308, 310 ff.) vertretene Gegenauffassung die Grundbucheintragung eines nicht eingetragenen Idealvereins von einer vorherigen Eintragung in das Vereinsregister abhängig gemacht, weil durch das MoPeG eine Regelungslücke entstanden sei. Es müsse daher, so das Grundbuchamt, in analoger Anwendung des Art. 229 § 21 EGBGB eine Eintragung in das Vereinsregister erfolgen, bevor eine Änderung der bestehenden Grundbucheintragung beantragt werden könne. Der verfahrensgegenständliche nicht im Vereinsregister eingetragene Idealverein war im Jahre 2021 mit dem Zusatz „bestehend aus den Mitgliedern (…) in Gesamthandsgemeinschaft“ als Eigentümerin eines Grundstücks in das Grundbuch eingetragen worden. Die Beschwerde der Notarin gegen die auf eine Voreintragungsobliegenheit gerichtete Zwischenverfügung des Grundbuchamtes hatte beim OLG Frankfurt in Erfolg.

Das OLG Frankfurt verweist zur Begründung zu Recht auf die Neufassung des § 54 BGB durch das MoPeG. Nach der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung des § 54 Satz 1 BGB fanden auf Vereine, „die nicht rechtsfähig sind“, die „Vorschriften über die Gesellschaft“ Anwendung. Gemäß § 47 Abs. 2 GBO a.F. waren, wenn ein Recht für eine GbR eingetragen werden sollte, auch deren Gesellschafter im Grundbuch einzutragen. Da der II. Zivilsenat des BGH mit der „Weißes Ross“-Entscheidung vom 29.1.2001 (BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330) – in terminologischer Übereinstimmung mit der am 30.6.2000 in Kraft getretenen allgemeinen Regelung des § 14 BGB zur Unternehmereigenschaft der „rechtsfähigen Personengesellschaft“ – die Rechts- und Parteifähigkeit der Außen-GbR anerkannte, gab es bis zum Inkrafttreten des MoPeG aufgrund der Verweisung des § 54 Satz 1 BGB a.F. das Phantom des rechtsfähigen nicht rechtsfähigen Vereins.

Nach der MoPeG-Fassung des § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB sind für Vereine, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und die nicht durch Eintragung in das Vereinsregister Rechtspersönlichkeit erlangt haben, die Vorschriften der §§ 24 bis 53 BGB zum eingetragenen Verein mit Rechtspersönlichkeit entsprechend anzuwenden. Der nicht eingetragene Idealverein ohne Rechtspersönlichkeit ist daher – wie ein eingetragener Verein als juristische Person – umfassend rechtsfähig. Es fehlt mangels Eintragung in das Vereinsregister nur die gesetzliche Anerkennung als juristische Person. In Bezug auf die kraft Verweisung des § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB geltende Rechtsfähigkeit des nicht eingetragenen Idealvereins ohne Rechtspersönlichkeit sehen weder das Gesetz noch die Materialien zum MoPeG eine Ausnahme hinsichtlich der Grundbuchfähigkeit vor (OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, juris Rz. 25; Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 14 ff.). Es besteht daher insoweit keine Regelungslücke. Für den MoPeG-Gesetzgeber bestand auch keine Notwendigkeit, die von § 54 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. §§ 24 bis 53 BGB inkludierte Grundbuchfähigkeit in der Gesetzesbegründung expressis verbis zu wiederholen (OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, juris Rz. 25).

Der V. Zivilsenat des BGH hat zwar mit Beschluss vom 21.1.2016 (WM 2016, 986 ff.) die Eintragung des nicht im Vereinsregister eingetragenen Idealvereins allein unter seinem eigenen Namen zu Recht aufgrund der Verweisung des § 54 Satz 1 BGB a.F. auf die für die rechtsfähige GbR einschlägige Grundbuchvorschrift des § 47 Abs. 2 GBO a.F. abgelehnt und – wie derzeit für die GbR obligatorisch – zusätzlich die Eintragung aller Gesellschafter als notwendig angesehen. Durch die auf dem MoPeG beruhende wesentliche Änderung der § 54 BGB, § 47 Abs. 2 GBO und die damit verbundene völlige Herauslösung des nicht eingetragenen nicht wirtschaftlichen Vereins ohne Rechtspersönlichkeit aus dem Recht der rechtsfähigen GbR ist für diese BGH-Entscheidung die Gesetzesgrundlage entfallen (OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, juris Rz. 25; Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 15 ff.). Der nicht eingetragene Idealverein unterliegt auch nicht dem Zwang, sich nach § 47 Abs. 2 GBO i.V. mit § 707 BGB vor Durchführung einer Grundbucheintragung in das für die GbR neu eingeführte Gesellschaftsregister eintragen zu lassen.

De lege ferenda würde zwar eine aufseiten der nicht eingetragenen Idealvereine einschließlich Gewerkschaften und Parteien bei Grundstücksverfügungen eingreifende Obliegenheit zur vorherigen Eintragung in das Vereinsregister das Grundbuchverfahren bei Beteiligung einer solchen Rechtsform erleichtern und die Publizität der Grundstücksverhältnisse fördern. Der MoPeG-Gesetzgeber hat sich aber mit der Neufassung des § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB für ein anderes Regelmodell entschieden (OLG Frankfurt v. 10.10.2024 – 20 W 186/24, juris Rz. 25; Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 14 ff.).

