Beschluss des OLG Celle im Geschäftsführungsstreit bei der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA – Carte blanche für den Gesellschafter Hannover 96 e.V.?

Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 10.3.2025 – 9 W 22/25 in der Handelsregister-Beschwerdesache wegen Notgeschäftsführerbestellung die Beschwerde der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG gegen den ihren Antrag auf Einsetzung eines Notgeschäftsführers bei der Hannover 96 Management GmbH zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts – Registergericht – Hannover vom 3.3.2025 zurückgewiesen. Beschwerdegegner war der Idealverein Hannover 96 e.V.

Der Hannoversche Sportverein von 1896 e.V. ist Alleingesellschafter der Hannover 96 Management GmbH. Diese GmbH ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die den Profifußball-Bereich und damit die zurzeit am Spielbetrieb der 2. Fußball-Bundesliga teilnehmende Lizenzspielermannschaft Hannover 96 unterhält. Einzige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG. Nach der Satzung der Hannover 96 Management GmbH ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Im August 2019 wurde zwischen dem Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG der sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen, in dem geregelt ist, dass der zu 100 % an der Komplementär-GmbH der KGaA beteiligte Verein Hannover 96 die Satzung dieser GmbH nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt. Dies bezieht sich insbesondere auf den Passus der GmbH-Satzung, die der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers einräumt (vgl. dazu OLG Celle v. 4.4.2023 – 9 U 102/22 , GmbHR 2023, 739).

Im aktuellen Beschwerdeverfahren beantragte die Kommanditaktionärin Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG mit Schriftsatz vom 24.2.2025 für die Hannover 96 Management GmbH als Komplementärin der KGaA einen Notgeschäftsführer einzusetzen, und zwar beschränkt auf den Aufgabenbereich der Einreichung und Unterzeichnung von Lizenzierungsunterlagen für die Teilnahme am Spielbetrieb der Profifußballligen in der kommenden Saison 2025/2026. Zum Zwecke der Begründung berief sich die Kommanditaktionärin darauf, dass der Aufsichtsrat der Hannover 96 GmbH nach der – vom BGH mit Urteil vom 16.7.2024 (BGH v. 16.7.2024 – II ZR 71/23, GmbHR 2024, 922 m. Anm. Wertenbruch) bestätigten – Abberufung des bisherigen GmbH-Geschäftsführers durch den Hannover 96 e.V. als Alleingesellschafter nicht in der Lage sei, sich auf die Person eines neuen Geschäftsführers zu verständigen. Daher sei im Hinblick auf die demnächst erforderliche Einreichung von Lizenzierungsunterlagen bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) ein Eilbedürfnis für die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers gegeben.

Das Registergericht Hannover wies den Antrag der Kommanditaktionärin zurück, weil ein dringender Fall für die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers nicht vorliege. Der Aufsichtsrat der Komplementär-GmbH sei besetzt und auch in der Lage, einen Geschäftsführer zu bestellen. Es sei nicht Aufgabe des Registergerichts, Streitigkeiten innerhalb der Gesellschaft zu entscheiden. Der 9. Zivilsenat des OLG Celle wies die zulässige Beschwerde der Kommanditaktionärin zu Recht aus den vom Registergericht dargelegten Gründen zurück. Ergänzend führt das OLG Celle unter Rekurs auf die Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH (BGH v. 16.7.2024 – II ZR 71/23, GmbHR 2024, 922 m. Anm. Wertenbruch) zutreffend aus, dass selbst in dem Fall, in dem im Aufsichtsrat der GmbH eine Einigung in Bezug auf die Bestellung eines neuen Geschäftsführers partout nicht zustande kommt, durch Gesellschafterbeschluss des Alleingesellschafters Hannover 96 e.V. ein neuer Geschäftsführer zum Zwecke der Vermeidung einer Führungslosigkeit der GmbH bestellt werden kann. Der Idealverein Hannover 96 ist also in einer Pattsituation gesellschaftsrechtlich befugt, seine – vom BGH und jetzt auch vom OLG Celle zertifizierte – Carte blanche aus dem Ärmel zu ziehen und den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH im Alleingang zu bestellen.

Ebenfalls richtig ist der Hinweis des OLG Celle, dass die Kommanditaktionärin wegen fehlender Gesellschafterstellung in der Komplementär-GmbH im Wesentlichen darauf beschränkt ist, ihre etwaigen schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Hannover-96-Vertrag gegen den Alleingesellschafter Hannover 96 e.V. durchzusetzen. In Bezug auf die Geschäftsführung der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA hat die Kommanditaktionärin gesellschaftsrechtlich nur einen sehr eingeschränkten Schutzstatus. Zudem visualisiert auch die aktuelle Entscheidung des OLG Celle, auf welch tönernen Füßen der Hannover-96-Vertrag steht, mit dem sich der Fußballklub Hannover 96 in die Abhängigkeit von der Kommanditaktionärin begeben hat (vgl. zu den Einzelheiten Wertenbruch, GmbHR 2024, 930, 932 f.). Verbandsrechtlich stellt dieser Vertrag eine Umgehung der 50+1-Regel der DFL und des DFB dar, wonach bei Wahl der Rechtsform der KGaA der Mutter-Idealverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs und damit die Alleinherrschaft im Geschäftsführungsbereich haben muss (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2024, 930, 932 f.).

Bislang hat die DFL zwar – offensichtlich wegen des laufenden Kartellverfahrens in Sachen 50+1-Regel beim Bundeskartellamt – die Erteilung der Saisonlizenz nicht von der Aufhebung der durch den Hannover-96-Vertrag entstandenen verbandswidrigen Bindung an die Kommanditaktionärin abhängig gemacht. Das kann sich aber schnell ändern, wenn das Bundeskartellamt unter Berücksichtigung der aktuellen EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen European Super League, International Skating Union und Royal Antwerp Football Club, mit der die Voraussetzungen einer Ausnahme vom europäischen Kartellverbot auf Grundlage der früheren Entscheidungen Wouters und Meca-Medina eingeschränkt wurden, die 50+1-Regel als solche kartellrechtlich goutiert und sein Gesamtplazet allerdings von der Beseitigung von Umgehungskonstruktionen und den statutarischen Förderausnahmen für Bayer Leverkusen und den VfL Wolfsburg abhängig macht (vgl. zu den Einzelheiten Wertenbruch, GmbHR 2024, 930, 932 f.).

In Anbetracht des statutarischen Gesellschaftszwecks der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA zielführender wäre aufseiten aller Protagonisten der juristischen Auseinandersetzungen am Rande des 96-Stadions eine dauerhafte Besinnung auf die nach wie vor unumstrittene, aber in Hannover – jedenfalls bis zur Entscheidung des OLG Celle – noch nicht punktende Adi-Preißler-Doktrin: „…, aber entscheidend is’ auf’m Platz.“

Jetzt auch amtlich – Der Vorschlag eines Omnibus-Rechtsaktes der Europäischen Kommission

Bereits in der Budapester Erklärung zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit vom 8.11.2024 und im Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union hatte die Kommission „revolutionäre Vereinfachungen“ des mittlerweile umfänglichen supranationalen Pflichtenhefts im Nachhaltigkeitsbereich und einen entsprechenden Omnibus-Rechtsakt (in deutscher Diktion ein Artikelgesetz) angekündigt (s. im Einzelnen Jaspers, Blog-Beitrag v. 3.2.2025, WRBLOG0002027). Nachdem bereits seit Mitte Februar inoffizielle Auszüge aus den Vorschlägen kursierten, hat die Kommission diese termingerecht am 26.2.2025 offiziell vorgelegt (vgl. EU-Kommission, Vereinfacht Vorschriften für Nachhaltigkeitsberichterstattung und EU-Investitionen: mehr als 6 Mrd. EUR an Entlastung beim Verwaltungsaufwand angestrebt, PM v. 26.2.2025).

Bevor im Folgenden ausgewählte Inhalte skizziert werden, empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die einzelnen Bestandteile der Vorschläge zu verschaffen. In einer ersten Grobgliederung sind „Omnibus I“ und „Omnibus II“ zu unterscheiden, die aber ihrerseits jeweils nur Sammelbegriffe für eine Reihe von Änderungsrichtlinien sind. Während der Omnibus I die aus Sicht des Gesellschafts- bzw. Unternehmensrechts zentralen Änderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD und des supranationalen Lieferkettenregimes der CS3D sowie eine Anpassung der Mechanik des CO2-Grenzausgleichs beinhaltet, sieht der Omnibus II eine Stärkung des europäischen Investitionsfonds InvestEU vor. Im Einzelnen können die folgenden Bestandteile unterschieden werden:

Omnibus I bestehend aus:

  • COM 2025 (80) – Änderungs-RL zur Änderung des (gestaffelten) Inkrafttretens von (i) CSRD EU 2022/2464 als Änderungs-RL zu Abschlussprüfer-VO EU 537/2014 und Bilanz-Richtlinie EU 2013/34 und (ii) Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD / CS3D) (EU) 2024/1760;
  • COM 2025 (81) – Änderungs-RL zur Änderung materieller Bestimmungen der CSRD EU 2022/2464 und der CSDDD;
  • Staff Working Document zu den beiden Änderungs-RL gemäß COM (2025) 80 und COM (2025) 81, in dem Kalkül und Inhalte der vorgeschlagenen Änderungen eingehender erläutert werden;
  • in COM 2025 (80) und COM 2025 (81) implizit enthaltenen materiellen Änderungen der Taxonomie-VO, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass das Taxonomie-Reporting gemäß Art. 8 Taxonomie-VO seine Adressaten mittels Verweises auf Art. 19a, 29a Bilanz-RL bestimmt;
  • Vorschlägen und Konsultationsdokumentation zur Verschlankung der auf Grundlage der Taxonomie-VO erlassenen Delegierten Verordnungen, die zur Kommentierung durch die Bereichsöffentlichkeit bis zum 26.3.2026 auf dem Have your say“-Portal zur Verfügung stehen;
  • COM (2025) 87 – Änderungen der CBAM-Verordnung, insbesondere hinsichtlich Anwendungsbereich und Berichtspflichten (VO (EU) 2023/956 v. 10.5.2023 zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems); und
  • COM (2025) 87 – Anlagen zur vorgeschlagenen Änderung der CBAM-VO durch COM (2025) 87 (enthaltend die Berechnungsformel zur dynamisierten Bestimmung des Anwendungsbereichs der CBAM-VO)

Omnibus II – bestehend aus:

  • COM (2025) 84 – Änderungs-RL zur Erhöhung der Effizienz des EU-Investitionsvehikels InvestEU und zur Vereinfachung der zugehörigen Berichtspflichten durch Änderung von: 1. Verordnung (EU) 2021/523 (VO zur Einrichtung des Programms „InvestEU“); 2. Verordnung (EU) 2015/1017 (VO über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen, die europäische Plattform für Investitionsberatung und das europäische Investitionsvorhabenportal); und 3. Verordnung (EU) 2021/695 (VO zur Einrichtung von „Horizont Europa“, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, sowie über dessen Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse).
  • Staff Working Document zu COM (2025) 87 mit Erläuterung der beabsichtigten Änderungen der supranationalen Förderlandschaft.

