Die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1.1.2023

Zum 1.1.2023 kommt (endgültig) die elektronische AU-Bescheinigung (eAU): Jährlich wurden bislang laut AOK mehr als 77 Millionen Arbeitsunfähigkeiten in Deutschland festgestellt und mittels Papiervordruck in dreifacher Ausführung von Ärzten bescheinigt. Der „gelbe Schein“ als Ausfertigung für die Krankenkasse entfällt vollständig und muss von den Versicherten nicht mehr selbst an ihre Kasse oder den Arbeitgeber übermittelt werden. Ob diese Digitalisierung den angestrebten Einspareffekt erbringen wird, wurde und wird bezweifelt (frühzeitig bereits Weichert, CuA 2019, 25). Die Ärzte müssen ab 1.1.2023 die notwendige technische Ausstattung sicherstellen, die bisherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit den bekannten Durchschlägen scheidet aus. Die Neuregelung sollte zum 1.7.2022 in Kraft treten, wurde aber auf den 1.1.2023 hinausgeschoben (instruktiv Otto/Millgramm, ArbRB 2022, 87, dort auch zu mitbestimmungsrechtlichen Aspekten).

Im Wesentlichen gilt ab dem 1.1.2023 gemäß § 109 SGB IV Folgendes, wozu § 5 EFZG um einen neuen Abs. 1a ergänzt wurde (vgl. praxisorientiert auch „Die wichtigsten Arbeitgeberfragen zu eAU“, abrufbar unter https://www.aok.de/fk/sozialversicherung/entgeltfortzahlung-und-ausgleichsverfahren/elektronische-au-bescheinigung/elektronische-au-bescheinigung/):

I. Die wesentliche Änderung durch die eAU

Für die gesetzliche versicherten Arbeitnehmer sind die Krankenkassen verpflichtet, aus den Daten, die ihnen aus der Übermittlung nach § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V aus der Ärzteschaft in den Fällen einer Arbeitsunfähigkeit vorliegen, eine Meldung zum Abruf für die Arbeitgeber zu erzeugen, die diese insbesondere über den Beginn und das Ende einer Arbeitsunfähigkeit ihrer Arbeitnehmer unterrichtet. Die Arbeitnehmer, die von dieser Regelung betroffen sind, bleiben allerdings gemäß § 5 Abs. 1 a EFZG verpflichtet, das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer ärztlicherseits feststellen zu lassen, auch wenn die Verpflichtung zur Vorlage der entsprechenden Bescheinigung beim Arbeitgeber entfällt. Das führt dazu, dass der Arbeitgeber nicht mehr die Aushändigung einer AU-Bescheinigung durch den gesetzlich versicherten Arbeitnehmer verlangen kann, die bisherige Bringschuld wird zu einer Holschuld umgewandelt, denn der Arbeitgeber muss die eAU abrufen. Unverändert gilt aber die Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Denn Voraussetzung für den Abruf der Informationen bleibt natürlich, dass der Arbeitnehmer, bei welchem eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ärztlicherseits festgestellt ist, hierüber dem Arbeitgeber diese Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ordnungsgemäß mitgeteilt hat. Neben den Ärzten übermitteln auch ab 1.1.2023 die Krankenhäuser die Zeiten eines stationären Aufenthalts im Rahmen der eAU an die Krankenkassen. Die eAU beinhaltet auch die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall, sonstigen Unfall oder auf den Folgen einer Berufskrankheit beruht. Stationäre oder ambulante Reha-Maßnahmen werden hingegen nicht elektronisch bereitgestellt.

II. Denkbare Störfälle der eAU

Denkbare Störfälle der eAU können ab dem 1.1.2023 sein:

Es dürfte einen störenden zeitlichen Nachlauf geben. Denn in vielen Fällen wird die tatsächliche ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erst am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit erfolgen. Wegen der zeitversetzten Übermittlung vom Arzt an die Krankenkasse spätestens am Ende des Tages ist eine Abfrage der eAU-Daten laut AOK frühestens einen Kalendertag nach der ärztlichen Feststellung sinnvoll, also sogar erst am fünften Kalendertag der gemeldeten Arbeitsunfähigkeit. Dies gilt ebenso bei einer Verpflichtung zur Vorlage der AU-Bescheinigung ab dem ersten Tag: Hier ist die Abfrage der eAU-Daten frühestens einen Kalendertag nach der verpflichtenden ärztlichen Feststellung laut AOK für den Arbeitgeber sinnvoll, also erst am zweiten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Dies setzt sich fort bei Folgekrankschreibungen: Denn hier ist laut AOK eine Abfrage der eAU frühestens einen Kalendertag nach dem bisherigen Ende der Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitgeber sinnvoll.

Ferner kann ein Störfall auch bei vorzeitiger Genesung mit vorzeitigem Arbeitsantritt eintreten: Denn der Krankenkasse wird hierbei nicht automatisch bekannt, wenn der Genesene die Arbeit wieder (früher) aufnimmt. Dann weichen die gespeicherten AU-Daten von der tatsächlichen Lage ab.

Insbesondere aber die Klärung von Vorerkrankungen erscheint streitträchtig. Denn zur Klärung der anrechenbaren Vorerkrankungen soll der Arbeitgeber aktiv bei der Krankenkasse nachfragen müssen. Als Voraussetzung für die Anfrage gilt, dass die aktuelle eAU-Bescheinigung vorliegen muss.  Außerdem soll laut AOK mindestens eine bescheinigte potenzielle Vorerkrankung in den letzten sechs Monaten vor Beginn der aktuellen Arbeitsunfähigkeit vorhanden sein. Die kumulierten Zeiten aller potenziellen Vorerkrankungen müssen inklusive der aktuellen Arbeitsunfähigkeit mindestens 30 Tage betragen. Diese angekündigte AOK-Herangehensweise steht nicht in Einklang mit der BAG-Rechtsprechung zu den Grundsätzen des einheitlichen Verhinderungsfalles (BAG v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, ZIP 2020, 788). Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substantiiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen (LAG Hessen v. 14.12022 – 10 Sa 898/21, nrkr., im Anschluss an BAG v. 31.3.2021 – 5 AZR 197/20, DB 2021, 1822). Hieran wird offensichtlich, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit die Arbeitnehmerpflichten bei denkbaren Vorerkrankungen viel weiter fasst, als die angekündigte Herangehensweise der AOK dies ab dem 1.1.2023 zur eAU vorsieht, wobei hier Beweisfragen zu der neuen eAU (vgl. bereits Ricken, RdA 2022, 235) wichtig werden.


Hinweis der Redaktion
Mehr zum Thema:

  • ArbRB-Blog: Kleinebrink, Hilfe bei der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
  • ArbRB 2022, 364: Kleinebrink, Die allgemeine Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) zum 1.1.2023 – Individual- und kollektivrechtliche Konsequenzen
  • ArbRB 2022, S9: Kleinebrink, Muster: Hinweisschreiben an Arbeitnehmer zur neuen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
  • ArbRB 2022, S10: Muster: Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verhaltens bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach Inkrafttreten der Regelungen zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
  • ArbRB 2022, 87 ff.: Otto/Millgramm, Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Auswirkungen

SanInsKG in Kraft

Das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes ist am 8.11.2022 im Bundesgesetzblatt verkündet worden, das SanInsKG ist als Teil davon am Tag danach in Kraft getreten. Im Folgenden sollen das Gesetzgebungsverfahren und die Inhalte des Gesetzes kritisch betrachtet werden.

I. Verkappte Regierungsentwürfe

Warum wird an dieser Stelle etwas zum Thema eheliches Güterrecht berichtet? Das liegt an der Gesetzgebungskultur, die vor vielen Jahren in Deutschland Einzug gehalten hat und in der Krisenära seit Corona ihre Blütezeit erlebt. Gesetzentwürfe der Bundesregierung heißen heutzutage nur noch manchmal Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Soll es schnell gehen, betitelt man sie „Formulierungshilfe“ und sorgt dafür, dass sie nicht – wie in der Verfassung für ordentliche Gesetzentwürfe der Bundesregierung vorgeschrieben – erst zum Bundesrat gelangen und von dort aus in den Deutschen Bundestag, sondern eine Abkürzung nehmen: Vom Bundeskabinett direkt in die Hände von Abgeordneten des Bundestags, mit deren (vermeintlicher) Autorenschaft versehen in den Rechtsausschuss, dort an einen beliebigen Gesetzentwurf angeheftet, dann in zweiter und dritter Lesung (die erste findet nur im Grundgesetz statt und gilt für den Entwurfsteil, den man mehr oder weniger zufällig im Rechtsausschuss auf einem Stapel vorfand) verabschiedet, vom Bundespräsidenten unterzeichnet (der mit dem Verfahren offensichtlich einverstanden ist, es womöglich in Zeiten der eigenen Mitgliedschaft in einer Regierung selbst genutzt hat) und amtlich verkündet. Im Fall des SanInsKG war es ein Gesetz zum Familienrecht, das im Rechtsausschuss auf Verabschiedung wartete, und so verknüpft sich das Schicksal der deutschen Wirtschaftsunternehmen mit jenem von Ehe und Familie.

Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen, oder – amtlich kürzer – Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz, so lautet der Lang- bzw. Kurztitel des Gesetzes, das mit SanInsKG auf die kürzeste Formel gebracht wird. Abmilderung, das kennt man nicht zuletzt aus der Zeit von COVID-19 (s. etwa den Buchtitel „COVID-19 Abmilderungsgesetze“, vom Verfasser dieser Zeilen im Jahre 2020 herausgegeben; 2. Auflage 2022 unter dem Titel „COVInsAG“). Es besagt so viel wie: Keine Lösung eines Problems, aber Linderung der Folgen. Und erfasst damit Phänomene, von denen der Gesetzgeber selbst schon im Titel seiner Maßnahme eingestehen muss, dass er sich zur restlosen Bewältigung außerstande sieht.

II. Gesetzesmantel neu befüllt

Das Gesetz, dessen Teil das SanInsKG bildet, nimmt ein anderes, bereits bestehendes Gesetz, ändert seinen Titel und fügt zwei Bestimmungen ein. Das andere Gesetz ist das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Denkt man in Kategorien des Gesellschaftsrechts, so würde man vermutlich von einem „Mantel“ sprechen: Eine Struktur, eine leere Hülle. Die Vorschriften, die dieses am 27.3.2020 verabschiedete und rückwirkend zum 1.3.2020 in Kraft getretene Gesetz zunächst mit sich brachte, später mehrfach verändert und ergänzt, entfalten fast durchweg keine Wirkung mehr. Sie waren gedacht, die Zahl von Insolvenzen zu begrenzen, indem man die Insolvenzantragspflicht – unter wechselnden Voraussetzungen – aussetzte. Hinzu kamen Regelungen der Rechtsfolgen und später Umgestaltungen des Insolvenzrechts, alles temporär.