 

 

Vor der Entscheidung des Bundeskartellamtes zur 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga (DFL) – Ende der Förderausnahmen für Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg?

I. Aktuelle Prüfung der 50+1-Regel durch das Bundeskartellamt

1. Antrag der DFL auf Durchführung eines Verfahrens nach 32c GWB (Kein Anlass zum Tätigwerden)

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) e.V. hat mit Schreiben vom 18.7.2018 beim Bundeskartellamt die kartellrechtliche Überprüfung der 50+1-Regel und den Erlass einer Entscheidung nach
§ 32c GWB angeregt (Bundestag, WD 10 – 3000 – 037/22, S. 12). Nach § 32c Abs. 1 S. 1 GWB kann das Bundeskartellamt, sofern die 50+1-Regel nach den vorliegenden Erkenntnissen weder gegen das deutsche Kartellverbot (§ 1 GWB) noch gegen das europäische Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV) verstößt, die Entscheidung erlassen, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden. Eine derartige Entscheidung hat zum Inhalt, dass die Kartellbehörde vorbehaltlich neuer Erkenntnisse von ihren Eingriffsbefugnissen nach den §§ 32, 32a GWB keinen Gebrauch machen wird. Gemäß § 32b Abs. 1 S. 1 i.V.m § 32 GWB kann das Bundeskartellamt, wenn die DFL im Anschluss an eine Mitteilung von kartellrechtlichen Bedenken gegen die 50+1-Regelung die Eingehung von Verpflichtungen anbietet, die geeignet sind, die Bedenken auszuräumen, die Verpflichtungszusagen durch Verfügung für bindend erklären.

In seiner vorläufigen Einschätzung vom 31.5.2021 geht das Bundeskartellamt davon aus, dass die 50+1-Grundregel aufgrund der damit verfolgten sportpolitischen Ziele kartellrechtlich unbedenklich sein kann. Als problematisch angesehen wird allerdings die Kombination der Grundregel mit den derzeitigen Förderausnahmen, die das Präsidium der DFL bewilligen kann, wenn ein Investor den Fußballsport des Muttervereins seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen und erheblich gefördert hat.

2. Sachstand nach Erlass der EuGH-Urteile vom 21.12.2023 in Sachen European Super League, International Skating Union und Royal Antwerp Football Club

Das Bundeskartellamt sieht auch auf Grundlage der aktuellen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21.12.2023 in den Rechtssachen European Super League, International Skating Union und Royal Antwerp Football Club „keine grundlegenden Bedenken“ gegen die 50+1-Grundregel“ der DFL. Denn die Grundregel sei „keine bezweckte Beschränkung des Wettbewerbs und daher grundsätzlich ausnahmefähig“. Der Idealverein sei die Rechtsform, die „von der Kreisliga bis zur Bundesliga den institutionellen Eckpfeiler des verbandlich organisierten Fußballsports in Deutschland darstellt“. Dies garantiere in der Praxis des deutschen Verbandsfußballs „breiten Bevölkerungskreisen die Möglichkeit, durch eine Mitgliedschaft die Geschicke des Vereins mitzubestimmen“. Diese deutsche Fußballmaxime der „Vereinsprägung“ sei aber, so das Bundeskartellamt, nur dann geeignet eine Ausnahme vom Kartellverbot zu rechtfertigen, wenn die DFL sie „im Lichte ihrer Zielsetzung einheitlich, konsistent und diskriminierungsfrei“ anwende. Daher müsse vor einer abschließenden rechtlichen Bewertung der 50+1-Regel auch die bisherige Lizenzierungspraxis der DFL überprüft werden.

Kartellrechtliche Bedenken postuliert das Bundeskartellamt zudem hinsichtlich der für bestimmte Klubs geltenden Förderausnahmen. Der dadurch verliehene Sonderstatus darf nach Einschätzung des Amtes nicht zur Folge haben, dass die mit der 50+1-Regel verfolgten sportpolitischen Zielsetzungen unterlaufen werden. Im Rahmen einer Einbeziehung des derzeitigen verbandsrechtlichen Reglements der Förderausnahmen in die kartellrechtliche Bewertung müsse die gegebene Wettbewerbsbeschränkung als unverhältnismäßig eingestuft werden, da vereinsgeprägte Klubs und die von Investoren finanzierten Klubs nebeneinander antreten müssten.

II. Das 50+1-Reglement der DFL und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)

1. Die 50+1-Grundregel

Nach § 16c Nr. 3 Satz 1 der DFB-Satzung kann eine Kapitalgesellschaft nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der DFL erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Der Mutterverein ist gem. § 16c Nr. 3 Satz 3 DFB-Satzung an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt (sog. 50+1-Regel). Bei der Wahl der Rechtsform der KGaA muss gem. § 16c Nr. 3 Satz 4 DFB-Satzung der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben.

Die korrespondierende Vorschrift des § 8 Nr. 3 Satz 1 der DFL-Satzung sieht vor, dass eine Kapitalgesellschaft nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft im DFL e.V. erwerben kann, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Nach § 8 Nr. 3 Satz 2 dieses Statuts muss der Verein („Mutterverein“) rechtlich unabhängig im Sinn des § 8 Nr. 2 sein. Diese Unabhängigkeit setzt voraus, dass auf ihn kein Rechtsträger einen rechtlich beherrschenden oder mitbeherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 8 Nr. 2 Satz 1 DFL-Satzung).