Zusätzlich hat die Kommission Q&As zu Omnibus I und Omnibus II veröffentlicht.

Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD

Einen ersten Schwerpunkt setzen die Omnibus-Vorschläge im Bereich der nichtfinanziellen bzw. Nachhaltigkeitsberichterstattung, u.a. auf nachfolgende Themenfelder:

  • Beschränkung des Anwendungsbereichs des obligatorischen Sustainability Reporting: Berichtspflichtig sollen künftig allein große Unternehmen sein, die im Jahresdurschnitt mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Als große Unternehmen i.d.S. sind entsprechend der allgemeinen handelsbilanziellen Terminologie Unternehmen anzusehen, die entweder Umsatzerlöse von EUR 50 Mio. oder aber eine Bilanzsumme von 25 Mio. EUR ausweisen (vgl. § 267 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 HGB).
    Die in der dritten Welle vorgesehene größenunabhängige Erfassung aller „börsennotierten“ Gesellschaften, also solcher Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt in der EU oder dem EWG zugelassen sind, soll zur Gänze entfallen.
    Nach den Schätzungen der Kommission würden mit dieser Neuvermessung des Anwendungsbereichs 80 % der bisher von der CSRD erfassten Unternehmen von der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung befreit.
  • Schaffung eines freiwilligen Berichtsstandards: Quasi als Ausgleich für die erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht der Omnibus die Schaffung eines am Proportionalitätsprinzip ausgerichteten und am Vorbild des VSME orientierten freiwilligen Standards vor, der eine Aufwertung durch offizielle Annahme mittels delegierter Verordnung erfahren soll (Art. 29ca Bilanz-RL-E).
    Zusätzlich soll der freiwillige Berichtsstandard bei der Eindämmung des trickle-down bzw. Kaskadeneffekts in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten helfen. CS3D-pflichtige Unternehmen sollen im Rahmen der Kartierung der Wertschöpfungskette (value chain mapping) von Nicht-CSRD-Unternehmen nur die nach dem geplanten freiwilligen Berichtsformat (Art. 29ca Bilanz-RL-E) vorgesehenen Informationen anfordern dürfen (Art. 19a Abs. 3, 29a Abs. 3 Bilanz-RL-E), womit ein Rahmen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit entsprechender informationsbegehren geschaffen wird.
  • Verzicht auf sektorspezifische Berichtsstandards: Die für 2026 avisierte Ergänzung der sog. sektoragnostischen ESRS, d.h. der unabhängig von Branche und Sektor des berichtenden Unternehmens geltenden Berichtsvorgaben, um kumulativ zu beachtende sektorspezifische Unterberichtsstandards (Art. 29b Abs. 3 UAbs. 2 ii) Bilanz-RL) soll vollständig entfallen.
  • Beschränkung der Prüfungsintensität der Nachhaltigkeitsprüfung: Die in Art. 26a Abs. 3 Abschlussprüfer-RL vorgesehene schrittweise Schärfung der Intensität der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, mit der über das Zwischenstadium der limited assurance ein dem der Finanzberichterstattung vergleichbares Konfidenzniveau (reasonable assurance) erreicht werden soll, wird von festen Umsetzungsdaten befreit und im Übrigen weitgehend dem Ermessen der Kommission überantwortet.

Taxonomie-VO

  • Einschränkung des Anwendungsbereichs der Berichtspflichten zur Taxonomie-Vereinbarkeit: Die kumulativ zum CSRD-Reporting zu erfüllenden Berichtspflichten gemäß Art. 8 Taxonomie-VO, nach denen anhand bestimmter KPI der Anteil nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten am Gesamtgeschäft zu melden ist, gelten für sämtliche CSRD-pflichtigen Unternehmen, entsprechend würde ihr Anwendungsbereich parallel zu dem der Nachhaltigkeitsberichterstattung signifikant eingeschränkt.
  • Vorschläge für eine Änderung der Delegierten Verordnungen zur Taxonomie-VO (Offenlegung, Klima, Umwelt) werden bis zum 26.3.2026 der Bereichsöffentlichkeit zur Kommentierung auf dem „Have your say“-Portal zur Verfügung gestellt und auf dieser Grundlage finale Vorschläge erarbeitet.
  • Die CSRD soll um ein optionales Taxonomie-Reporting unter weiteren Voraussetzungen ergänzt werden (Art. 19b, 29aa Bilanz-RL-E), womit die Schwächen des binären Ansatzes der Taxonomie-VO ausgeglichen werden sollen.
  • Überarbeitung des „Do Not Significant Harm“-Kriteriums. Die Qualifizierung als nachhaltig i.S.v. Art. 3 Taxonomie-VO scheitert in der Praxis häufig am Tatbestandsmerkmal des Do Not Significant Harm (DNSH), wofür unter anderem auch Komplexität und Auslegungsunsicherheiten als Ursachen benannt werden. Die Vorschläge sehen diesbezüglich vor, dass die aufwändige Prüfung des DNSH-Kriteriums nur noch dann erforderlich sein soll, wenn die entsprechenden Wirtschaftsaktivitäten mindestens 10 % der taxonomierelevanten Key Performance Indicators (Umsatz, CapEx, OpEx) repräsentieren.
  • Anpassung des Green Asset Ratio (GAR): Die methodisch fundierte und seit Langem erhobene Kritik am zentralen Leistungsindikator für den Finanzsektor, die darauf fußt, dass Zähler und Nenner der GAR unterschiedliche Bezugsgrößen besitzen, wird aufgegriffen.

Supranationales Lieferkettenregime gemäß CS3D

Als bemerkenswert wird man es bezeichnen dürfen, dass der Omnibus I auch für das europäische Lieferkettenregime nach der Richtlinie (EU) 2024/1760 noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten zum 26.7.2026 eine Reihe nicht unerheblicher Änderungen vorschlägt. Hervorzuheben sind insoweit:

  • Keine unbefristete Aussetzung der CS3D: Festzuhalten ist vorab, dass die durchaus auch von prominenter Seite erhobene Forderung nach einer unbefristeten Aussetzung der CS3D abgelehnt wird, die Kommission bekräftigt damit ihr grundsätzliches Bekenntnis zu dem umstrittenen Rechtsakt.
  • Verlängerung der Umsetzungsfrist: Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Frist zur Umsetzung der CS3D in nationales Recht wird um ein Jahr auf den 26.7.2027 verlängert, womit den betroffenen Unternehmen etwas mehr Zeit eingeräumt wird, allfällige Vorbereitungsmaßnahmen umzusetzen. Unterstützung erfahren sie dabei auch insoweit, als die Herausgabe allgemeiner Due-Diligence-Leitlinien für die Kernpflichten der CS3D auf den 26.7.2026 vorverlagert werden soll (Art. 19 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Abs. 3 CSDDD-E).
  • Überarbeitung des CS3D-Pflichtenhefts: Im Zentrum der Omnibus-Vorschläge für die CS3D stehen entlastende Straffungen des Pflichtenhefts für die Wertschöpfungskette, u.a.:
  • Hinsichtlich der Due-Diligence-Pflichten in der Wertschöpfungskette wird eine partielle Vollharmonisierung angeordnet, auch ein gold plating seitens der Mitgliedstaaten wird für Teile der Richtlinie ausdrücklich für unzulässig erklärt (Art. 4 CSDDD-E);
  • Die Due-Diligence-Pflichten werden grundsätzlich auf- wie abwärts auf die nächste Vertriebs- bzw. Wertschöpfungsstufe, also unmittelbare Lieferanten bzw. Abnehmer begrenzt, mittelbare Lieferanten und Abnehmer sind nur (i) bei begründeten Verdachtsmomenten (plausible information that suggests that adverse impacts at the level of the operations have arisen or may arise) und dann, (ii) wenn die Mittelbarkeit einer Geschäftsbeziehung Ergebnis eines Gestaltungsmissbrauchs ist (an artificial arrangement that does not reflect economic reality), einer eingehenden Prüfung zu unterziehen (Art. 8 Abs. 2 lit. b) CSDDD-E);
  • Parallel zum value chain cap der CSRD wird das Recht, gegenüber KMU mit weniger als 500 Arbeitnehmern Informationen zu verlangen, auf die Gegenstände des freiwilligen Reportings begrenzt, allerdings gilt diese Grenze nicht absolut, sondern darf bzw. muss bei begründetem Verdacht überschritten werden (Art. 8 Abs. 5 CSDDD-E),
  • Die Verpflichtung, zwingend eine Geschäftsbeziehung vollständig zu beenden, wird aufgehoben, bestehen bleiben hingegen das temporäre Verbot einer Ausdehnung einer inkriminierten Lieferkettengeschäftsbeziehung bzw. deren zeitweise Aussetzung (Art. 10 Abs. 6 CSDDD-E),
  • Die anlassunabhängige Risikobewertung von Lieferanten und Abnehmern soll nur noch in einem Turnus von fünf Jahren und nicht mehr jährlich erforderlich sein, soweit nicht im Einzelfall anlassbezogen ein Ad-Hoc-Assessment erforderlich ist (Art. 15 CSDDD-E).

Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten

Auch die Rechtsfolgenseite von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten soll neu geordnet werden:

  • Die auch im Rahmen der parlamentarischen Diskussion des LkSG hoch umstrittene Anordnung einer zwingenden zivilrechtlichen Haftung (Art. 29 Abs. 1 CSDDD) soll ersatzlos gestrichen werden.
  • Demgegenüber entspricht Art. 29 Abs. 1 CSDDD-E weitgehend dem aktuellen Art. 29 Abs. 2 CSDDD und ordnet unter Berücksichtigung der in Aussicht genommenen Streichung der zwingenden zivilrechtlichen Haftung an, dass – soweit eine Haftung nach nationalem Recht besteht – diese grundsätzlich volle Entschädigung erlauben muss, ohne allerdings gleichzeitig den Geschädigten zu überkompensieren, womit letztlich ein Verbot pönaler Elemente bei der Schadensbemessung festgesetzt wird.
  • Das aktuell bestehende Verbandsklagerecht nach Art. 29 Abs. 3 lit. 3 CSDDD soll gleichfalls ersatzlos gestrichen werden.

Verzicht auf ein Sonderrechtsregime für Finanzunternehmen

  • Die Ermächtigung zugunsten der Kommission, den Besonderheiten des Geschäftsmodells von Finanzunternehmen und ihrer Sonderrolle in der Wertschöpfungskette (keine eigentliche Wertschöpfungsstufe, Vermögensverwaltung mit Portfoliounternehmen etc.) durch ein Sonderrechtsregime Rechnung zu tragen (Art. 36 CSDDD), soll gestrichen werden.

Einschränkung des obligatorischen Stakeholder-Dialogs

  • Schon im Grundsätzlichen einigermaßen fragwürdig verpflichtet die CS3D Unternehmen zu einem obligatorischen Dialog mit Stakeholdern/Interessenträgern (Art. 13 Abs. 1 CSDDD), wobei der Kreis der Stakeholder extrem weit gefasst ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. n CSDDD). Die Omnibus-Vorschläge halten am Instrument des Stakeholder-Dialogs fest, sehen aber zumindest richtige und wohl auch praktisch zwingend erforderliche Beschränkungen des Kreises der gesprächsberechtigten Institutionen und Akteure vor. Eine Konsultationspflicht soll nur noch gegenüber relevanten Stakeholdern bestehen, deren Interessen unmittelbar betroffen sein müssen.

Anpassungen des CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM/Carbon Border Adjustment Mechanism)

  • Der Anwendungsbereich des zum Schutz der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung bzw. zur Verhinderung von Regulierungsarbitrage, insbesondere in Form der sog. Carbon Leakage, etablierten CO2-Grenzausgleichs wird durch Einführung einer dynamischen Formel zur Bestimmung der erfassten Importeure bzw. Einführer signifikant eingeschränkt.
  • Nach Art. 2 Abs. 3a CBAM-VO-E i.V.m. Anlage VII werden die betroffenen Einführer nur noch mittelbar und im Zeitablauf dynamisch bestimmt. Die optisch ansprechend formulierte Formel kann dahingehend zusammengefasst werden, dass so viele Einführer erfasst werden, dass mindestens 99 % der importierten CO2-Emissionen erfasst sind, also das Verhältnis aus erfassten importierten Emissionen und importierten Gesamtemissionen mindestens 99 % beträgt. Diese direkte Ansteuerung der Zielgröße ist einerseits theoretisch überzeugend, wird allerdings erst noch in der Praxis zu beweisen haben, ob sie nicht mit erheblichen Planungsunwägbarkeiten für Einführer verbunden ist.
  • Neben dieser grundsätzlichen Änderung der Grenzausgleichsmechanik sehen die Vorschläge zudem eine Reihe von Vereinfachungen des Verfahrens sowie hinsichtlich der bestehenden Berichtspflichten vor.
  • Verschärfte Missbrauchsbekämpfung: Während die Omnibus-Vorschläge rechtstreuen Einführern durch erhebliche Erleichterungen entgegenkommen, soll gleichzeitig die Effektivität des Grenzausgleiches durch verstärkte Bemühungen im Kampf gegen Missbrauch und Umgehungen abgesichert werden.

Schaffung zusätzlicher Investitionskapazitäten durch Stärkung des InvestEU (Omnibus II)

  • Neben den vorstehenden marktordnungsrechtlichen Maßnahmen enthalten die Omnibus-Vorschläge auch eher dem Bereich der Industriepolitik zuzurechnende Vorschläge in Gestalt einer Stärkung des Investitionsfonds InvestEU.
  • Vereinfacht sollen Erträge bzw. Rückflüsse aus älteren Investitionsinstrumenten der Europäischen Union dem aktuell zentralen Investitionsfonds InvestEU gemäß Verordnung (EU) 2021/523 zur Verfügung gestellt werden, um die Ausreichung weiterer direkter europäischer Investitionshilfen sowie von Garantien durch InvestEU zu ermöglichen. Die Kommission erhofft sich durch die Aufstockung der Finanzmittel von InvestEU ein zusätzliches Gesamtinvestitionsvolumen (unter Berücksichtigung der Beiträge von Privatrechtsakteuren) von 50 Mrd. EUR.

Ausblick

Entgegen dem in der Rezeption, aber auch der Begleitkommunikation der Kommission hervorgerufenen Eindruck wird man sich zunächst in Erinnerung zu rufen haben, dass es sich bei Omnibus I und II bisher um bloße Gesetzesinitiativen der Kommission handelt, die den regelmäßig steinigen Weg durch Trilog mit Rat und vor allem Parlament noch vor sich haben. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die CSRD. So bleibt zunächst die Pflicht zur Umsetzung der CSRD für den deutschen Gesetzgeber bestehen. Auch Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der lex lata, nicht aber den der Bilanz-RL in der Fassung des Omnibus I fallen würden, können gegenwärtig (noch) nicht mit Sicherheit darauf vertrauen, durch schnelle Umsetzung keiner CSRD-Berichterstattung zu unterliegen.

Insgesamt gehen die Ideen der Kommission nach hier vertretener Ansicht in die richtige Richtung, auch wenn die euphemistische Kommunikation der Kommission nicht zu verdecken mag, dass Gegenstand des Omnibusses in weiten Teilen die Rücknahme von Rechtsakten ist, die erst unlängst, teilweise erst in 2024 beschlossen worden sind. Die doch recht hektisch eingeführte und umfassende angelegte Nachhaltigkeitsregulierung hat bereits jetzt eine kaum beherrschbare Komplexität erreicht; allein die Kenntnis des einschlägigen Normenbestandes dürfte nur noch von Experten leistbar sein. Als Manko wird man es allerdings bezeichnen dürfen, dass sich der Omnibus stark auf das Instrument der Einschränkung des Anwendungsbereichs zurückzieht. Man vermisst eine stringente Nachschärfung des Rechtsregimes für die betroffenen Unternehmen, die am Paradigma der decision usefulness orientiert wäre. Allerdings durfte man dies auch kaum erwarten, wird man im Omnibus doch vor allem auch eine kurzfristige Reaktion auf die (späte) Erkenntnis sehen müssen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union erheblich zurückgegangen ist und man deshalb – auch aus psychologischen Motiven – kurzfristig ein deutliches Signal setzen wollte.

Online-Dossier: Wachstumschancengesetz

Der Bundesrat hat nach intensiven politischen Auseinandersetzungen in seiner Sitzung am 22.3.2024 dem Wachstumschancengesetz zugestimmt und damit einen Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat vom 21.2.2024 bestätigt.

Mit dem Wachstumschancengesetz sollen zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden, die die Liquiditätssituation der Unternehmen verbessern und Impulse setzen, damit Unternehmen dauerhaft mehr investieren und Innovationen wagen können. Daneben werden Maßnahmen ergriffen, um das Steuersystem an zentralen Stellen zu vereinfachen und mittels Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie zu entlasten. Zudem sollen Instrumente umgesetzt werden, die dazu beitragen, unerwünschte Steuergestaltungen aufzudecken und diese abzustellen.

Zeitschriftenbeiträge:

  • Heidecke/Liebe, Konzernfinanzierung: Neuerung durch § 1 Abs. 3d und 3e AStG ab dem 1.1.2024 einschließlich eines Abgleichs mit der angedachten Zinshöhenschranke im § 4l EStG-E, Ubg 2024, 333
  • Liekenbrock/Liedgens, Die außenstehende Person in der neuen Spaltungssperre des Wachstumschancengesetzes, DB 2024, 1296
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 2, Ubg 2024, 324
  • Grotherr, Neuregelungen zu grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen und Finanzierungsdienstleistungen in einer Unternehmensgruppe durch das Wachstumschancengesetz (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) – Teil 1, Ubg 2024, 241
  • Ditz/Kausch/Leucht, Wesentliche Änderungen durch das Wachstumschancengesetz, DB 2024, 1230
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Einkommensteuerliche und gewerbesteuerliche Änderungen, EStB 2024, 109
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2024, 235
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz in Kraft getreten!, GmbHR 2024, R116
  • Sterzinger, Aktuelle Änderungen des UStG und der UStDV durch das Wachstumschancengesetz und andere Gesetze, UR 2024, 117
  • Geberth/Bartelt, BMF: Anpassung des AEAO an das MoPeG und Art. 23 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes, GmbHR 2024, R59
  • Geberth/Bartelt, Vermittlungsausschuss: Beratung zum Wachstumschancengesetz am 21.2.2024, GmbHR 2024, R57
  • Flad, Aktuelle Änderungen im Umsatzsteuerrecht – insbesondere durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz und das Wachstumschancengesetz, UStB 2024, 22
  • Wünnemann, Wachstumschancengesetz – Hängepartie ohne Abschluss, DB 2024, M4
  • Wiese, Staatsfinanzierung, Schuldenbremse, Steuerpolitik – ein Ausblick auf das Unternehmensteuerrecht im Jahr 2024, GmbHR 2024, R36
  • Günther, Wachstumschancengesetz: Handlungsbedarf wegen drohender Abschaffung der Gesamthand-Steuervergünstigungen (§§ 5–7 GrEStG) ab 1.1.2024, ErbStB 2024, 54
  • Binnewies/Mückl/Olbing, Aktuelles Steuerrecht rund um die GmbH und ihre Gesellschafter 2023/2024, GmbHR 2023, 1289
  • Bleckmann, BMF: Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung, GmbHR 2023, R344
  • Schneider, Geplante Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen (§ 138l bis § 138n AO-E), DB 2023, 2468
  • Dorn, Bundesrat äußert sich kritisch zum Wachstumschancengesetz, DB 2023, M4
  • Geberth/Bartelt, Bundeskabinett: Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R293
  • Forst/Schiffers, Beratungspraxis Familienunternehmen – Neue Koordinaten zur Rechtsformwahl durch das Wachstumschancengesetz?, GmbHR 2023, 966
  • Weimann, BMF zur beabsichtigten eRechnung, ASTW 2023, 787
  • Schiffers, Wachstumschancengesetz – eine erste Einschätzung, GmbHR 2023, R256
  • Geberth/Bartelt, BMF: Referententwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), GmbHR 2023, R245
  • Wünnemann, Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2023, 521
  • Niermann, Rechtsänderungen im Bereich der Arbeitnehmerbesteuerung durch das Wachstumschancengesetz, DB 2023, 1944
  • Behrens/Sparr, Die Zinsschranke und die Zinshöhenschranke nach dem Entwurf eines Wachstumschancengesetzes BMF-Referentenentwurf vom 14.7.2023 und Regierungsentwurf vom 30.8.2023, Ubg 2023, 461
  • Nieskens, Es wird ernst: Die verpflichtende elektronische Rechnung im B2B-Geschäftsverkehr kommt, UR 2023, 671
  • Cordes/Glatthaar, Reform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG und Anpassung des Optionsmodells – Entwurf eines Wachstumschancengesetzes, FR 2023, 681