Nun nimmt der Gesetzgeber also diesen Gesetzesmantel und führt ihn einem anderen Zweck zu. Handelte es sich um eine GmbH, so würde sich der Gegenstand fundamental ändern und die Gründungsvorschriften müssten im Wesentlichen noch einmal durchlaufen werden. War das Gesetz nämlich ursprünglich – wie schon der Titel zeigt – auf die Sondersituation einer bestimmten Pandemie ausgelegt, so hat sich der Gesetzgeber jetzt entschlossen, ein ganz anderes Krisenfeld zu bearbeiten: die Energiekrise. Das wird in den Vorschriften nicht explizit adressiert, ergibt sich aber aus dem Kontext und der Laufzeit. Der neue Name des Gesetzes ist ebenso neutral auf Krisen aller Art gemünzt wie der spärliche Inhalt. Immer neu befüllbar, je nach gerade akuter Krise.

III. Spärlicher Inhalt

Was bringt dieses Gesetz nun inhaltlich? Überraschend wenig. Der Kelch nochmaliger Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist dieses Mal (bislang noch?) an der deutschen Wirtschaft vorbeigegangen. Seine im Grundsatz verheerenden Folgen (insbesondere das Züchten von Zombies mit allen Konsequenzen einer sich verlangsamenden Volkswirtschaft) waren in den letzten zwei Jahren nur deswegen nicht eingetreten, weil die Regierung schuldenbasiert bis dahin kaum vorstellbare Mengen Geldes in Form von Beihilfen in Unternehmen gegeben hat. Dieses Mal hätten die Folgen einschneidender ausfallen können, auch wenn nicht verkannt werden soll, dass ein vergleichbarer Reflex des „Wegkaufens“ von Problemen mit weiterem, geliehenen Geld (und nachfolgender Inflation) zu beobachten ist.

Die Prognosezeiträume der Insolvenzordnung und des StaRUG bei der Fortführungsprognose im Tatbestand der Überschuldung, der Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanung werden jeweils auf vier Monate verkürzt. Zwölf Monate – wie bisher bei der Überschuldungsprüfung – könne schließlich in Zeiten wie diesen niemand vorhersehen, heißt es zur Begründung. Das trifft in der Tendenz zu, wäre indes durch die Beobachtung zu ergänzen, dass angesichts einer drohenden Gasmangellage und unvorhersehbarer Preisentwicklung bei der (nicht durch eine staatliche Preisfixierung abgedeckten) Energiebeschaffung auch vier Monate noch eine lange Zeit darstellen.

IV. Geringer Anwendungsbereich

Außerdem wird die Höchstfrist zur Antragstellung in der Konstellation einer Überschuldung von sechs auf acht Wochen erhöht. Der Grundsatz bleibt insoweit, dass „ohne schuldhaftes Zögern“ gehandelt werden muss. Auswirkungen hat diese Verlängerung also nur, wenn die Geschäftsleitung bis zur sechsten Woche der Überschuldung noch seriös auf eine gute Entwicklung vertrauen darf und dann zu neuer Erkenntnis gelangt.

Nimmt man bei alledem in den Blick, dass unter fünf Prozent der Insolvenzanträge in der Praxis auf Überschuldung gründen, dann zeigt sich: Nennenswerte Veränderungen bringt dieses Gesetz nicht. Für die Lage auf dem Sektor Sanierung und Insolvenz kommt es auf diese Norm praktisch nicht an, sie zeigt nur denen, die es hören möchten, dass der Gesetzgeber „irgendetwas“ getan hat.

V. Perspektiven für den Restrukturierungsbereich

Ob es aber Restrukturierungs- oder Insolvenzfälle geben wird, hängt wie schon in der Corona-Zeit maßgeblich davon ab, wie viel Geld der Staat in die Wirtschaft gibt. Und das wiederum bedingt das Einverständnis der Europäischen Kommission mit erneuten gewaltigen Beihilfen, die wegen der damit typischerweise verbundenen Marktverzerrung grundsätzlich untersagt wären. In der Corona-Krise hat sich die EU großzügig, oder sollte man besser sagen: bereit gezeigt, die längerfristigen Grundsätze einer Sicherung funktionierender Marktwirtschaft hinter eine kürzer wirkende Staatsintervention zurücktreten zu lassen.

So könnte es im Ergebnis dabei bleiben, dass der Staat in Zeiten größter Krise – wie schon bei Auftreten von Corona – alles dafür tut, die praktische Anwendung seines dafür eigentlich geschaffenen Systems von Insolvenzregeln und Sanierungsinstrumenten zu vermeiden und stattdessen auf flächendeckende Beihilfen zu setzen. Das SanInsKG ist, soweit man ihm überhaupt eine Wirkung beimisst, ein kleiner Teil dieser größeren Strategie.

Aufsichtsratsvergütung und Umsatzsteuer – jetzt doch nur scheinbar geklärt?

Mit Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19 und V R 62/17) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) unter anderem entschieden, dass Mitglieder des Aufsichtsrats hinsichtlich der Umsatzsteuererstattungen durch die Aktiengesellschaften nicht mehr als Unternehmer anzusehen seien. Die dadurch sich in der Praxis stellenden Fragen, insbesondere zu Übergangsregelungen, hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) Mitte letzten Jahres dann geklärt – siehe BMF-Schreiben vom 8.7.2021 – III C 2 – S 7104/19/10001:003. Tragender Grund für die Versagung der Umsatzsteuer durch BFH wie BMF war das fehlende Unternehmer- bzw. Vergütungsrisiko der Aufsichtsratsmitglieder.

Die Praxis hat sich damit – roma locuta, causa finita – mittlerweile eingerichtet. Doch die schöne neue Weltordnung des V. Senats ist nun mit einem neuen Urteil zur Geschäftsführerhaftung des VI. Senats des BFH (Urteil vom 8.3.2022 – VI R 19/20) überraschend ins Wanken gebracht. Denn für diesen sind Aufwendungen für eine Haftungsinanspruchnahme unzweifelhaft lohn- und einkommensteuerlich Werbungskosten.

Geht man mit dieser (an sich überzeugenden) Einwertung zurück zur Aufsichtsratstätigkeit bzw. Vergütung, zeichnet sich mit Blick auf die latente Organhaftung aus § 116 AktG ein neues Bild. Da die Umsatzsteuerbarkeit von Aufsichtsratsvergütung aber nicht davon abhängen kann, ob man in/für ein Geschäftsjahr in Regress genommen wird, könnte die neue Entscheidung des VI. Sentas unseres Erachtens dafür sprechen, die Überlegungen des V. Senats, dem das aktienrechtliche Haftungsregime damals (noch?) nicht ausreichte, neu zu hinterfragen. Kurzum, die Diskussion ist hiermit eröffnet.

Zu Aufsichtsratsvergütung und Umsatzsteuer vgl. Mutter, AG 2019, R263; Vobbe/Stelzer, AG 2022, 519. Zum Urteil des BFH v. 8.3.2022 – VI R 19/20 vgl. Binnewies/Hischer, AG 2022, 771.

Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie: Nachgelagerte Verhandlungspflicht zur Durchsetzung nationaler Mitbestimmungsregeln? – Rechtliche Bewertung der Prüfbitte des Bundesrats

Die im Zuge des sog. „Company Law Package“ erlassene Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) zu grenzüberschreitenden Umwandlungen (Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen) ist bis zum 31.1.2023 in nationales Recht umzusetzen. Hierfür sind in Deutschland zwei Artikelgesetze vorgesehen: Den gesellschaftsrechtlichen Rahmen soll das „Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie“ (UmRUG) regeln, den mitbestimmungsrechtlichen Rahmen das „Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen“. Letzteres sieht dafür insbesondere ein neues „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung“ (MgFSG‑E) sowie Änderungen des „Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung“ (MgVG‑E) vor.

Nachdem das Kabinett am 6.7.2022 entsprechende Regierungsentwürfe beschlossen hat (vgl. zur Unternehmensmitbestimmung Müller-Bonanni/Jenner im Gesellschaftsrechts-Blog und Müller-Bonanni/Jenner, AG 2022, 457), sind am 16.9.2022 nunmehr die entsprechenden Stellungnahmen des Bundesrats ergangen (BR-Drucks. 360/22(B) und BR-Drucks. 371/22(B)). Darin bittet der Bundesrat – einer Empfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration und Sozialpolitik folgend – nebst einigen Änderungen im UmRUG insbesondere um eine Prüfung folgender Frage im weiteren Gesetzgebungsverfahren:

Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs Verhandlungen über die Mitbestimmung für die aus einer Umwandlung hervorgehende Gesellschaft auch dann verpflichtend geregelt werden können, wenn nachträglich ein mitbestimmungsrelevanter Schwellenwert des Wegzugsstaates erreicht wird.

I. Einordnung

Die Prüfbitte des Bundesrats ist von der Sorge getrieben, Unternehmen könnten die „neuen“ (auf Basis der europäischen Grundfreiheiten allerdings bereits bestehenden; vgl. u.a. EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03 („SEVIC“), AG 2006, 80; EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16 („Polbud“), AG 2017, 854) Gestaltungsmöglichkeiten dazu nutzen, sich der Unternehmensmitbestimmung zu entziehen. Der Bundesrat begründet seine Prüfbitte dementsprechend wie folgt:

Allerdings widmet sich der Gesetzentwurf nicht der Problematik des sogenannten Einfrierens der Mitbestimmung. Diese Thematik ist auch bei der „Heraus-Umwandlung“ einschlägig. Etwa bei einem Formwechsel in eine ausländische Limited (Ltd.) kann in einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die kurz vor der Schwelle von 500 Beschäftigten stand und somit einer Drittelbeteiligung entgegensah, das Mitbestimmungsniveau bei Null eingefroren werden. Dies ist insbesondere bei weiterer Wertschöpfung und Sitz in Deutschland ein dem innerstaatlichen Anspruch an den Schutz der Mitbestimmung nicht gerecht werdender Zustand.

In der Tat knüpft das Recht der Unternehmensmitbestimmung an das Gesellschaftsstatut an, im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit also grundsätzlich an das Recht des Mitgliedstaats, in dem eine Gesellschaft ihren Satzungssitz hat. Das muss nicht der Mitgliedstaat sein, in dem sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft befindet. Ausnahmen hiervon bilden die Societas Europaea, für die Art. 7 SE-VO anordnet, dass sich (Satzungs-)Sitz und Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat befinden müssen, und (Rück‑)Versicherungsgesellschaften (vgl. Art. 20 Richtlinie (EG) 2009/138, „Solvency II“).

Wandelt sich beispielsweise – wie in dem vom Bundesrat gebildeten Fall – eine deutsche GmbH formwechselnd in eine irische Ltd. um, beanspruchen die deutschen Mitbestimmungsgesetze (DrittelbG, MitbestG etc.) deshalb fortan für die Gesellschaft keine Geltung mehr, obwohl möglicherweise die Hauptverwaltung der Gesellschaft und der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland verbleibt. Lag die Zahl der im Inland tätigen Arbeitnehmer der Gesellschaft vor dem Formwechsel noch unter dem Schwellenwert des DrittelbG von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, kann diese Zahl im Anschluss an den Formwechsel anwachsen, ohne dass das DrittelbG oder, wenn der Schwellenwert von in der Regel mehr als 2.000 im Inland tätigen Arbeitnehmern erreicht ist, das MitbestG greift. Bereits im Koalitionsvertrag 2021-2025 haben die Regierungsparteien sich vorgenommen, diesen sog. „Einfriereffekt“ zu beseitigen (S. 56 des Koalitionsvertrags; s. dazu Harnos/Holle, AG 2021, R359, 361 f.).