2. § 8 Nr. 2 Satz 2 der DFL-Satzung als Rechtsgrundlage der aktuellen Förderausnahmen für Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg

 Nach § 8 Nr. 2 Satz 2 der DFL-Satzung können Ausnahmen vom Erfordernis der rechtlichen Unabhängigkeit nur bewilligt werden, wenn der betreffende Rechtsträger seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Vereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat. Über die Bewilligung von Ausnahmen entscheidet das Präsidium des DFL e.V. Die Bewilligung setzt voraus, dass der betreffende Rechtsträger in Zukunft den Amateurfußballsport in bisherigem Ausmaß weiter fördert. Die in Rede stehende Ausnahme von der 50+1-Regel wird als Förderausnahme bezeichnet. Erteilt wurde dieser Dispens den Klubs Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und TSG Hoffenheim. Der Hoffenheim-Förderer Dietmar Hopp hat allerdings im Jahre 2023 die Stimmrechtsmehrheit auf den Mutterverein zurückübertragen (siehe dazu unten III.3.c).

 III. Die 50 + 1-Stimmanteilsregel als Wettbewerbsbeschränkung i.S. des Art. 101 Abs. 1 AEUV

1. Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Prüfungsgrundlage

Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Ein – bis auf die Zwischenstaatlichkeitsklausel des Art. 101 AEUV – übereinstimmendes Kartellverbot statuiert der deutsche § 1 GWB.

2. Die richtungsweisenden EuGH-Urteile vom 21.12.2023 in Sachen European Super League, International Skating Union und Royal Antwerp Football Club

Die drei Entscheidungen des EuGH vom 21.12.2023 knüpfen an die Judikate in den Rechtssachen Wouters und Meca-Medina an. In der Rechtssache Wouters (EuGH v. 9.2.2002 – C-309/99, Slg. 2002 I 1577 Rz. 97) stellte der EuGH den Grundsatz auf, dass nicht jedes Reglement eines Sportverbandes, das die Handlungsfreiheit der Beteiligten beschränkt, zwingend vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. AEUV erfasst wird. Es müsse vielmehr insbesondere die Zielsetzung der beschlossenen Verbandsregel gewürdigt werden. Darüber hinaus kommt es nach Ansicht des EuGH darauf an, ob die mit dem Beschluss des Sportverbandes verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen notwendig mit der Verfolgung der genannten Ziele in einem Zusammenhang stehen (vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2024, 922, 933).

In der Rechtssache Meca-Medina (EuGH v. 18.7.2006 – C-519/04 P, Slg. 2006 I 6991 Rz. 42 ff.) wird vom EuGH die in der Wouters-Entscheidung gezogene Linie bekräftigt. So wurde ein Verstoß von Doping-Regeln des IOC und der FINA für Sportler mit dem europäischen Kartellverbot im Ergebnis verneint, weil der allgemeine Zweck dieser Statuten die Doping-Bekämpfung mit dem Ziel einer fairen Durchführung der Sportwettkämpfe sei. Dieser legitime Zweck stelle, so der EuGH, im Hinblick auf das Kartellverbot einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund dar (vgl. zum sog. Meca-Medina-Test bei der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV Wertenbruch, GmbHR 2024, 922, 933).

Die Urteile des EuGH vom 21.12.2023 in den Rechtssachen European Super League (EuGH v. 21.12.2023 – C-333/21, ECLI:EU:C:2023:1011), International Skating Union (EuGH v. 21.12.2023 – T-93/18, ECLI:EU:T:2020:610) und Royal Antwerp Football Club (EuGH v. 21.12.2023 – C-680/21, ECLI:EU:C:2023:1010) führen im Vergleich zu den Entscheidungen in den Rechtssachen Wouters und Meca-Medina zu einer Präzisierung und Einschränkung der Ausnahmen vom europäischen Kartellverbot. Die Verfolgung von dem Gemeinwohl dienenden legitimen Zwecken können nur noch dann zu Anerkennung einer Ausnahme führen, wenn das betreffende Statut des Sportverbandes die eintretenden Wettbewerbsbeschränkungen nur „bewirkt“ und nicht „bezweckt“ i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV (EuGH v. 21.12.2023, European Super League, C-333/21, ECLI:EU:C:2023:1011, juris Rz. 183-186; vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2024, 922, 933). Das aufseiten des Sportverbandes als Rechtsfertigung dienende sportpolitische Ziel muss den „certain ethical or principled objectives“ zuzuordnen sein (EuGH v. 21.12.2023, European Super League, C-333/21, ECLI:EU:C:2023:1011, juris Rz. 183).

3. Zugehörigkeit der Vereinsprägung des deutschen Fußballs zu den „certain ethical or principled objectives“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung

 a) Rechtfertigung der 50+1-Grundregel durch die „Vereinsprägung“ des deutschen Fußballs als sportpolitisches Ziel