Blogbeiträge:

Gesetzesmaterialien:

  • Gesetzgebungsvorgang im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien
  • BGBl. 2024 I Nr. 108 vom 27.3.2024
  • Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 20/10410
  • Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9396
  • Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 20/9341
  • Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz), BT-Drucks. 20/8628
  • Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz)

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BGH hebt OLG Celle in Sachen Geschäftsführerabberufung (Martin Kind) bei der Hannover 96 Management GmbH auf und weist Klage ab

Der Inhalt der Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH

Der BGH hat mit Urteil vom 16.7.2024 die Berufungsentscheidung des OLG Celle in Sachen Abberufung des Geschäftsführers (Martin Kind) der Komplementär-GmbH der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA aufgehoben und die Beschlussmängelklage abgewiesen. Der Gesellschafterbeschluss über die Abberufung des Klägers Martin Kind als Geschäftsführer ist damit nicht nichtig, sondern wirksam. Abweichend vom OLG Celle als Berufungsgericht wird vom II. Zivilsenat sowohl eine Nichtigkeit analog § 241 Nr. 3 AktG als auch eine Sittenwidrigkeit analog § 241 Nr. 4 AktG verneint. Die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH könne nur eine Verletzung von tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts begründen. Dazu gehörten nicht Satzungsbestimmungen, die einem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen. Im konkreten Fall zähle auch die Beachtung des sog. Hannover-96-Vertrags nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Der Abberufungsbeschluss verstoße durch seinen Inhalt nicht gegen die guten Sitten und er begründe auch keine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen. Ein bloßer Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung der GmbH mache einen Gesellschafterbeschluss zwar anfechtbar, aber nicht sittenwidrig. Auch einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags oder einer Gesamtbetrachtung begründe nicht die Sittenwidrigkeit des Beschlusses.

Darüber hinaus ist der Abberufungsbeschluss nach Ansicht des BGH nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig. Zudem sei der Kläger wegen fehlender Gesellschafterstellung in der Komplementär-GmbH nicht befugt, im Wege einer Anfechtungsklage etwaige Verletzungen der GmbH-Satzung geltend zu machen.

Die komplexe Beteiligungsstruktur bei Hannover 96 und der Hannover-96-Vertrag im Konflikt mit der 50+1-Regel des DFB

Der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. ist Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH. Der im BGH-Fall klagende Martin Kind ist im Handelsregister als Geschäftsführer der verklagten Komplementär-GmbH eingetragen. Die Beklagte ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die den Profifußball-Bereich unterhält, also zurzeit die am Spielbetrieb der 2. Fußball-Bundesliga teilnehmende Lizenzspielermannschaft Hannover 96.

Kommanditaktionärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, die darüber hinaus zu 100 % an der Hannover 96 Arena GmbH & Co. KG beteiligt ist. Einzige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, an der Martin Kind mit 52,73 % und der Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann mit 19,76 % beteiligt ist (https://de.wikipedia.org/wiki/Hannover_96#Hannover_96_GmbH_&_Co._KGaA).  Nach der Satzung der verklagten Hannover 96 Management GmbH ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Im August 2019 wurde zwischen dem Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG der sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen, der vorsieht, dass der zu 100 % an der Komplementär-GmbH der KGaA beteiligte Verein Hannover 96 die Satzung dieser GmbH nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt. Dies bezieht sich insbesondere auf den Passus der GmbH-Satzung, die der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers einräumt (vgl. dazu OLG Celle, GmbHR 2023, 739).

Nach § 16c Nr. 2 der Satzung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kann ein Verein nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der Deutsche Fußball Liga (DFL) erwerben, wenn er rechtlich unabhängig ist, das heißt auf ihn kein Rechtsträger einen rechtlich beherrschenden oder mitbeherrschenden Einfluss ausüben kann. Eine Kapitalgesellschaft kann gem. § 16c Nr. 3 Satz 1 DFB-Satzung nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft in der DFL erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Der Mutterverein ist gem. § 16c Nr. 3 Satz 3 DFB-Satzung an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt (sog. 50+1-Regel). Bei Wahl der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) muss gem. § 16c Nr. 3 Satz 4 DFB-Satzung der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben.

Abberufungsbeschluss und die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses analog § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG

Im Juli 2022 fassten Vertreter des Alleingesellschafters Hannover 96 e.V. in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der verklagten Komplementär-GmbH den Beschluss, den klagenden Geschäftsführer Martin Kind „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer“ der GmbH abzuberufen.

Das Landgericht Hannover hat die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG festgestellt und der Klage stattgegeben. Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“. § 241 Nr. 3 AktG ist entsprechend auf Gesellschafterbeschlüsse der GmbH anwendbar (vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 16 ff.; Wertenbruch in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Auflage 2023, Anhang § 47 Rz. 89 ff.).

Die dagegen gerichtete Berufung der verklagten Hannover 96 Management GmbH wies das Oberlandesgericht Celle nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung zurück, weil die Berufung „offensichtlich“ keine Aussicht auf Erfolg habe. Das Tatbestandsmerkmal „offensichtlich“ ist im Jahre 2011 im Rahmen der Reform des § 522 Abs. 2 ZPO in diese Vorschrift eingefügt worden, weil § 522 Abs. 2 ZPO a.F. von den Berufungsgerichten sehr unterschiedlich angewendet worden war und insoweit ein Vertrauensverlust der Bürger drohe (vgl. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 1). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2002, 814 f. zu § 349 StPO) führt der Rechtsausschuss aus, dass eine Berufung dann „offensichtlich aussichtslos“ sei, wenn „für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können“ (Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 17/6406, S. 9; vgl. dazu Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 Rz. 36).

In der Sache bejahte das OLG Celle wegen Kompetenzwidrigkeit eine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses analog § 241 Nr. 3 AktG, weil der Abberufungsbeschluss nicht vom GmbH-Aufsichtsrat gefasst worden sei, und wegen Sittenwidrigkeit in analoger Anwendung des § 241 Nr. 4 AktG. Der Hannover 96 e.V. sei sich als Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH seiner im Hannover-96-Vertrag eingegangenen Bindung bewusst gewesen und habe daher die satzungsmäßige Kompetenzverteilung bewusst unterlaufen (OLG Celle, GmbHR 2023, 739, 740 ff.). Verfahrensrechtlich wurde vom OLG Celle die Revision zum BGH nicht zugelassen. Die dagegen beim BGH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte allerdings Erfolg. Mit Beschluss vom 27.2.2024 (II ZR 71/23) ließ der insbesondere für Gesellschaftsrecht und Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat die Revision zu, wodurch das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren weitergeführt wurde.

Gesellschaftsrechtliche und verbandsrechtliche Konsequenzen

Der BGH musste zwar über die Reichweite der „50 + 1“ – Regel der DFB-Statuten im Beteiligungsgeflecht von Hannover 96 nicht entscheiden, weil dies für den konkreten Streitgegenstand nicht einschlägig war. Die verbandsrechtliche Pointe bestand bislang darin, dass die Komplementär-GmbH der Profifußball KGaA zwar – in Konkordanz mit den DFB-Statuten – formal zu 100 % vom Idealverein Hannover 96 beherrscht wird. Der wirksam abberufene Geschäftsführer hatte aber über seine Mehrheitsbeteiligung an der einzigen Kommanditaktionärin, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, und den Hannover-96-Vertrag auch Mitentscheidungsrechte im Bereich der Komplementär-GmbH. Es war daher sehr fraglich, ob das Weisungsrecht des Idealvereins als Alleingesellschafter aus § 37 Abs. 1 GmbHG einen ausreichenden Einfluss sicherte. Mit der Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer ist die verbandsrechtliche Dimension zwar zumindest temporär entschärft. Ansprüche wegen Verletzung des Hannover-96-Vertrags sind aber nicht vom Tapet, und bei der Bestellung eines neuen Geschäftsführers stellt sich wieder die Problematik der Mitentscheidungsrechte der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG über den Aufsichtsrat der GmbH.

EU-Lieferkettengesetz – Einigung im Trilog zwischen Rat und Parlament über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive – CSDDD)

Nach dem Vorbild einzelner Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland) hat die EU-Kommission bereits am 23.2.2022 einen Vorschlag für eine große, sektorübergreifende Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final), der einerseits deutlich über die nationalen Vorbilder wie das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (LkSG) hinausging und deshalb auf ein überaus kritisches Echo aus den Reihen der Wirtschaft gestoßen ist, andererseits aber großen Teilen des Europäischen Parlaments und den in Brüssel durchaus einflussreichen „Akteuren der Zivilgesellschaft“ zu unambitioniert erschien. Die damit notwendigen Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament, die sich zunächst durchaus zäh gestalteten, sind nunmehr am 14.12.2023 mit einer vorläufigen Einigung erfolgreich abgeschlossen worden (knappe Pressemitteilung des Rates „Corporate Sustainability Due Diligence: Council and Parliament strike deal to protect environment and human rights“; zusätzliche Informationen in der gemeinsamen Pressekonferenz von Lara Wolters, Berichterstatterin für das Parlament, Justizkommissar Didier Reynders, und dem Spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés).

Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über Ziele und Mechanik der CSDDD die wesentlichen Parameter der Trilog-Einigung vorgestellt.

Gegenstand

Wie französisches loi de vigilance und deutsches LkSG zielt auch die CSDDD darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Verhalten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und Unternehmensführung von Unternehmen (stärker) zu verankern. Unternehmen sollen potenzielle negative Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, insbesondere auch in ihren Lieferketten innerhalb und außerhalb Europas. Wie in den nationalen Lieferkettengesetzen liegt der Schwerpunkt der CSDDD damit in der Inpflichtnahme von Unternehmen für die Sicherstellung menschenrechtskonformen und umweltverträglichen Handelns nicht nur innerhalb ihres eigenen unmittelbaren Verantwortungsbereichs, sondern auch auf Ebene ihrer Lieferanten. Der ordnungspolitische Gleichlauf von Haftung und Herrschaft wird also bewusst suspendiert. Hierzu legt die CSDDD Pflichten großer Unternehmen hinsichtlich tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte für ihre Lieferkette fest. Auf Drängen des Parlaments erstrecken sich die Sorgfaltspflichten dabei nicht allein auf die Lieferkette (supply chain) im engeren Sinne, also praktisch die Beschaffungsseite, sondern teilweise auch auf nachgelagerte Aktivitäten des Unternehmens, etwa Recycling sowie auch vor allem den Vertrieb. Die Instrumente, mit denen diese Zielsetzungen umgesetzt werden (sollen), entsprechen im Ausgangspunkt denen des deutschen LkSG, also die Statuierung von Sorgfaltspflichten, deren Einhaltung insbesondere durch Risikoanalyse und Lieferketten-Risikomanagement realisiert werden soll.

Erfasste Unternehmen, Ausklammerung des Finanzsektors

Zu den zwischen Rat und Parlament, aber auch in der allgemeinen politischen Debatte besonders kontrovers diskutierten Punkten gehörte von Beginn an die Reichweite bzw. der Anwendungsbereich der anspruchsvollen Richtlinie. Nach dem Trilog-Kompromiss sind die neuen Pflichten grundsätzlich von EU/EWR-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. € zu beachten, womit der allgemeine Schwellenwert des ursprünglichen Kommissionsentwurfs übernommen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a) CSDDD-E). Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen den Vorgaben hingegen (nur) dann, wenn sie EU/EWR-weite Umsätze von 300 Mio. € realisiert haben. Noch weitergehenden Forderungen nach einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der CSDDD, der bereits in der Kompromissfassung deutlich über den des LkSG hinausreicht, haben sich Kommission und Rat mit der Erwägung verschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den voraussichtlich nicht unerheblichen Bürokratiekosten einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Richtlinie freizuhalten. Soweit KMU mittelbar – d.h. als Teile der Lieferkette CSDDD-verpflichteter großer Unternehmen – mit den weitreichenden Sorgfaltspflichten konfrontiert sind, hat die Kommission zudem angekündigt, durch Guidance – etwa in Form von Technical Standards – unterstützen zu wollen.

Nach der allerdings etwas uneinheitlichen Kommunikation von Rat und Parlament bis auf Weiteres ausgeklammert bleiben soll der Finanzsektor. Dies bedarf der Konkretisierung. Für die eigene, typischerweise wirtschaftlich nicht zentrale Lieferkette im eigentlichen Sinne („upstream“) haben auch Unternehmen des Finanzsektors bei Überschreiten der Größenkriterien die entsprechenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Womit sich das Parlament hingegen vorläufig nicht durchzusetzen vermocht hat, ist die „Wertschöpfungskette“ (value chain) des Finanzsektors insgesamt, d.h. auch „downstream“ zu erfassen, also praktisch Kredit- und Portfolioentscheidungen gleichfalls dem Pflichtenregime der CSDDD zu unterstellen. Das Parlament betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch für den Finanzsektor die Verpflichtung gilt, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, wovon man sich ersichtlich zumindest mittelbare Effekte für Kreditvergabe und Asset Management erhofft.

Schädliche Umweltauswirkungen

Nach Art. 7 Abs. 1 CSDDD i.d.F. des Kommissionsentwurfes haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder, falls sie nicht oder nicht unmittelbar vermieden werden können, zumindest angemessen abzuschwächen. Hinsichtlich des bis zuletzt umstrittenen Begriffs der schädlichen Umweltauswirkungen sieht die Einigung nunmehr vor, dass unter Umweltauswirkung in diesem Sinne jede messbare Umweltverschlechterung wie schädliche Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzung, schädliche Emissionen oder übermäßiger Wasserverbrauch oder andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu verstehen ist.

Emissionsreduktionsplan (Climate Transition Plan)

Ersichtlich ein Alleinstellungsmerkmal der CSDDD ist die weitere Verpflichtung erfasster Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, der sicherstellen soll, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind (Art. 15 Abs. 1 CSDDD-E). In diesem Zusammenhang soll auch die Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane u.a. davon abhängen, ob ein entsprechender Emissionsreduzierungsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Sanktionen

Praktisch nach dem mittlerweile bekannten Sanktionsmodell der Europäischen Union sieht die Trilog-Einigung für Verstöße gegen die Richtlinie zunächst am Umsatz orientierte Bußgelder vor, die eine Höhe von maximal 5% des Nettoumsatzes des Unternehmens erreichen können. Wie der Rekurs auf den Begriff des Unternehmens offenbart, ist Berechnungsgrundlage dabei der Umsatz der Gruppe und nicht etwa der Einzelgesellschaft, die für einen bußgeldbewährten Verstoß verantwortlich zeichnet. Mit 5% des Nettoumsatzes geht die Richtlinie deutlich über die umsatzbezogenen Bußgelder gem. § 24 Abs. 3 LkSG (bis zu 2%) hinaus.

Anders als das LkSG sieht die CSDDD zudem ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen vor. „Betroffene“ können innerhalb einer Frist von fünf Jahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Einigermaßen fragwürdig ist, dass als Betroffene nicht nur Gewerkschaften, sondern – hinreichend unspezifisch – auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ klagebefugt sein sollen. Die traditionellen und durchaus nicht unbegründeten Vorbehalte gegen Popularklagen scheint man in Brüssel ersichtlich nicht (mehr) zu teilen. Auch bei der Darlegungs- und Beweislast will der Trilog-Kompromiss „Anwälten der Öffentlichkeit“ deutlich entgegenkommen.

Als weitere Sanktion können Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten gemäß CSDDD schließlich mit einem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren geahndet werden. Dies spiegelt letztlich § 22 LkSG, der gleichfalls bei Verstößen einen Ausschluss bei der Berücksichtigung öffentlicher Aufträge vorsieht.

Stakeholder-Beteiligung

Von der CSDDD erfasste Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, als Bestandteil des Due-Diligence-Prozesses eine sinnvolle Beteiligung (meaningful engagement), einschließlich eines Dialogs und einer Konsultation mit den „betroffenen Interessengruppen“ durchzuführen. Dies dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass Unternehmen neben ihren Arbeitnehmern im Einzelfall auch mehr oder weniger legitimierte NGO – wie etwa „environmental defenders“ (Lara Wolters) – konsultieren müssen.

Ausblick

Da die Trilog-Verhandlungen als informelles Verständigungsverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten, müssen die Institutionen im nächsten Schritt die Ergebnisse des Kompromisses formell annehmen. Im Anschluss sind die Mitgliedstaaten zur Überführung in nationales Recht verpflichtet, wobei der Kommissionsentwurf hierfür zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD einräumt (vgl. Art. 30 CSDDD-E). Ob das europäische Lieferkettenregime den großen Erwartungen seiner Befürworter gerecht zu werden vermag oder sich in einer schematisch ablaufenden Auditierungsübung („check the box“ mittels Länder-Clustern etc.) erschöpfen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Der Vorschlag der Kommission ist insoweit recht großzügig und sieht eine Evaluierung des neuen Regimes erst sieben Jahre nach Inkrafttreten und damit fünf Jahre nach Umsetzung in nationales Recht vor.

Bundestag verabschiedet Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG)

Der Bundestag hat in der 80. Sitzung der 20. Legislaturperiode am 20.1.2023 das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) im Rahmen des TOP 26 beschlossen (https://www.bundestag.de/mediathek; sowie https://www.bundestag.de/tagesordnung). Die jetzt verabschiedete finale Fassung des UmRUG (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 18.1.2023, BT-Drucksache 20/5237) weicht inhaltlich nur marginal von der am 15.12.2022 vom Bundestag nicht beschlossenen Fassung ab (vgl. dazu BT-Drucksache 20/3822; Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022; Heckschen/Knaier, GmbHR-Blog vom 29.12.2022). Die Änderungen beziehen sich im Wesentlichen auf registergerichtliche Fragen. Nicht gehalten werden konnte allerdings die von der Bundesregierung auch in zeitlicher Hinsicht anvisierte richtlinienkonforme Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie zum 31.1.2023 (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss], BT-Drucksache 20/5237, S. 97). Nach Art. 25 Abs. 1 UmRUG treten die Änderungen des UmwG nunmehr am Tag nach der Verkündung in Kraft. Der Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift des § 355 UmwG n.F. wurde unter Berücksichtigung des Art. 25 Abs. 1 UmRUG in Bezug auf die Termine angepasst (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss] BT-Drucksache 20/5237, S. 58; Begr. S. 90). Falls der Bundesrat in der für den 10.2.2023 anberaumten Sitzung das UmRUG konsentiert und die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten schon in der darauffolgenden Woche vonstattengeht, endet der Umsetzungsverzug des deutschen Gesetzgebers immerhin schon ca. zwei Wochen nach seinem Eintritt. Da in der neuen Zeitrechnung der parlamentarischen UmRUG-Genesis eben noch zwei Variablen enthalten sind, wäre die Festlegung eines fixen Stichtags des Inkrafttretens durch das UmRUG für die Vertragspraxis zwar sicherlich kommoder gewesen, hätte aber wohl das nicht unerhebliche Risiko der Entstehung einer Rückwirkungsproblematik begründet.