II. Bewertung

1. Unvereinbarkeit mit dem Vorher-/Nachher-Prinzip

Allerdings kann der „Einfriereffekt“ nicht beseitigt werden, ohne zuvor das europäische Recht zu ändern. Das scheint auch den Regierungsparteien klar gewesen zu sein, als sie im Koalitionsvertrag eher zurückhaltend formuliert haben, sie wollten sich für eine Beseitigung des Einfriereffekts „einsetzen“. Der Einfriereffekt ist das Ergebnis eines mühevoll in einem vier Jahrzehnte dauernden Verhandlungsprozess zwischen insbesondere der Bundesrepublik Deutschland und der Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die keine Unternehmensmitbestimmung kennen, errungenen Kompromisses zur Societas Europaea (vgl. Jacobs in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, vor § 1 SEBG Rz. 2 ff.). Der Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgeht, wird nach dem Kompromiss im Verhandlungswege zwischen einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und der oder den Unternehmensleitung(en) festgelegt, die eine grenzüberschreitende Maßnahme plant bzw. planen. Scheitern die Verhandlungen, erhalten gesetzliche Auffangregelungen das im Zeitpunkt der Maßnahme bestehende Mitbestimmungsniveau aufrecht – nicht weniger, aber auch nicht mehr (sog. „Vorher-/Nachher-Prinzip“).

In der Umwandlungsrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber das Vorher-/Nachher-Prinzip durch die Anordnung einer entsprechenden Geltung des SE-Rechts noch einmal ausdrücklich bestätigt. Weitergehende Forderungen nach einer Dynamisierung der Auffangregeln haben sich nicht durchsetzen können (hierzu auch Teichmann, NZG 2019, 241, 246 f.). Stattdessen sieht die Umwandlungsrichtlinie verschiedene, das Vorher‑/Nachher-Prinzip ergänzende Schutzmechanismen für die Unternehmensmitbestimmung vor. Dazu zählt insbesondere die neue sog. 4/5-Regelung, die bereits dann zur Bildung und Aufnahme von Verhandlungen mit einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer verpflichtet, wenn in einem an der grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Unternehmen 4/5 der Zahl der Arbeitnehmer beschäftigt wird, die in dem Mitgliedstaat die Mitbestimmung auslöst. Darüber hinaus werden die Registergerichte zu einer erweiterten Missbrauchskontrolle ermächtigt, die sich auch auf die Unternehmensmitbestimmung bezieht (Art. 86m Abs. 8, Art. 127 Abs. 8 und Art. 160m Abs. 8 Umwandlungsrichtlinie). Nicht zuletzt werden mit der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie neue Bußgeldtatbestände für die Verletzung von Informationsrechten der Arbeitnehmervertretungen eingeführt.

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn nach der Eintragung der grenzüberschreitenden Umwandlung im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert erreicht wird, widerspricht dem Vorher-/Nachher-Prinzip. Sie läuft letztlich auf eine Dynamisierung der Unternehmensmitbestimmung in grenzüberschreitenden Gesellschaften hinaus (man könnte auch von einem Mitbestimmungsexport sprechen), wie sie in Jahrzehnten von Verhandlungen zur SE und nunmehr erneut in den Verhandlungen über die Umwandlungsrichtlinie nicht durchgesetzt werden konnte. Für ein Redaktionsversehen in der Richtlinie (so Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446) gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Richtlinie lassen keinen Zweifel daran, dass der Richtliniengeber die Geltung des Vorher-/Nachher-Prinzips unmodifiziert zur Anwendung bringen will, so dass eine Regelung, die erneute Mitbestimmungsverhandlungen erfordern würde, wenn die Gesellschaft die relevanten Schwellenwerte innerhalb einer bestimmten Frist nach der Umwandlung erreicht, richtlinienwidrig wäre (vgl. in diese Richtung Uffmann, AG 2022, 427, 432).

2. Fehlende Regelungskompetenz

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme von Mitbestimmungsverhandlungen im Falle einer nachträglichen Überschreitung mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte im Wegzugsstaat scheitert auch an der fehlenden Regelungskompetenz der Wegzugsstaaten. Die Unternehmensmitbestimmung und das Verhandlungsverfahren zur Bestimmung des Mitbestimmungsstatus richten sich nämlich kraft ausdrücklicher Anordnung des Richtliniengebers umfassend nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat bzw. haben wird, also nach dem Recht des Zuzugsstaats (Art. 86l Abs. 3, 133 Abs. 3 und 160l Abs. 3 der durch die Umwandlungsrichtlinie geänderten Richtlinie (EU) 2017/1132 i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2001/86/EG, „SE-Richtlinie“). Eine Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert überschritten wird, müsste deshalb ebenfalls durch den Zuzugsstaat geregelt werden, in dem eingangs gebildeten Beispiel also durch Irland. Dem deutschen Gesetzgeber wäre dies europarechtlich versagt.

Auch der jeweilige Zuzugsstaat könnte die vom Bundesrat erwogene Regelung übrigens letztlich nicht schaffen, weil er mit der nachträglichen Verhandlungspflicht (in Abhängigkeit von der Zahl der im Ausland tätigen Arbeitnehmer) ein Sondermitbestimmungsregime für zuziehende Gesellschaften etablieren würde. Dies stünde dem Ziel der Umwandlungsrichtlinie entgegen, einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen zu etablieren und liefe letztlich sowohl auf eine unzulässige Diskriminierung solcher Gesellschaften wie auch auf eine Beschränkung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit hinaus.

Die Regelungen der Gesellschaftsrechtsrichtlinie zur Unternehmensmitbestimmung sind abschließend. Für nationale Sonderwege ist hierneben kein Raum.

Update vom 12.10.2022: Die Bundesregierung hat in einer Gegenäußerung zur Prüfbitte des Bundesrates (BT-Drucks. 20/3817, S. 65 f.) im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung mitgeteilt, dass sie die angeregte Regelung auf nationaler Ebene für rechtlich unzulässig hält. Die Problematik des „Einfrierens der Mitbestimmung“ habe der EU-Gesetzgeber durch eine Ausweitung der Verhandlungspflicht vor Erreichen der Schwellenwerte des Wegzugsstaats erkannt, aber nicht hinreichend gelöst. Das MgFSG sehe im Einklang mit der Richtlinie den Verhandlungsmechanismus auch in solchen Konstellationen vor, in denen wenigstens vier Fünftel des Schwellenwerts im Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaates erreicht werden. Verhandlungen bei nachträglichem Überschreiten der nationalen Schwellenwerte des Wegzugsstaates seien nach den Vorgaben der Umwandlungsrichtlinie dagegen nicht vorgesehen. Im Ergebnis könne die vom Bundesrat beschriebene Problematik des „Einfriereffekts“ daher rechtssicher nur durch einen europäischen Rechtsakt gelöst werden.

Neues zu virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH

Zum 1.8.2022 wird nicht nur die Möglichkeit virtueller Hauptversammlungen für Aktiengesellschaften in das AktG eingeführt, es treten ebenfalls mit dem Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG) Erleichterungen für die Abhaltung virtueller Gesellschafterversammlungen in der GmbH in Kraft.

Durch das DiREG wird § 48 Abs. 1 GmbHG folgender Satz 2 angefügt: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“

Diese Ergänzung ist zu begrüßen, denn der Austausch in Konferenzschaltungen, sei es per Telefon oder Videoschaltungen, in Gremien und Organen ist durch die Corona-Pandemie mehr und mehr zum Normalfall in der Praxis geworden. Dieser Entwicklung trägt der Gesetzgeber durch die Einfügung des neuen zweiten Satzes in § 48 Abs. 1 GmbHG Rechnung. Er ergänzt die (dispositiven) Bestimmungen über die innere Organisationsverfassung der GmbH – und damit das gesetzliche Leitbild – und erweitert die Möglichkeit der Willensbildung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung auf nichtphysische Zusammenkünfte. Nach der Gesetzesbegründung sind auch sogenannte kombinierte Versammlungen zulässig, bei denen mehrere Gesellschafter, die sich physisch an einem Ort befinden, sich gemeinsam, fernmündlich oder mittels Videokommunikation mit einem oder mehreren Gesellschaftern versammeln, die sich an anderen Orten befinden. Es müssen sich daher nicht sämtliche Gesellschafter an unterschiedlichen Orten befinden.

Vorstehendes gilt allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Gesellschafter sich damit ausdrücklich einverstanden erklären. Hierfür wird eine Bestätigung in Textform verlangt, was nach der Gesetzesbegründung schon durch den Austausch beispielsweise von E-Mails oder Textnachrichten einfach und unkompliziert möglich ist, wenn man sich ohnehin elektronischer Mittel bedient. Für die Beschlussfassung selbst reicht dann die mündliche Kommunikation im Rahmen der (auch rein telefonischen) Konferenzschaltung aus.

Auf den ersten Blick wirkt die Neuregelung vermeintlich wie eine schnelle und unkomplizierte Lösung für den Umgang mit virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH. Denn nach der Gesetzesbegründung wird die bisherige rechtliche Unsicherheit, ob bei einer gemeinsamen Zusammenschaltung der Gesellschafter mittels elektronischer Kommunikationsmittel die notwendigen Voraussetzungen für eine Versammlung hergestellt werden können, beseitigt. Nach der Gesetzesbegründung bleibt allerdings „[d]ie bisherige Möglichkeit zur Abweichung vom (dispositiven) gesetzlichen Leitbild im Rahmen des § 45 Absatz 2 GmbHG, nämlich der Schaffung einer eigenen Grundlage für die Durchführung der Beschlussfassung, […] unberührt.“ D.h. der Gesellschaftsvertrag kann von§ 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. beliebig abweichen.

Mit Blick hierauf stellt sich die Frage, der Zulässigkeit virtueller Gesellschafterversammlungen, wenn Gesellschaftsverträge, die vor der Gesetzesänderung wirksam geworden sind, bereits detaillierte Regelungen hierzu enthalten oder schlicht den „alten“ Gesetzeswortlaut des § 48 Abs. 1 GmbHG wiederholen. Gilt dann ein Vorrang des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages bzw. besteht eine Sperrwirkung? In der Praxis  regeln viele Gesellschaftsverträge ausschließlich Präsensversammlungen; die virtuelle Gesellschafterversammlung war, wie sich in der Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat, beim Entwurf und Wirksamwerden dieser Gesellschaftsverträge noch gar nicht auf der Agenda. Vor diesem Hintergrund wäre es wohl fehlgeleitet anzunehmen, dass ein Gesellschaftsvertrag mit der bloßen Wiederholung des „alten“ Gesetzeswortlauts die virtuelle Gesellschafterversammlung unter Geltung der neuen Gesetzeslage ausschließt. In diesem Fall gilt u.E. für die Zulässigkeit von virtuellen Gesellschafterversammlungen § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. Eine ähnliche Annahme wurde aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage beim vollständigen Wechsel zum elektronischen Bundesanzeiger für Satzungsregelungen mit altem Gesetzeswortlaut bevorzugt getroffen.