Das Bundeskartellamt geht in seiner vorläufigen kartellrechtlichen Bewertung zu Recht davon aus, dass die 50+1-Grundregel keine Wettbewerbsbeschränkung „bezweckt“, sondern nur „bewirkt“ mit der Folge, dass die „Vereinsprägung“ des deutschen Fußballs grundsätzlich als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt. Denn die Vereinsprägung gehört als sportpolitisches Ziel zu den „certain ethical or principled objectives“ i.S.d. aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. dazu EuGH v. 21.12.2023, European Super League, C-333/21, ECLI:EU:C:2023:1011, juris Rz. 183). Die Vereinsprägung des deutschen Fußballs von der Kreisliga bis zur Bundesliga setzt allerdings – wie das Bundeskartellamt zutreffend betont – ohne Zweifel voraus, dass „breite Bevölkerungskreise“ die Möglichkeit haben, durch eine Vereinsmitgliedschaft die „Geschicke des Vereins mitzubestimmen“. Zu diesen Geschicken gehört auch das Wohl und Wehe der ausgegliederten Profifußball-Kapitalgesellschaft. Es ist daher zu erwarten, dass vom Bundeskartellamt bei der abschließenden kartellrechtlichen Bewertung zumindest der 50+1-Grundregel die Konformität mit dem europäischen und dem deutschen Kartellverbot attestiert wird.

b) Unvereinbarkeit der Förderausnahmen für Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg mit 101 Abs. 1 AEUV

Die bestehenden Ausnahmen von der 50+1-Regel (Förderausnahmen) für Bayer Leverkusen und den VfL Wolfsburg sind bei Zugrundelegung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH eine Wettbewerbsbeschränkung iSd Art. 101 Abs. 1 AEUV, für die kein Rechtfertigungsgrund Platz greift. Denn bei diesen beiden Klubs haben aufgrund der Stimmrechtsmehrheit der Förderunternehmen Bayer AG bzw. Volkswagen AG breite Bevölkerungskreise gerade nicht die Möglichkeit, qua Vereinsmitgliedschaft die Geschicke des Vereins auch in Bezug auf die ausgegliederte Profifußball-Kapitalgesellschaft mitzubestimmen. Dass es sich um traditionelle Werksklubs handelt, ändert nichts an der fehlenden Mitgliedermitbestimmung. Die DFL ist zwar kartellrechtlich nicht verpflichtet, an der 50+1-Grundregel festzuhalten. Sie kann stattdessen, Mehrheitsbeteiligungen von Investoren unbeschränkt zulassen. Wenn aber diese Grundregel fortgelten soll, dann ist die Kombination mit den aktuellen Förderausnahmen kartellrechtlich nicht zulässig. Als erforderliche und verhältnismäßige Wettbewerbsbeschränkung kann in Bezug auf die aktuellen Förderausnahmen nur die Einräumung einer Übergangsfrist angesehen werden, die den betroffenen Klubs ermöglicht, die bestehenden langjährigen Vereins- und Gesellschaftsstrukturen nach Maßgabe der 50+1-Regel umzugestalten, so dass à la longue der Mutter-Idealverein auch in Leverkusen und Wolfsburg über die Stimmrechtsmehrheit in der Profifußball-Kapitalgesellschaft verfügt (vgl. dazu auch Wertenbruch GmbHR 2024, 922, 932 f.).

c) Aktueller Verzicht der TSG Hoffenheim auf die Förderausnahme – Rückübertragung der Stimmrechte auf den Idealverein durch den SAP-Mitgründer Dietmar Hopp

Der Bundesliga-Klub TSG Hoffenheim erhielt im Jahre 2014 von der DFL wegen einer mehr als 20 Jahre bestehenden erheblichen finanziellen Förderung des Profi- und Amateurfußballs sowie des Breitensports durch den Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP Dietmar Hopp eine Ausnahmegenehmigung hinsichtlich der 50+1-Regel. Infolge dieses verbandsrechtlichen Plazets konnten die Mitglieder des TSG 1899 Hoffenheim e.V. Anfang 2015 den Beschluss fassen, Dietmar Hopp die Mehrheit der Stimmrechte an der TSG 1899 Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH zu übertragen. Auf Wunsch von Dietmar Hopp wurde diese Förderausnahme durch gesellschaftsvertragliche Rückübertragung der Stimmrechtsmehrheit in dieser GmbH auf die TSG Hoffenheim e.V. mit Zustimmung der DFL aufgehoben. Hopp räumt in diesem Zusammenhang ein, dass die 50+1-Förderausnahme sowohl dem Klub als auch ihm selbst überwiegend Misstrauen und Anfeindungen eingebracht habe. Zudem sah sich die TSG Hoffenheim als Mitadressatin des laufenden Kartellamtsverfahrens. Die 50+1-Regel stellt nach Einschätzung von Dietmar Hopp ein hohes Gut im deutschen Fußball dar.

Für die TSG Hoffenheim und ihren finanziellen Protagonisten Dietmar Hopp hat sich das laufende 50+1-Kartellamtsverfahren durch die Rückübertragung der Stimmrechtsmajorität auf den Idealverein erledigt, soweit es um die rechtliche Bewertung der Förderausnahmen geht. Die vor der Entscheidung des Bundeskartellamts erfolgte Hoffenheimer Wiedereinführung der 50+1-Compliance bestätigt zum einen, dass eine umfassende finanzielle Förderung eines Fußballklubs auch ohne korrespondierende Einräumung einer Stimmrechtsmehrheit in der Profifußball-Kapitalgesellschaft als realisierbar angesehen wird. Zum anderen hat sich die TSG Hoffenheim rechtzeitig der Sorge entledigt, die Förderausnahme auf Grundlage eines Verdikts des Bundeskartellamts wegen Kartellrechtswidrigkeit zwangsweise aufgeben zu müssen. Die vorauseilende Änderung des GmbH-Gesellschaftsvertrags fördert jedenfalls das Image des Vereins auch außerhalb des Hoffenheimer Fankreises.