Der am 1.2.2023 beginnende Umsetzungsverzug des deutschen Gesetzgebers beruht darauf, dass die Abstimmung über das UmRUG in der Bundestagssitzung vom 15.12.2022 deshalb von der Tagesordnung genommen wurde, weil der Bundesrat dem Fristverkürzungsersuchen der Bundesregierung nicht stattgegeben hatte (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw42-de-umwandlungsrichtlinie-915592; Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022; vgl. zu den Rechtsfolgen der verzögerten Umsetzung Heckschen/Knaier, GmbHR-Blog vom 29.12.2022). Nach den Darlegungen des für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechenden Abgeordneten Stephan Mayer (CSU) beruhte dies auf einer von der Bundesregierung geplanten Änderung des § 3 LobbyRG, die unter der Chiffre UmRUG kurzfristig mitverabschiedet werden sollte (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022). Nach diesem legislatorisch jetzt vom UmRUG abgespaltenen Amendment des LobbyRG sollte die Verpflichtung, bei größeren Zuwendungen an Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter die Personalien der Leistenden publik zu machen, temporär suspendiert werden (Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022).

Neues zu virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH

Zum 1.8.2022 wird nicht nur die Möglichkeit virtueller Hauptversammlungen für Aktiengesellschaften in das AktG eingeführt, es treten ebenfalls mit dem Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG) Erleichterungen für die Abhaltung virtueller Gesellschafterversammlungen in der GmbH in Kraft.

Durch das DiREG wird § 48 Abs. 1 GmbHG folgender Satz 2 angefügt: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“

Diese Ergänzung ist zu begrüßen, denn der Austausch in Konferenzschaltungen, sei es per Telefon oder Videoschaltungen, in Gremien und Organen ist durch die Corona-Pandemie mehr und mehr zum Normalfall in der Praxis geworden. Dieser Entwicklung trägt der Gesetzgeber durch die Einfügung des neuen zweiten Satzes in § 48 Abs. 1 GmbHG Rechnung. Er ergänzt die (dispositiven) Bestimmungen über die innere Organisationsverfassung der GmbH – und damit das gesetzliche Leitbild – und erweitert die Möglichkeit der Willensbildung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung auf nichtphysische Zusammenkünfte. Nach der Gesetzesbegründung sind auch sogenannte kombinierte Versammlungen zulässig, bei denen mehrere Gesellschafter, die sich physisch an einem Ort befinden, sich gemeinsam, fernmündlich oder mittels Videokommunikation mit einem oder mehreren Gesellschaftern versammeln, die sich an anderen Orten befinden. Es müssen sich daher nicht sämtliche Gesellschafter an unterschiedlichen Orten befinden.

Vorstehendes gilt allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Gesellschafter sich damit ausdrücklich einverstanden erklären. Hierfür wird eine Bestätigung in Textform verlangt, was nach der Gesetzesbegründung schon durch den Austausch beispielsweise von E-Mails oder Textnachrichten einfach und unkompliziert möglich ist, wenn man sich ohnehin elektronischer Mittel bedient. Für die Beschlussfassung selbst reicht dann die mündliche Kommunikation im Rahmen der (auch rein telefonischen) Konferenzschaltung aus.

Auf den ersten Blick wirkt die Neuregelung vermeintlich wie eine schnelle und unkomplizierte Lösung für den Umgang mit virtuellen Gesellschafterversammlungen in der GmbH. Denn nach der Gesetzesbegründung wird die bisherige rechtliche Unsicherheit, ob bei einer gemeinsamen Zusammenschaltung der Gesellschafter mittels elektronischer Kommunikationsmittel die notwendigen Voraussetzungen für eine Versammlung hergestellt werden können, beseitigt. Nach der Gesetzesbegründung bleibt allerdings „[d]ie bisherige Möglichkeit zur Abweichung vom (dispositiven) gesetzlichen Leitbild im Rahmen des § 45 Absatz 2 GmbHG, nämlich der Schaffung einer eigenen Grundlage für die Durchführung der Beschlussfassung, […] unberührt.“ D.h. der Gesellschaftsvertrag kann von§ 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. beliebig abweichen.

Mit Blick hierauf stellt sich die Frage, der Zulässigkeit virtueller Gesellschafterversammlungen, wenn Gesellschaftsverträge, die vor der Gesetzesänderung wirksam geworden sind, bereits detaillierte Regelungen hierzu enthalten oder schlicht den „alten“ Gesetzeswortlaut des § 48 Abs. 1 GmbHG wiederholen. Gilt dann ein Vorrang des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages bzw. besteht eine Sperrwirkung? In der Praxis  regeln viele Gesellschaftsverträge ausschließlich Präsensversammlungen; die virtuelle Gesellschafterversammlung war, wie sich in der Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat, beim Entwurf und Wirksamwerden dieser Gesellschaftsverträge noch gar nicht auf der Agenda. Vor diesem Hintergrund wäre es wohl fehlgeleitet anzunehmen, dass ein Gesellschaftsvertrag mit der bloßen Wiederholung des „alten“ Gesetzeswortlauts die virtuelle Gesellschafterversammlung unter Geltung der neuen Gesetzeslage ausschließt. In diesem Fall gilt u.E. für die Zulässigkeit von virtuellen Gesellschafterversammlungen § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. Eine ähnliche Annahme wurde aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage beim vollständigen Wechsel zum elektronischen Bundesanzeiger für Satzungsregelungen mit altem Gesetzeswortlaut bevorzugt getroffen.

Differenzierter zu betrachten ist u.E. allerdings der Fall, dass in bestehenden Gesellschaftsverträgen bereits Detailregelungen zur virtuellen Gesellschafterversammlungen enthalten sind. Hier ist etwa denkbar, dass bestehende Gesellschaftsverträge das Einverständnis der Gesellschafter mit virtuellen Gesellschafterversammlungen an eine strengere Form (z.B. Schriftform) oder an eine geringere Form (z.B. mündliche) knüpfen oder gar kein Einverständnis der Gesellschafter oder ein geringeres Quorum gefordert wird. Jedenfalls solche Detailregelungen wird man als „besondere Bestimmungen“ im Sinne des § 45 Abs. 2 GmbHG anzusehen haben, die der dispositiven Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. vorgehen.

Inwieweit Gesellschaften mit beschränkter Haftung von der virtuellen Gesellschafterversammlung nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in Zukunft Gebrauch machen werden, wird sich zeigen. Die praktischen Erfahrungen der letzten beiden Jahre deuten darauf hin, dass insbesondere das Erfordernis des Einverständnisses sämtlicher Gesellschafter, gerade bei streitigen Gegenständen von Gesellschafterversammlungen, beschwerlich zu erzielen sein könnte. Daher bietet es sich für Gesellschafter von GmbH an, die gesetzliche Neuregelung zum Anlass zu nehmen, bestehende Gesellschaftsverträge hinsichtlich der Regelungen zu Gesellschafterversammlungen zu modernisieren und bei entsprechendem Konsens klare und der jeweiligen Gesellschafterstruktur angemessene Regelungen auch zu virtuellen Gesellschafterversammlungen zu beschließen.

DiRUG-Erweiterungsgesetz: Verbleibende offene Frage zur Reichweite der GmbH-Gründung mittels Videokommunikation

Im Heft 7/2022 der GmbHR werfe ich im Rahmen des „Blickpunkts“ die Frage auf: Sind solche statutarisch-korporativen Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 GmbHG, die eine aus sich heraus („isoliert“) formbedürftige Leistungspflicht aller oder einiger Gesellschafter begründen, ab dem 1.8.2022 einer Beurkundung im Rahmen des Videokommunikationsverfahrens nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 GmbHG n.F. zugänglich? Die Frage wird dort im bejahenden Sinne entgegen der mittlerweile bereits herrschenden, sie verneinenden Meinung in der Rechtsliteratur beantwortet, und zwar getragen von der Grundannahme eines Vorrangs bzw. einer Exklusivität des Formgebots des § 2 Abs. 1 GmbHG gegenüber jenem des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG im Fall statutarisch festgesetzter Nebenleistungspflichten. Betroffen sind Vorerwerbsrechte in all ihren Spielarten, Abtretungspflichten (häufig als Alternative zur Einziehung sinnvoll), aber auch das Sachaufgeld, sofern als „echtes“ und damit als Nebenleistungspflicht ausgestaltet. Schieden sie aus dem Kreis der zulässigen Beurkundungsgegenstände im Rahmen des Videokommunikationsverfahrens aus, obgleich sie zu den „echten“, sogar zwingend-korporativen, wenngleich freiwilligen Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags gehören, minderte dieser Ausschluss die Attraktivität des Videokommunikationsverfahrens beträchtlich.

Diese Frage bleibt weiterhin eine offene. Sie hat sich nicht erledigt durch den aktuellen Referentenentwurf des BMJV vom 22.3.2022, mittels dessen noch vor Inkrafttreten des DiRUG das Videokommunikationsverfahren in mannigfaltiger Weise sachlich erweitert und erheblich aufgewertet werden soll. Dieses Nachjustierungsgesetz („DiRUG-Erweiterungsgesetz“) noch vor Erprobung der bislang diskreten „Digitalisierung des GmbH-Rechts“ ist im Grundsatz zu begrüßen, würde doch das allzu enge Korsett des DiRUG den praktischen Anwendungsbereich der Bargründung mittels Videokommunikation minimieren und damit allenfalls einen „Testballon“, der noch dazu kaum flugfähig wäre, starten lassen. Soll ein echter „Wettbewerb der Beurkundungsverfahren“ eröffnet werden, dessen Sinnhaftigkeit vor einer Bewertung freilich einer grundsätzlicheren Untersuchung und überdies des „Praxistests“ bedürfte, sind die Nachbesserungen des Referentenentwurfs, die nahezu alle bislang aus Praktikersicht monierten Unstimmigkeiten beseitigen, jedenfalls zu begrüßen.