Differenzierter zu betrachten ist u.E. allerdings der Fall, dass in bestehenden Gesellschaftsverträgen bereits Detailregelungen zur virtuellen Gesellschafterversammlungen enthalten sind. Hier ist etwa denkbar, dass bestehende Gesellschaftsverträge das Einverständnis der Gesellschafter mit virtuellen Gesellschafterversammlungen an eine strengere Form (z.B. Schriftform) oder an eine geringere Form (z.B. mündliche) knüpfen oder gar kein Einverständnis der Gesellschafter oder ein geringeres Quorum gefordert wird. Jedenfalls solche Detailregelungen wird man als „besondere Bestimmungen“ im Sinne des § 45 Abs. 2 GmbHG anzusehen haben, die der dispositiven Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. vorgehen.

Inwieweit Gesellschaften mit beschränkter Haftung von der virtuellen Gesellschafterversammlung nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in Zukunft Gebrauch machen werden, wird sich zeigen. Die praktischen Erfahrungen der letzten beiden Jahre deuten darauf hin, dass insbesondere das Erfordernis des Einverständnisses sämtlicher Gesellschafter, gerade bei streitigen Gegenständen von Gesellschafterversammlungen, beschwerlich zu erzielen sein könnte. Daher bietet es sich für Gesellschafter von GmbH an, die gesetzliche Neuregelung zum Anlass zu nehmen, bestehende Gesellschaftsverträge hinsichtlich der Regelungen zu Gesellschafterversammlungen zu modernisieren und bei entsprechendem Konsens klare und der jeweiligen Gesellschafterstruktur angemessene Regelungen auch zu virtuellen Gesellschafterversammlungen zu beschließen.

Kabinett beschließt Gesetz zur Umsetzung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Umwandlungsrichtlinie

Das Kabinett hat am 6.7.2022 den Regierungsentwurf zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen beschlossen.

Der Regierungsentwurf sieht wie schon der Referentenentwurf des BMAS im Wesentlichen ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG-E) sowie Änderungen des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG-E) vor. Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften der Umwandlungsrichtlinie sollen in einem gesonderten Gesetz, dem Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) umgesetzt werden. Auch hierzu hat das Kabinett am 6.7.2022 den Regierungsentwurf beschlossen (vgl. hierzu Prof. Dr. Jessica Schmidt). Die Umsetzungsfrist für beide Gesetze endet am 31.1.2023.

Inhaltlich übernimmt der Gesetzentwurf zu den mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Umwandlungsrichtlinie weitgehend den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1.4.2022 (hierzu ausführlich Müller-Bonanni/Jenner, AG 2022, 457). Er enthält jedoch auch einige bedeutsame Änderungen:

1. Begründung zu § 5 Nr. 3 MgFSG-E: Konkrete Betrachtungsweise

Für die Praxis besonders wichtig ist die Klarstellung in der Begründung des Regierungsentwurfs zur Vorschrift des § 5 Nr. 3 MgFSG-E. Grundsätzlich unterliegt die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehende Gesellschaft gem. § 4 MgFSG-E den Mitbestimmungsgesetzen des Mitgliedstaats, in dem diese ihren (Register-)Sitz hat. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 5 MgFSG-E vorliegt. In diesem Fall muss ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren (Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer etc.) eingeleitet werden, in dem das Mitbestimmungsstatut der Gesellschaft im Verhandlungswege festgelegt werden soll. Scheitern die Verhandlungen, gelangen gesetzliche Auffangregelungen über die Mitbestimmung zur Anwendung. Zur Parallelvorschrift des § 5 MgVG wurde anfänglich intensiv diskutiert, ob § 5 Nr. 3 MgVG abstrakt oder konkret zu interpretieren ist. Die Vorschrift bestimmt, dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren auch dann einzuleiten ist, wenn das Recht am Sitz der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgeht, für Arbeitnehmer die in anderen Mitgliedstaaten tätig sind, nicht den gleichen Anspruch auf Mitbestimmung vorsieht, wie sie den Arbeitnehmern im Sitzstaat zustehen. Bei einer abstrakten Lesart wäre der Tatbestand praktisch immer einschlägig, weil derzeit keine europäische Rechtsordnung Arbeitnehmer, die in anderen Mitliedstaaten tätig sind, in die Mitbestimmung einbezieht. Der Regierungsentwurf zu § 5 Nr. 3 MgFSG stellt sich nunmehr auf die Seite der inzwischen ganz herrschenden Ansicht zu § 5 Nr. 3 MgVG, die den Tatbestand nur dann anwendet, wenn die Ausgangsgesellschaft (bei Verschmelzungen: mindestens eine der beteiligten Gesellschaften) tatsächlich der Mitbestimmung unterliegt (siehe etwa Drinhausen/Keinath, AG 2010, 398, 399; Habersack in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 5 MgVG Rz. 6; Hohenstatt/Dzida in Henssler/Willemsen/Kalb, 10. Aufl. 2022, MgVG Rz. 8; Jacobs in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, Vor § 1 SEBG Rz. 56; Thüsing/Forst in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 3. Aufl. 2022, § 5 MgVG Rz. 19). Unterliegt die Ausgangsgesellschaft nicht der Mitbestimmung, kann der grenzüberschreitende Formwechsel oder die grenzüberschreitende Spaltung ohne das aufwändige Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt werden (es sei denn, der Tatbestand der 4/5-Regelung nach § 5 Nr. 1 MgFSG-E liegt vor).

2. § 6 Abs. 2 MgFSG-E: Verfahrenseinleitende Information der vertretenen Gewerkschaften

Der Regierungsentwurf sieht nun in § 6 Abs. 2 MgFSG-E (abweichend von § 6 Abs. 2 MgVG und § 4 Abs. 2 SEBG) vor, dass die Informationen über das grenzüberschreitende Formwechsel- bzw. Spaltungsvorhaben, mit denen das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren eingeleitet wird (Arbeitnehmerzahlen, bestehende Arbeitnehmervertretungen, Mitbestimmungssituation etc.), nicht nur den Betriebsräten und Sprecherausschüssen im Unternehmen, sondern auch den im Unternehmen vertretenen (inländischen) Gewerkschaften zur Verfügung zu stellen sind. Die Änderung will augenscheinlich verhindern, dass grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen an den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften „vorbei“ umgesetzt werden.

3. § 13 MgFSG-E: Stimmgewichtete Wahl der auf das Inland entfallenden BVG-Mitglieder

Abweichend vom Referentenentwurf bestimmt § 13 MgFSG-E nun in Anlehnung an § 12 MgVG und § 10 SEBG, dass die Wahl der inländischen Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) in einer stimmgewichteten Wahl erfolgt und nicht – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – nach Köpfen. Das Wahlgremium, das die inländischen BVG-Mitglieder wählt, besteht aus den Mitgliedern der höchsten Arbeitnehmervertretung der ihre Rechtsform wechselnden oder sich spaltenden Gesellschaft, der betroffenen Tochtergesellschaften oder betroffenen Betriebe (§ 11 Abs. 2 MgFSG-E), wenn es sich um eine Konzernobergesellschaft handelt, also aus den Mitgliedern des Konzernbetriebsrats ansonsten aus den Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats/der Gesamtbetriebsräte oder, wo es einen solchen nicht gibt, aus den Mitgliedern des Betriebsrats/der Betriebsräte. Die Stimmenzahl der Mitglieder des Wahlgremiums richtet sich nach der Zahl der jeweils durch sie vertretenen Arbeitnehmer, wobei Arbeitnehmer betriebsratsloser Betriebe und Unternehmen den Arbeitnehmervertretungen zu gleichen Teilen zugerechnet werden. Das Prinzip der Stimmgewichtung stößt an praktische Grenzen, wenn Abstimmungen geheim durchgeführt werden sollen, was jedes Mitglied des Wahlgremiums verlangen kann. Das Problem ist seit langem bekannt, die Alternative der ursprünglich vorgesehenen Abstimmung nach Köpfen wirft jedoch mitunter Fragen hinsichtlich der demokratischen Legitimation des Abstimmungsergebnisses auf.

Als Folgeänderung der stimmgewichteten Wahl sieht § 13 Abs. 1 Satz 1 MgFSG-E (wie auch § 12 Abs. 1 Satz 1 MgVG und § 10 Abs. 1 Satz 1 SEBG) nun eine doppelte Beschlussfähigkeitsschwelle vor, wonach zwei Drittel der Wahlgremiumsmitglieder, die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten, anwesend sein müssen.

4. § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E: Information über das Verhandlungsergebnis statt Übermittlung einer Abschrift der Beschlussniederschrift

Die im Referentenentwurf in § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E vorgesehene Übermittlung einer Abschrift der Niederschrift über die Beschlüsse des BVG (einschließlich der jeweiligen Beschlussmehrheiten) an die Arbeitnehmervertretungen, Sprecherausschüsse und im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften gibt der Regierungsentwurf auf. § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E bestimmen nunmehr im Einklang mit der Umwandlungsrichtlinie, dass lediglich eine Information über das Verhandlungsergebnis zu erfolgen hat. Hierdurch wird sichergestellt, dass aus der Mitteilung keine Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten der BVG-Mitglieder gezogen werden können.

5. § 32 MgFGS-E und § 30 MgVG-E: Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren bei nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen nur, wenn in der hervorgehenden Gesellschaft eine Form der Unternehmensmitbestimmung besteht

Gemäß § 32 MgFSG-E und § 30 MgVG-E ist bei nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen, die innerhalb von vier Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Maßnahme stattfinden, ein (erneutes) Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen, allerdings nur dann, wie der Regierungsentwurf nun klarstellt, wenn in der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Maßnahme hervorgeht, tatsächlich eine Form der Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht. Dies entspricht den Vorgaben der durch die Umwandlungsrichtlinie eingeführten Art. 86l Abs. 7, Art. 133 Abs. 7 und Art. 160l Abs. 7 GesRRL.

6. § 36 MgFSG-E: Missbrauchsverbot

Der Referentenentwurf des BMAS sah gestützt auf die Umwandlungsrichtlinie in § 36 MgFSG-E bereits eine „Missbrauchsverbotsregelung“ vor. Ein „Missbrauch“ sollte nach dem Referentenentwurf insbesondere dann vorliegen, wenn innerhalb von vier Jahren ab Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Vorhabens strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.