4. Kartellrechtliche Notwendigkeit einer strikten Anwendung der 50+1-Grundregel durch die DFL

a) Grundsatz

Da das Bundeskartellamt im Rahmen seiner vorläufigen rechtlichen Beurteilung für den Fall der verbandsrechtlichen Kontinuität der 50+1-Grundregel zu Recht eine einheitliche, konsistente und diskriminierungsfreie Anwendung der 50+1-Grundregel durch die DFL als obligatorisch ansieht, darf die DFL, falls das Bundeskartellamt in der abschließenden Entscheidung die „Vereinsprägung“ des deutschen Fußballs als kartellrechtlichen Rechtfertigungsgrund anerkennt, bei Fehlen einer hinreichenden Vereinsprägung und bei Vorliegen einer Umgehungskonstruktion keine Lizenz für die Teilnahme am Liga-Spielbetrieb erteilen.

b) Unzulässigkeit von Stimmbindungsverträgen zwischen einem Mutterverein als Mehrheitsgesellschafter und dem Investor – Hannover-96-Vertrag und die Entscheidung des BGH vom 16.7.2024

Mit dem Rechtfertigungsgrund der „Vereinsprägung“ des deutschen Fußballs nicht zu vereinbaren sind vereins- und gesellschaftsrechtliche Konstruktionen, die formal die Stimmenmehrheit des Muttervereins in der Fußball-Kapitalgesellschaft wahren, aber dem Investor Mitentscheidungsrechte einräumen. Der Mutter-Idealverein Hannover 96 ist zwar mit 100 % an der Komplementär-GmbH der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA beteiligt, wodurch in Bezug auf die 50+1-Regel formal Konformität besteht. Der im Jahre 2019, also zeitlich im Windschatten des von der DFL im Jahre 2018 beim Bundeskartellamt beantragen Kartellverfahrens, zwischen Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der einzigen Kommanditaktionärin Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG abgeschlossene sog. Hannover-96-Vertrag sieht aber vor, dass der Hannover 96 e.V. als Mehrheitsgesellschafter die Satzung der Komplementär-GmbH nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Kommanditaktionärin ändern, ergänzen oder ersetzen darf (vgl. zur Gesellschafts- und Vertragsstruktur bei Hannover 96 BGH GmbHR 2024, 922 Rz. 2 ff.) Die Satzung der Komplementär-GmbH räumt zudem der Kommanditaktionärin über einen fakultativen Aufsichtsrat Mitspracherechte bei der Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH ein.

Da die Mitglieder des Idealvereins Hannover 96 nicht uneingeschränkt die Geschicke des Profibereichs bestimmen können, ist eine Vereinsprägung nicht gewährleistet. Die DFL darf daher bei Fortbestand der 50+1-Grundregel derartige Einschränkungen der Vereinsprägung bei der Lizenzerteilung nicht akzeptieren. Abgesehen davon hat der Hannover-96-Vertrag eine gesellschaftsrechtliche Achillesferse, die bei der gerichtlichen Überprüfung der vom Mutterverein Hannover 96 im Alleingang durchgesetzten Abberufung des GmbH-Geschäftsführers Martin Kind deutlich zu Tage trat. Der BGH hat zu Recht mit Urteil vom 16.07.2024 (GmbHR 2024, 922 mit Anm. Wertenbruch) die u.a. auf einen Verstoß des Vereins gegen den Hannover-96-Vertrag gestützte Klage des abberufenen Geschäftsführers in letzter Instanz abgewiesen.

c) Die vereins- und gesellschaftsrechtliche Aufstellung bei RasenBallsport (RB) Leipzig – Vereinsprägung bei 23 stimmberechtigten Vereinsmitgliedern?

Der im Vereinsregister als RasenBallsport Leipzig e.V. – Kurzform: RB Leipzig – eingetragene Klub ist mit einem Prozent an der ausgegliederten RasenBallsport Leipzig GmbH beteiligt, die insbesondere für den Profifußball zuständig ist. 99 Prozent des Stammkapitals der RasenBallsport GmbH hält die Red Bull GmbH. Der RasenBallsport Leipzig e.V. verfügt aber über die Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung der RasenBallsport GmbH. Da die 50+1-Statuten von DFB und DFL nicht auf die Kapitalmehrheit, sondern auf die Stimmenmehrheit abstellen, verstößt die Leipziger Konstruktion formal nicht gegen die 50+1-Regel.

Der RasenBallsport Leipzig e.V. hat aber nach Angaben des Vorstands auf der Mitgliederversammlung im März 2023 nur 23 stimmberechtigte Mitglieder und 750 nicht stimmberechtigte Fördermitglieder. Die Fördermitglieder können an der Mitgliederversammlung teilnehmen und Fragen stellen. Stimmberechtigte Mitglieder können nur für den Klub oder den Red-Bull-Konzern tätige und nützliche Personen werden.

Auf Grundlage des § 32 BGB haben zwar in der Mitgliederversammlung eines Idealvereins alle Mitglieder nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz das gleiche Stimmrecht. Die Vereinssatzung kann davon aber in der Weise abweichen, dass zwischen ordentlichen (stimmberechtigten) und außerordentlichen (nicht stimmberechtigten) Mitgliedern unterschieden wird (vgl. Erman/Westermann/Anzinger, 17. Aufl. 2023, BGB § 26 Rz. 5). Insbesondere bei Musik- und Sportvereinen ist die rechtliche Figur des „passiven Mitglieds“ ohne Stimmrecht verbreitet.