Die Frage der statutarischen Nebenleistungspflichten bleibt jedoch unbeantwortet. Allenfalls bei flüchtiger Lektüre des Referentenentwurfs könnte man meinen, die Begründung zu Art. 6 Nr. 1, wonach die Beurkundung mittels Videokommunikation dort unzulässig sein soll, wo die Notwendigkeit der Beurkundung einer Willenserklärung aus einer anderen Bestimmung als jener des § 2 Abs. 1 GmbHG (oder jener des § 2 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) resultiere, beantworte diese Frage im Einklang mit der abzulehnenden herrschenden Literaturmeinung. Denn der Geltungsanspruch des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG steht in Wahrheit nicht in Rede, sofern die hier interessierenden Typen von Nebenleistungspflichten als Inhalt des Mitgliedschaftsrechts festgelegt werden. Freilich können solche Nebenleistungspflichten auch als schuldrechtliche vereinbart und dann außerhalb oder innerhalb des Gesellschaftsvertrags (im letzteren Fall als dessen unechter Bestandteil) niedergelegt werden. Sofern sie aber als korporative ausgestaltet sind, findet allein das Formgebot aus § 2 Abs. 1 GmbHG Anwendung. In diesem Lichte ist auch die Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 6 Nr. 2 zu präzisieren, wonach Kapitalerhöhungen mit Sachagio, sofern sie auf die „Einbringung“ von GmbH-Geschäftsanteilen gerichtet sind, unzulässig sein sollen: Diese Aussage trifft nur auf das „unechte“, schuldrechtliche Sachaufgeld zu, nicht auf jenes, das als Nebenleistungspflicht vereinbart wird. Der Erfüllungsakt ist demgegenüber unstreitig dem Videokommunikationsverfahren (derzeit und auch nach Umsetzung des DiRUG-Erweiterungsgesetzes) entzogen.

Dogmatisch gut begründbar und als vermittelnde Lösung auch im weiteren Gesetzgebungsprozess denkbar wäre freilich auch eine Differenzierung nach den folgenden Grundsätzen: Danach könnte unterschieden werden zwischen einer gewissermaßen „internen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung auf der einen Seite, die z. B. anstelle einer Einziehung zwecks Ausschlusses des Gesellschafters eingreifen soll und auf die Abtretung eben jener Geschäftsanteile gerichtet ist, um deren dingliche Ausgestaltung es bei der Statuierung der Nebenleistungspflicht geht, und einer „externen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung, wie sie im Fall einer korporativen Verpflichtung zur Abtretung von Geschäftsanteilen eines Gesellschafters an einer anderen Gesellschaft mbH begründet würde. Im letzteren Fall erschiene eine kumulative Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG neben jener des § 2 Abs. 1 GmbHG auch im Lichte der Schutzzwecke beider Formvorschriften naheliegender als im hier so genannten Fall der „internen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung. Wollte man in diesem Sinne differenzieren, wären auf Grundlage des § 2 Abs. 3 GmbHG n.F. „interne“ korporative Vorerwerbsrechte ebenso wie „interne“ Abtretungsverpflichtungen vom Anwendungsbereich des Videokommunikations-verfahren erfasst, nicht aber Sachaufgeldverpflichtungen, sofern sie eine Verpflichtung zur Abtretung „externer“ Geschäftsanteile (d.h. an einer Dritt-Gesellschaft mbH) begründeten.

Es wäre wünschenswert, wenn diese hier nur gestreiften Fragestellungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren einer Klärung zugeführt würden.

Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag der Ampel

Am Mittwoch, den 24.11.2021, haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag präsentiert, der auf den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ lautet. Bei der Lektüre des 178 Seiten langen Textes fällt auf, dass die Ampel-Koalition zwei unternehmensrechtliche Themen, die früher Gegenstand von Wahlkämpfen waren, nicht aufgreift: die Geschlechterquote in den Gesellschaftsorganen und die Managervergütung. Augenscheinlich ist das Unternehmensrecht in diesem Zusammenhang fortschrittlich genug und muss nicht angetastet werden. Im Hinblick auf die Reformen der vergangenen Jahre bleibt zu hoffen, dass sich die Koalitionäre an ihr Schweigen halten. Der Schwerpunkt der unternehmensrechtlichen Reformvorhaben liegt in anderen Bereichen, die im Folgenden dargestellt werden.

Sorgfaltspflichten in den Lieferketten

Am Ende der vergangenen Legislaturperiode hat der deutsche Gesetzgeber das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG; BGBl. I 2021, S. 2959) verabschiedet (zum Entwurf vom März 2021 Reich, AG 2021, R116; Scheffler, AG 2021, R120; zur Endfassung Scheffler, AG 2021, R199). Außerdem hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Legislativvorschlag zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen präsentiert. Der für Herbst 2021 erwartete Richtlinienentwurf der EU-Kommission liegt bislang nicht vor. An diese Entwicklung anknüpfend halten die Ampel-Koalitionäre auf S. 34 fest, dass sie ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das deutsche LkSG werde unverändert umgesetzt und ggf. verbessert. Insgesamt wäre die Bundesregierung wohl gut beraten, zunächst die Entwicklungen auf europäischer Ebene abzuwarten und ggf. zu versuchen, sie zu beeinflussen. Erst wenn das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene ins Stocken geraten oder gar scheitern sollte, wäre es zweckmäßig, das LkSG nachzubessern.

Whistleblowing

Anders als das LkSG hat es ein Hinweisgeberschutzgesetz in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr über die Ziellinie geschafft. In dieser Legislaturperiode ist hiermit sicher zu rechnen, da die Whistleblowing-Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 den Mitgliedsstaaten Regelungen zum Whistleblowing zwingend zur Umsetzung vorgibt. Da die Umsetzungsfrist bereits am 17.12.2021 endet, wäre es nicht überraschend, wenn das Whistleblowing zu denjenigen unternehmensrechtlichen Themen zählt, die die Ampel-Koalitionäre prioritär angehen.

Die Essenz der Umsetzung deutet der Koalitionsvertrag auf S. 111 nur vage an. Zu begrüßen ist die ausdrückliche Festlegung, insofern über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinauszugehen, als das angestrebte Regime nicht auf die Meldung von Verstößen gegen EU-Recht beschränkt bleiben soll, sondern auch bestimmte Verstöße gegen nationale Vorschriften umfasst sein sollen. Abgesehen hiervon wäre es der Rechtssicherheit und Praktikabilität dienlich, wenn der Gesetzgeber Klarheit hinsichtlich der Frage schafft, ob und inwieweit Hinweisgebersysteme im Konzern einheitlich betrieben werden können (hierzu Holle, ZIP 2021, 1950). Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger stellen die Ampel-Koalitionäre unter einen Prüfvorbehalt, so dass abzuwarten bleibt, inwieweit sie sich dazu durchringen werden, Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote vorzusehen.

Verbandssanktionen

Kein unionsrechtlicher Umsetzungsdruck besteht beim Thema Verbandssanktionierung. Die gegenwärtige Rechtslage wird von vielen aus guten Gründen aber als unbefriedigend empfunden; die in der letzten Legislaturperiode anvisierte Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung ist auf der Zielgeraden gescheitert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der Koalitionsvertrag sich ihrer auf S. 111 neuerlich annimmt. Ob sich dahinter eine ähnlich weitreichende Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung verbirgt, wie sie der in der vergangenen Legislaturperiode vorliegende Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG; BT-Drucks. 19/23568) bedeutet hätte, ist fraglich. Tendenziell klingt es nach einer kleinen Lösung, die sich mit einer Anhebung der Bußgeldobergrenzen, der Normierung einer Compliance-Defense sowie gewisser Regelungen zu internen Untersuchungen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts begnügt.

GmbH mit gebundenem Vermögen

Ein klares Bekenntnis geben die Ampel-Koalitionäre auf S. 30 des Vertrags zu einer neuen Rechtsform ab, die im Schrifttum sehr umstritten ist: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (für die Einführung einer solchen Gesellschaftsform Sanders/Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2021, 285; dagegen etwa Habersack, GmbHR 2020, 992). Den Einsatz dieser Rechtsform als Vehikel für Steuersparkonstruktionen will die künftige Regierung vermeiden (auf diese Gefahr hinweisend Hüttemann/Schön, DB 2021, 1356; relativierend Kempny, DB 2021, 2248). Ungeachtet der steuerrechtlichen Probleme sollte der Gesetzgeber überprüfen, ob es einer solchen Gesellschaftsform tatsächlich bedarf, um die angestrebten Ziele zu erreichen (eingehend Hüttemann/Rawert/Weitemeyer, npoR 2020, 296).

GmbH-Gründungsrecht

Darüber hinaus verpflichten sich die Koalitionäre auf S. 111 f. des Vertrags, die Gründung von Gesellschaften zu erleichtern, indem sie Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlauben. Die Ampel dürfte damit in erster Linie die GmbH im Blick gehabt haben. Auch wenn keine sachlichen Gesichtspunkte gegen eine elektronische AG-Gründung sprechen, dürfte dies trotz aller Fortschrittsbekundungen auch künftig keine Option sein.

Der Koalitionsvertrag setzt an § 2 Abs. 3 GmbHG i.d.F. des DiRUG (BGBl. I 2021, S. 3338) an, wonach nur eine elektronische GmbH-Bargründung möglich ist. Diese Einschränkung, die im Schrifttum kritisiert wurde (s. nur Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985 Rz. 32 ff.), soll in der Zukunft entfallen, was nachdrücklich zu begrüßen ist. Die Unternehmensgründung soll zudem durch eine umfassende Start-Up-Strategie gefördert werden, zu der u.a. die Einführung von flächendeckenden „One Stop Shops“ (Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung) gehört. In solchen „One Stop Shops“ sollen Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden möglich sein (S. 30 des Koalitionsvertrags).

Hauptversammlungsrecht

Auf einhellige Zustimmung dürfte die auf S. 112 des Koalitionsvertrags angekündigte dauerhafte Einführung von Online-Hauptversammlungen fallen. Die auf Corona-Sondergesetzgebung gestützte Online-Hauptversammlung (s. § 1 COVMG) hat sich im Groben und Ganzen bewährt (zur Empirie s. nur Danwerth, AG 2021, 613) und kann als Blaupause für die anstehende Aktienrechtsreform dienen.