Der Regierungsentwurf ändert § 36 Satz 2 MgFSG-E dahin gehend, dass „Missbrauch“ insbesondere dann vorliegt, wenn innerhalb von vier Jahren ab dem Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Maßnahme strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass ein Schwellenwert der Mitbestimmungsgesetze im Sitzstaat überschritten wird oder sonst Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Unverändert geblieben ist, dass bei einem Verstoß gegen das „Missbrauchsverbot“ Verhandlungen über den Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft zu führen sind, bei deren Scheitern die §§ 25 bis 30 MgFSG über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden sind. Gemeint ist dabei offenbar, dass die Auffangregelungen unter Zugrundlegung der Verhältnisse im Zeitpunkt der strukturellen Änderung anzuwenden sind, was in den Fällen der Überschreitung mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte darauf hinausläuft, dass die Gesellschaft fortan der Mitbestimmung unterliegt.

Der Begriff des „Missbrauchs“ erscheint in diesem Kontext deplatziert, weil ein Anwachsen der Arbeitnehmerzahl, zumal innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren, für sich genommen nicht missbräuchlich ist. Es erscheint auch zweifelhaft, ob die Regelung durch die Richtlinie gedeckt ist, da der nationale Gesetzgeber das durch die Umwandlungsrichtlinie vorgegebene sog. Vorher-/Nachher-Prinzip aufweicht. Das Vorher-/Nachher-Prinzip schützt den im Zeitpunkt der grenzüberschreitenden Maßnahme bestehenden mitbestimmungsrechtlichen status quo, nicht aber potentielle Mitbestimmungszuwächse (vgl. zum SE-Recht Uffmann, AG 2022, 427, 436).

Immerhin betont aber die Entwurfsbegründung, dass mit einem „Missbrauch“ i.S.d. § 36 Satz 2 MgFSG-E keine strafrechtliche Sanktion verknüpft ist.

Gesetz zur virtuellen HV – mehr Schein als Sein

Das Gesetz zur dauerhaften Einführung virtueller Hauptversammlungen hat die letzten wichtigen Etappen des Gesetzgebungsverfahrens bewältigt: Expertenanhörung im Rechtsausschuss am 22.6.2022, Änderungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 1.7.2022, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 6.7.2022, zweite und dritte Lesung im Bundestag am 7.7.2022. Wer die Anhörung im Rechtsausschuss verfolgt hat, durfte den Eindruck gewinnen, dass der dort diskutierte Regierungsentwurf nicht nur an punktuellen, sondern an sehr grundsätzlichen, konzeptionellen Mängeln leidet. Deutlich zu spüren war deshalb auch die Sorge der Parlamentarier, mit dem neuen virtuellen Format eine Karteileiche zu schaffen – ähnlich wie früher schon mit den Vorschriften zur Online-Teilnahme, zum Aktionärsforum, zur Geschäftsordnung der HV und einigen anderen mehr. Dessen ungeachtet hat auch der Rechtsausschuss die Eckpfeiler des Gesetzes nicht mehr angetastet (sie dürfen als bekannt gelten, siehe hierzu meine Blog-Beiträge vom 15.2.2022 zum RefE und vom 28.4.2022 zum RegE). Nur kleinere Änderungen haben sich auf den letzten Metern noch ergeben:

Rechtsgrundlage

Es bleibt dabei, dass das virtuelle Format nur für einen Übergangszeitraum bis zum Herbst 2023 unmittelbar kraft Gesetzes genutzt werden darf (entscheidend ist die Einberufung der HV spätestens am 31.8.2023). Danach steht es nur noch zur Verfügung, wenn die Satzung es vorschreibt oder den Vorstand entsprechend ermächtigt – jeweils für eine Dauer von maximal fünf Jahren. Abweichend vom Regierungsentwurf ist aber nicht mehr vorgesehen, dass die Satzung bestimmte Beschlussgegenstände vom virtuellen Format ausnehmen, sprich: sie einer herkömmlichen Präsenzversammlung vorbehalten kann. Der Gesetzgeber kehrt damit zurück zum breiteren Ansatz des Referentenentwurfs. Dieser Schritt soll laut dem Ausschussbericht die Gleichwertigkeit des virtuellen Formats mit der Präsenzversammlung hervorheben. Überdies wurde offenbar erkannt, dass eine Beschränkung der Beschlussgegenstände für virtuelle Versammlungen auf europarechtlich vermintes Gelände geführt hätte – mit Blick auf das Recht der Aktionäre aus Art. 6 der EU-Aktionärsrechte-RL, eine Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen.

Doppeltes Rederecht

Das Rederecht der Aktionäre wird weiterhin doppelt verwirklicht: im Vorfeld der virtuellen HV per Stellungnahme, die vorab übermittelt und veröffentlicht wird, sowie während der HV per Live-Redebeitrag. Neu ist, dass die Stellungnahme im Vorfeld nur noch ordnungsgemäß angemeldeten Aktionären angeboten werden muss. Außerdem, dass die Gesellschaft sie nur ordnungsgemäß angemeldeten Aktionären zugänglich machen muss und dies auch über die Internetseite eines Dritten geschehen darf. Das eröffnet die Möglichkeit, hierfür das zugangsbeschränkte HV-Portal zu nutzen, das sich üblicherweise auf der Internetseite eines Dienstleisters befindet. Schließlich ist auch neu, dass die Gesellschaft sich in der Einberufung vorbehalten darf, einen Live-Redebeitrag während der HV von einem Funktionstest abhängig zu machen. Schlägt dieser Test fehl, darf die Gesellschaft den Redebeitrag zurückweisen. Dies begrenzt dann nicht nur die Rechtsfolgen etwaiger Funktionsstörungen (Stichwort: Anfechtungsausschluss). Die Gesellschaft wird vielmehr in die Lage versetzt, Funktionsstörungen während der virtuellen HV vorzubeugen – auch im Interesse der (anderen) Aktionäre an einem geordneten Versammlungsablauf.

Doppeltes Fragerecht

Auch das Fragerecht bleibt ein doppeltes. So jedenfalls, wenn der Vorstand den Aktionären aufgibt, ihre Fragen schon im Vorfeld der virtuellen HV einzureichen. Diese Option war aus Sicht der Unternehmen ein wesentlicher Vorzug des virtuellen Formats unter Geltung des COVMG. Sie schaffte Raum dafür, Fragen zur weiteren Bearbeitung entweder nach Themenkomplexen oder nach Urhebern zu bündeln, im Zusammenhang zu antworten und sachgerechte Schwerpunkte zu setzen. Das neue virtuelle Format jedoch gewährt diesen Vorzug nur noch um den Preis, dass die Gesellschaft die vorab eingereichten Fragen nicht erst in der HV aufgreift, sondern samt schriftlicher Antworten schon vorher veröffentlicht. Dies mit der Folge, dass der Vorstand in der HV keine mündlichen Auskünfte mehr erteilen muss – einerseits. Andererseits kann diese Vorgabe die Anforderungen an Vollständigkeit, Genauigkeit und Verständlichkeit der Antworten erhöhen, überlässt dem Fragesteller den Erstzugriff auf kritische Themen und degradiert die mündliche Vorstandsrede am Versammlungstag vom Auftakt zum Schlusspunkt des kommunikativen Prozesses.

Nach- bzw. Rückfragen zu den (vorab) erteilten Antworten bleiben in der HV allerdings statthaft. Jeder angemeldete Aktionär kann sie stellen, sowohl zu eigenen als auch zu fremden Ausgangsfragen. Auch bleibt es beim Ansatz des Regierungsentwurfs, dass die Aktionäre während der virtuellen HV erstmalige Fragen noch zu solchen Sachverhalten stellen dürfen, die sich erst kurzfristig ergeben haben und daher vorab nicht berücksichtigt werden konnten.

Wieder entfallen ist hingegen das noch weitergehende Aktionärsrecht, bei ausreichender Restzeit sogar noch längst bekannte Sachverhalte erstmalig in der HV zu thematisieren. Das ist zu begrüßen, wird aber in der Praxis wenig ändern. Denn es bleibt dabei, dass der Gesetzgeber den Begriff der Nach- oder Rückfrage im Zweifel weit verstanden wissen möchte. Die Gesellschaft trägt daher das Risiko, die (ggf. nur lockere) Verbindung zu einer Ausgangsfrage zu übersehen. Das ist umso wahrscheinlicher, je breiter das Spektrum der Ausgangsfragen ausfällt und je allgemeiner diese gefasst sind. Außerdem können findige Aktionäre unschwer argumentieren, ein Altsachverhalt sei erst kürzlich (erneut) in der Presse, in einem Internetforum oder auch im just gehaltenen Redebeitrag eines Mitaktionärs aufgegriffen worden – was ihn in einem neuen Licht erscheinen lasse und daher den Aktionären ein uneingeschränktes Fragerecht in der virtuellen HV eröffne.

Immerhin: Den Vorstandsbericht muss die Gesellschaft nur dann vorab veröffentlichen, wenn sie die Aktionäre mit ihren Fragen im Ausgangspunkt tatsächlich in das Vorfeld der HV verweist.

Doppeltes Antragsrecht

Das doppelte Antragsrecht des Regierungsentwurfs – sowohl vor als auch während der virtuellen HV – bleibt nahezu unberührt. Neu ist nur, dass spontane Anträge und Wahlvorschläge während der HV in jedem Fall mündlich zu stellen sind, nämlich per Videokommunikation. Damit entfällt die Option einer elektronischen Antragstellung per Knopfdruck. Zugleich wird der Antragsteller zeitlich auf die „Aussprache“ verwiesen. Er kann also seine Anträge nicht schon während der Eröffnung oder der Verlesung der Regularien stellen. Ebenso wenig während der Vorstandsrede, des Berichts des Aufsichtsrats, einer Abstimmung oder einer Beschlussfeststellung. Im Ausschussbericht heißt es hierzu, das Antragsrecht werde auf diese Weise dem Mündlichkeitsprinzip der Präsenzversammlung nachgebildet. Dies auch mit der Folge, dass die Einbringung von Anträgen für alle Versammlungsteilnehmer transparent sei. Dem entspricht es, dass das Gesetz an anderer Stelle das Live-Rederecht nicht nur auf etwaige (Nach-)Fragen erstreckt, sondern ausdrücklich auch auf Anträge und Wahlvorschläge.

Zu kurz gesprungen

Gemessen am Regierungsentwurf sind all diese Punkte wichtige Fortschritte. Sie ändern aber nichts an dem Befund, dass das neue virtuelle Format kaum mehr ist als eine (schlechte) Kopie der Präsenzversammlung – mit einigen zusätzlichen Hindernissen und Fallstricken für die Unternehmen als Zugabe.