Die formelle Vereinbarkeit der Leipziger Vereins- und Gesellschaftsstruktur mit der 50+1-Regel der DFL sowie dem BGB-Vereinsrecht ändert aber nichts daran, dass auf Grundlage der aktuellen Urteilen des EuGH in den Rechtssachen European Super League, International Skating Union und Royal Antwerp Football Club die 50+1-Grundregel nur dann nicht gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, wenn als übergeordneter Rechtfertigungsgrund eine „Vereinsprägung“ des Profifußballs garantiert ist. Dafür müssen „breite Bevölkerungskreise“ die Möglichkeit haben, durch eine Mitgliedschaft die „Geschicke des Vereins mitzubestimmen“. Ein unterschiedliches Stimmrecht der Vereinsmitglieder steht zwar nicht per se der Vereinsprägung entgegen. Wenn aber insgesamt nur 23 Mitglieder, die für den Fußballklub oder das Förderunternehmen tätig sind, ein Stimmrecht im Mutterverein haben, dann haben breite Bevölkerungskreise gerade nicht die Möglichkeit, die Geschicke des Profifußballs mitzubestimmen. Beim Leipziger Modell ist daher keine Vereinsprägung, sondern vielmehr eine Prägung der Beschlussfassungen in der Mitgliederversammlung i.S.d. § 32 Abs. 1 BGB durch das Förderunternehmen zu konstatieren. Das Bundeskartellamt kann eine im Wege von Stimmrechtsbeschränkungen im Mutterverein bewerkstelligte Prägung einer Profifußball-Kapitalgesellschaft durch ein Förderunternehmen nicht als eine Vereinsprägung tolerieren, die generell geeignet ist, in Bezug auf das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV einen Rechtfertigungstatbestand zu begründen.

IV. Fazit und Ausblick

Die DFL muss aus den dargelegten Gründen, falls das Bundeskartellamt für die 50+1-Grundregel die Ampel auf Grün schaltet und die Mitgliederversammlung der DFL die Fortgeltung unter Beachtung der kartellbehördlichen Vorgaben beschließt, die Erteilung einer Lizenz für die Fußball-Lizenzligen von der Bedingung abhängig zu machen, dass breite Bevölkerungskreise über die Mitgliedschaft im Mutterverein und das daraus resultierendes Stimmrecht auch die Geschicke der ausgegliederten Fußball-Kapitalgesellschaft mitbestimmen können. Dafür müssten die 50+1-Statuten der DFL in der Weise ergänzt werden, dass breite Bevölkerungskreise die Vereinsmitgliedschaft nach Maßgabe der Vereinssatzung erwerben können und das reguläre Stimmrecht des einzelnen Mitglieds nicht zum Zwecke der Absicherung des Einflusses eines Förderunternehmens ausgeschlossen werden darf. Stimmbindungsverträge zwischen dem Mutterverein und einem Förderunternehmen sind ebenfalls wegen Aushöhlung der Vereinsprägung unzulässig. Das Gleiche gilt für sonstige Verträge, die dem Förderunternehmen einen Einfluss auf die Beschlussfassung im Mutterverein einräumen.

Der Ausschluss extremistischer Gesellschafter aus GmbH und Personengesellschaften

I. Kann ich einen Vertrag mit einem Extremisten kündigen?

Vieles spricht dafür, dass diese – hier etwas platt formulierte – Fragestellung künftig die Gerichte beschäftigen wird. Während das Öffentliche Recht sich bereits seit geraumer Zeit mit Extremismus als Rechtsproblem befasst, steht der privatrechtliche Diskurs noch am Anfang. Eine Ausnahme bildet das Arbeitsrecht, doch auch hier betrafen einschlägige Gerichtsentscheidungen in der Regel Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst (vgl. etwa ArbG Köln, Urt. v. 03.07.2024 – 17 Ca 543/24, juris). Für Vertragsverhältnisse zwischen Privaten ist bisher weitgehend ungeklärt, ob und inwieweit extremistische Einstellungen und Verhaltensweisen eines Vertragsteils zum Anlass für die Beendigung der Vertragsbeziehung genommen werden können. Die Frage stellt sich im Ausgangspunkt für jede Art von Verträgen, dürfte sich aber nicht pauschal beantworten lassen. Zu unterschiedlich sind die Interessenlagen und Abwägungsgesichtspunkte in den verschiedenen Vertragskonstellationen. So ist etwa die Kündigung eines Mieters etwas anderes als die Beendigung der Zusammenarbeit mit einem Handwerker oder der Ausschluss eines Gesellschafters aus einer OHG oder GmbH.

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Online-Dossier: Wachstumschancengesetz

Der Bundesrat hat nach intensiven politischen Auseinandersetzungen in seiner Sitzung am 22.3.2024 dem Wachstumschancengesetz zugestimmt und damit einen Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat vom 21.2.2024 bestätigt.

Mit dem Wachstumschancengesetz sollen zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden, die die Liquiditätssituation der Unternehmen verbessern und Impulse setzen, damit Unternehmen dauerhaft mehr investieren und Innovationen wagen können. Daneben werden Maßnahmen ergriffen, um das Steuersystem an zentralen Stellen zu vereinfachen und mittels Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie zu entlasten. Zudem sollen Instrumente umgesetzt werden, die dazu beitragen, unerwünschte Steuergestaltungen aufzudecken und diese abzustellen.