Spannend bleibt die Frage, wie die Aktionärsrechte im künftigen Hauptversammlungsrecht ausgestaltet werden. Die Ampel-Koalition verspricht, jene uneingeschränkt zu wahren. Dies deutet darauf hin, dass die Regelungen in § 1 Abs. 1, 2 und 7 COVMG, die das Rede-, Auskunfts- und Anfechtungsrecht der Aktionäre beschränken, nicht ins Aktiengesetz überführt werden (speziell zur Aktionärskommunikation Seibt/Danwerth, AG 2021, 369 und VGR, AG 2021, 380 Rz. 8 ff.). Ungeachtet der rechtspolitischen Diskussionen um die Reichweite der Aktionärsrechte sollte das BMJ zügig einen Referentenentwurf präsentieren, damit die Unternehmen nach den Erfahrungen mit § 1 COVMG in der Hauptversammlungssaison 2023 nicht wieder im vordigitalen Zeitalter landen (zu COVMG-Verlängerungen und der Zeitschiene für die Aktienrechtsreform Danwerth, AG 2021, R283 f.).

Die Ampel-Koalition sollte die Digitalisierung der Hauptversammlung dafür nutzen, auch das Beschlussmängelrecht zu reformieren. Die Große Koalition, die eine solche Reform auf S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode angekündigt hatte, hat ihr Versprechen trotz umfassender rechtspolitischer Vorschläge nicht umgesetzt (s. nur die Beschlüsse des 72. Deutschen Juristentags, S. 27 ff. und die Vorschläge des AK Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617).

Überdies sollte die künftige Regierung erwägen, die Möglichkeit einer digitalen Versammlung auch für die Gesellschaftsorgane und andere Gesellschaftsformen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, besteht nicht nur für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ein Bedarf an virtuellen Sitzungen.

Elektronische Aktie

In der 19. Legislaturperiode hat der Gesetzgeber mit dem eWpG (BGBl. I 2021, S. 1423) die Möglichkeit geschaffen, elektronische Wertpapiere zu begeben (hierzu nur Sickinger/Thelen, AG 2020, 862; Sickinger/Thelen, AG 2021, R198). Gleichwohl beschränkt sich das Gesetz gem. § 1 eWpG auf Inhaberschuldverschreibungen; die Begebung elektronischer Aktien ist nicht möglich (s. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/26925, 38). Dies könnte sich in der 20. Legislaturperiode ändern: Beiläufig erwähnt der Koalitionsvertrag auf S. 172 unter der Überschrift „Digitale Finanzdienstleistungen und Währungen“, die Emission elektronischer Aktien zu ermöglichen (zu den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen Guntermann, AG 2021, 449).

Kapitalmarktrecht

Positiv ist zu würdigen, dass sich die Ampel auf den S. 169 ff. des Koalitionsvertrags zur Vertiefung der Kapitalmarktunion bekennt und die Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abbauen, den Zugang von KMU zum Kapitalmarkt erleichtern und die Markttransparenz stärken möchte. Auch die Schaffung eines angemessenen regulatorischen Rahmens für FinTechs und vergleichbare Unternehmen ist zu begrüßen. Gleichwohl sollte die künftige Regierung bei all der Regulierungsfreude bedenken, dass sich die enorme Regelungsdichte im Kapitalmarktrecht als ein Grund dafür erweist, den Kapitalmärkten fernzubleiben. Vor diesem Hintergrund sollte die Ampel erwägen, ob weniger (und klarer!) nicht doch mehr ist.

Mitbestimmungsrecht

Auf S. 72 kündigen die Koalitionäre an, sich für die Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung einzusetzen, so dass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Das klingt für zahlreiche Gesellschaften, die (noch) nicht der Unternehmensmitbestimmung unterliegen, wie eine Einladung zur zügigen Umwandlung in eine SE, um rechtzeitig die derzeit bestehende Möglichkeit auszunutzen, das Mitbestimmungsstatut einzufrieren.

Prozessrecht

Aus der Perspektive des Unternehmensrechts interessant sind die Aussagen auf S. 108 des Koalitionsvertrags, wonach das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – das in der 19. Legislaturperiode ohne inhaltliche Änderungen verlängert wurde (BGBl. I 2020, S. 2186) – modernisiert werden soll und englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden sollen.

Steuer- und Geldwäscherecht

Fernwirkungen auf das Unternehmensrecht dürften manche steuer- und geldrechtlichen Pläne haben. So sprechen die Koalitionäre auf S. 167 des Vertrags davon, aufbauend auf den Maßnahmen der letzten Legislaturperiode missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden. Ein weiteres Reformversprechen betrifft das Transparenzregister. Auf S. 171 f. des Koalitionsvertrags kündigt die künftige Regierung an, die Qualität der Daten im Transparenzregister zu verbessern, so dass die wirtschaftlich Berechtigten in allen vorgeschriebenen Fällen tatsächlich ausgewiesen werden.

Mehr zum Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag im AG-Report 24/2021.

Bestellungsbeschluss kein grundbuchtauglicher Nachweis für (Nachtrags-)Liquidator

Ein nicht seltenes und im Fall des Auftretens mitunter nur mit einigem Aufwand zu behebendes Problem: Eine GmbH wird zunächst im Handelsregister gelöscht, sei es von Amts wegen aufgrund Vermögenslosigkeit (§ 394 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG), sei es auf Antrag nach vorangegangenem Abwicklungsverfahren (§ 74 Abs. 1 GmbHG). Nach Löschung stellt sich sodann aber heraus, dass diese zu Unrecht erfolgte, weil die GmbH in Wahrheit noch Vermögen hatte. Bei allem dogmatischen Streit über die Wirkung der Löschungseintragung steht damit für die ganz h.M. fest: Die GmbH ist nicht vollbeendet, sondern besteht fort, bis sie vollständig vermögenslos geworden ist. Bei vorangegangener amtswegiger Löschung wegen Vermögenslosigkeit muss sie erstmals ein Liquidationsstadium durchlaufen, bei „voreiliger“ Löschung nach bereits durchlaufenem Liquidationsstadium ist dieses fortzusetzen. Verfügt die gelöschte GmbH noch über (werthaltige oder formale) Grundbuchpositionen, die es zu verwerten oder jedenfalls zur Löschung zu bringen gilt, wirft dieser Sachverhalt viele im Detail streitige Fragen im Schnittfeld von Liquidations- und Grundbuchverfahrensrecht auf. Häufig sind in der Praxis die Fälle „vergessener“ formaler Grundbuchpositionen, die als wertlose Aktiva zwar nichts an der Vermögenslosigkeit der GmbH ändern (dazu Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 54), wohl aber fortbestehenden Abwicklungsbedarf implizieren und damit in die „gestutzte“ (Nachtrags-)Liquidation in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG münden. Seltener verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen. Über einen solchen Fall, in welchem die zu Unrecht von Amts wegen aufgrund vermeintlicher Vermögenslosigkeit gelöschte GmbH noch als Teileigentümerin im Grundbuch eingetragen war und der daher gerichtlich bestellte (Nachtrags-)Liquidator i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG das Teileigentum mit Grundschulden belasten wollte, hatte jüngst das Kammergericht (KG v. 11.5.2021 – 1 W 29/21) zu entscheiden.

Das Kammergericht erteilt der bisher weitgehend etablierten Praxis eine Absage, die Vertretungsberechtigung eines (Nachtrags-)Liquidators i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG und damit dessen Bewilligungsberechtigung im Grundbuchverfahren mittels Vorlage einer Ausfertigung des Beschlusses über seine gerichtliche Bestellung nachzuweisen. Dies jedenfalls dann, wenn zwischen Bestellungsbeschluss und Bewilligungserklärung bereits ein Kalenderjahr verstrichen ist. Denn es liege nicht gänzlich fern, dass zwischenzeitlich eine gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grunde erfolgt sein könnte, welche für Dritte „unbemerkt“ geblieben ist, da es keine Pflicht zur Rückgabe des Bestellungsbeschlusses gebe. § 47 FamFG sichere nur den Bestand solcher Rechtsgeschäfte, die bis zu einer etwaigen Aufhebung des gerichtlichen Bestellungsbeschlusses und damit rückwirkend entfallender Vertretungsbefugnis vorgenommen seien, nicht aber schütze die Bestimmung das Vertrauen auf einen Fortbestand einer entfallenen Vertretungsbefugnis. Daher bedürfe es (jedenfalls in solchen Fällen für grundbuchverfahrensrechtliche Zwecke) der deklaratorischen (Wieder-)Eintragung der gelöschten GmbH mitsamt Liquidator, um das Fortbestehen der GmbH i.L. sowie die Vertretungsberechtigung des Liquidators grundbuchtauglich über § 32 GBO nachzuweisen.

Praxistipp:

Der Praxis ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidung zu raten, beim Registergericht anzuregen, sich an dem (ohnehin dogmatisch allein überzeugenden) Grundsatz zu orientieren, jedenfalls bei noch vorhandenem Vermögen die gelöschte GmbH als aufgelöste unter bisheriger Registernummer im Verbund mit dem gerichtlich bestellen Liquidator in das Handelsregister kundmachend einzutragen. Die Eintragung erfolgt allerdings von Amts wegen (die entsprechende Eintragung kann daher nur angeregt werden), das Registergericht hat aber im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Abwicklungsaufgaben des Liquidators in Rechnung zu stellen – verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen, wird dieses regelmäßig dahingehend reduziert sein, eine (Wieder-)Eintragung vorzunehmen. Bei kürzeren Zeitabständen zwischen Bestellungsbeschluss und grundbuchverfahrensrechtlichen Bewilligungserklärung sollte allerdings ungeachtet dessen die Vorlage der Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses als grundbuchtaugliches Nachweismittel i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO betrachtet werden. Erst recht gilt dies, sofern es – wie häufiger der Fall – nur noch um die zeitnahe Löschung wertloser Grundbuchpositionen geht; in diesen Sonderfällen nicht-vermögensbezogenen Abwicklungsbedarf erscheint auch die (Wieder-)Eintragung übertrieben, ist hier die Stellung des Liquidators doch letztlich nur jener eines bloßen Pflegers i.S.d. § 1913 BGB vergleichbar. Wurde unter Verweis auf die Vermögenslosigkeit der GmbH in einem solchen Fall gar eine gerichtliche Liquidatorenbestellung abgelehnt, wird man auch eine Grundbuchberichtigung i.S.d. § 22 GBO unter Vorlage eines solchen Beschlusses für zulässig halten müssen. Zu alledem ausführlich bei Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 69 ff. sowie K. Schmidt/Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 66 GmbHG Rz. 58 f. und § 74 GmbHG Rz. 26 ff.