Insbesondere bleibt es dabei, dass die Aktionäre ein doppeltes Rederecht, ein doppeltes Fragerecht und ein doppeltes Antragsrecht erhalten. Der Aufsichtsrat muss sich, trotz seiner traditionell passiven Rolle in der HV, im Regelfall in voller Besetzung vor Ort einfinden. Das ist schon bei Präsenzversammlungen schwer verständlich, bei virtueller HV aber gänzlich sinnlos. Und es werden zahlreiche neue Detailfragen aufgeworfen, bis zu deren gerichtlicher Klärung viele Jahre vergehen dürften – anders als unter dem COVMG nunmehr mit vollem Anfechtungsrisiko. All das macht das neue virtuelle Format aus Sicht vieler Unternehmen wenig attraktiv. Das gilt umso mehr, als das erklärte weitere Reformziel, die virtuelle HV zu „entzerren“, erkennbar verfehlt worden sein dürfte.

Als Anreiz zur Nutzung des virtuellen Formats bleiben damit in erster Linie die niedrigeren Kosten. Nur dürfte der Gesetzgeber auch insoweit einem (Kalkulations-)Irrtum aufsitzen: Erstens müssen die Anbieter der digitalen Infrastruktur ihre Tools an den neuen, deutlich anspruchsvolleren Rechtsrahmen anpassen. Und zweitens werden nicht wenige (auch große) Gesellschaften künftig wohl wieder in Präsenz tagen; es schrumpft also der Kreis der Abnehmer für digitale Lösungen. Beides bleibt gewiss nicht ohne Auswirkungen auf die Preise, zu denen das Produkt „virtuelle HV“ künftig am Markt zu haben sein wird.

BMJ veröffentlicht RefE GbR-Gesellschaftsregisterverordnung (GesRV)

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 23.6.2022 den Referentenentwurf zur „Verordnung über die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters (Gesellschaftsregisterverordnung – GesRV)“ veröffentlicht. Dieses legislative Vorhaben der Bundesregierung ist das verfahrensrechtliche Pendant zur Einführung des Gesellschaftsregisters für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) durch das Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz (MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436) zum 1.1.2024. Die Regelungskompetenz des BMJ zum Erlass der GesRV mit Zustimmung des Bundesrats ergibt sich aus § 387 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 1 Abs. 2 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 16.8.2002 (BGBl. I 2002, 3165) und dem Organisationserlass vom 8.12. 2021 (BGBl. I 2021, 5176; vgl. dazu Begr. GesRV-RefE, S. 13). Das neue GbR-Gesellschaftsregister und damit auch das durch die GesRV abgebildete Registerverfahrensrecht dienen dem Ziel, das aufseiten der GbR gegenwärtig – vor allem im Grundbuchrecht – bestehende „notorische Publizitätsdefizit“ zu beheben (vgl. dazu Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 101 f.; Schollmeyer in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 12 Rz. 1 f.). Der RefE zur GesRV geht konform mit dem Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung i.S.d. Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (Begr. GesRV-RefE, S. 13 f.). Die Möglichkeit der GbR zur Eintragung in ein mit Publizitätswirkung ausgestattetes öffentliches Register soll insoweit den Rechtsverkehr erleichtern und ein gewisses Maß an öffentlicher Kontrolle gewährleisten (Begr. GesRV-RefE, S. 13 f.). Die GesRV leistet dadurch nach Auffassung des Verordnungsgebers einen Beitrag zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, fördert die Durchsetzung des Rechts und stärkt dadurch insgesamt den sozialen Zusammenhalt i.S.d. Management-Regel Nr. 10 der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Begr. GesRV-RefE, S. 13 f.; Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 101, 114). So gilt auch § 20 GWG (Geldwäschegesetz) für die eGbR.

Eintragungsoption versus Voreintragungsprinzip im Grundbuchrecht und bei Aufnahme in die GmbH-Gesellschafterliste

Nach § 707 Abs. 1 BGB n.F. können die Gesellschafter die GbR bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anmelden. Mit der Eintragung ist die GbR nach § 707a Abs. 2 BGB n.F. verpflichtet, als Namenszusatz die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“ zu führen. In das Gesellschaftsregister eingetragen wird gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 GesRV-RefE der Rechtsformzusatz „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (vgl. dazu Begr. GesRV-RefE, S. 17). Für die Erlangung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR i.S.d. § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB n.F. ist die Registereintragung nicht erforderlich; die Registrierung hat also insoweit nur deklaratorischen Charakter (vgl. Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 128). Ein faktischer Zwang zur Eintragung in das Gesellschaftsregister (Eintragungsobliegenheit) besteht aber, sofern die GbR die Eintragung als Inhaberin eines Rechts in ein Subjekt- oder Objektregister anstrebt und das für dieses Register geltende Recht eine Voreintragung der GbR im „eigenen“ Gesellschaftsregister verlangt (vgl. dazu Hermanns in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 2). Dieses Voreintragungsprinzip gilt insbesondere gem. § 47 Abs. 2 GBO n.F. für Grundbucheintragungen und gem. § 40 Abs. 1 Satz 3 GmbHG für Eintragungen in die GmbH-Gesellschafterliste.

Auch die Eintragung einer GbR als Gesellschafterin einer anderen, nach § 707 Abs. 1 BGB n.F. i.V.m. §§ 2 ff. GesRV-RefE eingetragenen GbR setzt die eigene Voreintragung im Gesellschaftsregister voraus (§ 707a Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. i.V.m. § 3 Abs. 2 GesRV-RefE). Die Regelung des § 3 Abs. 2 GesRV-RefE stellt insoweit klar, dass die fehlende Voreintragung der Gesellschafter-Gesellschaft ein Eintragungshindernis darstellt (Begr. GesRV-RefE, S. 16). Vermieden werden sollen hier Publizitätsdefizite bei mehrgliedriger Beteiligung einer GbR an einer anderen GbR (Begr. GesRV-RefE, S. 16). Dass die Regelung des § 707a Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. als Soll-Vorschrift konfiguriert ist, bedeutet nur, dass eine Eintragung der GbR als Gesellschafterin einer anderen GbR unter Verstoß gegen das Voreintragungsprinzip die Wirksamkeit der Eintragung unberührt lässt (Begr. GesRV-RefE, S. 16). § 707a Abs. 1 Satz 2 gilt über §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB n.F. auch für die Beteiligung einer GbR an einer OHG/KG.

Eintragungsinhalt und Publizität des Gesellschaftsregisters

Nach § 1 Abs. 1 GesRV-RefE ist für die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters die Handelsregisterverordnung (HRV) entsprechend anwendbar, soweit in der GesRV-RefE nichts anderes bestimmt ist. Hierzu wird die GbR nach § 1 Abs. 2 GesRV-RefE der OHG i.S.d. HRV weitgehend gleichgestellt. An die Stelle der Firma der OHG tritt gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 GesRV-RefE der Name der GbR und an die Stelle der persönlich haftenden Gesellschafter der OHG treten die Gesellschafter der GbR (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 GesRV-RefE). Der Inhalt der Eintragung richtet sich nach §§ 707 Abs. 2, 707a Abs. 1 Satz 1 BGB n.F i.V.m. § 4 GesRV-RefE. Danach sind insbesondere der Name und der Sitz der GbR sowie ihre Gesellschafter mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort einzutragen, soweit es sich um natürliche Personen handelt. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GesRV-RefE ist in Spalte 3 des Gesellschaftsregisters unter Buchstabe a die „allgemeine Regelung zur Vertretung der Gesellschaft durch die Gesellschafter“ einzutragen. Registrierungspflichtig ist insoweit also gerade der Fall, in dem die Vertretung nicht durch Gesellschaftsvertrag abweichend von der gesetzlichen Gesamtvertretungsbefugnis nach § 720 Abs. 1 BGB n.F. geregelt ist (Begr. GesRV-RefE, S. 18; Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 131). Diese gesetzeswiederholende Eintragung dient der „Nutzerfreundlichkeit des Registers“ und stimmt überein mit der tradierten sowie bewährten handelsregisterrechtlichen Praxis (vgl. dazu Begr. GesRV-RefE, S. 18). Aus dem Gesellschaftsregister soll jederzeit ohne Weiteres ersichtlich sein, wer die eGbR vertritt (Begr. GesRV-RefE, S. 18). Eine von der dispositiven gesetzlichen Gesamtvertretung nach § 720 Abs. 1 BGB n.F. abweichende gesellschaftsvertragliche Vertretungsregelung ist nach § 4 Abs. 3 Satz 4 GesRV-RefE in Spalte 3 des Gesellschaftsregisters zu vermerken. Insoweit besteht Übereinstimmung mit § 5 Abs. 3 Satz 4 Partnerschaftsregisterverordnung (PRV) und § 40 Nr. 3 Buchstabe b Satz 2 HRV n.F. Die Eintragung in das Gesellschaftsregister lässt gem. § 707a Abs. 3 Satz 2 BGB n.F. die Pflicht unberührt, die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 106 Abs. 1 HGB). Bei Abweichungen des Registerinhalts von der Lage nach materiellem Recht ist die Regelung des § 15 HGB über die Publizität des Handelsregisters gem. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass ein Fehlen der Kaufmannseigenschaft nicht an der Publizität des Gesellschaftsregisters teilnimmt.

Registerverfahren bei Statuswechsel – insbesondere von der GbR zur GmbH & Co. KG

Bedeutender und zugleich komplexer Bestandteil des neuen Registerrechts der GbR ist der Statuswechsel. Bei einem Statuswechsel handelt es sich gem. § 707c Abs. 1 BGB n.F. um die Eintragung einer bereits in einem Register eingetragenen Personengesellschaft in ein anderes Register unter einer anderen Rechtsform einer rechtsfähigen Personengesellschaft.

Dieser Statuswechsel von einer Rechtsform des Personengesellschaftsrechts zu einer anderen ist strikt zu trennen von Umwandlungen nach dem UmwG (vgl. dazu Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 136 f.; Schollmeyer in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 12 Rz. 50). Am Statuswechsel beteiligt sind die rechtsformwechselnde Personengesellschaft, das Ausgangsgericht (abgebendes Register) und das Zielgericht (aufnehmendes Register; vgl. zur Terminologie Begr. GesRV-RefE, S. 25 ff.). Begrifflich gleichbedeutend sind – insbesondere in der täglichen Registerkorrespondenz – die Abbreviaturen „Ausgangsregister“ und „Zielregister“.