Zeitschriftenbeiträge:

  • Heidecke/Liebe, Konzernfinanzierung: Neuerung durch § 1 Abs. 3d und 3e AStG ab dem 1.1.2024 einschließlich eines Abgleichs mit der angedachten Zinshöhenschranke im § 4l EStG-E, Ubg 2024, 333
  • Liekenbrock/Liedgens, Die außenstehende Person in der neuen Spaltungssperre des Wachstumschancengesetzes, DB 2024, 1296
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 2, Ubg 2024, 324
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 1, Ubg 2024, 241
  • Ditz/Kausch/Leucht, Wesentliche Änderungen durch das Wachstumschancengesetz, DB 2024, 1230
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Einkommensteuerliche und gewerbesteuerliche Änderungen, EStB 2024, 109
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2024, 235
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz in Kraft getreten!, GmbHR 2024, R116
  • Sterzinger, Aktuelle Änderungen des UStG und der UStDV durch das Wachstumschancengesetz und andere Gesetze, UR 2024, 117
  • Geberth/Bartelt, BMF: Anpassung des AEAO an das MoPeG und Art. 23 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes, GmbHR 2024, R59
  • Geberth/Bartelt, Vermittlungsausschuss: Beratung zum Wachstumschancengesetz am 21.2.2024, GmbHR 2024, R57
  • Flad, Aktuelle Änderungen im Umsatzsteuerrecht – insbesondere durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz und das Wachstumschancengesetz, UStB 2024, 22
  • Wünnemann, Wachstumschancengesetz – Hängepartie ohne Abschluss, DB 2024, M4
  • Wiese, Staatsfinanzierung, Schuldenbremse, Steuerpolitik – ein Ausblick auf das Unternehmensteuerrecht im Jahr 2024, GmbHR 2024, R36
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Handlungsbedarf wegen drohender Abschaffung der Gesamthand-Steuervergünstigungen (§§ 5–7 GrEStG) ab 1.1.2024, ErbStB 2024, 54
  • Binnewies/Mückl/Olbing, Aktuelles Steuerrecht rund um die GmbH und ihre Gesellschafter 2023/2024, GmbHR 2023, 1289
  • Bleckmann, BMF: Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung, GmbHR 2023, R344
  • Schneider, Geplante Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen (§ 138l bis § 138n AO-E), DB 2023, 2468
  • Dorn, Bundesrat äußert sich kritisch zum Wachstumschancengesetz, DB 2023, M4
  • Geberth/Bartelt, Bundeskabinett: Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R293
  • Forst/Schiffers, Beratungspraxis Familienunternehmen – Neue Koordinaten zur Rechtsformwahl durch das Wachstumschancengesetz?, GmbHR 2023, 966
  • Weimann, BMF zur beabsichtigten eRechnung, ASTW 2023, 787
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz – eine erste Einschätzung, GmbHR 2023, R256
  • Geberth/Bartelt, BMF: Referententwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R245
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2023, 521
  • Niermann, Rechtsänderungen im Bereich der Arbeitnehmerbesteuerung durch das Wachstumschancengesetz, DB 2023, 1944
  • Behrens/Sparr, Die Zinsschranke und die Zinshöhenschranke nach dem Entwurf eines Wachstumschancengesetzes BMF-Referentenentwurf vom 14.7.2023 und Regierungsentwurf vom 30.8.2023, Ubg 2023, 461
  • Nieskens, Es wird ernst: Die verpflichtende elektronische Rechnung im B2B-Geschäftsverkehr kommt, UR 2023, 671
  • Cordes/Glatthaar, Reform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG und Anpassung des Optionsmodells – Entwurf eines Wachstumschancengesetzes, FR 2023, 681

Blogbeiträge:

Gesetzesmaterialien:

  • Gesetzgebungsvorgang im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien
  • BGBl. 2024 I Nr. 108 vom 27.3.2024
  • Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 20/10410
  • Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9396
  • Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9341
  • Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), BT-Drucks. 20/8628
  • Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz)

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Kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO („Wirecard AG“)

Im Fall Wirecard hat das OLG München mit seiner Entscheidung vom 17.9.2024 der Anlegerseite in einem vom Gericht sog. „Pilotverfahren“ gegen den Insolvenzverwalter der Wirecard AG Recht gegeben und dabei den kreativen Weg eines Teil- und Zwischenurteils gewählt (Az.: 5 U 7318/22e, ZIP 2024, 2290). Laut Urteil haben derzeit 50.000 Aktionäre im Insolvenzverfahren Schadensersatzansprüche wegen täuschungsbedingten Aktienerwerbs im Volumen von 8,5 Milliarden EUR angemeldet. Sie können sich nun Hoffnung auf eine Beteiligung an der Insolvenzmasse im Umfang von aktuell 650 Millionen EUR machen – dies freilich zulasten der sonstigen Gläubiger, insbesondere der Banken und Anleiheinhaber.

Gegenstand des jetzigen Zwischenurteils ist nicht bereits die Begründetheit kapitalmarktrechtlicher und deliktischer Schadensersatzansprüche der Anleger gegen die insolvente Wirecard AG, sondern allein die Vorfrage, ob jene Ansprüche – ihr Bestehen unterstellt – von den getäuschten Anlegern (meist aktuelle oder ehemalige Aktionäre) gemeinsam mit allen anderen Gläubigerforderungen im Rang des § 38 InsO bei der Verteilung der Insolvenzmasse zu berücksichtigen sind. Um diese Frage war eine wahre „Gutachterschlacht“ entbrannt. Für den Insolvenzverwalter Jaffé, der die Ansprüche in den doppelten Nachrang des § 199 InsO verweisen wollte und dabei von der Mannheimer Kanzlei SZA vertreten wurde (vgl. – als Prozessvertreter – Liebscher/Rickelt, ZIP 2024, 717), waren Prof. Dr. Christoph Thole (ZIP 2020, 2533), RiBGH a.D. Prof. Dr. Markus Gehrlein (WM 2021, 763 und 805) und Prof. Dr. Stephan Madaus (ZIP 2023, 1273; zuvor schon ZRI 2022, 1) als Gutachter aufgetreten. Die Anlegerseite war mit Rechtsgutachten der Professoren Georg Bitter und Moritz Brinkmann ins Feld gezogen, die jeweils durch ihre Mitarbeiter unterstützt wurden und sich für ihre Ansicht – die Einordnung der Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO – auf die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum stützen konnten (vgl. Bitter/Jochum, ZIP 2021, 653 und ZIP 2023, 277; Brinkmann/Richter, AG 2021, 489).

Das OLG München wählt einen pragmatischen Weg, wohlwissend, dass der Fall am Ende ohnehin in höherer Instanz entschieden wird. Es will sich ausweislich der Urteilsgründe aus der umfassenden wissenschaftlichen Debatte heraushalten, welche durch die Veröffentlichungen der o.g. Gutachten ausgelöst wurde und an der sich auch viele weitere Stimmen im Schrifttum beteiligt haben (vgl. – auf dem damaligen Stand – die Nachweise bei Bitter/Jochum, ZIP 2023, 277 f.). Das Gericht spricht allgemein aus, die Frage der richtigen Einordnung von Schadensersatzansprüchen getäuschter Anleger sei bislang höchstrichterlich nicht entschieden und in der Literatur umstritten. Zum Beleg werden nur zwei Fundstellen zum Meinungsstand benannt („Jungmann in Karsten Schmidt, InsO, 20. Auflage, 2023, Rn. 3 ff zu § 199; Baumert NZG 2023, 111, 113“). Die Vertreter/innen der verschiedenen Ansichten einschließlich aller o.g. Gutachter werden überhaupt nicht angeführt.

In der Sache folgt das Gericht freilich in weiten Zügen der von Bitter/Jochum entwickelten Argumentation, dass die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs vorentschieden ist. Hingewiesen wird insbesondere auf die Entscheidung des BGH im Fall EM.TV (ZIP 2005, 1270) und die daran anknüpfenden Beschlüsse des II. Zivilsenats des BGH vom 29.06.2006 – II ZR 334/05 (unveröffentlicht) sowie des IX. Zivilsenats des BGH vom 19.05.2022 – IX ZR 67/21 (ZIP 2022, 1932), ferner auf die Rechtssache Hirmann des EuGH (ZIP 2014, 121). Aus jenen Urteilen lässt sich eine recht klare Position des BGH wie auch des EuGH ablesen, die nun auch das OLG München im Fall Wirecard einnimmt: Mit ihren kapitalmarktrechtlichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen stehen die Anleger der Wirecard AG ebenso als „Drittgläubiger“ gegenüber wie alle anderen Insolvenzgläubiger auch. Soweit sich die Anleger als Aktionäre beteiligt haben, machen sie in der Insolvenz der Wirecard AG nämlich nicht ihren Anspruch auf Rückzahlung der Einlage geltend, der erst im doppelten Nachrang des § 199 InsO nach Befriedigung aller Insolvenzgläubiger – auch der gemäß § 39 InsO nachrangigen – zu bedienen wäre, sondern sie machen gerade geltend, bei zutreffender Information des Kapitalmarktes keine Anlage in Aktien oder eine sonstige Transaktion (z.B. den Erwerb eines Derivates) getätigt zu haben. Derartige Schadensersatzansprüche sind – wie das OLG München in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der ganz herrschenden Meinung in der Literatur – zutreffend feststellt, nicht ebenfalls in den doppelten Nachrang des § 199 InsO verwiesen, weil es dafür an einer gesetzlichen Anordnung fehlt. In der zu Beginn des Jahrtausends ausführlich geführten Debatte um diese Frage waren entsprechende rechtspolitische Forderungen zwar erhoben worden, ohne dass sie der Gesetzgeber aufgegriffen hätte (vgl. dazu Bitter/Jochum, ZIP 2021, 653, 655 ff.). Deshalb sind die Schadensersatzansprüche der Anleger wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation in gleicher Weise wie andere Drittgläubigeransprüche bei der Verteilung der Insolvenzmasse im Rang des § 38 InsO zu berücksichtigen.

Die gegen jene klare, bis zum Reichsgericht zurückreichende Rechtsprechung vorgebrachten Einwände des Insolvenzverwalters werden vom OLG München knapp, aber überzeugend zurückgewiesen. Die Revision zum BGH hat das OLG zugelassen und damit den Weg in die höchste deutsche zivilrechtliche Instanz eröffnet. Die 50.000 Aktionäre werden sich deshalb noch einige Zeit gedulden müssen, zumal das Bestehen von Schadensersatzansprüchen in diesem „Pilotverfahren“ – wie ausgeführt – noch nicht festgestellt wurde.