Große praktische Relevanz hat der Statuswechsel von der Rechtsform der eGbR oder der PartG zur GmbH & Co. KG; der vor allem für die eGbR auch bei einem Erbfall nach § 724 Abs. 1 BGB n.F. im Raum steht. Im Rahmen eines Statuswechsels von der eGbR zur KG können – wie sich auch aus § 106 Abs. 4 Satz 3 HGB n.F. ergibt – eine GmbH als Komplementärin beitreten und alle bisherigen Gesellschafter als Kommanditisten eingetragen werden (Begr. GesRV-RefE, S. 23; Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 138). Die Begrenzung der Haftung der Kommanditisten für Altverbindlichkeiten regelt dann § 707c Abs. 5 BGB n.F. Gem. § 106 Abs. 3 HGB n.F. muss, wenn die Personengesellschaft im Gesellschaftsregister oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist, die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister – abweichend von § 106 Abs. 1 HGB n.F. – im Wege eines Statuswechsels beim Ausgangsregister und nicht beim Handelsregister als Zielregister erfolgen. Im Falle eines Statuswechsels von der eGbR zur GmbH & Co. KG muss daher gem. § 707c Abs. 1 BGB n.F. die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister beim Gesellschaftsregister im Wege des Statuswechsels erfolgen. Nach § 4 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GesRV-RefE i.V.m. § 707c Abs. 2 BGB n.F. trägt dann das Gesellschaftsregistergericht in Spalte 4 des Gesellschaftsregisters den Statuswechsel ein. Diese Eintragung ist gem. § 707c Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. mit dem Vermerk zu versehen, dass die Eintragung erst mit der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister wirksam wird, sofern die Eintragung im Zielregister nicht am selben Tag erfolgt. Sodann gibt das Gesellschaftsregister als Ausgangsgericht das Verfahren gem. § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB n.F. von Amts wegen an das Handelsregister als Zielgericht ab. Nach Vollzug des Statuswechsels durch Eintragung als GmbH & Co. KG in das Handelsregister teilt dieses Zielgericht gem. § 106 Abs. 5 Satz 3 HGB n.F. dem Gesellschaftsregister den Tag der Eintragung der GmbH & Co. KG in das Handelsregister und die neue Registernummer von Amts wegen mit. Das Gesellschaftsregister trägt dann als Ausgangsgericht nach § 707c Abs. 2 Satz 4 BGB n.F. den Tag der Handelsregistereintragung in das Gesellschaftsregister ein.

Registerrecht für den nicht eingetragenen Verein

Für den nicht staatlich konzessionierten wirtschaftlichen Verein enthält der RefE zur GesRV keine Sonderregelung. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. sind für Vereine, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und die nicht durch staatliche Verleihung Rechtspersönlichkeit erlangt haben, die Vorschriften über die Gesellschaft entsprechend anzuwenden. Bei Fehlen eines Handelsgewerbes i.S.d. § 105 Abs. 1 HGB n.F. ist also das neue Recht der GbR „entsprechend anzuwenden“. Daraus folgt auch die Möglichkeit der Eintragung in das Gesellschaftsregister nach § 707 Abs. 1 BGB n.F. Da § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. nur eine entsprechende Anwendung des Rechts der GbR anordnet, ist der nicht konzessionierte wirtschaftliche Verein rechtlich nicht als Gesellschaft zu klassifizieren; er bleibt vielmehr Verein (vgl. Wertenbruch in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 8 ff.). § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 GesRV-RefE sind daher im Falle der Eintragung eines nicht konzessionierten wirtschaftlichen Vereins in das Gesellschaftsregister so zu verstehen, dass dessen Name und Sitz einzutragen ist. Anstelle des Zusatzes „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GesRV-RefE) ist der Rechtsformzusatz „wirtschaftlicher Verein ohne Rechtspersönlichkeit“ einzutragen. Auch dies folgt unmittelbar aus der von § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. angeordneten entsprechenden Anwendung des GbR-Rechts für den Fall, dass kein Handelsgewerbe gegeben ist. Soweit in Bezug auf ein anderes Register das Voreintragungsprinzip gilt, muss der nicht konzessionierte wirtschaftliche Verein sich in das Gesellschaftsregister eintragen lassen. Praktische Bedeutung hat dies aufgrund des Voreintragungsprinzips des § 47 Abs. 2 GBO n.F. für Grundbucheintragungen (Wertenbruch in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 18).

Keine Anwendung findet die GesRV auf den nicht in das Vereinsregister eingetragenen Idealverein ohne Rechtspersönlichkeit. Für diesen Verein gilt nicht das Recht der Gesellschaft, sondern gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. das Recht des eingetragenen Vereins (§§ 24-53 BGB) entsprechend (vgl. dazu Wertenbruch in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 5 ff.). Es gilt also grundsätzlich eine Gleichstellung mit dem eingetragenen Idealverein als juristische Person. Der Idealverein ohne Rechtspersönlichkeit ist daher auch in den Fällen, in denen gem. § 47 Abs. 2 GBO n.F. für eine GbR – und gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. auch für den nicht konzessionierten wirtschaftlichen Verein ohne Rechtspersönlichkeit – das Voreintragungsprinzip gilt, wie ein eingetragener Idealverein ohne Weiteres grundbuchfähig (vgl. dazu Wertenbruch in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 14 ff.). Er kann also unter dem eigenen Namen ohne Eintragung der Vereinsmitglieder in das Vereinsregister eingetragen werden (Wertenbruch in Schäfer [Hrsg.], Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 13 Rz. 14 ff.). Das in Bezug auf Grundbucheintragungen bestehende Publizitätsdefizit rechtfertigt keine Anwendung des Rechts der GbR (einschließlich GesRV) im Rahmen einer analogen Anwendung des § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. Eine Verpflichtung des nicht eingetragenen Idealvereins zur Eintragung in das Vereinsregister zum Zwecke der Beseitigung von Publizitätsdefiziten begründet auch das MoPeG nicht.

Eintragungsfreiheit und Publizitätserwartungen des Rechtsverkehrs

Soweit nicht in Bezug auf die Eintragung der GbR als Inhaberin eines Rechts in ein anderes Register das Voreintragungsprinzip und damit eine Eintragungsobliegenheit Platz greift, steht es den Gesellschaftern zwar nach § 707 Abs. 1 BGB n.F. grundsätzlich frei, ob sie ihre Gesellschaft nach Maßgabe der GesRV in das Gesellschaftsregister eintragen lassen. Es stellt sich aber die Frage, ob der Rechts- und Geschäftsverkehr und damit insbesondere die potentiellen Vertragspartner eine fehlende Eintragung akzeptieren. Dies gilt vor allem für Banken und Sparkassen bezüglich der Eröffnung und Führung eines Girokontos. Denn die im RefE zur GesRV geregelte Publizität von Gesellschaftssitz, Personalien der persönlich haftenden Gesellschafter sowie der Vertretungsverhältnisse ist nicht vorhanden, obwohl die Registrierung mit einem überschaubaren Aufwand realisiert werden kann.

Im Falle einer nicht vorliegenden Eintragung der GbR laufen ihre Geschäftspartner vor allem Gefahr, dass wegen des nach § 720 Abs. 1 BGB n.F. grundsätzlich geltenden Prinzips der Gesamtvertretung nicht alle Gesellschafter beteiligt werden, sodass die GbR in Wirklichkeit gar nicht verpflichtet wird. Die persönliche Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB n.F. für Verbindlichkeiten der GbR kann nur schwer realisiert werden, wenn die Gesellschafter nicht nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a i.V.m. Satz 2 GesRV-RefE im Gesellschaftsregister eingetragen sind. Probleme bei der Klageerhebung nach § 253 ZPO kommen hinzu. Dass Banken und Sparkassen sowie sonstige potentielle Vertragspartner bei der Geschäftsanbahnung mit einer GbR den Sinn einer Eintragung im Gesellschaftsregister, insbesondere im Hinblick auf den Eintragungszweck in Gestalt der Vermeidung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, wesentlich geringer valutieren als das BMJ als Verordnungsgeber (vgl. dazu Begr. GesRV-RefE, S. 13 f.; Begr. Gesetzentwurf MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 101, 114), können etwaige Eintragungsskeptiker aufseiten der GbR eigentlich nicht erwarten. Vielmehr kann das Image einer GbR durch eine Unterlassung der Eintragung schnell eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung erfahren.

Rechtsform der GmbH & Co. KG ab 1.8.2022 für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) tritt zwar nach Art. 137 ganz überwiegend erst am 1.1.2024 in Kraft (BGBl. I 2021, 3436). Dies gilt auch für die an die Freien Berufe adressierte Öffnungsregelung des § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F., nach der durch konstitutive Handelsregistereintragung die Rechtsform der OHG und KG einschließlich GmbH & Co. KG erlangt werden kann, „soweit das anwendbare Berufsrecht die Eintragung zulässt“. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften v. 7.7.2021 (BGBl. I 2021, 2363) wurden aber für die Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer nicht nur die berufsrechtlichen Usancen für eine Handelsregistereintragung ab 1.1.2024 definiert. Die einschlägigen Normen des betreffenden Berufsrechts sind vielmehr darüber hinaus ab dem 1.8.2022 bis zum Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 als temporäre leges speciales anzusehen mit der Folge, dass die konstitutive Eintragung in das Handelsregister bereits ab dem 1.8.2022 erfolgen kann. Für den anwaltlichen Bereich folgt dies aus § 59b Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BRAO n.F., der die Zulassung aller deutschen Gesellschaftsformen statuiert, und der zu dieser Norm veröffentlichten amtlichen Begründung (Begr. Gesetzentwurf, BT-Drucks. 19/27670, S. 177; vgl. dazu Wertenbruch in Schäfer (Hrsg.), Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 24; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3981). Entsprechendes gilt auf Grundlage des § 49 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 StBerG n.F. für die Personengesellschaft der Steuerberater (Begr. Gesetzentwurf, BT-Drucks. 19/27670, S. 177 i.V.m. S. 275).

Ein Stück weit diffiziler und intransparenter ist insoweit die Rechtslage bei der Wirtschaftsprüfer-Personengesellschaft. Die Öffnungsoption des § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. übt hier gem. Art. 22 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften die Vorschrift des § 27 WPO n.F. aus (vgl. dazu Gesetzentwurf, BT-Drucks. 19/27670, S. 323; Wertenbruch in Schäfer (Hrsg.), Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 22; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3990). Das in § 27 Abs. 2 WPO a.F. geregelte Eintragungserfordernis in Gestalt einer Treuhandtätigkeit entfällt. Die amtliche Begründung zur Änderung des § 27 WPO enthält zwar – anders als die Begründung zur Novelle von BRAO und StBerG – zur Frage der Einordnung als temporäre lex specialis vom 1.8.2022 bis zum Inkrafttreten des § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB am 1.1.2024 keine Ausführungen. Die Auslegung des § 27 WPO n.F. unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs mit den parallel verabschiedeten § 59b Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BRAO n.F und § 49 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 StBerG n.F. ergibt aber hinsichtlich der zeitlichen Dimension eine Übereinstimmung mit dem neuen Berufsrecht für Anwälte und Steuerberater (vgl. dazu Wertenbruch in Schäfer (Hrsg.), Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 24; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3991), sodass die konstitutive Handelsregistereintragung auch hier schon ab dem 1.8.2022 zulässig ist. Die Funktion als Scharnier zwischen Gesellschaftsrecht und Berufsrecht der Freien Berufen übernimmt § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. unisono für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer am 1.1.2024.

Mit der generellen Zulässigkeit der KG und der GmbH & Co. KG steht Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern auch die Variante der Einheits-GmbH & Co. KG offen, da die berufsrechtlichen Bedingungen auch hier grundsätzlich erfüllt werden (vgl. dazu Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3979 ff.). Die Einheits-KG sichert – im Vergleich zur beteiligungsidentischen klassischen GmbH & Co. KG – schon deshalb kraft Rechtsform die von den Kommanditisten als Gründern intendierte Beteiligungsidentität, weil nur die KG als solche Gesellschafterin der Komplementär-GmbH ist. Bei der beteiligungsidentischen GmbH & Co. KG kann es demgegenüber im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters trotz Implementierung von darauf bezogenen gesellschaftsvertraglichen Synchronisierungsklauseln vor allem wegen der nur bei der Komplementär-GmbH nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG Platz greifenden Legitimationswirkung der Gesellschafterliste zu Disparitäten kommen (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2021, 1181 Rz. 20 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3963 ff.). Die bisherige Problematik der Ausübung des Stimmrechts der KG in der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH entschärft § 170 Abs. 2 HGB n.F. mithilfe einer partiellen gesetzlichen Vertretungsmacht der Kommanditisten (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2021, 1181 Rz. 9 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3934 ff.). Zudem besteht ein erheblicher Kostenvorteil der Einheits-GmbH & Co. KG darin, dass im Fall einer geplanten Übertragung von Beteiligungen an dieser KG nur die Kommanditanteile nach §§ 398, 413 BGB abgetreten werden müssen, wofür keine notarielle Form vorgeschrieben ist. Bei der klassischen GmbH & Co. KG ist dagegen die Übertragung der GmbH-Geschäftsanteile ebenso wie das Kausalgeschäft beurkundungspflichtig (§ 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG), und nach den Grundsätzen über das einheitliche Beurkundungsgeschäft erfasst dieser Formzwang dann regelmäßig auch eine synchrone Übertragung der Kommanditanteile (vgl. dazu Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3960 ff.). Im Fall der Neugründung einer Einheits-GmbH & Co. KG ist das Übertragungsmodell (Gründung der Komplementär-GmbH durch die späteren Kommanditisten und Übertragung der Geschäftsanteile auf die KG nach deren Gründung) gegenüber dem Beteiligungsmodell vorzugswürdig (vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, § 58 Rz. 3934 ff.). Wesentlicher und komplexer Regelungsgegenstand des Gesellschaftsvertrags der Einheits-GmbH & Co. KG ist die transparente Trennung der Stimmrechtsausübung und der Beschlussfassungen in den beiden Gesellschafterversammlungen (vgl. zum Aufbau und zum Inhalt des Gesellschaftsvertrags der Einheitsgesellschaft Heckschen in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 83. Lfg. 2022, Verträge und Formulare, M 60).

Die Rechtsform der PartG mbB steht den Freien Berufen zwar weiterhin als Rechtsformalternative zur Wahl. Der Ausschluss der persönlichen Gesellschafterhaftung kommt hier aber nur für Gesellschaftsverbindlichkeiten zum Zuge, die auf Fehlern bei der Berufsausübung beruhen. Insbesondere für Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen und Mietverträgen wird demgegenüber vollumfänglich persönlich gehaftet. Die PartG ist daher im Bereich des Gesellschaftsrechts der Freien Berufe trotz einiger legislatorischer Nachbesserungen nie so richtig Avantgarde gewesen.

ESG-Aktivismus – gekommen, um zu bleiben?

Die USA und allen voran der Bundesstaat Delaware sind schon seit vielen Jahren Exportweltmeister gesellschaftsrechtlicher Rechtsfiguren. Etliche dieser legal transplants (Watson, Legal Transplants, 1974; Fleischer, NZG 2004, 1129) wurden bereits in die „Anatomie“ des deutschen Aktienrechts (angelehnt an Kraakman et al., The Anatomy of Corporate Law) eingepflanzt. Eine maßgebliche Triebfeder dieser Entwicklungen ist die US-amerikanische Finanzbranche: Trends der Wall Street finden früher oder später ihren Weg zum deutschen Kapitalmarkt; ein Paradebeispiel sind die seit kurzem wieder populären SPACs (dazu Fuhrmann, ZBB 2021, 390 und Fuhrmann, AG 2022, R91).

Der jüngste US-Exportschlager lautet: ESG-Aktivismus. Dabei handelt es sich um eine Spielart des shareholder activism. Bei diesem versucht ein Minderheitsaktionär, auf die Strategie eines börsennotierten Unternehmens Einfluss zu nehmen. Sein Ziel ist in der Regel die Steigerung des Börsenkurses und damit des Wertes seiner Beteiligung. Ansatzpunkt für die Hebung von Wertschöpfungspotentialen sind beim ESG-Aktivismus an den ESG-Kriterien (environmental, social, governance) ausgerichtete Maßnahmen.

Seinen großen Durchbruch erlebte der ESG-Aktivismus in den USA mit der erfolgreichen Kampagne von Engine No. 1 bei Exxon Mobil. Mit der Unterstützung zahlreicher institutioneller Investoren konnte der mit nur 0,02 % beteiligte Hedgefonds drei board-Sitze auf der Hauptversammlung 2021 erringen. In den letzten Monaten sind nun – wie bereits zuvor vom Schrifttum prognostiziert (Döding, AG 2021, R249, R250; Jaspers, AG 2022, 145, 149 ff.) – auch deutsche Aktiengesellschaften zum Ziel von ESG-Kampagnen geworden. Besondere Aufmerksamkeit haben zuletzt zwei ESG-Kampagnen „grüner“ Aktivisten erregt.

(Keine) Transparenz der klimabezogenen Lobbytätigkeiten bei VW

Eine der beiden ESG-Kampagnen nahm Volkswagen ins Visier. Die vom Church of England Pension Board (CEPB) angeführte Investorengruppe forderte, dass das Unternehmen zukünftig die Berichterstattung auf die Aktivitäten des Konzerns zur klimabezogenen politischen Interessenvertretung ausweitet. Nachdem entsprechende Gespräche mit dem Vorstand ergebnislos verlaufen waren, stellten die Investoren im Vorfeld der Jahreshauptversammlung 2022 ein Ergänzungsverlangen (§ 122 Abs. 2 Satz 1 AktG). Danach sollte eine entsprechende Berichtspflicht in der VW-Satzung verankert werden. Diese sollte u.a. die Darstellung sämtlicher Lobbyaktivitäten umfassen, die die Konzerngesellschaften direkt oder indirekt in Bezug auf den Klimawandel verfolgen oder unterstützen, sowie deren Auswirkungen auf die Risikoexposition des VW-Konzerns in Bezug auf den Klimawandel. Diese Transparenzforderungen der Investoren verwundern wenig: Mit ihrem Global Standard on Corporate Climate Lobbying haben AP7, BNP Paribas Asset Management und CEPB jüngst ein deutliches Zeichen gesetzt. Dem spürbar gewachsenen Bewusstsein von Aktionären für ESG-Anliegen zum Trotz machte Volkswagen das Ergänzungsverlangen allerdings nicht bekannt. Die vorgeschlagene Satzungsänderung sei gesetzlich nicht vorgesehen und greife in unzulässiger Weise in die Leitungsautonomie des Vorstands aus § 76 Abs. 1 AktG ein (dazu ausführlich Fuhrmann/Röseler, AG 2022, R153). In der Hauptversammlung am 12.5.2022 haben die Aktionäre somit nicht über die Transparenzpflicht hinsichtlich klimabezogener Lobbytätigkeiten des Unternehmens abgestimmt.

(Kein) Brownspinning bei RWE

Im letzten Jahr erhob Enkraft Capital gegenüber RWE die Forderung, die Braunkohlesparte abzuspalten und sich auf erneuerbare Energien zu konzentrieren. Eine solche Abtrennung von emissionsintensiven Geschäftsbereichen und Vermögensgegenständen wird als Brownspinning bezeichnet. Die Kampagnenthese des Aktivisten war, das Brownspinning senke den Bewertungsabschlag gegenüber den ausschließlich auf erneuerbare Energien fokussierten Energieversorgern und steigere so den Börsenkurs der RWE-Aktie. Da bilaterale Gespräche mit dem Vorstand aus Sicht von Enkraft ohne konkrete Fortschritte verliefen, stellte der mit lediglich 0,03 % beteiligte aktivistische Aktionär am 18.3.2022 ein Ergänzungsverlangen. Danach sollte der Vorstand nach § 83 Abs. 1 Satz 1 AktG angewiesen werden, einen konkreten Plan für die Abspaltung auszuarbeiten und die Vorbereitung der Umsetzungsmaßnahmen auf der Hauptversammlung 2023 zu präsentieren. Anders als im Fall von VW schaffte es der Antrag auf die Tagesordnung. Gleichwohl blieb dem ESG-Aktivismus erneut kein Erfolg vergönnt: Der Brownspinning-Vorschlag wurde auf der Hauptversammlung am 28.4.2022 mit einer überwältigenden Mehrheit von 97,56 % der Stimmen abgelehnt. Insbesondere die kommunalen Aktionäre von RWE hatten sich bereits im Vorfeld gegen die aktivistische Kampagne positioniert. Als Ursache des vorläufigen Scheiterns des Brownspinning-Vorschlags fallen drei Erklärungsansätze ins Auge: (1) Die mangelnde Unterstützung der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater, (2) die positive Bewertung der bisherigen Unternehmensstrategie durch den Kapitalmarkt sowie (3) der Zielkonflikt aus den zahlreichen widerstreitenden stakeholder-Interessen im Rahmen des Kohleausstiegs (zur ausführlichen Analyse dieser ESG-Kampagne demnächst Fuhrmann/Döding im AG-Report 12/2022).

Nur die Spitze des Eisbergs

Ist der ESG-Aktivismus damit in Deutschland gescheitert? Wohl kaum – die Bedeutung einer nachhaltigen Unternehmensführung für die Kapitalmarktbewertung wird mit Blick auf die anstehende europäische Transparenzregulierung in den kommenden Jahren immer stärker und schneller zunehmen. Vor allem aber sind die beiden ESG-Kampagnen nur die Spitze des Eisbergs: Aktivistische Aktionäre suchen typischerweise zunächst den vertraulichen Dialog mit dem Vorstand. Nur im Ausnahmefall erwächst daraus eine öffentliche Kampagne. Die praktische Bedeutung des ESG-Aktivismus dürfte damit weit über die beiden publik gewordenen Fälle hinausreichen.

In rechtspolitischer Hinsicht bleibt es mit Spannung zu erwarten, ob zukünftig ein höherer Mitwirkungsgrad der Aktionäre bei Nachhaltigkeitsfragen (Say on Climate) seinen Weg ins Aktienrecht finden wird (de lege lata ablehnend Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856 ff.; de lege ferenda kritisch Jaspers, AG 2022, 145, 151; zumindest eine Anregung im Corporate Governance Kodex befürwortend VGR, AG 2022, 239, 243). Mit Blick auf den „Gestaltungseifer der europäischen Institutionen“ (Jaspers, AG 2022, 145, 151) wird die EU dieses Mal wohl kaum die Etablierung eines US-amerikanischen Vorbilds abwarten wollen, um dieses anschließend als legal transplant zu übernehmen.

Ausführlichere Report-Beiträge zu beiden ESG-Kampagnen erscheinen in der AG (vgl. Fuhrmann/Röseler, AG 2022, R153).